Donnerstag, 2. August 2018

Politikertypen


Hilfe. Hilfe! Gestern wagte ich unglücklicherweise mal wieder einen Blick in so eine linke Basis-Gruppe der Sozialdemokraten.
Anlass war ein SZ-Artikel über den derzeit amtierenden Kanzler Olaf Scholz, der als Merkels Urlaubsvertretung die Kabinettssitzung leitet und sich heimlich, still und leise zum beliebtesten Politiker Deutschlands emporgemausert hat.

[…..] Seit vier Monaten ist der Sozialdemokrat Olaf Scholz Bundesfinanzminister und Vize-Kanzler.  Dass er seinen Job ganz gut macht, findet nicht nur der Koalitionspartner CDU/CSU, sondern laut ZDF-Politbarometer auch die Bevölkerung. In der SPD stößt auf Kritik, dass Scholz die Politik seines Vorgängers Wolfgang Schäuble fortsetzt. […..]

Es stimmt zwar nicht, daß Scholz einfach die Schäuble-Linie fortsetzt, weil er wesentlich mehr investiert, ........

[…..] Fließen die Steuereinnahmen weiter so, wie Scholz sich das vorstellt, könnte dieser Haushalt der sechste in Folge sein, für den die Bundesregierung keine neuen Schulden aufnimmt. In dieser Hinsicht steht Scholz in der Tradition seines Vorgängers. […..] Gänzlich anders sieht es bei den Ausgaben für Soziales aus.
Während Schäuble sich hier knausrig gab, sagte Scholz explizit: „Die Ausgaben für Soziales und für die Rentenversicherung werden bis 2022 deutlich steigen.“ Damit meint er nicht nur den Zuschuss an die Rente, der automatisch größer wird, wenn die SPD ihr Versprechen umsetzt, das Rentenniveau nicht weiter sinken und zugleich die Beiträge nicht weiter steigen zu lassen.
Auch will Scholz im Haushalt eine milliardenschwere Reserve anlegen für die zusätzlichen Rentenkosten in den nächsten Jahren. In fünf Jahren schon solle pro Jahr „ein zweistelliger Milliardenbetrag“ in diese Reserve fließen. Ein stabiles Rentenniveau sei „die wichtigste Sicherheitsbotschaft, die wir an junge Leute aussenden können“, sagte Scholz. […..]

....aber wen interessieren schon Fakten, wenn man auch so ein praktisches Label benutzen kann?
Scholz = der ewige Scholzomat, der uncharismatische Technokrat, fleißig, aber dröge, schlau, aber ohne Visionen.
An der SPD-Parteibasis haben es solche Typen schwer und so war das Entsetzen groß, als man über eine Kanzlerkandidatur von Olaf Scholz im Jahr 2021 orakelte.
Unfreundlicherweise wurde Scholz auch noch mit Schulz in eine Schublade gesteckt – die beiden drögen kleinen alten Seeheimer unterschieden sich doch nur in einem Buchstaben.
Das ist frech, denn Scholz ist ein Regierungspraktiker, der hochgebildet und effektiv verwalten kann, gezeigt hat wie stringent und erfolgreich er eine zerstrittene Landespartei führen kann und zudem auch noch zweimal nacheinander die besten SPD-Ergebnisse ganz Deutschlands bei einer Landtagswahl holte.

Schulz hat noch nie regiert, noch keine Wahl gewonnen, hat noch nicht mal Abitur und zeigte im 2017ner Wahlkampf über wie wenig Rückgrat er verfügt, indem er sich bis zur Unkenntlichkeit verbiegen ließ.
Bei Scholz wäre das undenkbar. Nicht ohne Grund gehörte er 2017 zu den heftigsten Schulz-Kritikern und sorgte gemeinsam mit Andrea Nahles richtigerweise dafür, Martin Schulz aus der ersten Parteireihe zu schubsen.

Aber obwohl niemand bestreitet, daß Olaf Scholz seinen Job kann, wird er selbst in seiner Partei nur zähneknirschend anerkannt und niemals geliebt.

Als Sozialdemokrat, der nur zähneknirschend für die Groko stimmte, weil sie als das kleinere Übel erschien – im Vergleich mit einer CDU-CSU-Minderheitsregierung, die dann nur noch aus Seehofers, Scheuers und Spahn bestünde, sich von der AfD, auf deren Stimmen sie angewiesen wäre, weit nach Rechtsaußen treiben ließe – wünscht man sich als Wut-Ventil natürlich SPD-Minister, die einen radikal neuen Weg einschlagen.
Einen Finanzminister, der linke Pflöcke einschlägt und die EU-Nemesis Schäuble konterkariert.

