Mittwoch, 18. August 2021

Das Elend des Katholizismus.

Wer wie der Regisseur Ulrich Seidl (*1952 in Wien) in einer extrem religiösen Familie aufwächst, wird als Erwachsener entweder mindestens genauso religiös oder wendet sich radikal ab. Ein psychischer Schaden ist in beiden Fällen wahrscheinlich.   Seidl gehört zu letzterer Kategorie, entwickelte eine große Faszination für Abartiges und Abseitiges.

 Als Produzent wagte er sich sogar an die Verfilmung von Heinz Sobotas „Minus-Mann“. Der 1978 erschienene hyperrealistische SM-Gewaltporno, den ich als Teenager las, war über fast zwei Jahrzehnte hinweg (bis ich das #Neuland entdeckte) das Brutalste und Perverseste, das ich für möglich hielt. Kaum ein Buch hat mich je so verstört. Für Seidl ein idealer Filmstoff.

Seidl ist aber der Mann für die absoluten menschlichen Abgründe und Monstrositäten.

[….] SZ: In Ihrem neuen dokumentarischen Film Im Keller gibt es zwar auch fiktionale Elemente, aber Sie zeigen darin ein Sadomaso-Paar, das es wirklich gibt. Die Frau hängt dem Mann zum Beispiel schwere Gewichte an die Hoden, er muss auf allen vieren durch die gemeinsame Wohnung kriechen und die Toilette mit seiner Zunge putzen. Die Frau erklärt dem Zuschauer, wie glücklich und liebevoll diese Beziehung ist. Ist das auch klassische Liebe? Greift dieses Wort?

Seidl: Es war für mich auch etwas fremd, dieses Pärchen kennenzulernen. Bevor ich drehe, habe ich die Menschen ja schon wirklich oft besucht, da ist ein Vertrauen entstanden. Aber ja, das ist natürlich auch eine Liebesgeschichte. Die zwei sind mit diesem Leben, mit diesem Programm, das sie da haben, zufrieden. Wir sind geneigt, die beiden aus dem Blickwinkel unserer Normalität heraus zu betrachten, deshalb finden wir sie abstrus oder pervers. Aber das ist wirklich nur eine Frage des Standpunktes.

SZ: In Ihrem Spielfilm Paradies: Liebe geht eine 50-jährige österreichische Frau als Sextouristin nach Kenia. Sie will von den jungen Beach Boys dort aber nicht nur Sex, sondern auch etwas, was sie von österreichischen Männern nicht bekommt: Respekt, Zärtlichkeit, Liebe.

Seidl: Viele Zuschauer hatten da sofort den Eindruck: Das ist ja Ausbeutung. Und zwar in beide Richtungen: Die einen meinten, die Afrikaner beuten die verzweifelten Europäerinnen aus, bringen sie um ihr Geld, die anderen meinten, die Frauen beuten die Beach Boys aus, weil die sich prostituieren. Aber am Ende ist das eine Beziehung, die für beide funktioniert. Die Frau bekommt etwas, was sie sich ersehnt. Der Mann auch. Es ist ein Geschäft. Und ganz ehrlich, auch bei uns ist eine Partnerschaft oft ein Geschäft. Da wird vielleicht nicht in Geld bezahlt, aber es heißt: Wenn du dieses oder jenes nicht machst, dann geht es nicht weiter mit uns. Das sind ja auch Deals. [….]

(SZ-Magazin, 16.02.2015)

Als jemand, der niemals in Kino geht und niemals streamt, sehe ich solche Filme üblicherweise nicht.  Vor drei Tagen, passend am heiligen Sonntag-Abend, lief „Paradies: Liebe“ von 2012, der erste Teil der Seidlschen Paradies-Trilogie, im Free-TV, der ARD.

In der Mediathek abrufbar nur ab 22.00 Uhr und wenn man älter ist als 16 Jahre.  Meines Erachtens wäre auch FSK 18, oder besser noch FSK 21, angemessen. Aber solche Jungend-Beschränkungen sind im Internet- und Smartphone-Zeitalter eher lächerlich.

Ich bin natürlich abgebrühter als vor 35 Jahren bei der Minus-Mann-Lektüre, aber der Film schockierte mich durch seine drastischen Nacktdarstellungen und die Obszönität der vier dargestellten Frauen. Ich gestehe, ziemlich viel die Fast-Forward-Funktion meines Gerätes verwendet zu haben.

Weshalb ich mich überhaupt bis zum Ende des österreichischen Schockers durchquälte? Nun, der Film ist faszinierend nüchtern produziert und behandelt mit den profanen Urlaubstagen einer 50-Jährigen Sextouristin in Kenia, ein Thema, das ich noch nicht aus der Kunstwelt kenne.

