Donnerstag, 20. September 2012

Rechtlich-Religiöses.





Hendryk M. Broder gehört zweifelsfrei inzwischen zu den Vollzeit-Verbalrambos.
In seiner überbordenden Begeisterung über sich selbst hat er so sehr den Bezug zum richtigen Maß verloren, daß er wie auch Baring und Sarrazin deutlich abseits der Menschen steht, die man ernst nehmen kann.

Allerdings, das muß man zugeben, blitzt hin und wieder in seinem Diffamierungswortschwall noch der ein oder andere intelligente Gedanke durch, der auch nur von ihm formuliert wird.

Nehmen wir die weltweit diskutierte causa „Mohammed-Schmähvideo“ als Beispiel.
Ich habe tatsächlich nur von Broder gelesen, daß es ein befremdlicher Vorgang sei, wie sehr sich alle westlichen Kommentatoren daran abarbeiteten von welch schlechter Qualität das Filmchen wäre.


Hieß es nach der Fatwa gegen Salman Rushdie, die "Satanischen Verse" seien kein literarisches Meisterwerk, sondern vor allem dazu bestimmt, die Gefühle der Moslems zu verletzen, hat man die Mohammed-Karikaturen, die in der dänischen Zeitung "Jyllands Posten" erschienen sind, als "primitiv" und "künstlerisch wertlos" abgetan, so ist es "diesmal ein dumm-dreister Film, in dem der Prophet Mohammed und der Islam auf ideologisch üble und dazu noch handwerklich billige Weise verächtlich gemacht werden" – als ob die Qualität des Film das wäre, was die Moslems zur Rage treibt. Nimmt jemand an, die Söhne Allahs würden begeistert Beifall klatschen, wenn es nicht "ein dumm-dreister" und "handwerklich billiger" Film wäre, sondern ein Meisterwerk von Pasolini oder Tarantino?


Recht hat er.
Nur weil religiös aufgeputschte Menschen in anderen Teilen der Welt zu Gewaltausbrüchen neigen, können wir nicht den Gesellschaftsvertrag unserer Demokratie in den Müll werfen. 
Genau das soll aber umso leichter geschehen, je mehr man den inzwischen so berühmt-berüchtigten Film als ohnehin wertlos und schlecht diminutiviert.

Ich war nie ein Mensch, der ein „Fan“ von irgendetwas oder irgendwem wird. 
Auch die Bands, die ich als Teenager toll fand, habe ich gleichzeitig auch kritisch gesehen.
 Ich finde nie alles gut, das jemand macht. Heute fällt mir immer auf, wenn ein geschätzter Politiker oder Journalist sich verrennt.

Offensichtlich entwickelt sich aber gerade eine Ausnahme dieser Regel und das ist Michael Schmidt-Salomon, der in für mich geradezu unheimlicher Weise stets so formuliert, daß man auf die Knie fallen und applaudieren möchte.
 
Der gbs-Sprecher ist dabei keineswegs mainstream-kompatibel, sondern steht oft weit außerhalb der veröffentlichten Meinung. 
Beispiel Papst-Rede im Bundestag, die MSS als einer der wenigen klar analysierte und in einen vernünftigen Kontext stellte, während fast alle Edelfedern devot auf Knie sanken und vor Entzücken, daß ein leibhaftiger Papst im Bundestag sprach ganz vergaßen darauf zu achten WAS der Mann eigentlich zu sagen hatte.

Beim Mohammed-Film ist es nun so, daß quer durch alle Parteien, von der Regierungschefin über den Verfassungsminister Friedrich bis zur Linken alle einig sind das Grundgesetz kurzerhand nicht gelten zu lassen und den Film zu verbieten.

Nicht so MSS:


