Samstag, 26. November 2016

Staatsverachtung.



Das war vielleicht ein Mist, als einem alten Freund von mir an einem Samstag vor genau einem Jahr plötzlich buchstäblich die Luft wegblieb. Er hatte sich schon beim Aufstehen schlecht gefühlt, war aber noch zum Briefkasten draußen vor dem Haus gegangen. Dann aber fiel ihm das Atmen so schwer, daß es unmöglich wurde die Treppen zu seiner Wohnung zweiten Stock in Hamburg-Poppenbüttel hoch zu gehen.
Glücklicherweise passierte das wenigstens tagsüber. Eine Nachbarin rief sofort 112; sogar ein Hubschrauber wurde angefordert.
Mein Freund landete gegen Mittag im nahen Asklepios-Klinikum Nord.
In der Notaufnahme stellte man eine Panikattacke fest, die nun wirklich nicht lebensbedrohlich wäre und setzte ihn ins Wartezimmer, wo er mehrmals der Ohnmacht nahe vom Stuhl rutschte.
Es war nach 17.00 Uhr, als eine Krankenschwester feststellte, daß ein Lungenflügel gar nicht mehr arbeitete. Sie wurde ganz hektisch, organisierte eine Trage. „Sie müssen sich sofort hinlegen! In Ihrem Zustand darf man nicht aufrecht sitzen!“ herrschte sie ihn an – nachdem er fast fünf Stunden genau darum gebeten hatte; er müsse sich hinlegen, könne nicht mehr sitzen.
Die „Panikattacke“ stellte sich dann als schwere Lungenembolie heraus; die vermutlich durch einen Thrombus im linken Oberschenkel entstanden war.

Freie Zimmer gab es nicht. Einen Oberarzt bekam er auch in den nächsten fünf Tagen nicht zusehen. Er lag zunächst vier Tage auf dem Gang neben dem Eingang, so daß auch nachts nicht an Schlafen zu denken war, weil dauernd Leute rein und raus rasten. Zum Waschen und als Klo gab es nur das Besucher-WC am Ende des Ganges.
Am Mittwoch die große Überraschung – er kam in ein Einzelzimmer auf der Orthopädie und hoffte nun endlich einen Facharzt zu sprechen, nachdem in den Tagen zuvor nur willkürlich mal das eine oder andere Organ geröngt wurde.
Die Hoffnung währte nur kurz, nach gerade mal zwei Stunden, wurde ihm befohlen sofort wieder das Zimmer zu räumen, es sei ein Privatpatient eingetroffen, der den Raum bekäme. Da er sich immer noch nicht allein auf den Beinen halten konnte, wurde sein Bett kurzerhand auf den Gang genau neben die Zimmereingangstür geschoben, so daß er den Rest der Zeit immer beobachten konnte, wie der Privatpatient in „seinem“ Kurzzeitzimmer hockte.
Die einzige Therapie waren Clexane-Spritzen.
Am Freitag bekam er plötzlich drei Marcumar-Tabletten 3 mg in die Hand gedrückt und wurde mit dem Ratschlag am Montag zu seinem Hausarzt zu gehen entlassen.
Fünf Tage auf dem Gang zu liegen und dabei von offensichtlich extrem überarbeiteten, extrem eiligen und dementsprechend unfreundlichen Pflegern coram publico „behandelt“ zu werden, hatten ihn so zermürbt, daß er nur froh war da weg zu kommen.
„Das sind noch drei Tage bis Montag!“ entfuhr es mir entsetzt, als er mich von Zuhause anrief – in seine Wohnung, das immerhin, hatte ihn ein Krankentransport getragen.
„Ja, ich nehme an, ich esse bis dahin jeden Tag eine Marcumar (Phenprocoumon) – die haben mir ja genau drei Tabletten mitgegeben.“
Ich konnte es kaum glauben. Mit Marcumar habe ich viel Erfahrung und besitze sogar ein Coagu-Check-Gerät, um den INR-Wert (der die Blutverdünnung angibt) selbst zu bestimmen.
Marumar wirkt nicht sofort, es dauert mehrere Tage bis der INR im richtigen Bereich liegt. Dabei beginnt man mit einer einmaligen Dosis von drei Phenprocoumon-Pillen (9mg), am zweiten Tag 6 mg und muß dann bei ständiger INR-Kontrolle langsam runterdosieren, bis sich der INR bei etwa 2,5 einpendelt. Das dauert mindestens drei Tage, oft noch wesentlich länger.
Mein Internist gebraucht statt Marcumar immer den bekannteren Namen „Rattengift“. Richtig so, denn wenn man sich bewußt ist täglich pures Rattengift zu essen, denkt man hoffentlich daran bei der Dosierung sehr pingelig zu sein.
Während dieser Zeit muß man unbedingt weiter Heparinspritzen nehmen, wenn man auf eine Antikoagulationstherapie angewiesen ist.
Die umständliche Dosierung und Überwachung von Marcumar und Coumadin (Warfarin) ist auch der Grund dafür, daß es inzwischen viel modernere und nicht so schwer zu dosierende Bluverdünnungsmittel gibt (Apixaban/Eliquis®, Dabigatran/Pradaxa® oder Rivaroxaban/Xarelto®). Im Asplepios-Klinikum Nord war das offenbar unbekannt.
Glücklicherweise kenne ich einen Pulmologen privat, der sich der Angelegenheit annehmen konnte und meinen Freund gleich auch Xarelto setzte und am Montag in seiner Praxis unter seine Fittiche nahm.