Anschließend fragte ich mich selbst, was mich eigentlich so dermaßen schockiert hat? Ob man will oder nicht; im Internetzeitalter hat doch jeder schon entblößte männliche und weibliche Körper gesehen. Seidl zeigt zudem weder Großaufnahmen von Geschlechtsorganen, noch den Akt selbst. Jede zweite Filmproduktion, beginnend mit den Vorabendserien, zeigt doch heute Sexszenen, so daß man den Anblick von Nippeln und Penissen eigentlich gewöhnt sein wollte.

In „Paradies: Liebe“ sind aber die Körper nicht geschönt oder weichgezeichnet, sondern hyperrealistisch dargestellt. Für den Zuschauer ist das ungewohnt, da in der medialen Phantasiewelt alle Menschen Traumfiguren, ebenmäßige Haut und ewige Jugendlichkeit haben.

Es entspricht nicht den Mainstreamgewohnheiten, ältere Frauen mit Übergewicht und offensichtlichen „Problemzonen“ zu betrachten, die sich gar nicht deswegen schämen, sondern es genießen als vergleichsweise reiche und vor allem weiße Wesen von Sexarbeitern umworben zu werden.

Der nächste perplexe Punkt ist die Rollenumkehr der Geschlechter. Die Frau bezahlt, die Frau bestimmt, gibt Anweisungen, lässt sich gezielt „aufgeilen“, dirigiert die viel jüngeren Männer, behandelt sie als Sexobjekte.

Ich war schockiert über mich selbst. Der umgekehrte Fall entspricht den üblichen Sehgewohnheiten, daß nämlich reiche fette mächtige Männer mit Prostituierten  umgehen, oder aber anderen jungen Frauen, die sie dennoch als Sexobjekte behandeln.

Das hat man in unzähligen Varianten schon in Filmen und Serien gesehen.

Sollte es da mal vorkommen, daß eine Frau den Mann verführt, ist es eine sehr mächtige, besonders attraktive Vamp-Frau.

Aber ganz normale +50er aus Durchschnittsjobs mit Adipositas und Hängebusen?

In Hollywood ist vermutlich gar nicht bekannt, daß Frauen über 30, die nicht wie Supermodels aussehen, überhaupt Sex haben können und das womöglich sogar wollen.

Eine weitere Schock-Perspektive des Films entsteht dadurch, daß der zum Sexobjekt Degradierte nicht nur ein Mann ist, sondern auch noch ein Schwarzer.

Da kommen unangenehme Anklänge an die Sklaverei-Vergangenheit und die widerlichen Nazi-Klischees über sexuell hyperaktive Afrikaner zu Vorscheinen.

Lukas-Evangelium, Kapitel 17:

Das Gleichnis vom unnützen Sklaven 7 Wenn einer von euch einen Sklaven hat, der pflügt oder das Vieh hütet, wird er etwa zu ihm, wenn er vom Feld kommt, sagen: Nimm gleich Platz zum Essen? 8 Wird er nicht vielmehr zu ihm sagen: Mach mir etwas zu essen, gürte dich und bediene mich; wenn ich gegessen und getrunken habe, kannst auch du essen und trinken. 9 Bedankt er sich etwa bei dem Sklaven, weil er getan hat, was ihm befohlen wurde? 10 So soll es auch bei euch sein: Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen wurde, sollt ihr sagen: Wir sind unnütze Sklaven; wir haben nur unsere Schuldigkeit getan.

Fürstin Glorias „der Afrikaner schnackselt gern“ oder der deutsche Diplomat, der während Kohls Kanzlerschaft zum Thema Überbevölkerung in einem schwarzen Land erklärte „die Frau will immer, der Mann kann immer“.

[…..] Botschafter in Haiti, Günther […..]  Dahlhoff hatte beim Besuch einer Bundestagsdelegation im November in dem Karibikstaat nach Angaben von Abgeordneten in einem Hintergrundgespräch unter anderem gesagt, das angebliche Überbevölkerungsproblem Haitis liege darin begründet, daß „die haitianische Frau immer will und der haitianische Mann immer kann“.  [….]

(taz, 24.01.1996)

Auch wer ganz bewußt nicht nach Wokistan umgezogen ist, dürfte so sensibilisiert sein, sich unbehaglich dabei zu fühlen, wenn kenianische Männer als Sexmaschinen angesehen werden oder wie Zirkustiere Kunststückchen vorführen müssen.

Der Brief an die Epheser, Kapitel 6, erklärt:

5 Ihr Sklaven, gehorcht euren irdischen Herren mit Furcht und Zittern und mit aufrichtigem Herzen, als wäre es Christus. 6 Arbeitet nicht nur, um euch bei den Menschen einzuschmeicheln und ihnen zu gefallen, sondern erfüllt als Sklaven Christi von Herzen den Willen Gottes! 7 Dient freudig, als dientet ihr dem Herrn und nicht den Menschen. 8 Denn ihr wisst, dass jeder, der etwas Gutes tut, es vom Herrn zurückerhalten wird, ob er ein Sklave ist oder ein freier Mann. 9 Ihr Herren, handelt in gleicher Weise gegen eure Sklaven! Droht ihnen nicht! Denn ihr wisst, dass ihr im Himmel einen gemeinsamen Herrn habt. Bei ihm gibt es kein Ansehen der Person.

