Donnerstag, 6. März 2014

Fuß in der Tür, oder "Die Christin des Tages LXXVIII"


Marcel-Reich-Ranicki saß zu Lebzeiten in vielen Preiskomitees und beklagte sich bitterlich, daß stets nur die Schriftsteller bedacht würden, die bereits andere Preise erhalten hätten. Es gibt eine Menge bedeutender Literaturpreise, aber diejenigen, die die Preisträger bestimmen haben grundsätzlich nur unter dem Mikroskop erkennbare Hoden. Sie gehen auf Nummer sicher und preisen bereits Preiserprobte. MRR hatte einst Wolf Biermann für den Büchnerpreis vorgeschlagen, als Biermann noch bloß als „dieser DDR-Sänger“ galt.
Man erklärte MRR für verrückt. Ein Liedermacher?

(Dabei hatte der verstorbene Literaturpapst selbstverständlich Recht! Biermann ist bekanntlich in den letzten Jahren verrückt geworden und gibt als neuer Merkel-Fan und CDU-Wähler bizarrste politische Ansichten von sich. Aber sowohl seine Liedtexte als auch seine Prosa sind allerdings preiswürdig.
Einige der besten Essays, die ich je gelesen habe, stammen von Biermann.)

Die Schwierigkeit für einen deutschen Schriftsteller ist es also überhaupt einen Fuß in die Literatur-Szene zu bekommen. Die ersten ein, zwei Preise sind nicht einfach zu bekommen. Ist man aber erst mal einer von ihnen, läuft es von selbst und man wird kontinuierlich mit neuen Geldpreisen überhäuft.

Auch die steifen Verleihungszeremonien laufen dann wie im Schlaf.
Die aufgebrezelten Honoratioren der Literaturszene setzen sich dekorativ in Szene, schalten ihr Hirn ab und applaudieren tumb alle zwei Minuten.
Sowohl der Laudator, wie der Preisträger selbst können dann in ihrer Reden den größten Unsinn verzapfen. Auf Inhalte kommt es nicht mehr an.
Es darf auch gerne mal revanchistisch oder antisemitisch werden bei dieser Art Zombiveranstaltungen.

Mit Grausen erinnere ich mich an die von dem damaligen Bundestagspräsidenten Philipp Jenninger zum 50. Jahresgedenken der Novemberpogrome 1938 gehaltene Rede am 10. November 1988 im Deutschen Bundestag.
Der Depp erschien über weite Strecken recht Hitler-freundlich, so daß die jüdische Schauspielerin und Hamburger Ehrenbürgerin Ida Ehre, die zuvor die Todesfuge von Paul Celan rezitiert hatte, entsetzt ihr Gesicht in ihre Hände stützte.



Das tumbe Bundestagsauditorium begriff natürlich nichts ließ sich nichts anmerken.

Jenningers Auszeichnungen (Auswahl):

Großkreuz des Verdienstordens der Italienischen Republik (1986)
Großkreuz des Bundesverdienstordens der Bundesrepublik Deutschland (1986) 1991 ging er als deutscher Botschafter nach Wien, anschließend war er von 1995 bis zu seiner Pensionierung 1997 deutscher Botschafter beim Heiligen Stuhl in Rom.

Zehn Jahre später geschah etwas ganz ähnliches bei der Dankesrede Martin Walsers zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche am 11.Oktober 1998.
Walser fühlte sich von Juden verfolgt und beklagte sich über die „Auschwitzkeule“, welche als „Moralkeule“ die Deutschen immer wieder treffe und von (den Juden) eingesetzt werde, um Deutschen weh zu tun und politische Forderungen durchzusetzen. Die „Instrumentalisierung des Holocaust“ geschehe, um sich moralisch überlegen zu führen.
Die Pauluskirche – bis auf den letzten Platz gefüllt mit deutschen Intellektuellen – reagierte eindeutig: MIT STANDING OVATIONS.
Nur Ignaz Bubis blieb verstört sitzen.

Martin Walsers Preise; Auswahl:

Corine-Ehrenpreis des Bayerischen Ministerpräsidenten für sein Lebenswerk 2008
Finalist für den Deutschen Buchpreis für "Angstblüte" 2006
Alemannischer Literaturpreis 2002
Ehrendoktorwürde der Kath. Universität Brüssel 1998
Friedenspreis des deutschen Buchhandels 1998
Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg 1996
Ehrendoktorwürde der Universität Hildesheim 1995
Ehrendoktorwürde der Technischen Universität Dresden 1994
Franz-Nabl-Preis 1993
Aufnahme in den Orden Pour le mérite für Wissenschaft und Künste 1992
Friedrich-Schiedel-Literaturpreis 1992
Carl-Zuckmayer-Medaille 1990
Großer Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste 1990
Ricarda-Huch-Preis 1990
Großes Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland 1987
Ehrenbürgerschaft seiner Heimatgemeinde Wasserburg am Bodensee 1984
Ehrendoktorwürde der Universität Konstanz 1983
Georg-Büchner-Preis 1981
Schiller-Gedächtnispreis 1980
Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg 1980

Eine dieser Multipreisträgerinnen ist auch die Schwäbische Schriftstellerin Sybille Lewiratschoff.
Sie bekommt eine Ehrung nach der Nächsten.

