Dienstag, 11. Februar 2025

Minus-Mann Merz

Nachdem meine Verärgerung über das miserabel geführte Kanzler-Duell im ZDF/ARD ein wenig abgeklungen ist, möchte ich drei Dinge a posteriori verdeutlichen.

1.)

Wenig überraschend, erkennen Medien den „Sieger“ des Duells entlang der Parteilinie. Die Blätter der rechten Verlage Burda und Springer feiern Merz. Die seriöseren Blätter sehen Vorteile bei Scholz. Meinungsforscher diagnostizieren ebenfalls dem SPD-Mann bessere Werte. Ich werde hier keinen Scholz-Hasser überzeugen. Natürlich gehen die Meinungen auseinander. Aber anders verhält es sich bei der Beurteilung von Fakten. Hier kann es keine zwei Meinungen geben: Scholz war ehrlicher, als Merz, der immer wieder hanebüchen log und seine Unkenntnis offenbarte.

[…..] Das war für den Blackrocker der Bundeskanzler werden möchte, schon extrem peinlich. Man mag sich überhaupt nicht vorstellen, was im umgekehrten Fall der Döpfner-Clan und die Dreckschleuder Nius, bei der sich CDU, CSU und FDP die Klinke in die Hand geben, daraus gemacht hätten.

(….) Dass diese Schlüsselstelle des Duells nicht mehr Aufmerksamkeit bekommt, wundert mich: Merz kündigt einen Nachtragshaushalt für 2024 an, was rechtlich ausgeschlossen ist. Und als Scholz ihn darauf hinweist, reagiert er nur mit einem spöttischen Seitenblick. Ich hätte jedenfalls angenommen, dass der Oppositionsführer das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom November 2023, das das Ende der Ampel-Koalition eingeleitet hat, zur Kenntnis genommen hat. Und das ist in dieser Frage absolut eindeutig. Und abgesehen von der rechtlichen Unzulässigkeit ergibt Merz' Aussage, dass durch einen Nachtragshaushalt "nochmal 50 Milliarden Euro zusätzliche Schulden für das Jahr 2024" möglich wären, auch inhaltlich keinen Sinn. Denn der Entwurf für den Nachtragshaushalt 2024 (der wegen des Ampelbruchs nicht mehr verabschiedet wurde) sah vor, die Neuverschuldung aufgrund der schlechteren Konjunktur um 11 Milliarden Euro zu erhöhen - und nicht etwa um 50 Milliarden.  (….)

(Malte Kreutzfeldt, 10.02.2025)  [….]

(Der Wäller, 10.02.2025)

Es gab zahlreiche Factchecks, die – Oh Heiliger Brandolini – in der politischen Diskussion aber kaum, Beachtung finden, nachdem Merz bereits die 10 Millionen Zuschauer gebullshittet hatte.

Ich empfehle die Richtigstellungen von Progressivelore.

Aber auch viele andere Outlets zeigen, wie Beispielsweise MONITOR, die Absurditäten der Merz-Aussagen auf.

Es nützt aber nichts, Fakten Tage später als Fußnoten auf Miniplattformen nachzuliefern! 


Gute Moderatoren hätten Merz an Ort und Zeit auf seine Lügen festgenagelt.

2.)
Gute Moderatoren hätten nicht, wie in ihren AfD-Werbungsshows, so ein abstruses Übergewicht auf Migration gelenkt und zu einem xenophoben Überbietungswettbewerb angestachelt, sondern die wichtigeren Themen angesprochen.



3.)

Wie perfide und amoralisch Merz agiert, verdeutlichte heute der ehemalige SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert bei seiner Abschiedsrede aus dem Bundestag. Er ist in jeder Hinsicht das leuchtende Gegenbeispiel zum Minus-Mann Merz.

[….] „Ich muss mich beeilen“, fängt Kühnert an, denn jedes einzelne Wort, das er sagen wolle, liege ihm sehr am Herzen. Dann folgt kein Wahlkampf, wie in der mehr als dreistündigen Debatte davor, auch keine flotten Sprüche kommen Kühnert über die Lippen. Es scheint ihm ernst zu sein mit seinem Anliegen, über „die Verantwortung vor unserer Geschichte“ zu reden.  Sehr präzise, ohne die Überzeichnungen vieler Parteikollegen, seziert er, was da ins Rutschen gerate. [….] Scharf kritisiert er Angriffe auf Wahlkämpfer und Geschäftsstellen, nachdem die Union hier für einen Antrag zu Verschärfungen in der Asylpolitik eine Mehrheit mithilfe der AfD in Kauf genommen hatte. Der richtige Konflikt dürfe nicht mit den falschen Argumenten ausgetragen werden. „Aber ausgetragen werden muss er sehr wohl.“ [….] Der jüdische Publizist Michel Friedman war aus Protest gegen eben jenes Verhalten im Parlament nach mehr als 40 Jahren aus der CDU ausgetreten. Auch aus Sorge vor einer AfD, die irgendwann der Bundesregierung angehören könnte. „Dann müsste ich dieses Land – mein Land – verlassen“, hatte Friedman gesagt. Kühnert konfrontiert die Union nun im Bundestag damit. Früher hätte so etwas die Union umgetrieben, sagte er, heute werde der „Störenfried“ angestrengt ignoriert. Selbst im TV-Duell mit Kanzler Olaf Scholz sei Merz der Frage nach Friedman schlicht ausgewichen. Dabei werde ein Muster erkennbar, so Kühnert: „Die Opportunität sticht die Integrität.“

