In einer der Myriaden Trump-kritischen Social-Media-Gruppen
las ich heute wieder einmal die verzweifelte Frage wie es bloß angehen
konnte, daß der Typ „leader of the free world“ wurde.
Dieses entsetzte Aufheulen ist verständlich, aber die Eingangsfrage
ist recht dümmlich. Einerseits kann man den Trumpschen Wahlerfolg sehr gut
erklären – Rassismus, rechte Medien, unbeliebte Gegenkandidatin, socialmedia-Manipulationen
und GOP-freundliches Wahlrecht – und andererseits ist der anmaßende
Sprachgebrauch den US-Präsidenten mit dem Führer
der freien Welt gleichzusetzen doch sehr amerikanisch.
Selbst im Westen sehr beliebte amerikanische Präsidenten wie
Barack Obama wurden von den Menschen in Europa, Kanada, Japan, Brasilien,
Südafrika oder Australien kaum als ihr „Leader“ angesehen. Obama tat im
Zweifelsfall das was im rein amerikanischen Interesse war und scherte sich
einen Dreck um die Befindlichkeiten der Verbündeten. Da wurde
völkerrechtswidrig bin Laden in einem anderen Land hingerichtet, da wurden
Menschen nach Guantanamo verschleppt, die Mobiltelefone befreundeter
Regierungschefs abgehört, völkerrechtswidrig hunderte Drohnentötungen unternommen
und auch fleißig die Todesstrafe vollstreckt.
Bei Donald Trump stellt sich die Frage gar nicht, auch wenn
CNN und Co ihn immer noch (mit vorwurfsvollen Unterton) als „leader of the free
world“ ansehen.
Außerhalb der USA käme niemand auf die Idee und selbst
extrem amerikatreue Atlantiker wie Angela Merkel lassen sich nicht von Trump
führen.
Trumps Präsidentschaft wird aber auch in den USA weitgehend
als „failed“ angesehen.
Aus europäischer Sicht liegen die Gründe dafür auf der Hand.
Zumal der Mann offenkundig nicht ganz dicht ist, manisch Öl
in die schwersten Krisenherde gießt und wie ein eingeschnapptes garstiges Kleinkind an manchen Tagen über hundert Pöbel-Tweets absetzt.
Aus republikanischer
Perspektive sieht es aber etwas anders aus.
Über 100.000 Corona-Tote sind dort ein weit kleineres
Problem, wenn es gelingt dafür andere finstere Mächte zu beschuldigen und
insbesondere, wenn man weiß, wen es bevorzugt trifft: Ärmere Amerikaner,
Working Poor, Unter- und Nichtversicherte, People Of Color, Einwanderer,
Schwarze.
Es sterben also weit überproportional diejenigen, die
ohnehin demokratisch gewählt hätten und das Elend ist in demokratisch regierten
Bundesstaaten derzeit besonders groß, da dort die Metropolen mit sehr hoher
Bevölkerungsdichte liegen.
Auch die Unfähigkeit Trumps Empathie zu zeigen, seine
hasserfüllten Attacken auf Diejenigen, die empört über den Mord an George Floyd in den amerikanischen
Städten protestieren, empören weitüberwiegend diejenigen, die ohnehin demokratisch wählen.
Trumps unverhohlener Rassismus erfreut eher seine
traditionelle Wählerbasis; die hassen Schwarze und Latinos nämlich genauso wie
ihr cult-leader im Oval Office. Wenn Trump also in seinen absurden Tiraden
ankündigt schießen zu lassen, härtere Maßnahmen fordert, von bösartigen Hunden phantasiert,
die er auf Demonstranten loslassen will, sich den Weg zur Kirche freischießen
lässt, um mit einer Bibel zu posieren, sind Millionen FOX-Viewer begeistert.
Sie können ihrem Sadismus frönen und sich daran erfreuen,
wenn Polizisten live auf Facebook auf Schwarze einprügeln.
Trump liegt an einer Eskalation der riots. Je mehr
bürgerkriegsähnliche Szenen, desto mehr kann er sich als harter Hund
inszenieren.
Umso mehr werden die Weißen die Protestierer hassen und
vergessen was die Ursache der Proteste sind – so hoffen die Republikaner wie der
Abgeordnete Matt Gaetz, die geradezu
fanatisch die Ausschreitungen anheizen.
Je mehr Ausschreitungen, desto weniger werden besonnene
Stimmen wie Margarete Stokowski gehört.
