Man gewöhnt sich ja an seine Pappenheimer.
In der Woche gebe ich mir fast immer nebenbei die drei
abendlichen Talk-Sendungen auf CNN: Erst Anderson Coopers 360, dann Cuomo Prime
Time und schließlich Tonight mit Don Lemon. Anschließend kommt Christiane
Amanpour aus London; da sehe ich mir die Interviews nur an, wenn mich die Gäste
interessieren, weil sie in der Regel Einzelinterviews führt und keine Studio-panels
hat.
Amanpour ist auch freundlicher und neutraler als ihre
Vorgänger. Insbesondere Don Lemon gibt in den ersten fünf bis zehn Minuten
seiner Sendungen immer eine sehr persönlichen politische Einschätzung ab („Don’s
Take“), die einem gewissen Präsidenten offensichtlich gar nicht gefällt.
Die Crosspromotion amerikanischer Newssender ist leider
unerträglich.
Alle zwei Minuten heißt es „I gotta go“ und es folgen 27
lange und unerträgliche Trailer für andere CNN-Sendungen. Zusätzlich zu diesen
aufgezeichneten Clips werfen sich insbesondere Chris Cuomo, der Bruder des
gerade wiedergewählten New Yorker Gouverneurs und Don Lemon gegenseitig die
Bälle zu.
Der Jurist Cuomo, der viel zu viele, viel zu weiße Zähne
hat, die er auch viel zu gerne zeigt, schaltet schon zehn Minuten vor dem Ende
seiner Sendung rüber zu Lemon, um Werbung für seinen Kollegen zu machen.
Das ist irgendwie ganz süß, wie der 48-jährige
heterosexuelle, katholische Familienvater Cumo aus dem quirligen New York den 52-jährigen
schwulen Lemon aus dem tiefsten Louisiana anflirted.
Cuomo scheint seinen „brother D-Lemon“ wirklich zu lieben;
das kann man gar nicht spielen.
Ich nehme an, daß beide nicht nur durch den
aufeinanderfolgenden Sendeplatz, sondern insbesondere als Lieblingsopfer Trumps
zusammengeschweißt werden. Cuomo, weil er aus einer klassischen liberalen
demokratischen New Yorker Polit-Dynastie stammt. Vor seinem Bruder Andrew war
auch schon sein Vater Mario Gouverneur und damit verkörpern die akzeptierten
Cuomos all die Werte, die der Proleten-Milliardär Trump zutiefst verachtet,
aber auch insgeheim beneidet. Die Cuomos sind gebildet und anständig, verkehren
mit den alteingesessenen liberalen Größen der New York Times, die #45 zutiefst
verachtet, weil sie ihn nicht so loben, wie er es gern hätte.
Lemon stammt aus diametral entgegengesetzten Verhältnissen
in den Südstaaten. Er wuchs nicht nur arm und unterprivilegiert auf, sondern
ist auch noch schwul, schwarz und gebildet. Auch damit verkörpert er so
ziemlich alles, das Trump hasst.
Und nun schicken fanatische, rassistische Trump-Fans Briefbomben
an CNN, überziehen Cooper, Cuomo und Lemon mit Hass und Morddrohungen.
Es vergeht kein Tag, an dem nicht der amerikanische
Präsident persönlich CNN und deren Top-Moderatoren/Journalisten radikal
beleidigt und diffamiert.
Diese Woche warf er spektakulär Cuomos Kollegen Jim Acosta
aus dem Weißen Haus und wurde anschließend gerichtlich gezwungen ihn wieder hineinzulassen.
Trump glaubt immer noch, das Weiße Haus gehöre ihm, alle
arbeiteten nun für ihn. Niemand konnte ihm bisher klar machen, daß es genau
umgekehrt ist.
Demokratische Prozesse, verfassungsmäßige Rechte und
Gewaltenteilung werden von dieser Administration nicht verstanden. Trump
glaubt, der Justizminister sei sein persönlicher Anwalt, der das DOJ dafür
einsetzen müsse Trump zu schützen.
Daß Jeff Sessions aber dem Gesetz verpflichtet ist, regte
ihn so auf, daß er ihn feuerte.