Auswahl:

    1998: Ingeborg-Bachmann-Preis
    2006: Kranichsteiner Literaturpreis
    2007: Preis der Literaturhäuser
    2007: Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung
    2008: Marie-Luise-Kaschnitz-Preis
    2009: Preis der Leipziger Buchmesse für ihren Roman Apostoloff
    2009: Spycher: Literaturpreis Leuk
    2009: Bestenliste des Preises der deutschen Schallplattenkritik (4. Quartal) für das von ihr selbst gelesene Hörbuch Apostoloff
    2010: Berliner Literaturpreis
    2010: Mitglied der Akademie der Künste (Berlin)
    2011: Frankfurter Poetik-Vorlesungen
    2011: Zweifel am Guten, Wahren, Schönen, Zürcher Poetikvorlesungen
    2011: Kleist-Preis
    2011: Ricarda-Huch-Preis
    2011: Marieluise-Fleißer-Preis
    2011: Wilhelm-Raabe-Literaturpreis für den Roman Blumenberg
    2011: Nominierung für den Deutschen Buchpreis (Shortlist) mit dem Roman Blumenberg
    2011/2012: Stipendiatin des Internationalen Künstlerhauses Villa Concordia in Bamberg
    2013: Stipendiatin der Deutschen Akademie Rom Villa Massimo[22]
    2013: Brüder-Grimm-Professur[23]
    2013: Georg-Büchner-Preis

Die fromme Christin („bekennende Christin im evangelisch-lutherischen Sinne“) weiß sich moralisch stets auf der richtigen Seite.

Meine Haltung entspringt tatsächlich auch einem religiösen Fundament, und das sagt mir, dass man nicht alles tun darf, was technisch möglich ist.
(Lewitscharoff 05.03.14)

Sex darf es für sie nur innerhalb der Ehe und zum Zwecke der Kidnerzeugung geben.
Alles andere ist bähbäh. Auch Masturbation.
Dies machte sie vor wenigen Tagen bei ihrer Dankesrede zur Verleihung des wichtigsten deutschen Literaturpreises, dem Georg-Büchner-Preis im Dresdener Schauspielhaus klar. Und wie es beinahe üblich ist, kamen auch noch NS-Vergleiche, Homophobie und Nazi-Verharmlosungen aus ihrem Kopf.

Jesus war mein Beschützer. Ich war ein braves Kind und betete gern, was meine
Eltern eher komisch fanden, weil sie sich von religiösen Angelegenheiten fernhielten. Aber die Großmutter war der anerkannt gute Geist in unserem Haus, und die Eltern ließen sie gewähren.
[….] Bis die aus höchsten Höhen niederfahrende göttliche Stimme
klarstellt, dass Hiob solche ihm unterstellten Sünden nicht begangen hat.
In einer rauschenden Parade macht Gott klar, dass Er der Erzeuger der Weltalls und der Erde ist, samt aller auf der Erde wimmelnden Wesen. Ihm allein ist es verstattet, wenn Er denn will, den Leviathan und den Behemot, die beiden großen Ungeheuer, zu zügeln und sie in die
Schranken zu weisen. Die Beschlüsse, die Er verhängt, sind von den Menschen nicht zu erfassen, da hilft alles Klügeln nichts. Hiob hat aber sehr wohl das Recht, sein Leid zu beklagen, ja, es geradezu drohend gen Himmel zu schleudern. In dieser Hinsicht wird Hiob von Gott gegen seine Freunde glanzvoll bestätigt. Weil er mit der Erbsünde behaftet ist, muss der Mensch sterben. Davon spricht die Bibel allerdings auch. Selbst winzige Kinder, die noch gar nicht fähig sind, Schuld auf sich zu laden, sind von der Erbsünde betroffen. Der jüngste Fall eines solchen Winzlings, von dem mir unlängst erzählt wurde, kann einem an die Nieren gehen, selbst wenn man nur davon hört und dem Anblick des Kindes nicht ausgesetzt ist.
[…]  Absolut grauenerregend ist auch die Praxis, ein Kind durch eine Leihmutter austragen zu lassen. Sie kommt zwar selten vor, treibt die Widerwärtigkeit aber auf die Spitze. Nicht nur, dass dafür meistens Frauen aus armen Ländern als Gebärmaschinen herhalten müssen. Diese wahrhaft vom Teufel ersonnene Art, an ein Kind zu gelangen, verkennt völlig, welche Bedeutung das Erleben eines Embryos im Mutterleib hat. Man weiß inzwischen viel mehr, wie sensibel diese kleinen, noch im Bauch geborgenen Geschöpfe auf alles reagieren, was der Mutter widerfährt. Man weiß, wie der innere Resonanzraum beschaffen ist, in welchem der Embryo heranwächst und was davon in sein sich entwickelndes Gehör dringt, was ihn erschreckt, was ihn beruhigt, was ihn erfreut. Peter Sloterdijk, der sich als einziger Philosoph solchen Phänomen ausgiebig widmet, hat darüber klug und anschaulich geschrieben.
[….]Mit Verlaub, angesichts dieser Entwicklungen kommen mir die Kopulationsheime, welche die Nationalsozialisten einst eingerichtet haben, um blonde Frauen mit dem Samen von blonden blauäugigen ss-Männern zu versorgen, fast wie harmlose Übungsspiele vor. Ich übertreibe, das ist klar, übertreibe, weil mir das gegenwärtige Fortpflanzungsgemurkse derart widerwärtig erscheint, dass ich sogar geneigt bin, Kinder, die auf solch abartigen Wegen entstanden sind, als Halbwesen anzusehen. Nicht ganz echt sind sie in meinen Augen, sondern zweifehafte Geschöpfe, halb Mensch, halb künstliches Weißnichtwas. Das ist gewiss ungerecht, weil es den Kindern etwas anlastet, wofür sie rein gar nichts können. Aber meine Abscheu ist in solchen Fällen stärker als die Vernunft.
Die Hypothek, die auf Mutter und Kind bei solchen Manövern lastet, ist enorm. Besonders in den Fällen, in denen der Samenspender nicht der Mann ist, mit dem die Mutter zusammen das Kind aufzieht.

