Montag, 19. Mai 2025

Kommt der rosa Winkel zurück?

In meinem greisen Alter habe ich keine Kontakte zur queeren Szene mehr; insbesondere weil ich ohnehin nicht mehr ausgehe. In meinen Teen- und Twen-Jahren war ich aber gerne“ Fagstag“, weil es so schön subversiv war, in Schwulendiscos zu gehen. Meine spießigen Mitschüler waren so angenehm entsetzt. Das gefiel mir natürlich. Egal, wo genau man sich privat auf der Kinseyskala verortet; schwules Nachleben hat mehrere enorme Vorteile: Musik und Mode sind viel besser und es gibt keine Aggressionen. Viele andere Männer mögen offensichtlich Mackertum, Ruppigkeit, Drohgebärden, Flexen und mal eine Prügelei.  In der Hinsicht bin ich von Geburt an unterentwickelt; ich mag es friedlich und zivilisiert. An einer Schlägerei habe ich nie teilgenommen und vermisse auch nichts. So wie ich auch keinerlei Drang verspüre, mit einem Porsche oder einer Diamant-besetzten Rolex oder einer 30 Jahre jüngeren Busen-Barbie zu protzen.

Da mein Abi mittlerweile einige Jahrzehnte zurückliegt, sind meine Berührungspunkte zu allen Szenen ohnehin lange abgerissen. Es interessiert mich nicht mehr, was gerade „in“ ist. Mein persönlicher Geschmack wird nicht mehr von aktueller Mode beeinflusst. Wie alle älteren Menschen, blicke ich mal mit Amüsement auf Trends, weil ich Muster und Wiederholungen erkenne. Unterwürfige Weibchen, Tradwifes – deren Wiederkehr hätte ich in den 1980ern sicher nicht antizipiert. Mal finde ich Mode-Erscheinungen aber auch ästhetisch  völlig verirrt. Aufgespritzte Lippen, Medizinball-Busen, Einheitsvollbart, Muskel-Oberkörper, Tattoos, rasierte Genitalien/Achseln, Mützen im Sommer, Nasenringe. Das könnte ich ewig fortführen und damit 95% der Boomer aus der Seele sprechen. Aber natürlich haben die Elterngenerationen der Teens/Twens der 50er, 60er, 70er und 80er Jahre, genauso die Nasen gerümpft. Die Mode der nachfolgenden Generationen zu beurteilen, macht keinen Sinn.

Zumal es „in meinen 80ern“ viele Moden gab, die ich entweder begeistert oder unbewusst mitging, deren Ende ich heute voller Überzeugung begrüße: Allgegenwärtige Zigarettenwerbung, Saufen und Rauchen im TV, FCKW-Sprays. Es ist schon besser, im Auto fahrende Kleinkinder, in vernünftige Kindersitze zu stecken, Katalysatoren, bleifreies Benzin und Airbags zu nutzen.

Sofern es in 50 Jahren noch eine Menschheit gibt, wird sie rückblickend staunen, wie man 2025 so irre sein konnte, in Deutschland für 80 Milliarden Euro pro Jahr fossile Brennstoffe zu kaufen, um sie zu CO2 zu verbrennen, damit sogar Autos zu betreiben und das toxische Abgas legal genau in der Kopfhöhe von Kleinkindern in die Umwelt zu blasen. Sollte sich Homo Sapiens (entgegen meiner Erwartung), doch nicht zu meinen Lebenszeiten von der Oberfläche dieses Planeten sprengen, wird sehr vieles, das wir jetzt für selbstverständlich halten, verschwunden und geächtet sein. Massentierhaltung, Fleischkonsum, Genitalbeschneidung bei Kleinkindern, Waffenproduktion, Religion, Lebenszwang.

In den 1980ern und 1990ern hielt ich die Anliegen der nach wie vor diskriminierten und kriminalisierten Lesben und Schwulen (Transsexuelle waren noch gar nicht im öffentlichen Bewußtsein angekommen) für wichtig und unterstützenswert, erwartete allerdings kontinuierliche Fortschritte. Irgendwann würden CSDs überflüssig, weil niemand mehr auf die Idee käme, das Rad der Zeit zurück zu drehen. So wie 1990 auch niemand mehr Frauen das Wahlrecht entziehen wollte. Oder Kinderarbeit zurückwünschte, oder die Kugelgestalt der Erde in Frage stellte. Oder zum Geozentrismus zurück wollte.

Aber damals hatte ich das Internet, die sozialen Medien und die damit einhergehende partielle radikale Volksverdummung nicht antizipiert.

 Inzwischen kriechen die Flacherdler, Chemtrailer, Impfgegner, INCELs und sonstige Irre nicht nur wieder aus ihren Löchern; nein, sie vernetzen sich und werden zum Machtfaktor. Längst für selbstverständlich gehaltene Errungenschaften, werden wieder abgebaut.  Der mächtigste Mann der Erde wird mit seiner Regierung dafür gefeiert, Klimaschutz abzuschaffen, Windmühlen zu verbieten, Plastikstrohhalme vorzuschreiben und, natürlich, Queere zu diskriminieren und zu verfolgen.