[…..] Im Deutschlandfunk wird berichtet: "In den USA kommt es weiter zu
Plünderungen, Krawallen und Gewaltausbrüchen nach dem Tod vom George
Floyd." So lautete der erste Satz zur Meldung in der Nachrichtenübersicht
am Sonntagabend. Komisch, denn da kommt die Polizei irgendwie nicht vor. Aber
es gibt keine Krawalle, weil ein Mann gestorben ist. Es gibt Krawalle, weil er
von einem Polizisten getötet wurde und sich dieser Tod in eine lange Tradition
rassistischer Polizeigewalt einreiht. […..] Wie friedlich, wie ruhig, wie leise müssten Menschen dagegen
protestieren, dass immer wieder schwarze Menschen aus rassistischen Gründen
ermordet werden, ohne dass Weiße ihnen erklären, was sie alles falsch machen?
[…..] Man muss es nicht gut finden, wenn
Gegenstände im Zuge von Protesten beschädigt werden, aber die Frage ist, worauf
man den Fokus seiner Kritik legt. Arno Frank schreibt in einem
SPIEGEL-Kommentar, Plünderungen seien "der Moment, in dem der politische
Protest unweigerlich kippt - und seine moralische Berechtigung verliert".
Sicher? "Der politische Protest", also der gesamte Protest, verliert
seine Berechtigung? Wie soll das gehen? Muss dann auch die Französische
Revolution für ungültig erklärt werden, weil da auch dies und das passierte?
Noch mal zurück, noch mal gesittet von vorne? […..]
Bis hierhin sehe ich immer noch keine großen
Beeinträchtigungen der Chancen Donald Trumps wiedergewählt zu werden.
Etwas anderes könnte aber sehr problematisch werden. Trump
und die GOPer dreschen deswegen so auf die Armen, Schwarzen, Protestierer ein,
weil das der typischen Sehnsucht der rechtsradikalen Wähler nach einem starken
autokratischen Führer entspricht.
Sie wollen tatsächlich einen global leader, der wie ein
Diktator handelt und ohne Rücksicht auf Verluste mutig seine rassistische
Agenda „Make Amerika White Again“ durchsetzt.
In dieser Hinsicht musste Trump aber einige herbe
Tiefschläge einstecken.
Er rief zum G7-Gipfel nach Camp David und Angela Merkel
sagte nicht etwa eilfertig „Ja, mein Führer“, sondern „Nö, keinen Bock, ich
lass mich von Berlin aus zuschalten!“
Es wird offensichtlicher, daß Trump international nicht sehr
geachtet wird.
Daß er eben nicht als Leader angesehen wird.
Noch schlimmer; es sind ausgerechnet seine Brüder im Geiste,
Johnson und Bolsonaro, bei denen Covid19 am schlimmsten wütet. Ausgerechnet die
selbsternannten starken Führer versagen bei der Führung durch die Corona-Krise.
Viel schlimmer war aber Trumps Abstieg in den White-House-Bunker
als in Washington protestiert wurde.
Dadurch wirkte ihr Cult-Leader nicht als strahlender mutiger
Held, sondern wie ein Feigling, der sich vor seinem Volk verkriechen muss.
Trump erkannte offenbar die fatale Wirkung dieser Bilder und
versuchte gestern mit mehreren drastischen Photo-Ops gegenzusteuern.
Nicht nur wedelte er vor der nahegelegenen evangelischen
Kirche mit der Bibel, sondern er latschte mit Melania gleich noch zu einem
katholischen Schreib, um John-Paul-II zu huldigen.
Blöderweise waren in beiden Fällen die zuständigen Bischöfe stinksauer und
äußerten das auch öffentlich.
[….] Die anglikanische US-Bischöfin Mariann Edgar Budde hat sich von einem
Auftritt von Präsident Donald Trump vor der als „Kirche der Präsidenten“
titulierten St.-Johns-Kirche in Washington am Montag distanziert. Sie sei „empört“
über Trumps Verhalten.
„Der Präsident benutzt ausgerechnet eine Bibel, den heiligsten Text der
jüdisch-christlichen Tradition, und eine der Kirchen meiner Diözese ohne
Erlaubnis als Hintergrund für eine Botschaft, die in Widerspruch zu den Lehren
Jesu und allem steht, wofür unsere Kirchen stehen“, sagte die Bischöfin der
Episkopalkirche dem Sender CNN (Montag Ortszeit).
Auch sei sie „empört“, dass der Präsident nicht gebetet habe, als er
zur Kirche kam. [….]
Anders als halbwegs liberale Christen bin ich der Meinung,
daß die Bibel hervorragend zu Trump und seinen Anhängern passt.
