Montag, 3. Oktober 2022

Post-Nationalität.

Es gibt nichts sinnloseres und nervigeres als Nationalfeiertage.

Es sei denn, man nimmt den Tag a priori nicht ernst und verwandelt ihn in ein schrilles Happening, bei dem das Volk ausführlich Körperflüssigkeiten austauscht.

In Holland finden am Geburtstag des Monarchen, dem „Koninginnedag“ (Königinnentag), bzw nach Beatrix‘ Abdankung, dem „Koningsdag“ (Königstag); König Willem-Alexander hat am 27. April Geburtstag; landesweit CSD-artige Paraden und Flohmärkte statt. Jeder zieht sich so schrill wie möglich an und die Flohmarkteinkünfte sind steuerfrei. Alle betrinken sich mit "Oranje-Bitter".

In Irland ist es das gleiche in grün. Buchstäblich. Party und saufen im Frühling, weil der Heilige Patrick im 5. Jahrhundert an einem 17. März starb. Nur daß alle Feierbiester statt des niederländischen orange in grüne Klamotten steigen.

Während bei diesen kleineren EU-Staaten die jeweiligen Partytage inkludierende schräge Happenings sind, veranstalten die dickeren Nationen – Frankreich, USA, Deutschland, Russland zum Beispiel – pathosbeladene Militärparaden und halten nationalistische Reden.

Von Feierkultur kann man in Deutschland ohnehin nicht reden. Bei derartigen Groß-Events wird erst Bier gesoffen, dann gegrölt und schließlich schlägt es in Aggression um – man befrage die Sanitäter beim Oktoberfest oder nach Bundesligaspielen.

Sehr unangenehm, wenn man es mit feiernden Deutschen zu tun hat. Das wird schnell Ballermann-artig und Melanie-Müller-esk, so daß im bierschwangeren Pathos der Gefühle der rechte Arm gehoben und „Sieg Heil“ skandiert wird.

Den deutschen Nationalfeiertag legte der multikriminelle Kanzler Kohl auf den Todestag eines bekannten bayerischen ehemaligen SS-Mitglieds: Franz Josef Strauß, * 6. September 1915; † 3. Oktober 1988; warum auch immer.

Man kann es zwar durchaus als pfiffige Idee betrachten, den Tag, als FJS den Löffel abgab, zu feiern, aber die Partyrituale sind nach 32 Jahren schon so altbacken, daß sich sogar die Witze darüber abgenutzt haben:
Tag der Wiedervereinigung = „Volkstrauertag West“. Haha.

Alle Politiker, die nicht zur Querfront gehören, beklagen an diesem Tag mit bitterernster Miene, wir hätten zwar so viel Grund zur Freude, aber die Lebensverhältnisse wären immer noch nicht angeglichen. Da liege noch viel Arbeit vor uns.

[….] Gleichwertige Lebensverhältnisse.  Das Misstrauen, das vor allem die Verdrossenen, Resignierten und Gekränkten der Gesellschaft, in der sie leben, entgegenbringen, macht nicht nur ihnen selbst das Leben schwer. Es gefährdet inzwischen auch die Demokratie. Im Jahresbericht des Ostbeauftragten heißt es dazu: "Um sie wieder mittels politischer Kommunikation zu erreichen und die Demokratie zu stärken, sollte das Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse in allen Teilen Deutschlands wieder verstärkt in den Blick genommen werden."  […]

(Tagesschau, 03.10.2022)

Ist das ermüdend. Ich habe schon bei 1037 Gelegenheiten Lobhymnen auf die Heterogenität der deutschen Lebensverhältnisse angestimmt. Zum Glück, ist das Leben in der Hamburger Innenstadt nicht genau wie in einem oberpfälzischen katholischen Dorf. Eine wunderbare Sache ist es, daß die Menschen sich entscheiden können, ob sie lieber an einem dünn besiedelten Nordseeküstenort mit wortkargen Menschenschlag oder einem Kuddelmuddel aus rheinischen Frohnaturen wohnen möchten.