Aber indem man nur die eingefleischte Basis entzückt, schafft man keine demoskopische Trendwende.
Politik muss in Zeiten der Internetfilterblasen mehr denn je auf ihre Akzeptanz achten.
Vielleicht in der Scholze Weg – mit solider Arbeit und handwerklich fehlerloser Politik zu überzeugen – doch besser als das ständige substanzlose Poltern des Bundesinnenministers.

Für seine Partei ist es jedenfalls besser sich an die Spitze des Beliebtheitsrankings zu begeben, als nach der Methode Crazy-Horst den halben politischen Apparat Berlins lahmzulegen.

[…..] Nur noch 27 Prozent der Befragten sind mit der Arbeit von Innenminister Horst Seehofer (CSU) zufrieden.
[…..]  Niemand gibt an, mit der Regierung „sehr zufrieden“ zu sein. Einen solchen Befund gab es seit Jahren nicht.
Öffentlicher Streit zahlt sich in der Politik meist nur für diejenigen aus, die nicht daran beteiligt sind. [….]

Der neue Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher, Amtsnachfolger von Olaf Scholz kämpft mit ähnlichen Problemen.
Auch er ist so gar kein Volkstribun, wie der mit 90%-Beliebtheit bejubelte von und zu Guttenberg, der statt zu arbeiten lieber durch die Bierzelte zog und zu ACDC-Klängen auf die Tische stieg bis jeder unter 90 Jahren ein feuchtes Höschen hatte.
Tschentscher ist still, akkurat, hört zu, ist nicht mit Selbstdarstellung beschäftigt, arbeitet effektiv und lösungsorientiert. Er ist extrem intelligent, geradezu ein Genie und dazu hochgebildet.
Spektakulär ist das nicht. So dominiert man nicht die Medien als Trump/Seehofer/Guttenberg.

Aber bin ich wirklich extrem altmodisch, wenn ich einen Volksvertreter, der gute Arbeit leistet und weiß was er tut, einem Hallodri vorziehe, der mit derben Witzen, Peinlichkeiten und Affären Aufmerksamkeit erregt?

Abgesehen von meinen persönlichen Typ-Vorlieben, ist Politik nicht nur eine Kunstform, in der Geschmack entscheidet, sondern es geht tatsächlich um nichts weniger als die Organisation unseres Lebens und unserer Zukunft.
Egal ist das nicht.
Ich habe da ganz gern Politiker als Amtsträger, die den Job auch ernst nehmen und statt auf Markplätzen von „ANPACKEN“ zu grölen, sich tatsächlich ihren Aufgaben widmen.
Das ist vielleicht ein bißchen in Vergessenheit geraten.
Trump macht sogar gar keine Politik mehr, sondern scheißt nur noch allen anderen Politikern auf’s Pult und fängt anschließend an wie ein ganzer Hühnerhof zu gackern und zu krähen.

Mit reiner Arbeitsverweigerungshaltung wie Seehofer ist dem gemeinen Volk auch nicht geholfen.

Seine Epigonen Dobrindt und Scheuer sind nicht besser.

[….] Ein Jahr nach dem Dieselgipfel der Bundesregierung müsste jedem klar sein: Dieser Gipfel war ein reines Showevent für den damaligen Wahlkampf. Die neue-alte Bundesregierung und vor allem das CSU-geführte Verkehrsministerium lassen Verbraucher und Gemeinden mit den finanziellen, rechtlichen und gesundheitlichen Folgen der Dieselkrise alleine. Verkehrsminister Scheuer ist artig in Fußstapfen seines Vorgängers Dobrindt gestiegen. Scheuer hat ein weiteres Jahr lang vor allem die finanziellen Interessen der Autokonzerne gesichert, statt für die getäuschten Autobesitzer oder saubere Autos zu kämpfen. Ein ganzes weiteres Jahr wurden die Betrügereien der Autokonzerne weiter gedeckt, Verantwortliche nicht zur Rechenschaft gezogen.
Das war ein Jahr dreister Untätigkeit in der Dieselkrise, die so nicht weitergehen darf.
Es ist unfassbar, dass die Bundesregierung tatenlos zusieht, wie Volkswagen den nächsten Rekordgewinn in Milliardenhöhe einstreicht und sich weiter dagegen sperrt, die Autos der getäuschten Dieselkäufer auf Konzernkosten nachzurüsten. Die Autofirmen, die betrogen haben, müssen dafür auch die finanzielle Verantwortung übernehmen. Um Gesundheitsgefahren, weitere Fahrverbote und einen massiven Wertverlust für Autobesitzer und Autohändler zu verhindern, muss die Bundesregierung endlich Hardware-Nachrüstungen bei dreckigen Diesel durchsetzen. Sie darf sich auch einer grundlegenden Wende in der Verkehrspolitik nicht weiter versperren. Angesichts der sich zuspitzenden Klimakrise ist es zudem unbegreiflich, dass die Bundesregierung weiterhin die schützende Hand über den schmutzigen Verbrennungsmotor hält. [….]