Der Brief an die Kolosser, Kapitel 3, verlangt:

22 Ihr Sklaven, gehorcht euren irdischen Herren in allem! Arbeitet nicht nur, um euch bei den Menschen einzuschmeicheln und ihnen zu gefallen, sondern fürchtet den Herrn mit aufrichtigem Herzen! 23 Tut eure Arbeit gern, als wäre sie für den Herrn und nicht für Menschen;

Ich hänge keinen spießigen oder religiösen Moralvorstellungen an. Freiwillige Prostitution unter Erwachsenen verurteile ich nicht.

Sollte man es da nicht als glücklichen Zufall betrachten, wenn alternde europäische Frauen, die sich in Deutschland gar keinen Luxus-Callboy leisten können, im Senegal, in Kenia, Gambia oder auf Jamaika so viele genital üppig ausgestattete hübsche Männer leisten können, die aus einer Kultur kommen, in der praktischerweise „blond, hellhäutig und dick“ als Schönheitsideale gelten?

Frau hat den Urlaub ihres Lebens, Mann hat Spaß und verdient dabei auch noch seinen Lebensunterhalt. Ich nehme an, daß viele weibliche Prostituierte nicht das Glück haben, mit lauter reichen Freiern zu tun zu haben, die sie selbst zufällig sehr attraktiv finden.

Aber der Woke-Virus hat eben auch mich insofern erfasst, als ich angesichts der europäischen Geschichte als Sklavenhändler, die afrikanische Männer nur nach ihren körperlichen Gegebenheiten bewerteten, ihnen wie beim Vieh in den Mund glotzten, erhebliches Unwohlsein verspüre, wenn schwarze Sexboys von notgeilen Europäerinnen begutachtet werden.

Gefälligst gehorchen sollen die Sklaven, steht auch im

Brief an Titus, Kapitel 2:

9 Die Sklaven sollen ihren Herren gehorchen, ihnen in allem gefällig sein, nicht widersprechen, 10 nichts veruntreuen; sie sollen zuverlässig und treu sein, damit sie in allem der Lehre Gottes, unseres Retters, Ehre machen.

Der erste Brief des Petrus, Kapitel 2

Die Sklaven in der Nachfolge Christi 18 Ihr Sklaven, ordnet euch in aller Ehrfurcht euren Herren unter, nicht nur den guten und freundlichen, sondern auch den launenhaften.

Christinnen sollten sich schon etwas mehr für ihre Geschichte schämen.

[….] Auf die unrühmliche Geschichte der Kirche im Blick auf Rassismus und Sklaverei hat der Kirchenhistoriker Pius Adiele hingewiesen. Im Interview mit dem „Tiroler Sonntag“ (aktuelle Ausgabe) legte er dar, dass Rassismus über viele Jahrhunderte dem Christentum immanent war, Päpste Sklaverei legitimierten und Missionare selbst Sklaven „besaßen“.

[….] Durch die Bulle „Dum diversas“ aus dem Jahr 1452 habe Papst Nikolaus V. dem portugiesischen König die Erlaubnis erteilt, die Länder der Ungläubigen zu erobern und zu unterwerfen und die darin lebenden Personen in ewige Sklaverei zu führen. Zwei Jahre später wurde dies nochmals bekräftigt in der Bulle „Romanus Pontifex“ von 1454.

[….] Auch die Missionare hätten sich an der Versklavung beteiligt, so der Kirchenhistoriker. „Der Jesuitenorden, der zum Beispiel in Brasilien oder auch in Maryland in Amerika tätig war, hatte sogar ein Sklavenschiff“, berichtete Adiele. Jesuiten hätten Sklaven auf ihren Plantagen eingesetzt.

„Bis 1838 hatten sie immer noch Sklaven“, erklärt der Historiker. Als sich abzeichnete, dass der Papst die Versklavung von Afrikanern anprangert, hätten die Missionare „ihre letzten Sklaven nicht etwa befreit, sondern in die Südstaaten verkauft.“ [….] Kein Papst bis Gregor XVI. im Jahre 1839 habe je ein Wort der Verteidigung der Afrikaner verloren, stellte Adiele fest: „Wir waren von dieser Verteidigung ausgeschlossen. Erst Johannes Paul II. hat sich 1992 auf einer Reise nach Afrika geäußert und dies als Übel angeprangert. In der großen Vergebungsbitte zum Millennium sind wir allerdings auch nicht erwähnt.“ [….]

(ORF, 16.08.2021)

Sind Sklaverei-Assoziationen angemessen, wenn es um freiwillige Sexarbeit kenianischer Männer geht?

Aber wo endet Freiwilligkeit, wenn der freiwillige Dienstleister so bitterarm ist, daß er auf Hurenlohn angewiesen ist, um zu überleben?