Dienstag, 2. Juni 2020

Leadership


In einer der Myriaden Trump-kritischen Social-Media-Gruppen las ich heute wieder einmal die verzweifelte Frage wie es bloß angehen konnte, daß der Typ „leader of the free world“ wurde.

Dieses entsetzte Aufheulen ist verständlich, aber die Eingangsfrage ist recht dümmlich. Einerseits kann man den Trumpschen Wahlerfolg sehr gut erklären – Rassismus, rechte Medien, unbeliebte Gegenkandidatin, socialmedia-Manipulationen und GOP-freundliches Wahlrecht – und andererseits ist der anmaßende Sprachgebrauch den US-Präsidenten mit dem Führer der freien Welt gleichzusetzen doch sehr amerikanisch.
Selbst im Westen sehr beliebte amerikanische Präsidenten wie Barack Obama wurden von den Menschen in Europa, Kanada, Japan, Brasilien, Südafrika oder Australien kaum als ihr „Leader“ angesehen. Obama tat im Zweifelsfall das was im rein amerikanischen Interesse war und scherte sich einen Dreck um die Befindlichkeiten der Verbündeten. Da wurde völkerrechtswidrig bin Laden in einem anderen Land hingerichtet, da wurden Menschen nach Guantanamo verschleppt, die Mobiltelefone befreundeter Regierungschefs abgehört, völkerrechtswidrig hunderte Drohnentötungen unternommen und auch fleißig die Todesstrafe vollstreckt.
Bei Donald Trump stellt sich die Frage gar nicht, auch wenn CNN und Co ihn immer noch (mit vorwurfsvollen Unterton) als „leader of the free world“ ansehen.
Außerhalb der USA käme niemand auf die Idee und selbst extrem amerikatreue Atlantiker wie Angela Merkel lassen sich nicht von Trump führen.

 Trumps Präsidentschaft wird aber auch in den USA weitgehend als „failed“  angesehen.
Aus europäischer Sicht liegen die Gründe dafür auf der Hand.
Zumal der Mann offenkundig nicht ganz dicht ist, manisch Öl in die schwersten Krisenherde gießt und wie ein eingeschnapptes garstiges Kleinkind an manchen Tagen über hundert Pöbel-Tweets absetzt.

Aus republikanischer Perspektive sieht es aber etwas anders aus.

Über 100.000 Corona-Tote sind dort ein weit kleineres Problem, wenn es gelingt dafür andere finstere Mächte zu beschuldigen und insbesondere, wenn man weiß, wen es bevorzugt trifft: Ärmere Amerikaner, Working Poor, Unter- und Nichtversicherte, People Of Color, Einwanderer, Schwarze.
Es sterben also weit überproportional diejenigen, die ohnehin demokratisch gewählt hätten und das Elend ist in demokratisch regierten Bundesstaaten derzeit besonders groß, da dort die Metropolen mit sehr hoher Bevölkerungsdichte liegen.

Auch die Unfähigkeit Trumps Empathie zu zeigen, seine hasserfüllten Attacken auf Diejenigen, die empört über den Mord an George Floyd in den amerikanischen Städten protestieren, empören weitüberwiegend diejenigen, die ohnehin demokratisch wählen.
Trumps unverhohlener Rassismus erfreut eher seine traditionelle Wählerbasis; die hassen Schwarze und Latinos nämlich genauso wie ihr cult-leader im Oval Office. Wenn Trump also in seinen absurden Tiraden ankündigt schießen zu lassen, härtere Maßnahmen fordert, von bösartigen Hunden phantasiert, die er auf Demonstranten loslassen will, sich den Weg zur Kirche freischießen lässt, um mit einer Bibel zu posieren, sind Millionen FOX-Viewer begeistert.
Sie können ihrem Sadismus frönen und sich daran erfreuen, wenn Polizisten live auf Facebook auf Schwarze einprügeln.
Trump liegt an einer Eskalation der riots. Je mehr bürgerkriegsähnliche Szenen, desto mehr kann er sich als harter Hund inszenieren.
Umso mehr werden die Weißen die Protestierer hassen und vergessen was die Ursache der Proteste sind – so hoffen die Republikaner wie der Abgeordnete Matt Gaetz, die geradezu fanatisch die Ausschreitungen anheizen.


 Je mehr Ausschreitungen, desto weniger werden besonnene Stimmen wie Margarete Stokowski gehört.

