Eine Entwicklung, die wir seit 2015 mit dem Einzug des Trumpismus, aus den USA kennen, schwappt immer mehr über nach Deutschland.
Die reale Welt dehnt sich in die satirische Sphäre aus.
Es gibt inzwischen so große Schnittmengen, daß Meldungen aus Satireportalen absolut glaubwürdig wirken. Die realen Politiker Trump und Johnson scheinen sich einen regelrechten Überbietungswettbewerb zu liefern, wer noch irrer als Satire sein kann.
Nach der Wahlnacht der Supermacht USA, lädt der Anwalt des mächtigsten Mannes der Welt die internationale Presse in den Hinterhof eines Krematoriums, um vor einem Sexshop Märchen zu erzählen.
Dabei furzt er vernehmlich und ihm läuft schwarze Schuhcreme aus den Haaren über das Gesicht. Wäre so eine Parodie in einer zweitklassigen Sketchshow gelaufen, hielte man es für drastisch übertrieben und geschmacklos.
Fassungslosigkeit auch im deutschen Wahlkampf.
Der betuliche Chef und Spitzenkandidat der konservativen CDU steht inmitten einer Jahrhundertflut in seinem Bundesland mit 180 Todesopfern in einer Trümmerszenerie und läßt sich feixend mit ausgetreckter Zunge filmen.
Das kann man sich nicht ausdenken.
Armin Laschet, die Inkarnation der peinlichen Pannen, ist inzwischen berüchtigt dafür, keinen Auftritt ohne Blamage hinzulegen. Wenn er doch einmal einen Termin ohne Desaster hinter sich bringt, aber frisierte Pressemeldungen dazu auftauchen, halte ich sie zunächst einmal für wahr.
Einige der lustigsten Satire-Nachrichten über den CDU-Wahlkampf stammen vom POSTILLON.
[…..] Um CDU zu schwächen: Politische Gegner hängen Laschet-Plakate auf! […..]. In den letzten Wochen vor der Bundestagswahl greifen die Konkurrenzparteien der Union nun zu einer ungewöhnlichen Maßnahme: Linke, Grüne, FDP, Sozialdemokraten und andere plakatieren keine Werbung für sich, sondern setzen auf CDU-Plakate mit dem Konterfei Armin Laschets. "Klimagleichgültigkeit, Arbeitnehmerfeindlichkeit und Korruption sind alles Dinge, die man gegen die Christdemokraten ins Feld führen kann", sagt etwa die Linken-Wahlkämpferin Jasmin Steinmetz, während sie ein Laschet-Plakat über ein Plakat ihrer eigenen Partei klebt. "Aber am Ende - das merken wir in vielen Gesprächen - ist Armin Laschet doch das beste Argument gegen die CDU." [….]
[…..] Hier kann nichts schiefgehen: Damit er die Umfragewerte der Union durch unbedachte Äußerungen, peinliche Behauptungen, unangebrachte Lacher und andere Pannen nicht noch weiter nach unten zieht, hat die CDU ihren Spitzenkandidaten Armin Laschet heute zu einem "Wahlkampftermin" auf einen einsamen Acker in Brandenburg geschickt. […..] Auch den Rest der Woche haben die Strategen der CDU mit neuen Terminen vollgepackt. Morgen geht der Wahlkampf mit einem Meet and Greet auf einer Sandbank in der Ostsee weiter, bevor übermorgen ein Auftritt in einem dichten Fichtenwald im Harz ansteht. [….]
Satire funktioniert nicht, wenn die ironisch überhöhten Geschichten keinen wahren Kern haben. Der CDU/CSU-Kanzlerkandidat wird inzwischen aber allgemein für so peinlich gehalten, daß jeder diese Witze versteht. Inzwischen sind es aber keine Witze mehr, sondern die bittere Realität der engagiertesten CDU-Mitglieder und Wahlkämpfer.
