Marcel-Reich-Ranicki saß zu Lebzeiten in vielen Preiskomitees und beklagte sich bitterlich, daß stets nur die Schriftsteller bedacht würden, die bereits andere Preise erhalten hätten. Es gibt eine Menge bedeutender Literaturpreise, aber diejenigen, die die Preisträger bestimmen haben grundsätzlich nur unter dem Mikroskop erkennbare Hoden. Sie gehen auf Nummer sicher und preisen bereits Preiserprobte. MRR hatte einst Wolf Biermann für den Büchnerpreis vorgeschlagen, als Biermann noch bloß als „dieser DDR-Sänger“ galt.
Man erklärte MRR für verrückt. Ein Liedermacher?
(Dabei hatte der verstorbene Literaturpapst
selbstverständlich Recht! Biermann ist bekanntlich in den letzten Jahren
verrückt geworden und gibt als neuer Merkel-Fan und CDU-Wähler bizarrste
politische Ansichten von sich. Aber sowohl seine Liedtexte als auch seine Prosa
sind allerdings preiswürdig.
Einige der besten Essays, die ich je gelesen habe,
stammen von Biermann.)
Die Schwierigkeit für einen deutschen Schriftsteller ist
es also überhaupt einen Fuß in die Literatur-Szene zu bekommen. Die ersten ein,
zwei Preise sind nicht einfach zu bekommen. Ist man aber erst mal einer von
ihnen, läuft es von selbst und man wird kontinuierlich mit neuen Geldpreisen
überhäuft.
Auch die steifen Verleihungszeremonien laufen dann wie im
Schlaf.
Die aufgebrezelten Honoratioren der Literaturszene setzen
sich dekorativ in Szene, schalten ihr Hirn ab und applaudieren tumb alle zwei Minuten.
Sowohl der Laudator, wie der Preisträger selbst können
dann in ihrer Reden den größten Unsinn verzapfen. Auf Inhalte kommt es nicht
mehr an.
Es darf auch gerne mal revanchistisch oder antisemitisch
werden bei dieser Art Zombiveranstaltungen.
Mit Grausen erinnere ich mich an die von dem damaligen
Bundestagspräsidenten Philipp Jenninger zum 50. Jahresgedenken der
Novemberpogrome 1938 gehaltene Rede am 10. November 1988 im Deutschen Bundestag.
Der Depp erschien über weite Strecken recht
Hitler-freundlich, so daß die jüdische Schauspielerin und Hamburger
Ehrenbürgerin Ida Ehre, die zuvor die Todesfuge von Paul Celan rezitiert hatte,
entsetzt ihr Gesicht in ihre Hände stützte.
Das tumbe Bundestagsauditorium begriff natürlich nichts
ließ sich nichts anmerken.
Jenningers Auszeichnungen (Auswahl):
Großkreuz des Verdienstordens
der Italienischen Republik (1986)
Großkreuz des
Bundesverdienstordens der Bundesrepublik Deutschland (1986) 1991 ging er als
deutscher Botschafter nach Wien, anschließend war er von 1995 bis zu seiner
Pensionierung 1997 deutscher Botschafter beim Heiligen Stuhl in Rom.
Zehn Jahre später geschah etwas ganz ähnliches bei der Dankesrede Martin Walsers zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels
in der Frankfurter Paulskirche am 11.Oktober 1998.
Walser fühlte sich von Juden verfolgt und beklagte sich
über die „Auschwitzkeule“, welche als „Moralkeule“ die Deutschen immer
wieder treffe und von (den Juden) eingesetzt werde, um Deutschen weh zu tun und
politische Forderungen durchzusetzen. Die „Instrumentalisierung des Holocaust“
geschehe, um sich moralisch überlegen zu führen.
Die Pauluskirche – bis auf den letzten Platz gefüllt mit
deutschen Intellektuellen – reagierte eindeutig: MIT STANDING OVATIONS.
Nur Ignaz Bubis blieb verstört sitzen.
Martin Walsers Preise; Auswahl:
Corine-Ehrenpreis des Bayerischen Ministerpräsidenten für sein Lebenswerk 2008
Finalist für den Deutschen
Buchpreis für "Angstblüte" 2006
Alemannischer Literaturpreis
2002
Ehrendoktorwürde der Kath.
Universität Brüssel 1998
Friedenspreis des deutschen
Buchhandels 1998
Friedrich-Hölderlin-Preis der
Stadt Bad Homburg 1996
Ehrendoktorwürde der
Universität Hildesheim 1995
Ehrendoktorwürde der
Technischen Universität Dresden 1994
Franz-Nabl-Preis 1993
Aufnahme in den Orden Pour le
mérite für Wissenschaft und Künste 1992
Friedrich-Schiedel-Literaturpreis
1992
Carl-Zuckmayer-Medaille 1990
Großer Literaturpreis der
Bayerischen Akademie der Schönen Künste 1990
Ricarda-Huch-Preis 1990
Großes Verdienstkreuz der
Bundesrepublik Deutschland 1987
Ehrenbürgerschaft seiner
Heimatgemeinde Wasserburg am Bodensee 1984
Ehrendoktorwürde der
Universität Konstanz 1983
Georg-Büchner-Preis 1981
Schiller-Gedächtnispreis 1980
Verdienstmedaille des Landes
Baden-Württemberg 1980
Eine dieser Multipreisträgerinnen ist auch die
Schwäbische Schriftstellerin Sybille Lewiratschoff.
