Sonntag, 27. Mai 2012

Deutsche Nachkriegsjuristen.




Zu den allgemein verbreiteten Missverständnissen gehört die Annahme der gesetzlich Rentenversicherten, sie bekämen nun aus dem großen Rententopf das, was sie selbst einmal eingezahlt hätten.

Nein, in Wirklichkeit handelt es sich um einen Generationenvertrag. Als die heutigen Rentner in die Rentenkasse einzahlten, wurden mit ihrem Geld die damaligen Rentner bezahlt. Dieses Geld ist also längst ausgegeben. 
Die heutigen Rentner werden von den heutigen Beitragszahlern finanziert und wenn das gar zu knapp wird, gibt der Finanzminister was aus dem Steuertopf hinzu.

Die grundlegende Schwierigkeit dürfte inzwischen jedem bekannt sein. Das System funktioniert besser, wenn wenige Rentner, die nach Renteneintritt auch nur noch kurz leben, von vielen Beitragszahlern finanziert werden.
Hat man viele, langlebige Rentner, die von wenigen Beitragszahlern ihre Renten bekommen, müssen einige Stellschrauben gedreht werden. 
Entweder gehen die Beiträge zur Rentenversicherung hoch, oder die Renten sinken, oder es müssen aus dem allgemeinen Steuertopf mehr Mittel fließen.

Erschwerend kommt hinzu, daß durch die deutsch-deutsche Vereinigung 1990 Millionen neue Rentner in das System einwanderten, die aber nicht entsprechend viele Beitragszahler mitbrachten, weil die Löhne in der Ex-DDR niedriger sind und die Arbeitslosigkeit höher ist.

Selbstverständlich werden die DDR-Rentner heute auch von der normalen Rentenversicherung bezahlt. Die Kosten übernehmen vollständig die Sozial- und Rentenversicherten. 
Beamte und Selbstständige haben Glück, sie müssen nichts dazu geben. So war es von der damaligen schwarzgelben Regierung gewollt. Kosten der Einheit trugen die Arbeitnehmer, die Gewinne bekamen die Unternehmer.

Ganz so gerecht, wie sich das mancher heute denkt, ging es bei den DDR-Rentnern übrigens nicht zu. Besonders Staatstreue erhielten erhebliche Aufschläge, die sie quasi bis in die Jetzt-Zeit retten konnten.
„Rente vom Klassenfeind“ nennt das Prof. Klaus Schroeder von der FU Berlin.

Die sicheren Renten [in der DDR - T.]  lagen in den 80er Jahren für die meisten auf einem vergleichsweise kläglichen Niveau zwischen 300 und 400 Mark. Durch ein ausgeklügeltes, intransparentes System garantierte die SED jedoch speziellen Bevölkerungsgruppen Sonder- und Zusatzrenten, die mitunter ein Vielfaches über dem Durchschnitt lagen. Besonders bevorzugt waren systemloyale Kreise wie die Mitarbeiter von Volkspolizei und MfS, Partei- und Staatsbedienstete sowie Angehörige der Intelligenz.
Diese Rentenansprüche
[begründeten] sich zumeist nicht aus entsprechenden Beiträgen […], sondern [stellten …] eine politisch und ideologisch motivierte Treueprämie dar.
[…]  Durch eine großzügige Rechtsprechung der Sozialgerichte stieg darüber hinaus die Zahl der Anspruchsberechtigten geradezu sprunghaft an. Während zu DDR-Zeiten zum Beispiel gerade einmal drei bis fünf Prozent aller Ingenieure in volkseigenen Betrieben einen beurkundeten Anspruch auf eine Zusatzrente hatten, stieg der Anteil der Anspruchsberechtigten aus dieser Gruppe bis 1998 auf etwa zwei Drittel. Insgesamt dürften inzwischen knapp eine Million ostdeutscher Rentner mehr oder weniger hohe Ansprüche auf Zusatz- und Sonderrenten haben.
Schuf der Einigungsvertrag bereits die Grundlagen für die generelle Gleichstellung der Rentenberechnung in den neuen und alten Ländern trotz deutlich unterschiedlicher Einkommenshöhe und Beitragszahlungen in der DDR und der Bundesrepublik, rettete die deutsche Justiz wie schon nach 1945 den Verantwortungsträgern der Diktatur ihre privilegierte Rente. Doch die derzeit gegenüber den Westrenten monatlich etwa 100 Euro höheren durchschnittlichen Renten stiften keine höhere Zufriedenheit.
Die jährlich etwa vier Milliarden Euro für die zusätzlichen Renten teilen sich nominell Bund und neue Länder. Faktisch wird jedoch fast ausschließlich der westdeutsche Rentenbeitrags- und Steuerzahler zur Kasse gebeten, da die ostdeutschen Länder chronisch unterfinanziert, hoch verschuldet und von Westtransfers abhängig sind. Die Westdeutschen dürfen nun also auch denjenigen, von denen sie einst als Klassenfeind bekämpft wurden, eine Rente zahlen, die im Schnitt noch über der eigenen liegt. Gleichzeitig fehlen diese Transfergelder bei den Investitionen, die die Wirtschaft im Osten ankurbeln sollen.

