Samstag, 24. November 2012

Nicht übertreiben....



Berlin kennen wir alle.
Das ist die Stadt ohne Kaufkraft und ohne industrielles Rückgrat, die sich mit über drei Milliarden jährlich mit großem Abstand von allen Bundesländern das meiste Geld aus dem Länderfinanzausgleich abgreift und sich dafür zwei Zoos und drei Opernhäuser leistet.

Das ist schon eine Menge Transfergeld, das bei den Berlinern ankommt.
In den letzten zehn Jahren (1999-2008) erhielt Berlin im Durchschnitt 2.952 Millionen Euro pro Jahr, während Hamburg im selben Zeitraum durchschnittlich 468 Millionen Euro jährlich einzahlte.

Berlin bezieht als eins von 16 Bundesländern allein 38% der Gesamtmittel aus dem Länderfinanzausgleich, während das halb so große Hamburg allein 30% der Einzahlungen aufbrachte (Zahlen des Bundesfinanzministeriums von 2008).

Diese Zahlen allein würden mich nicht an die Seite Bayern bringen. 
Die CSU’ler, als derzeit größte Einzahler machen in Populismus (2013 ist Landtagswahl in Bayern!) und klagen gegen den Bundesfinanzausgleich.
Eine unsolidarische und geschichtsvergessene Maßnahme. 
Denn von 1950 bis 1986 hatte Bayern ununterbrochen vom Länderfinanzausgleich profitziert. 
Fast 40 Jahre war Bayern Nehmerland. Erstmals 1989 zahlte Bayern mickrige 33 Millionen ein.
Hamburg andererseits hatte schon seit 1950 ununterbrochen zu den Geberländern gehört und jedes Jahr einen dreistelligen Millionenbetrag an die ärmeren Bundesländer überwiesen.
Geld, welches ins Bayern dazu benutzt wurde Infrastruktur aufzubauen, von der die CSU jetzt profitiert.

Bundesländer lassen sich genauso wenig vergleichen wie Äpfel und Birnen.
Am ehesten kann man noch Stadtstaaten untereinander und Flächenstaaten untereinander vergleichen.
 Städte haben viel höhere Sozialleistungen zu erbringen und leiden unter dem enormen Nachteil, daß viele Pendler bei ihnen arbeiten, von ihrer Infrastruktur und ihren Unis profitieren, aber ihre Steuern im Nachbarbundesland bezahlen. 
Das ist ein Hauptgrund für die ständige Finanznot in Berlin und Bremen. 
Daß Hamburg dennoch immer zu den Geberländern gehörte, spricht für die außergewöhnliche Wirtschaftskraft der Hansestadt.
In Wahlkämpfen loben Politiker deswegen die Tüchtigkeit und das kaufmännische Geschick der Hamburger. Aber zu Hamburgs Wirtschaftskraft gehört natürlich auch eine große Portion Glück. Berlin war nun einmal bis 1989 komplett vom Umland isoliert, konnte keine Käufer aus dem Speckgürtel anziehen. Und Berlin hat anders als Hamburg auch keine Verbindung zum offenen Meer mit einem gigantischen Tiefwasserhafen, der quasi automatisch hunderttausende Jobs generiert.
Überhaupt lassen sich die Bedingungen der Ost- und Westländer keineswegs vergleichen. 
Einige Länder haben es schwerer, andere leichter.
Gegenden, die von traditionellen Industrien wie Schiffsbau oder Textilverarbeitung geprägt sind, oder Kohlereviere haben kaum eine Chance mit diesen Wirtschaftszweigen weiter zu existieren.

Hamburg als Handelsstadt hat da zufälligerweise die besseren Karten, da gerade die Globalisierung, welche so viele Arbeitsplätze nach Asien verschwinden läßt, für einen Boom bei Logistik und Handel sorgt.

Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, daß Stärkere den Schwächeren helfen.

Unabhängig davon, ob man wie Bayern selbst 40 Jahre die Hand aufgehalten hat, oder ob man wie Hamburg immer gegeben hat.

Dennoch bleiben zwei Argumente, die auch bei mir Zweifel am derzeitigen Länderfinanzausgleich wecken. Ein Ökonomisches und ein Emotionales.

1.)
Wie schlecht geht es eigentlich den Nehmerländern noch?
Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU) kritisierte: "Der Finanzausgleich in seiner jetzigen Form bestraft solide Finanz- und Haushaltspolitik." […] Zuvor war eine Übersicht des Bundesfinanzministeriums zu den Haushalten der Bundesländer bekanntgeworden. Danach schreiben die Nehmerländer Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Berlin in den ersten neun Monaten 2012 schwarze Zahlen, während die Geberländer Hessen, Baden-Württemberg und Hamburg im Minus sind. […] Die Hälfte der Länder erwirtschaftete sogar einen Überschuss. Am besten ist die Finanzlage in Sachsen, am schlechtesten in Nordrhein-Westfalen.
(SZ 01.11.12)
Daß Länder mit einem Minus an die Länder, die finanziell gut dastehen zahlen, wirkt in der Tat etwas eigenartig.

2.)
Berliner sind undankbar.