 […..] Im Deutschlandfunk wird berichtet: "In den USA kommt es weiter zu Plünderungen, Krawallen und Gewaltausbrüchen nach dem Tod vom George Floyd." So lautete der erste Satz zur Meldung in der Nachrichtenübersicht am Sonntagabend. Komisch, denn da kommt die Polizei irgendwie nicht vor. Aber es gibt keine Krawalle, weil ein Mann gestorben ist. Es gibt Krawalle, weil er von einem Polizisten getötet wurde und sich dieser Tod in eine lange Tradition rassistischer Polizeigewalt einreiht. […..] Wie friedlich, wie ruhig, wie leise müssten Menschen dagegen protestieren, dass immer wieder schwarze Menschen aus rassistischen Gründen ermordet werden, ohne dass Weiße ihnen erklären, was sie alles falsch machen? […..] Man muss es nicht gut finden, wenn Gegenstände im Zuge von Protesten beschädigt werden, aber die Frage ist, worauf man den Fokus seiner Kritik legt. Arno Frank schreibt in einem SPIEGEL-Kommentar, Plünderungen seien "der Moment, in dem der politische Protest unweigerlich kippt - und seine moralische Berechtigung verliert". Sicher? "Der politische Protest", also der gesamte Protest, verliert seine Berechtigung? Wie soll das gehen? Muss dann auch die Französische Revolution für ungültig erklärt werden, weil da auch dies und das passierte? Noch mal zurück, noch mal gesittet von vorne? […..]

Bis hierhin sehe ich immer noch keine großen Beeinträchtigungen der Chancen Donald Trumps wiedergewählt zu werden.

Etwas anderes könnte aber sehr problematisch werden. Trump und die GOPer dreschen deswegen so auf die Armen, Schwarzen, Protestierer ein, weil das der typischen Sehnsucht der rechtsradikalen Wähler nach einem starken autokratischen Führer entspricht.
Sie wollen tatsächlich einen global leader, der wie ein Diktator handelt und ohne Rücksicht auf Verluste mutig seine rassistische Agenda „Make Amerika White Again“ durchsetzt.
In dieser Hinsicht musste Trump aber einige herbe Tiefschläge einstecken.
Er rief zum G7-Gipfel nach Camp David und Angela Merkel sagte nicht etwa eilfertig „Ja, mein Führer“, sondern „Nö, keinen Bock, ich lass mich von Berlin aus zuschalten!“
Es wird offensichtlicher, daß Trump international nicht sehr geachtet wird.
Daß er eben nicht als Leader angesehen wird.


Noch schlimmer; es sind ausgerechnet seine Brüder im Geiste, Johnson und Bolsonaro, bei denen Covid19 am schlimmsten wütet. Ausgerechnet die selbsternannten starken Führer versagen bei der Führung durch die Corona-Krise.
Viel schlimmer war aber Trumps Abstieg in den White-House-Bunker als in Washington protestiert wurde.


Dadurch wirkte ihr Cult-Leader nicht als strahlender mutiger Held, sondern wie ein Feigling, der sich vor seinem Volk verkriechen muss.
Trump erkannte offenbar die fatale Wirkung dieser Bilder und versuchte gestern mit mehreren drastischen Photo-Ops gegenzusteuern.
 

Nicht nur wedelte er vor der nahegelegenen evangelischen Kirche mit der Bibel, sondern er latschte mit Melania gleich noch zu einem katholischen Schreib, um John-Paul-II zu huldigen.
Blöderweise waren in beiden Fällen die zuständigen Bischöfe stinksauer und äußerten das auch öffentlich.

 [….] Die anglikanische US-Bischöfin Mariann Edgar Budde hat sich von einem Auftritt von Präsident Donald Trump vor der als „Kirche der Präsidenten“ titulierten St.-Johns-Kirche in Washington am Montag distanziert. Sie sei „empört“ über Trumps Verhalten.
„Der Präsident benutzt ausgerechnet eine Bibel, den heiligsten Text der jüdisch-christlichen Tradition, und eine der Kirchen meiner Diözese ohne Erlaubnis als Hintergrund für eine Botschaft, die in Widerspruch zu den Lehren Jesu und allem steht, wofür unsere Kirchen stehen“, sagte die Bischöfin der Episkopalkirche dem Sender CNN (Montag Ortszeit).
Auch sei sie „empört“, dass der Präsident nicht gebetet habe, als er zur Kirche kam. [….]