(Deutschlandradio 02.09.2006)

Ende 2007, nachdem die SED-Begünstigten also schon 17 Jahre eine vergleichsweise hohe Rente bekamen, trat dann tatsächlich auch das SED-Opferrentengesetz in Kraft.

Abgesehen von diesen relativen Verwerfungen (SED-Privilegierte bekommen hohe Renten, SED-Opfer niedrigere) ist es absurd den Ost-Rentnern vorzuwerfen sie hätten „nichts eingezahlt“.
Wie hätten sie das auch anstellen sollen? 
Außerdem langen die DDR-Löhne deutlich unter den West-Nettolöhnen nach Abzug des Rentenversicherungsbeitrages.


Ohne Vergleiche ziehen zu wollen: Die Welt ist nicht gerecht.
Aus dem deutschen Rentenversicherungssystem wurde auch ein Vielfaches von dem was an Entschädigungen für KZ-Opfer aufgebracht wurde, an Renten für ehemalige Nazis und SS-Angehörige bezahlt.

Man kann sich immer nur staunend schämen wie viele Jahrzehnte es brauchte bis sich mal eine deutsche Regierung an die Naziopfer erinnerte.
Wehrmachtsdesateure sind bis heute nicht rehabilitiert und erst die Schröder-Regierung schuf den Zwangsarbeiter-Entschädigungsfonds.

Das offizielle Mahnmal für die gute 500.000 von den Deutschen ermordeten Sinti und Roma wird erst Ende 2012 eröffnet und bis heute ist Antiziganismus - so nennt man den rassistischen Reflex, das Volk der Sinti und Roma zu diffamieren - gesellschaftsfähig.

Erst 1982 sprach der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt den Sinti und Roma den Opferstatus zu, fast vierzig Jahre nach Kriegsende.  [….] Das Allensbacher Institut [ermittelte]: 68 Prozent aller Deutschen lehnen es ab, neben einer Zigeunerfamilie zu wohnen. Weil sie fürchten, bestohlen zu werden; weil sie glauben, dass von Zigeunern eine irgendwie ungute Schwingung ausgeht. Vielleicht auch, weil den Deutschen trotz Zigeunerbraten, Zigeunersoße und Zigeunerbaronen kein Volk so fremd vorkommt wie das der Sinti und Roma. 'Wir sind die Minderheit, die die größte Xenophobie auf sich zieht', sagt [der Vorsitzende des Landesverbands der Sinti und Roma in Baden-Württemberg]  Daniel Strauß, 'der gesellschaftliche Antiziganismus ist nach wie vor salonfähig.'
(SZ 24.05.12)

Und, nein, wer jetzt denkt, wenigstens die Juden hätten ihre kärglichen Entschädigungen durchgesetzt, irrt.

Vorgestern erschien in der SZ ein Artikel von Ronen Steinke über die bisher verweigerte Wiedergutmachung, der leicht abgewandelt auch schon vor zwei Jahren in der Jüdischen Allgemeinen erschien. 
Passiert ist seitdem offensichtlich nichts.