Sie bekommt eine Ehrung nach der Nächsten.
Auswahl:
1998:
Ingeborg-Bachmann-Preis
2006:
Kranichsteiner Literaturpreis
2007: Preis der
Literaturhäuser
2007: Mitglied
der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung
2008:
Marie-Luise-Kaschnitz-Preis
2009: Preis der
Leipziger Buchmesse für ihren Roman Apostoloff
2009: Spycher:
Literaturpreis Leuk
2009:
Bestenliste des Preises der deutschen Schallplattenkritik (4. Quartal) für das
von ihr selbst gelesene Hörbuch Apostoloff
2010: Berliner Literaturpreis
2010: Mitglied
der Akademie der Künste (Berlin)
2011:
Frankfurter Poetik-Vorlesungen
2011: Zweifel
am Guten, Wahren, Schönen, Zürcher Poetikvorlesungen
2011:
Kleist-Preis
2011:
Ricarda-Huch-Preis
2011:
Marieluise-Fleißer-Preis
2011:
Wilhelm-Raabe-Literaturpreis für den Roman Blumenberg
2011:
Nominierung für den Deutschen Buchpreis (Shortlist) mit dem Roman Blumenberg
2011/2012:
Stipendiatin des Internationalen Künstlerhauses Villa Concordia in Bamberg
2013:
Stipendiatin der Deutschen Akademie Rom Villa Massimo[22]
2013:
Brüder-Grimm-Professur[23]
2013:
Georg-Büchner-Preis
Die fromme Christin („bekennende Christin im
evangelisch-lutherischen Sinne“) weiß sich moralisch stets auf der richtigen
Seite.
Meine Haltung
entspringt tatsächlich auch einem religiösen Fundament, und das sagt mir, dass
man nicht alles tun darf, was technisch möglich ist.
(Lewitscharoff 05.03.14)
Sex darf es für sie nur innerhalb der Ehe und zum Zwecke
der Kidnerzeugung geben.
Alles andere ist bähbäh. Auch Masturbation.
Dies machte sie vor wenigen Tagen bei ihrer Dankesrede
zur Verleihung des wichtigsten deutschen Literaturpreises, dem Georg-Büchner-Preis
im Dresdener Schauspielhaus klar. Und wie es beinahe üblich ist, kamen auch
noch NS-Vergleiche, Homophobie und Nazi-Verharmlosungen aus ihrem Kopf.
Jesus war mein Beschützer. Ich war ein braves Kind und betete gern, was
meine
Eltern eher komisch fanden, weil sie sich von religiösen Angelegenheiten
fernhielten. Aber die Großmutter war der anerkannt gute Geist in unserem Haus,
und die Eltern ließen sie gewähren.
…[….] Bis die aus höchsten
Höhen niederfahrende göttliche Stimme
klarstellt, dass Hiob solche ihm unterstellten Sünden nicht begangen
hat.
In einer rauschenden Parade macht Gott klar, dass Er der Erzeuger der
Weltalls und der Erde ist, samt aller auf der Erde wimmelnden Wesen. Ihm allein
ist es verstattet, wenn Er denn will, den Leviathan und den Behemot, die beiden
großen Ungeheuer, zu zügeln und sie in die
Schranken zu weisen. Die Beschlüsse, die Er verhängt, sind von den
Menschen nicht zu erfassen, da hilft alles Klügeln nichts. Hiob hat aber sehr
wohl das Recht, sein Leid zu beklagen, ja, es geradezu drohend gen Himmel zu
schleudern. In dieser Hinsicht wird Hiob von Gott gegen seine Freunde glanzvoll
bestätigt. Weil er mit der Erbsünde behaftet ist, muss der Mensch sterben.
Davon spricht die Bibel allerdings auch. Selbst winzige Kinder, die noch gar
nicht fähig sind, Schuld auf sich zu laden, sind von der Erbsünde betroffen.
Der jüngste Fall eines solchen Winzlings, von dem mir unlängst erzählt wurde,
kann einem an die Nieren gehen, selbst wenn man nur davon hört und dem Anblick
des Kindes nicht ausgesetzt ist.