Eine Geschichte wie diese spielt sich in den Asklepios-Kliniken offenbar immer wieder ab. Ich selbst habe das bei Angehörigen so ähnlich im Asklepios-Barmbek und im Asklepios St. Georg erlebt.

Die Vorgabe der Asklepios-Gruppe war beispielsweise beim großen Krankenhausneubau von Hamburg-Barmbek, daß die Klinikbetten immer zu 100% belegt sein müssten zur Gewinnmaximierung. Daher wurde eine Bettenzahl von etwa 90% des Bedarfs geplant. Wenn auf der kardiologischen Station mit 18 Doppelzimmern 37 bis 38 Patienten liegen  - alle Zimmer doppelt belegt plus ein oder zwei auf dem Gang, versorgt von zwei kardiologischen Krankenschwestern insgesamt, ist Asklepios-Besitzer Bernd Broermann zufrieden, denn dann rollt der Rubel. Es wird schließlich nach Fallpauschalen bezahlt und nicht nach Erfolg oder Zufriedenheit der Patienten.
Bernd Broermanns Vermögen wuchs in den letzten 12 Monaten von 2,95 Milliarden auf 3,10 Milliarden Euro (BILANZ Magazin September 2016).
150 Millionen Euro Zuwachs in einem Jahr beutet, daß der Mann alle zwei bis drei Tage eine Million Euro mehr hat, die er aus seinen Patienten herauspresst.

Broermann hat inzwischen buchstäblich so viel Geld, daß er kaum noch weiß wohin damit.
Vom Himmel gefallen ist der reiche Bernd Broermann nicht.
Die Genies von der Hamburger CDU haben ihn kreiert.
Sie verachteten den eigenen Staat so sehr, daß sie meinten, die öffentliche Hand könne keine Krankenhäuser betreiben (als ob nicht auch die Stadt fähige Manager einstellen könnte). Sie wollten, daß die Milliardengewinnen aus den Patienten-Portemonnaies aus dem Gesundheitssystem abfließen, um eine einzelne Person reich zu machen, statt allen Kranken zu Gute zu kommen.

Als langjähriger Beobachter der politischen Szene muß ich sagen, daß ich ein derartiges komplettes und nachhaltiges Versagen auf allen Ebenen, wie das des CDU-Senats unter Ole von Beust 2001-2010 noch nie erlebt habe.

Die Zeche für diese katastrophal falsche Wahlentscheidung der Hamburger Wähler während der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts werden wir alle noch lange abzahlen.

Wenige Monate nach dem Schicksalstag in der Colorline-Arena traf Peiner eine für die Stadt noch katastrophalere Entscheidung. Er verschleuderte die landeseigenen Krankenhäuser an Bernd Broermann.