Allerliebst.

Was für eine schreckliche, menschenverachtende Tirade! Es müssen der Schriftstellerin und Büchnerpreisträgerin Sibylle Lewitscharoff alle Sicherungen durchgebrannt sein, als sie am Sonntag in ihrer Dresdner Rede im dortigen Schauspielhaus über „Geburt und Tod“ vom Leder zog. Und mit großer Dankbarkeit nimmt man zur Kenntnis, dass sich das Dresdner Staatsschauspiel als Mitveranstalter schnell und entschieden in einem Offenen Brief von dieser Rede distanziert hat.
Was Sibylle Lewitscharoff in der ihr eigenen deutlich artikulierenden und manche Sätze geradezu ausschmeckenden Art da vorträgt, ist hanebüchen. An ihrem Tonfall kann man erkennen: Es ist ihr nicht einfach unterlaufen, es ist auch kein schwiemeliger Tabubruch. Es ist eine klare Ansage: Genau das wollte Sibylle Lewitscharoff einmal grundsätzlich loswerden.
Ein „Onanieverbot“ erscheint ihr „weise“. Wenn Sperma zur künstlichen Befruchtung eingesetzt wird, ist ihr das „nicht nur suspekt“, ihr erscheint es „absolut widerwärtig“. Aus dem Vorgang, „auf künstlichen Wegen eine Schwangerschaft zustande zu bringen“, resultiert für sie „der eigentliche Horror“: „Es geht dabei sehr rein und fein und vernünftig zu. Der Vorgang selbst ist darum nichts weniger als abscheulich.“ [….]  Wie man aus der Literaturgeschichte weiß, können auch politisch fragwürdige und menschenverachtende Schriftsteller interessante Bücher schreiben. Aber dass man jetzt große Lust hat, dieses Buch zu lesen, kann man nicht sagen.

Das Auditorium fühlte sich, wie immer in diesen Fällen, nicht gestört.
Ungeheuerlich ist auch, was danach passierte: fast nichts. Es gab keinen Aufschrei, keine bestürzten Reaktionen im Literaturbetrieb, der Sibylle Lewitscharoff seit Jahren mit Preis um Preis auszeichnet, keine aufgeregten Debatten in den Feuilletons, die sie im vergangenen Jahr feierten, als sie auch noch die bedeutendste literarische Auszeichnung des Landes erhielt, den Georg-Büchner-Preis.  Die »Sächsische Zeitung« attestierte Lewitscharoff in ihrem Bericht über die Rede »Mut«, dass sie mit dem Thema ihrer Rede »vermintes Gelände« betreten habe. Die Berichterstatterin scheint zwar verblüfft über einige Positionen und Worte von Lewitscharoff und darüber, dass kein Protest aus dem Publikum zu hören gewesen sei. Aber sie kommt zu dem versöhnlich-verdrucksten Schluss, die Schriftstellerin habe immerhin »Stoff zum Nachdenken und Diskutieren« geboten, »auch zur empörenden Reaktion auf die Empörung«.