[…] Absolut grauenerregend ist auch
die Praxis, ein Kind durch eine Leihmutter austragen zu lassen. Sie kommt zwar
selten vor, treibt die Widerwärtigkeit aber auf die Spitze. Nicht nur, dass
dafür meistens Frauen aus armen Ländern als Gebärmaschinen herhalten müssen. Diese wahrhaft vom Teufel ersonnene Art, an
ein Kind zu gelangen, verkennt völlig, welche Bedeutung das Erleben eines
Embryos im Mutterleib hat. Man weiß inzwischen viel mehr, wie sensibel diese
kleinen, noch im Bauch geborgenen Geschöpfe auf alles reagieren, was der Mutter
widerfährt. Man weiß, wie der innere Resonanzraum beschaffen ist, in welchem
der Embryo heranwächst und was davon in sein sich entwickelndes Gehör dringt,
was ihn erschreckt, was ihn beruhigt, was ihn erfreut. Peter Sloterdijk, der
sich als einziger Philosoph solchen Phänomen ausgiebig widmet, hat darüber klug
und anschaulich geschrieben.
[….]Mit Verlaub, angesichts dieser Entwicklungen kommen mir die Kopulationsheime, welche die Nationalsozialisten einst
eingerichtet haben, um blonde Frauen mit dem Samen von blonden blauäugigen ss-Männern
zu versorgen, fast wie harmlose Übungsspiele vor. Ich übertreibe, das ist
klar, übertreibe, weil mir das gegenwärtige Fortpflanzungsgemurkse derart
widerwärtig erscheint, dass ich sogar geneigt bin, Kinder, die auf solch
abartigen Wegen entstanden sind, als Halbwesen anzusehen. Nicht ganz echt sind
sie in meinen Augen, sondern zweifehafte
Geschöpfe, halb Mensch, halb künstliches Weißnichtwas. Das ist gewiss
ungerecht, weil es den Kindern etwas anlastet, wofür sie rein gar nichts
können. Aber meine Abscheu ist in solchen Fällen stärker als die Vernunft.
Die Hypothek, die auf Mutter und Kind bei solchen Manövern lastet, ist
enorm. Besonders in den Fällen, in denen der Samenspender nicht der Mann ist, mit
dem die Mutter zusammen das Kind aufzieht.
Allerliebst.
Was für eine schreckliche, menschenverachtende Tirade! Es müssen der
Schriftstellerin und Büchnerpreisträgerin Sibylle Lewitscharoff alle
Sicherungen durchgebrannt sein, als sie am Sonntag in ihrer Dresdner Rede im
dortigen Schauspielhaus über „Geburt und Tod“ vom Leder zog. Und mit großer
Dankbarkeit nimmt man zur Kenntnis, dass sich das Dresdner Staatsschauspiel als
Mitveranstalter schnell und entschieden in einem Offenen Brief von dieser Rede
distanziert hat.
Was Sibylle Lewitscharoff in der ihr eigenen deutlich artikulierenden
und manche Sätze geradezu ausschmeckenden Art da vorträgt, ist hanebüchen. An
ihrem Tonfall kann man erkennen: Es ist ihr nicht einfach unterlaufen, es ist
auch kein schwiemeliger Tabubruch. Es ist eine klare Ansage: Genau das wollte
Sibylle Lewitscharoff einmal grundsätzlich loswerden.
Ein „Onanieverbot“ erscheint ihr „weise“. Wenn Sperma zur künstlichen
Befruchtung eingesetzt wird, ist ihr das „nicht nur suspekt“, ihr erscheint es
„absolut widerwärtig“. Aus dem Vorgang, „auf künstlichen Wegen eine
Schwangerschaft zustande zu bringen“, resultiert für sie „der eigentliche
Horror“: „Es geht dabei sehr rein und fein und vernünftig zu. Der Vorgang
selbst ist darum nichts weniger als abscheulich.“ [….] Wie man aus der
Literaturgeschichte weiß, können auch politisch fragwürdige und
menschenverachtende Schriftsteller interessante Bücher schreiben. Aber dass man
jetzt große Lust hat, dieses Buch zu lesen, kann man nicht sagen.
Das Auditorium fühlte sich, wie immer in diesen Fällen,
nicht gestört.
Ungeheuerlich ist auch, was danach passierte: fast nichts. Es gab
keinen Aufschrei, keine bestürzten Reaktionen im Literaturbetrieb, der Sibylle
Lewitscharoff seit Jahren mit Preis um Preis auszeichnet, keine aufgeregten
Debatten in den Feuilletons, die sie im vergangenen Jahr feierten, als sie auch
noch die bedeutendste literarische Auszeichnung des Landes erhielt, den
Georg-Büchner-Preis. Die »Sächsische
Zeitung« attestierte Lewitscharoff in ihrem Bericht über die Rede »Mut«, dass
sie mit dem Thema ihrer Rede »vermintes Gelände« betreten habe. Die
Berichterstatterin scheint zwar verblüfft über einige Positionen und Worte von
Lewitscharoff und darüber, dass kein Protest aus dem Publikum zu hören gewesen
sei. Aber sie kommt zu dem versöhnlich-verdrucksten Schluss, die
Schriftstellerin habe immerhin »Stoff zum Nachdenken und Diskutieren« geboten,
»auch zur empörenden Reaktion auf die Empörung«.