Widerspruch wird nicht nur nicht geduldet, sondern bestraft im
nepotistischen Kleptokraten-Haus Trump. Als Mira Ricardel, die stellvertretende Nationale
Sicherheitsberaterin Melanias peinliches Benehmen auf ihrer
Afrikareise (hinter verschlossenen Türen) kritisierte, ließ das slowenische
Nacktmodel das Regierungsmitglied Ricardel feuern.
So läuft das in der Regierung des mächtigsten Landes der
Welt. Der Präsident stellt seine Tochter und seinen Schwiegersohn als
mächtigsten Berater ein und so sorgt die Familie akribisch dafür, daß jede
Beleidigung der Herrscherfamilie brutal geahndet wird.
Man hält zusammen in der Trump-Familie. Zumindest so lange,
wie Schönheitschirurgie Papas jüngste Frau faltenfrei halten kann.
Irgendwann muss sie dann natürlich gegen eine neue Katalogbraut ausgetauscht
werden.
In ihrer gestrigen freundlichen Übergabe diskutierten Cuomo
und Lemon über eine andere bizarre Familienangelegenheit im Weißen Haus.
George Conway, Ehemann der Kampagnenmanagerin und Großlügnerin Kellyanne,
tickt politisch offensichtlich völlig anders als die Königin der „alternative
facts“ wie des frei erfundenen Bowling Green massacres, erklärte, er würde
eher auswandern, als noch einmal für Trump zu stimmen.
Die (maßgeblich von seiner Frau geprägte) Trump-Administration
sei eine „Shitshow in a dumpsterfire“. Recht hat er.
Natürlich fragt man sich wie die Ehe wohl funktioniert.
Cuomo argumentierte, man müsse mit seinen Freunden politisch
nicht übereinstimmen, könnte das ausklammern.
So kenne ich das auch von größeren Familientreffen meines
amerikanischen Clans: No politics, no religion – und alle verstehen sich.
Blöd nur, wenn die doofen Familienmitglieder aus Europa
dabei sind, die sich nicht daran halten und ständig über amerikanische Politik
reden wollen.
Cuomo erinnerte an einige Meinungsunterschiede zwischen ihm
und Lemon, betonte aber, das ändere doch nichts an ihrer Freundschaft. Dennoch
liebe er ihn.
Lemon war aber anderer Ansicht. Ja, man könne natürlich
unterschiedlicher Meinung sein, aber bei der derzeitigen Administration ginge
es eben nicht darum, sondern um das Nicht-Anerkennen von Fakten, die
systematisch Verbreitung von Verschwörungstheorien und Lügen. Um
Hassbotschaften und Anstachelung zur Gewalt.
Lemon hat Recht, es geht nicht um politische
Meinungsverschiedenheiten.
Das Politische ist privat, wenn es um fundamentale Dinge wie
Menschenhass und Wahrheit geht.
Ich kann das nur unterstützen. Natürlich müssen meine Freunde
nicht meine politischen Ansichten teilen. Sie können auch andere Parteien
bevorzugen, für verschiedene Steuermodelle plädieren, Musik lieben, die ich
nicht ausstehen kann. Sie können fürchterliche Klamotten anziehen, eigenartige
Sexualpraktiken betreiben und abscheuliche Sachen fressen. Sie dürfen auch
umgekehrt gern genauso über mich denken.
Wer aber Trump oder die AfD unterstützt, also Menschen dafür
verachtet, daß sie eine andere Hautfarbe haben oder von jüdischen
Verschwörungen überzeugt ist, wird von mir ganz privat entfreundet.
Das ist etwas anderes als eine „Entfreundung“ auf Facebook. Dort halte ich es gar nicht für angebracht, weil das die Verfilterblasung der Welt befördert. Man sollte sich im Internet auch mit solchen Typen umgeben und ihnen tagtäglich widersprechen, ihnen die Fakten nahebringen und ihnen klarmachen, daß man radikal ihren Hassbotschaften opponiert.
Aber in meinem kleinen privaten realen Freundeskreis dulde
ich keinen Schwulenhass oder Frauenfeindlichkeit. Keinen Rassismus und keine
Xenophobie.
Denn nach meiner privaten Meinung sind Menschen, die solchen
Ansichten anhängen schlechte Menschen.