Das fällt; den Tech-Lords sei Dank; überall in Europa auf fruchtbaren Boden.

Transphobie, Homophobie, Antisemitismus und Xenophobie werden unter deutschen Jugendlichen immer beliebter. Mit freundlicher Unterstützung der rechtsextremen AfD-Sudeltruppe, aber auch hetzender Koalitionspolitiker – Merz, Reiche, Weimer, Klöckner – sammelt die (ehemalige NPD) „Heimat“ die widerlichsten Teens ein und hetzt sie auf Homos.

[….] Dirk-Martin Christian, Präsident Verfassungsschutz Sachsen:

"Wir beobachten auch, dass es einen substanziellen Aufwuchs gibt in der rechtsextremistischen Szene, dass immer mehr junge Leute sich diesen Gruppierungen anschließen. Wenn ich von jungen Leuten spreche, dann meine ich wirklich junge Leute, teilweise im Alter von deutlich unter 14 Jahren, die sehr selbstbewusst auftreten, die sich auch in der Öffentlichkeit mit ihrem Gesicht zeigen. Und wir erleben vor allen Dingen auch eine Zunahme der Gewaltbereitschaft bei eben diesen jungen Leuten."

Seit vergangenem Jahr sprießen neue rechtsextreme Gruppen wie Pilze aus dem Boden. Um die Hundert haben wir identifiziert.

Ein Treiber sind laut Verfassungsschutz diverse rechtsextreme Störaktionen gegen CSD-Veranstaltungen von Lesben-, Schwulen- und queeren Verbänden ab Sommer 2024.

Ganz Döbeln hasst den CSD. Ganz Döbeln hasst den CSD.

In kurzer Zeit seien Gruppierungen entstanden, die den Schulterschluss mit " (…) größeren Akteuren der rechtsextremistischen Szene – etwa der Partei "Die Heimat" und deren Jugendorganisation JN – suchen."

Das zeigt sich auch am 1. Mai in Gelsenkirchen. Die Gruppe "Jung und Stark" Seit an Seit mit der JN. Claus Cremer, Mitglied im Vorstand der Heimat, räumt sein Ziel offen ein. [….]

(Kontraste, 08.05.2025)


Eigentlich interessiere ich mich schon lange nicht mehr für CSDs, bekomme „die Saison“ nur mit, weil im Nachbarhaus dann immer Regenbogenflaggen im Fenster hängen. Aber CSDs werden nicht, wie ich einst dachte, mangels Notwendigkeit abgesagt. Weil es niemanden mehr interessiert, wer was im Schlafzimmer tut.

Nein, das Gegenteil ist der Fall. CSDs werden abgesagt, weil die Nazis auf den Straßen so mächtig sind, daß der Merz-Staat die Sicherheit queeren Menschen nicht garantieren kann. (Oder will?) Nazis sind, wie einst Kreuznet, besessen von Homosexualität, können ihre ewiges Faszinosum Analverkehr einfach nicht aus dem Kopf bekommen.

[….] Der Christopher Street Day am Samstag in Gelsenkirchen ist kurz vor dem geplanten Start wegen einer "abstrakten Bedrohungslage" abgesagt worden. [….] Veranstaltet wurde der CSD Gelsenkirchen in diesem Jahr zum ersten Mal vom queeren Jugendzentrum "Together".

"Eine Stunde vor Beginn der Demonstration erreichte uns ein Anruf von der Polizei, dass es eine unkonkrete Anschlagswarnung gäbe", berichtete ein Sprecher gegenüber der Tageszeitung "WAZ". "Die Warnung war für einen CSD in Nordrhein-Westfalen, aber nicht konkret, für welchen Punkt."

"Eure Sicherheit steht über Allem", schrieben die Organisator*innen auf Instagram. "Gerade heute, wo wir den internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter*- und Trans*feindlichkeit mit Euch gemeinsam begehen wollten, trifft uns das in besonderem Maße." Die CSD-Besucher*innen wurden stattdessen ins Jugendzentrum eingeladen. Laut Polizei waren bis zu 600 Teilnehmende für die Demonstration angemeldet. [….] Aufgrund der Gefährdungslage wurde auch eine angemeldete Demonstration zum IDAHOBIT in Mönchengladbach in eine stationäre Kundgebung umgewandelt. "Die Polizei hatte im Vorfeld Kenntnis von verdächtigen Äußerungen in Sozialen Medien erhalten, die sich allgemein gegen die Teilnehmenden der landesweit stattfindenden Kundgebungen richteten", teilte die Polizei Mönchengladbach mit. Aus diesem Grund wurden die Hindenburgstraße und der Bereich um den Sonnenhausplatz abgesperrt. [….]

(Queer.de, 17.05.2025)

Wir gehen in die ganz falsche Richtung. Inzwischen gibt es breite Landstriche in Deutschland, die mehrheitlich für queerfeindliche Gewalt propagierende Nazis votieren.