Es geht exemplarisch um Sylvia Gembitzky, eine 82-Jährige arme Rentnerin aus Tel Aviv, die einst im Jüdischen Ghetto Berschad in der heutigen Ukraine für die Nazis arbeiten mußte. 
Daß ihr überhaupt eine, wenn auch klägliche, Rente aus der Zeit zusteht, ist ebenfalls der Schröder-Regierung (2002) zu verdanken. 
Ausgezahlt wurde bisher allerdings nichts - in zehn Jahren juristischen Hickhacks haben sich alle Rentenversicherungsträger erfolgreich gedrückt.

So geht es derzeit fast 24000 Holocaust-Überlebenden: Eigentlich hatte der Bundestag sich ihnen im Jahr 2002 zugewandt, mit der bislang letzten Initiative für eine Entschädigung von NS-Opfern. Wie gründlich die jedoch seither versandet ist, beschreibt eine aktuelle Untersuchung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt.   Mit der Initiative von 2002 wollte der Bundestag eigentlich eine Lücke schließen, die jahrzehntelang in der deutschen Entschädigungspolitik klaffte und in die Menschen wie Sylvia Gembitzky gefallen waren. Menschen, die in Ghettos der Nationalsozialisten zu harter Arbeit eingeteilt worden waren, konnten keine Wiedergutmachung erhalten. Sie galten den Behörden der Bundesrepublik weder als verschleppte Zwangsarbeiter noch als regulär Rentenberechtigte. Um als Zwangsarbeiter anerkannt zu werden, so hieß es, hätten sie zu wenig Zwang erlitten, um als Mitglied der Renten-Solidargemeinschaft anerkannt zu werden, zu viel. Erst als in den neunziger Jahren im polnischen Lodz, am Ort eines einstigen Ghettos, alte Arbeitslisten auftauchten, die sogar zeigten, wie aus dem Ghetto säuberlich Rentenbeiträge ins Deutsche Reich abgeführt worden waren, stellte das Bundessozialgericht klar: Den Ghettoarbeitern steht eine Rente zu. Es dauerte bis 2002, bis der Bundestag dafür ein Gesetz schuf. Und dann folgte ein Jahrzehnt, in dem dieses 'Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigung in einem Ghetto' (ZRBG) zwischen der Deutschen Rentenversicherung und den Sozialgerichten größtenteils zerrieben wurde. Die Rentenkassen lehnten zunächst neun von zehn aller Anträge ab - diesmal mit der Begründung, die Antragsteller hätten im Ghetto zu viel Zwang erlitten. Das Ghettorenten-Gesetz von 2002 verlangt eine 'freiwillige' Beschäftigung. Und was konnte bei der Internierung im Ghetto schon freiwillig gewesen sein?  Manche Sozialgerichte bestärkten die Kassen in dieser Strenge, viele Antragsteller gaben auf.
(SZ 25.05.12)

Shame on you Deutschland.

Immerhin eine der Bundestagsparteien findet diesen Zustand so unerträglich wie ich - die Linkspartei. Sie forderte die Koalition auf zu handeln. Aber - wie wenig überraschend - SchwarzGelb rührt sich nicht und wartet lieber bis die letzten paar Tausend Empfangsberechtigten, 67 Jahre nach Ende des Krieges, aussterben. 
Die biologische Lösung.
 Eine perfide Strategie, die aufzugehen scheint. In der Version des Artikels von 2010 steht zu den Rentenberechtigten „insgesamt sind dies über 40.000 Menschen.“ Die SZ von vorgestern spricht noch von 24.000 Holocaust-Überlebenden, die auf ihre Rente warten.

Die Linksfraktion will auf Initiative der Abgeordneten Ulla Jelpke die Bundesregierung auffordern, ein neues Ghettorenten-Gesetz vorzulegen. Aus der Koalition hat sie darauf aber noch keine Antwort bekommen - auch deshalb nicht, weil die Koalition das Thema im Sozialausschuss am Mittwoch kurzfristig von der Tagesordnung nehmen ließ.
(SZ 25.05.12)