Der Verkauf des Landesbetriebs Krankenhäuser (LBK) ist begleitet von Protesten, Kritik, Vorwürfen und einem missachteten Volksentscheid.
- Als die Verkaufsabsichten des Senats bekannt wurden, startete die Initiative "Gesundheit ist keine Ware" ein Volksbegehren, das am 29. Februar 2004 zum Volksentscheid führte. 76,8 Prozent der Hamburger lehnten den Verkauf ab. Der Senat ignorierte den Volksentscheid. Im Dezember beschloss die Bürgerschaft den Verkauf des LBK, nachdem das Verfassungsgericht grünes Licht gegeben hatte. Dennoch blieb Finanzsenator Wolfgang Peiner (CDU) im Kreuzfeuer der Kritik. Die Vorwürfe:
- Asklepios wurde bevorzugt, andere Mitbewerber wie Helios und das Unternehmen Rhön-Klinikum wurden ausgebootet, ihre Angebote schlechtgerechnet. Der LBK wurde Asklepios zu einem "Schleuderpreis" hinterhergeworfen (Jens Kerstan, GAL). Aus der Finanzbehörde hieß es zu den Vorwürfen nur: "Das Angebot von Asklepios war und ist das beste." Laut Senat wurde der LBK für 318 Millionen Euro verkauft. Die Angebote der Mitbewerber wurden vom Senat nicht veröffentlicht.
Mehr als Tausend LBK Bedienstete warten auch 5 Jahre nach dem LBK "Verkauf" noch auf zugesicherte Stellen im Dienste der Stadt! Kosten für den Hamburger Haushalt und den Steuerzahler 60 Mio. bis Dato!
Auf Stationen von LBK-Krankenhäusern wurde ein Flugblatt verteilt, das offensichtlich der politischen Unterstützung des Hamburger Finanzsenators Wolfgang Peiner (CDU) dient. Verantwortlich für die Verteilung: Asklepios Kliniken Verwaltungsgesellschaft mbH, Zentrale Dienste Unternehmenskommunikation & Marketing.

Daß sich Peiner für Bernd Grosse Broermann entschied ist so verwunderlich nicht – man kannte sich schon.

Im September 2001 übernahm eine Koalition aus CDU, Schill-Partei und FDP nach 44 Jahren SPD-Herrschaft die Regierungsgeschäfte in Hamburg.
Im Dezember 2003 beschloss der neue Senat nach einer internationalen Ausschreibung, dem privaten hessischen Klinikbetreiber Asklepios Anteile am LBK zu verkaufen. Drahtzieher war der damalige Finanzsenator Wolfgang Peiner. Da Asklepios-Inhaber Bernard gr. Broermann zum Verwaltungsrat einer Versicherung gehörte, als Peiner dort im Vorstand saß, warf die SPD dem Senat Vetternwirtschaft vor.
Am 29. Februar 2004 beteiligten sich 788.563 Hamburger Bürger an einem Volksentscheid, den Gewerkschaften und soziale Gruppen unter den Slogan "Gesundheit ist keine Ware" organisiert hatten. 593.497 stimmten gegen den Verkauf, das waren 76,8 Prozent der Stimmen. Da die mittlerweile allein regierende CDU um Bürgermeister Ole von Beust den Volksentscheid als nicht bindend einstufte, zogen dessen Initiatoren vor das Hamburger Verfassungsgericht.
Am 15. Dezember 2004 bestätigte das Gericht die Sichtweise der CDU. Einen Tag später beschloss die Bürgerschaft, den LBK zu 74,9 Prozent an die Asklepios-Kliniken GmbH zu verkaufen. Als Kaufpreis wurden knapp 320 Millionen Euro vereinbart, wovon 75 Millionen ertragsabhängig waren und nicht bezahlt werden mussten, da der erwartete Ertrag ausblieb.

2004 hatte Hamburg den LBK privatisiert, obwohl eine Mehrheit der Hamburger Wahlberechtigten sich in einem Volksentscheid dagegen ausgesprochen hatten. Die Opposition aus GAL und SPD hat schon bei Abschluss des Kaufvertrages 2004 kritisiert, dass die Stadt bei dem Geschäft draufzahle. Nach Lektüre der Verkaufsunterlagen hatten sie den Vorwurf erhoben, Peiner habe bei dem Deal kräftig manipuliert. Er habe sich, entgegen seiner eigenen Darstellung, aktiv in die Verhandlungen eingemischt und strittige Details mit Asklepios-Chef Bernard Broermann persönlich verhandelt - einem alten Geschäftspartner aus Peiners Zeit bei der Gothaer-Versicherung. So sei das Angebot der Asklepios-Klinikgruppe mehrfach geschönt worden.

Mit diesem Superdeal schwoll Bernd Broermanns Privatvermögen binnen weniger Jahre von nichts auf mittlerweile fast drei Milliarden Euro.
Die von seinen Mitarbeitern erwirtschafteten und den Patienten bezahlten Milliarden fließen nämlich nach der Wahnsinnstat des CDU-Bürgermeisters und des CDU-Finanzsenators nicht mehr in die Krankenhäuser, sondern in die Taschen des Peiner-Freundes Broermann.