Es wird ihm aber schaden, wenn sich ausgerechnet Bischöfe
gegen ihn stellen.
[…..] Der Besuch von US-Präsident Donald Trump bei einem Schrein für den
verstorbenen Papst Johannes Paul II. in Washington ist auf scharfe Kritik der
katholischen Kirche gestoßen. Der Erzbischof von Washington, Wilton Gregory,
teilte am Dienstag mit, er finde es «verwerflich», dass sich eine katholische
Einrichtung auf eine Weise missbrauchen und manipulieren lasse, die gegen
katholische Prinzipien verstoße. Johannes Paul II. sei ein Verfechter von
Menschenrechten gewesen. Seit dem Tod des Afroamerikaners George Floyd bei
einem brutalen Polizeieinsatz am Montag vergangener Woche in Minneapolis werden
die USA von Unruhen erschüttert.
Donald Trump und First Lady Melania legten am Dienstag einen Kranz am
Denkmal des verstorbenen Papstes nieder. […..]
Noch kann man nicht sagen, ob die Bilder eines sich feige
versteckenden Trumps, der von Kirchenvertretern gemaßregelt wird, die Wähler in
der FOX-Blase überhaupt erreichen.
Aber enorm große Multiplikatoren wie Kylie Jenner (179
Millionen Instagramfollower), Lady Gaga (81 Millionen Twitterfollower, 42
Millionen auf Instagram), Rihanna, mit 97 Millionen Followern auf
Twitter oder Taylor Swift (133 Millionen Instagram-Abonnenten, 86 Millionen auf
Twitter), Katy Perry mit 109 Millionen Twitterfans,
oder Justin Bieber mit 112 Millionen Twitterjüngern
schließen sich dem #BlackoutTuesday an.
Abgesehen davon, daß ich mich schon angesichts dieser Zahlen
suizidal fühle und verzweifelt denke Trump wäre gar nicht erst Präsident
geworden, wenn auch nur halb so viele Amerikaner seriösen Medien folgten wie
den Kardashians, ist die Reichweite so enorm, daß Trump nicht glücklich sein
kann.
[…..] Die Stimmung kippt, und Trumps Wiederwahl gerät in Gefahr[…..] .Es ist ein Umfrageschock für Donald Trump.
In den großen Schlüsselumfragen zu Akzeptanz, Vertrauen und Kompetenz sackt er
regelrecht ab. Im Wahlkampfduell liegt sein Herausforderer Joe Biden im
gemittelten Wert aller Umfragen plötzlich mit einem klaren Abstand von 48,2 zu
42,5 Prozent vorne. Der demokratische Herausforderer führt, obwohl er wegen
Corona gar keinen Wahlkampf machen kann und im Wesentlichen eine Medienkampagne
vom heimischen Keller heraus führen muss, nun auch in allen wichtigen
Wechselwahlstaaten. In Wisconsin liegt Biden 2,7 Prozent vorne, in Florida 3,5
Prozent, in Arizona 4 Prozent, in Michigan 5,5 Prozent, in Pennsylvania sogar
6,5 Prozent - und in Minnesota 5 Prozent. […..]
Donald Trump […..] verbarrikadierte
sich im Weißen Haus und musste zwischenzeitlich - so berichtet es die "New
York Times" - wegen der Straßenschlachten in unmittelbarer Nähe von den
Sicherheitsagenten des Secret Service in den unterirdischen Bunker gebracht
werden. Normalerweise dient der Bunker als Hochsicherheitstrakt für den
Präsidenten im Kriegsfall oder bei schweren Terrorismus-Attacken. […..] Nun "musste" sich Trump vor
schwarzen Demonstranten dorthin flüchten. Die symbolische Wirkung dieser
Nachricht ist enorm, und sie ist negativ für den Präsidenten. […..] Trump verunsichert selbst treue Gefolgsleute
durch irrlichternde Twitter-Nachrichten aus seinem Bunker. Die Bilder von
brennenden Straßenbarrikaden und plündernden Mobs passen schon nicht in Trumps
Narrativ vom wieder erstarkten Erfolgs-Amerika. Noch weniger passt die
Szenerie, dass die Präsidentenkirche St. John's Episcopal Church in
unmittelbarer Nähe zum Weißen Haus infolge der Straßenschlachten Feuer fängt,
die Außenleuchten des Weißen Hauses abgeschaltet werden müssen, und der
Präsident aus dem Atombunker heraus wütende Twitter-Nachrichten verbreitet,
"LAW & ORDER!" einzufordern. […..]