Auch zu dieser ziemlich debilen „Angleichung der Lebensverhältnisse“-Litanei gibt es, sich seit Jahren wiederholende müde Witze.

[….] Deutschland, einig Vaterland? So einfach ist das offenbar nicht. Auch 32 Jahre nach der Wiedervereinigung haben viele Menschen immer noch erschreckende Vorurteile: Einer neuen Umfrage zufolge hat ein Großteil aller Kölner eine schlechte Meinung über Düsseldorfer.  "Es ist sehr ernüchternd, zu sehen, dass sich fast drei Jahrzehnte nach dem Fall der Mauer die alten Klischees so hartnäckig gehalten haben", erklärt Heinz Geiwasser vom Meinungsforschungsinstitut Opinion Control. "Auch heute noch sind rund 57 Prozent aller Kölner davon überzeugt, dass Menschen aus Düsseldorf arrogante schnöselhafte Angeber sind, die ekelhaftes dunkles Bier trinken und auf der hässlichen Seite des Flusses leben. Man kann schon fast sagen: Der Rhein in den Köpfen treibt immer noch einen Keil zwischen beide Städte, die doch nur 34 Kilometer voneinander entfernt liegen."  Kann also von einem vereinten Deutschland gar keine Rede sein? Demoskop Geiwasser sieht das differenziert: Zwar seien auch in Düsseldorf noch viele der alten Vorurteile gegen Köln als schäbige Stadt mit Minderwertigkeitskomplex und wässrigem Möchtegern-Bier in winzigen Reagenzgläsern präsent. "Doch immerhin muss man feststellen, dass es im Kleinen durchaus Fortschritte gibt", erklärt er. [….]

(Postillon, 03.10.2022)

Etwas fehlt ebenfalls nie am 03.10.2022: Mürrische alte Nazis und faschistische Blogger, die sich bitterlich über die indolenten Deutschen beklagen, die den Feiertag bloß als „verlängertes Wochenende“ ausnutzten, ohne sich der Bedeutungsschwere bewußt zu sein.

Offensichtlich stellt sich Hetzblogger David Berger das angemessen nationale Begehen des Tages, als gemeinsames Masturbieren auf die Reichskriegsflagge vor, während man dabei die erste Strophe der Nationalhymne oder das Horst-Wessel-Lied anstimmt. Wenn er nicht schon so alt und klapprig wäre, würde er am Nationalfeiertag auch noch eine Asylunterkunft mit Molotowcocktails bewerfen und vor den Parteizentralen der Linksgrünversifften auf die Fußmatten scheißen.

Ich wurde vor über einem halben Jahrhundert in Deutschland als Sohn einer deutschen Mutter geboren. Wegen des deutschen Ius Sanguinis, welches die Nationalität nur bei väterlichem deutschen Blut vergibt, befindet mich die Bundesrepublik auch fünf Jahre nach meinem Einbürgerungsantrag noch nicht würdig, die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen.

Ich bin stolz ein Nichtdeutscher zu sein, liegt es mir auf der Zunge zu sagen, aber ich bin grundsätzlich nicht stolz auf Dinge, die dem reinen Zufall unterliegen. Ich bin auch Rechtshänder, Rotgrün-Verwechsler und kann die Zunge rollen und komme ob dieser angeborenen genauso wenig in Wallungen des Stolzes, wie bei meinem Trumpmerica-Pass.

In einer globalisierten Welt, in der jeder mit jedem durch das Internet vernetzt ist, Kriege um national-egoismierte Fleckchen (Krim, Taiwan, Jemen) zu führen, ist erbärmlich.

Ich stelle mir ein grünhäutiges Tentakelwesen von Alpha Centauri vor, welches in Luhansk/Луганськ landet und versucht zu begreifen, was eigentlich der Unterschied zwischen Ukrainern und Russen sein mag, die da gerade mit gewaltigem Aufwand versuchen, sich gegenseitig abzumurxen.

Nationalitäten sind nichts, das man feiern sollte.

Nationalfeiertage sind ein Anachronismus.

Ich würde gern die Abschaffung der Nationalfeiertage feiern.