Auch das noble Kempinski Hotel Falkenstein und das Villa Rothschild Kempinski – beide in Broemanns Wohnort Königstein im Taunus – gehörten dem Asklepios-Besitzer, während das 5-Sterne-Hotel „St. Wolfgang“ im bayerischen Bad Griesbach sogar direkt in den Asklepios-Konzern eingegliedert ist. Da wissen die Mitarbeiter von Asklepios wenigstens, wofür sie die unzähligen Überstunden leisten und wofür sie sich physisch wie psychisch kaputtmachen lassen. Anstatt die Gewinne dazu zu nutzen, die Qualität der Krankenhäuser zu steigern, indem er dafür sorgt, dass zumindest im Ansatz genügend Personal vorhanden ist, kauft Bernard gr. Broermann sich lieber ein Luxushotel nach dem anderen. Das ist nicht nur eine schallende Ohrfeige für die Mitarbeiter, denen alles abverlangt wird, um die Kosten zu drücken, sondern auch für die Patienten der Asklepios-Krankenhäuser. […] Die gesellschaftliche Bilanz von Broermanns unternehmerischen Tätigkeiten fällt indessen verheerend aus: Die Mitarbeiter der übernommenen Kliniken sind die Verlierer, die nicht nur schlechter bezahlt werden, sondern auch unter dem Stress und der Überbelastung physisch wie psychisch leiden. Die Patienten sind ebenfalls die Verlierer, da sie von Pflegekräften und Ärzten, die chronisch überarbeitet sind, nicht bestmöglich versorgt werden können. Die Kommunen sind ebenfalls die Verlierer, da sie sich ihr Tafelsilber unter Wert haben abnehmen lassen. Die einzigen Gewinner dieses Spiels sind Bernd große Broermann, der mittlerweile Milliardär ist und sich zwei Luxushotels im noblen Taunus angeschafft hat, und seine Geldgeber.

Ungeniert hacken die Hamburger CDU-Politiker von heute auf dem SPD-Senat rum.
Für die Folgen ihrer desaströsen Politik scheinen sie sich nicht zu schämen.

Die Liberalisierer, Privatisierer aus CDU und FDP hatten die Verachtung des Staates gemein mit den Trumps und AfDlern von heute gemein.
„Die Politik“ kann es nicht. Alle Macht der Wirtschaft, alle Macht den Managern, alle Gewinne den Reichsten.

Die Neoliberalen in Frau Merkels Partei haben damit den Politikverdrossenen von heute den Boden bereitet.
Der Ausverkauf von Gemeinschaftseigentum führt zu Frust bei denen, die auf Leistungen aus diesen Wirtschaftsbereichen angewiesen sind.
Daher dürfen Energieversorger, Wasserwerke, ÖPNV oder Krankenhäuser auch nie privatisiert werden.

Merkels CDU hat das immer noch nicht begriffen und frönt weiterhin Lobby-hörig der Umverteilung von unten nach oben.
Genau das wäre der Fall gewesen, wenn es nach dem Wunsch Schäubles und Dobrindts gegangen wäre und die „volkseigenen“ Autobahnen privatisiert worden wären.
Aber völlig überflüssig ist die SPD in der GroKo eben doch nicht – diesen Wahnsinn konnten Gabriels Leute verhindern.

Bei den Hamburger Krankenhäusern ist es leider zu spät, weil der Urnenpöbel über zehn Jahre die CDU in die Regierung geschickt hatte.
Nun ist das Desaster da. Die Patienten leiden dafür, daß Herr Broermann jeden Tag eine halbe Million Euro reicher wird.

[….] Klinik stellt 94-Jährige vier Tage auf dem Flur ab
[….] Mit 94 Jahren an einer Lungenentzündung zu erkranken, ist eine ernste Angelegenheit. Doch für die ältere Dame aus Farmsen kam es noch schlimmer: Sie wurde im Krankenhaus nicht ordentlich aufgenommen – die Asklepios Klinik Barmbek stellte sie vier Tage lang buchstäblich in die Ecke!
[….] Der Familie wurde mitgeteilt, dass die Verlegung in ein Zimmer am nächsten Tag erfolgen sollte. Das war ein Sonnabend – und nichts geschah. Stattdessen bekam Frieda S. noch eine weitere Patientin in ihre Flur-Nische gestellt. [….] Da die Nische nur vier Meter neben dem Empfang liegt, herrschte stets rege Betriebsamkeit im Flur. [….] Nicht einmal eine Toilette habe den Frauen zur Verfügung gestanden – sie mussten aufs Besucher-WC.
Die versprochene Verlegung gab es auch am Sonntag nicht. Ebenso wenig am Montag. [….]