Es sollte selbstverständlich sein, dass das Prinzip der Kunstfreiheit auch für schlechte Filme gilt. Wo kämen wir denn hin, wenn wir es von ästhetischen Kriterien oder gar vom Einverständnis religiöser Fanatiker abhängig machen würden, ob ein Film in Deutschland gezeigt werden darf oder nicht? […]
Würden wir die Kunst- und Meinungsfreiheit aus Rücksicht auf religiöse Fanatiker einschränken, käme dies einer Belohnung gleich. Wir würden sie dazu ermutigen, künftig jede kritische Auseinandersetzungen mit dem Islam durch gewaltsame Proteste zu unterbinden. Solchen demokratiefeindlichen Bestrebungen dürfen wir auf keinen Fall nachgeben. [….]
 Wir hatten eine ähnliche Situation ja schon vor 6 Jahren im Zuge des sogenannten Karikaturenstreits. Damals wurden die dänischen Karikaturisten beschuldigt, den öffentlichen Frieden zu gefährden. Eine skandalöse Umkehrung des Täter-Opfer-Prinzips! Denn nicht die an Leib und Leben bedrohten Zeichner gefährdeten den öffentlichen Frieden, sondern die religiösen Fanatiker, die in ihrem Wahn Hunderte von Menschen töteten, nur weil sie unfähig waren, auf satirische Kunst in angemessener Weise zu reagieren. [….]
Es ist in der Tat ein sonderbares Phänomen, dass Männer, die die Steinigung einer vermeintlichen Ehebrecherin mit müdem Achselzucken hinnehmen, aber schluchzend in sich zusammensinken, wenn sie hören, dass ihr Prophet satirisch auf die Schippe genommen wurde. Erklären lässt sich dies nur mit der partiellen Denk- und Entwicklungshemmung, die mit religiöser Indoktrination einhergeht. […]
Moderne Demokratien beruhen bekanntlich auf der Idee des Gesellschaftsvertrags, die besagt, dass die Werte des Zusammenlebens nicht objektiv vorgegeben sind, sondern unter den Gesellschaftsmitgliedern unter fairer Berücksichtigung der jeweiligen Interessen ausgehandelt werden müssen. Für fundamentalistische Gläubige ist dies schlichtweg inakzeptabel, gehen sie doch von einer göttlich vorgegebenen Gebots- und Verbotsordnung aus, die für alle Zeiten festlegt, welches Verhalten Männer, Frauen und Kinder zu zeigen haben.
Wenn nun solche Glaubensüberzeugungen mit rechtsstaatlichen Normen kollidieren, was häufig der Fall ist, da die heiligen Schriften aus vormodernen Zeiten stammen, steht das Individuum vor der Wahl, welcher Rechtsordnung es den Vorrang gibt. Man kann gut verstehen, dass sich Gläubige schwerlich gegen Gebote entscheiden können, von denen sie meinen, dass sie göttlichen Ursprungs sind. Als säkulare Gesellschaft müssen wir aber darauf bestehen. Religiöse Sonderrechte, die im Widerspruch zur säkularen Rechtsordnung stehen, können und dürfen wir nicht tolerieren.


Das Instrumentarium um in unserem Rechtssystem missliebige Meinungen zu unterdrücken, ist ohnehin nicht ideal.

Da gibt es den § 130 (Volksverhetzung) des Strafgesetzbuches, der sicherlich ausreichte, um zum Hass aufstachelnde Fanatiker wie die vom brauen Kreuznet-Sumpf zu verurteilen. 
Man erwischt sie nur nicht.

Ein Youtube-Filmchen über eine fiktive archaische Figur zu drehen ist aber sicherlich nicht mit dem § 130 zu verbieten.

Dafür wollen Regierungspolitiker wie der homophobe Johannes Singhammer den Gummi-§ 166 (Blasphemie) missbrauchen und ihn so verschärfen, daß man jedwede Religionskritik verbieten und bestrafen kann.
 Die CSU geht also schon mal auf anale Tuchfühlung mit dem Blasphemie-Gesetzverschäfungsbrüllern aus den Reihen der katholischen Bischöfe.

Zurück ins Mittelalter also.

Anders als MSS schätze ich Heribert Prantl und Jakob Augstein oft, aber keineswegs immer. Augsteins letzte Anmerkungen zur Unschuld der Religion an den Mohammed-Film-Riots sind höchst einfältig und wurden auch entsprechend scharf von MSS zurückgewiesen.

Papst-Fan Prantl hatte heute aber wieder einen guten Tag, weil er im SZ-Kommentar kurz und knackig darlegte weswegen der § 166 weder verschärfbar noch konkretisierbar ist.
 Er gehört einfach nur abgeschafft.


Es ist blasphemisch zu glauben, man müsse Gott, Allah oder dem Propheten Mohammed einen deutschen Staatsanwalt zu Hilfe rufen. […] Der Paragraf 166 des Strafgesetzbuchs, den man antiquiert als Gotteslästerungs-Paragraf bezeichnet, ist lästerlich schlecht konzipiert. Er bestraft zwar nicht, wie in alten Zeiten, die Verhöhnung Gottes, sondern Religionsbeschimpfung - aber nur dann, wenn dies in einer Weise geschieht, "die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören".
Das ist gut gemeint, aber unpraktikabel. Denn so haben es die Anhänger der beleidigten Religion in der Hand, durch möglichst viel Aufruhr die Sache zur Straftat zu machen. Das ist legislativer Unsinn.
Der Vorschlag aus der CDU/CSU freilich, wieder zu dem Rechtszustand zurückzukehren, der vor 1969 bestand, ist noch unsinniger. [….]
Die Religionsdelikte gehören nicht verschärft, sondern abgeschafft.