Anders als halbwegs liberale Christen bin ich der Meinung, daß die Bibel hervorragend zu Trump und seinen Anhängern passt.
Es wird ihm aber schaden, wenn sich ausgerechnet Bischöfe gegen ihn stellen.

[…..] Der Besuch von US-Präsident Donald Trump bei einem Schrein für den verstorbenen Papst Johannes Paul II. in Washington ist auf scharfe Kritik der katholischen Kirche gestoßen. Der Erzbischof von Washington, Wilton Gregory, teilte am Dienstag mit, er finde es «verwerflich», dass sich eine katholische Einrichtung auf eine Weise missbrauchen und manipulieren lasse, die gegen katholische Prinzipien verstoße. Johannes Paul II. sei ein Verfechter von Menschenrechten gewesen. Seit dem Tod des Afroamerikaners George Floyd bei einem brutalen Polizeieinsatz am Montag vergangener Woche in Minneapolis werden die USA von Unruhen erschüttert.
Donald Trump und First Lady Melania legten am Dienstag einen Kranz am Denkmal des verstorbenen Papstes nieder.  […..]

Noch kann man nicht sagen, ob die Bilder eines sich feige versteckenden Trumps, der von Kirchenvertretern gemaßregelt wird, die Wähler in der FOX-Blase überhaupt erreichen.


Aber enorm große Multiplikatoren wie Kylie Jenner (179 Millionen Instagramfollower), Lady Gaga (81 Millionen Twitterfollower, 42 Millionen auf Instagram), Rihanna, mit 97 Millionen Followern auf Twitter oder Taylor Swift (133 Millionen Instagram-Abonnenten, 86 Millionen auf Twitter), Katy Perry mit 109 Millionen Twitterfans, oder Justin Bieber mit 112 Millionen Twitterjüngern schließen sich dem #BlackoutTuesday an.


Abgesehen davon, daß ich mich schon angesichts dieser Zahlen suizidal fühle und verzweifelt denke Trump wäre gar nicht erst Präsident geworden, wenn auch nur halb so viele Amerikaner seriösen Medien folgten wie den Kardashians, ist die Reichweite so enorm, daß Trump nicht glücklich sein kann.


[…..] Die Stimmung kippt, und Trumps Wiederwahl gerät in Gefahr[…..] .Es ist ein Umfrageschock für Donald Trump. In den großen Schlüsselumfragen zu Akzeptanz, Vertrauen und Kompetenz sackt er regelrecht ab. Im Wahlkampfduell liegt sein Herausforderer Joe Biden im gemittelten Wert aller Umfragen plötzlich mit einem klaren Abstand von 48,2 zu 42,5 Prozent vorne. Der demokratische Herausforderer führt, obwohl er wegen Corona gar keinen Wahlkampf machen kann und im Wesentlichen eine Medienkampagne vom heimischen Keller heraus führen muss, nun auch in allen wichtigen Wechselwahlstaaten. In Wisconsin liegt Biden 2,7 Prozent vorne, in Florida 3,5 Prozent, in Arizona 4 Prozent, in Michigan 5,5 Prozent, in Pennsylvania sogar 6,5 Prozent - und in Minnesota 5 Prozent. […..]
Donald Trump […..] verbarrikadierte sich im Weißen Haus und musste zwischenzeitlich - so berichtet es die "New York Times" - wegen der Straßenschlachten in unmittelbarer Nähe von den Sicherheitsagenten des Secret Service in den unterirdischen Bunker gebracht werden. Normalerweise dient der Bunker als Hochsicherheitstrakt für den Präsidenten im Kriegsfall oder bei schweren Terrorismus-Attacken. […..] Nun "musste" sich Trump vor schwarzen Demonstranten dorthin flüchten. Die symbolische Wirkung dieser Nachricht ist enorm, und sie ist negativ für den Präsidenten. […..] Trump verunsichert selbst treue Gefolgsleute durch irrlichternde Twitter-Nachrichten aus seinem Bunker. Die Bilder von brennenden Straßenbarrikaden und plündernden Mobs passen schon nicht in Trumps Narrativ vom wieder erstarkten Erfolgs-Amerika. Noch weniger passt die Szenerie, dass die Präsidentenkirche St. John's Episcopal Church in unmittelbarer Nähe zum Weißen Haus infolge der Straßenschlachten Feuer fängt, die Außenleuchten des Weißen Hauses abgeschaltet werden müssen, und der Präsident aus dem Atombunker heraus wütende Twitter-Nachrichten verbreitet, "LAW & ORDER!" einzufordern. […..]