[….] Der Unmut in der CDU über die Lage der Partei sowie die mangelnde Beliebtheit von Kanzlerkandidat Armin Laschet schlägt sich nach SPIEGEL-Informationen zunehmend auch in internen Chats nieder. In einer WhatsApp-Gruppe mit dem Titel »Team CDU« von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Parteizentrale, Bundestagsabgeordneten und Mitgliedern vor Ort beklagte sich diese Woche ein Wahlkämpfer über die Situation. Das Hauptproblem sei inzwischen, den Kanzlerkandidaten »schmackhaft« zu machen. »Wir wussten nicht, wo wir die Laschet-Plakate hinhängen sollen, sodass wir den wenigsten Schaden machen«, schrieb er. »Am Ende hängt man sie dort auf, wo uns im Zweifel eh nur wenige Leute wählen.« An Wahlkampfständen sei Laschet das Hauptthema. Mehrere Gruppenmitglieder reagierten mit »vollster Zustimmung« und »Daumen hoch«-Emoticon. [….] Ein Gruppenmitglied beschrieb die derzeitige Kommunikationsstrategie als »Wahlkampf from hell«. [….]
Zur Geschichte der Rochade von Realität und Satire gehört in diesem Wahlkampf auch die Kanzlerambition des Olaf Scholz.
Der bereits vor einem guten Jahr, am 10. August 2020, von den Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, sowie dem Parteivorstand der SPD als Kanzlerkandidat 2021 nominierte Scholz, verkündet seither auf seine ruhige und sachliche Art, er wolle Kanzler der Bundesrepublik Deutschland werden und die SPD solle die nächste Bundesregierung anführen.
Kaum ein in der Realität angesiedelter Journalist nahm das ernst. Man spottete über den Realitätsverlust der SPD. Satiresendungen blendeten zu den Scholz-Ambitionen Hintergrundgelächter ein.
Fünf Wochen vor dem Wahltermin ist ein Bundeskanzler Olaf Scholz aber alles andere als ein Witz, sondern sehr realistische Option. Kräftige Schützenhilfe bekommt die SPD dabei nicht nur vom debakulierenden CDU-Chef, sondern auch der völlig überforderten grünen Kanzlerkandidatin. Baerbock führte ihre Partei in den freien Fall – von 28% in den Umfragen vor vier Monaten auf nun 17%.
[….] Plötzlich ist denkbar, was Olaf Scholz und die SPD schon seit Monaten behaupten: Die Chance aufs Kanzleramt ist real. [….] Scholz tourt an diesem Tag durch Brandenburg. [….] Etwa im Rüdersdorfer Zementwerk, östlich von Berlin. [….] Neben Scholz steht der örtliche Landrat, ebenfalls SPD. Ihm ist anzumerken, dass er schon nach wenigen Sätzen gedanklich woanders ist. Er schneidet Grimassen, löffelt Suppe, tigert ein bisschen herum. Auch viele der anwesenden Journalisten sind längst ausgestiegen. Der Einzige, dem man noch abnimmt, dass er konzentriert zuhört, ist Scholz. Er steht regungslos da und folgt geduldig den Ausführungen zur Dekarbonisierung. Ab und zu zwinkert er. Mal deutet er ein Lächeln an, mal ein Nicken. Danach stellt er ein oder zwei Fragen, auch während der anderen Termine hält er sich eher zurück. Auf Co-Referate verzichtet er meist. Hinterher danken ihm die Leute für sein Interesse. Es klingt aufrichtig. [….] Kein Wunder, dass vielen, denen Scholz an diesem Tag begegnet, als Erstes ein Attribut einfällt, um ihn zu beschreiben. "Ruhig." Und sie alle meinen das anerkennend. [….] Scholz ist inzwischen fast dreimal so beliebt wie seine Rivalen von CDU und Grünen, Armin Laschet und Annalena Baerbock. Ihn würden 41 Prozent der Deutschen direkt zum Kanzler wählen, Laschet bloß 16, Baerbock zwölf. [….]