Er erinnert die Union daran, dass sie als staatstragende Partei die Aufgabe habe, „einen gemeinsamen republikanischen Grundkonsens zu verteidigen“, zu dem die besondere Verantwortung für jüdisches Leben in Deutschland gehöre. Früher habe die Union das beherzigt und für ihre Überzeugungen gestritten, auch Konrad Adenauer oder Helmut Kohl, statt populären Stimmungen zu folgen. „Weil Sie das Volk ernst nahmen, redeten Sie ihm nicht nach dem Mund“, sagt er zu Merz. Er wirft ihm indirekt vor, in der Migrationsdebatte auf populistische Losungen zu vertrauen, statt das rechtlich und moralisch Gebotene zu tun. Ein Bundeskanzler aber, „dessen Mund nur wiedergibt, was sein Ohr aufnimmt, ist nicht mehr als eine Echokammer auf zwei Beinen“. Und Echokammern gebe es schon genug. Dann nimmt er das Papier und geht zurück zum Platz. [….]

(SZ, 11.02.2025)

Kühnert beschreibt brillant die politische und moralische Kapitulation des mutmaßlich nächsten deutschen Bundeskanzlers Merz.

Aber da es bereits um Faktenchecks ging, sei angefügt, daß Merz – selbstverständlich – auch im TV-Duell beim Friedman-Thema bezüglich der Eintrittszahlen log. Als ob CDU-Eintritte von rechts überhaupt die Austritte der letzten moralisch anständigen Mitglieder aus den Unionsparteien überkompensieren könnten: Die Argumentation ist schon an sich perfide. Aber eben auch erstunken und erlogen. Tatsächlich verzeichnen die linkeren Parteien massive Eintrittswellen. Das migrantenfeindliche BSW meldet eine Austrittswelle. Die CDU verliert ebenfalls Mitglieder.

[….] Die Linke erlebt nach eigenen Angaben derzeit eine Eintrittswelle. Die Gesamtzahl liegt demnach bei rund 81.200 Mitgliedern - laut der Partei so viele wie nie zuvor seit ihrer Gründung 2007. Der bisherige Höchststand lag 2009 bei 78.046 Mitgliedern. Ende 2022 waren es laut Rechenschaftsbericht des Bundestags 54.214 Mitglieder. [….] Allein seit der umstrittenen gemeinsamen Abstimmung von Union, FDP und AfD am 29. Januar seien 17.470 neue Mitglieder dazu gekommen, sagte ein Parteisprecher der Nachrichtenagentur dpa. Seit Jahresbeginn seien es knapp 23.500 gewesen. [….] Die Grünen zählen derzeit mehr als 166.000 Mitglieder. Wie eine Sprecherin mitteilte, erreichten die Partei seit dem 29. Januar 8.300 neue Mitgliedsanträge. Ende 2022 hatte Bündnis 90/Die Grünen noch 126.451 Mitglieder.

Ein Parteisprecher der SPD berichtet von mehreren tausend Online-Eintritten in den vergangenen Wochen. [….] Die AfD spricht von einer "nie dagewesenen Eintrittswelle". Derzeit seien es mehr als 52.000 Mitglieder, so Schatzmeister Carsten Hütter. [….] Die CDU verweist darauf, dass Neueintritte dezentral erfasst werden. Mit Stand Dezember 2024 habe die Partei aber eigenen Angaben nach 364.200 Mitglieder. Laut Rechenschaftsbericht des Bundestages waren es 371.976 Mitglieder am 31.12.2022. [….]

(Tagesschau, 11.02.2025)

Die Masse interessiert sich nicht für Fakten, weil auch die deutsche social media/Medienwelt viel zu stark trumpisiert ist. Auch hierzulande sind lügende Politiker, wie Söder, Merz und Weidel, erfolgreicher, als die Ehrlichen.

Es entspricht daher eher meinem Privatvergnügen, mich an anständigen Politikern, wie Heidi Reichinnek oder Kevin Kühnert zu erfreuen. Am Wahlergebnis wird es mutmaßlich kaum rütteln.

[….] Die Rede gipfelte in der Feststellung, dass Opportunität inzwischen Integrität aussteche. Aus dem Ausland sei dieses Muster bekannt, aus Deutschland weniger. Bislang gelte ein bundesrepublikanischer Grundkonsens, etwa zum Schutz jüdischen Lebens. Für seinen Verweis auf das Verantwortungsbewusstsein früherer Politiker lobte Kühnert unter anderem auch Konrad Adenauer und Helmut Kohl, Westbindung und Wiederbewaffnung. Die Rede überschritt die vorgesehene Zeit von drei Minuten. Aus den Reihen der SPD-Fraktion erhielt Kühnert für seine Worte lang anhaltenden Applaus, viele Parteifreunde standen für ihn demonstrativ auf. Auch Vertreter anderer Parteien, darunter die ebenfalls zurückgetretene Grünenchefin Ricarda Lang, verabschiedeten sich persönlich.  […..]

(SPON, 11.02.2025)