Wowereits genialer Slogan „arm, aber sexy“ hat das bewirkt was er sollte: Touristen anziehen. Und Touristen bringen Geld, finanzieren den Berliner Sozial-Haushalt, schaffen Jobs in Gastronomie, den Museen, den Theatern, …, und Hotelgewerbe.
Überall auf der Welt gibt es strukturarme Gegenden, die vom Fremdenverkehr leben, weil sie zufällig sonnig sind, über alte Kulturstätten verfügen oder einen schönen Strand bieten.
Der Tourismus ist der große Wirtschaftsfaktor Berlins geworden.
Stolz verkündet Berlins Touristikportal „visitberlin“ monatlich die neuesten Zahlen.
Fast zehn Millionen Touristen besuchten im Jahr 2011 Berlin. Mit sage und schreibe 22 Millionen Übernachtungen dürften Sightseeingtouren, Hotels, Taxiunternehmer und Souvenirhändler richtig gut verdient haben.

Die jüngsten Zahlen stammen aus dem Monat September 2012, der Berlin 1.011.342 Touristen brachte, die 2.333.920 Übernachtungen buchten.

Das gefällt aber den chronisch klammen Hauptstädtern mit ihrem absoluten Rekordanteil von 16% Hartz-IV-Empfängern nicht. (Rund 450.000 „arbeitsfähige Hartz-IV-Empfänger“ leben in Berlin.)

Sogar der RBB beklagt im selben Satz, der die Geldströme beziffert, schon die vielen Fremden.
Zum einen bringen die Touristen 9 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr nach Berlin und schaffen damit auch 230.000 Arbeitsplätze, zu anderen gibt es aber auch viele Anwohner, die sich mehr als gestört durch die touristischen Tag- und  Nachtschwärmer und Partygänger fühlen, weil sie viel Unruhe und somit auch Lärm rund um die Uhr in die Wohngebiete bringen.
 Touristen werden immer öfter mit „BERLIN DOESN’T LOVE YOU“- Logos und Aufklebern empfangen.


So ein Logo war in der Karambolage-Sendung vom 11.11.2012 Gegenstand des Rätsels der Woche.
Die Zuschauer sollten anhand einer 30-Sekündigen Straßenszene erraten, ob das Filmchen in Frankreich oder Deutschland gedreht wurde [watch 9.40-10.40].

Die Auflösung [watch 9.43-10.10] erfolgte in Artes Karambolage-Ausgabe vom 18.11.12, als erklärt wurde, daß immer mehr „Berlin doesn’t love you“-Aufkleber an den Türen von Berliner Kneipen und Cafés bedeuteten
 „TOURISTEN IN DIESEM LOKAL UNERWÜNSCHT“
Diesen Hinweis sehe man nun immer öfter in der Hauptstadt.



"Touristen anzünden"
Der neue Feind in einigen Stadtvierteln Berlins ist der Tourist. […]
"No more Rollkoffer" kann man dort an Hauswänden lesen, gefolgt von "Touristen anzünden" oder "Touristen fisten". […]
In Berlin [läßt sich] seit Längerem eine merkwürdige Infantilisierung dieser Debatte beobachten.
Da geht es um ein Zuviel an Kinderwagen und Bioläden. Es geht um falsche Bars und Milchschaumdichte im Kaffee. Es geht um Hostels und Ferienwohnungen und Schwaben und Zugezogene. Und es geht um das Rollkofferrattern, das nicht mehr als kosmopolitisches Hintergrundgeräusch gedeutet wird, sondern als Fanal des Untergangs.
[…] Es ist eine amorphe Wutmasse, die gegen den Zuzug oder nur die Anwesenheit gewisser Anderer protestiert. […]
Plötzlich wird nicht nur über Erbrochenes im Hauseingang geklagt, sondern es ist wichtig, wem es gehört: Beim deutschen, autochthonen Säufer wird das unter schützenswertem Lokalkolorit verbucht, während der spanische Erasmusstudent doch bitte da kotzen möge, wo er herkommt.
Diese nach außen gerichtete, provinzielle Aggression, das Abschotten, das Zumauern, das Wir-bleiben-lieber-unter-uns zählt zu den scheußlichsten Formen deutscher Frustrationsbewältigung.

 Zeit für meine erste NS-Anspielung in diesem Blog. 

Ist es passend für die einstige Hauptstadt Hitlers, in der überall „Juden nicht erwünscht“-Plakate und Schilder hingen, nun eine „Touristen unerwünscht“-Kampagne zu starten?

(Das war eine rhetorische Frage)

Und genau jetzt werde ich innerlich das erste mal zum Bayern und denke mir auch 
„dann dreht den Typen doch den Geldhahn ab! Wenn die uns nicht wollen, dann können sie ja auch auf unser Geld verzichten!“
(Pauschalisierungs-Modus off)
Manche sehen das anders. Noch werden Aufkleber wie "Berlin doesn’t love you" von den meisten Berlin-Besuchern mit Humor genommen. Aber ein Image-Verlust stünde der Stadt vermutlich nicht gut zu Gesicht.
 Too late, liebe Berliner. 

Ich finde es gar nicht witzig.

 Witze, die vermutlich weniger witzig, als ernst gemeint sind, brauche ich nicht.
Und schon gar nicht von den Typen, die vom Geld der Fremden leben.