Ich wuchs bei meiner Mutter und meiner Oma auf; da waren starke selbstständige Frauenbilder ohnehin vorgegeben. Meine Freunde waren Mädchen und Jungs; mir lag es immer fern jemanden aufgrund des Geschlechts weniger zuzutrauen.
As ich erwachsen wurde geriet ich durch das naturwissenschaftliche Studium in eine Männerwelt. Alle Chemie- und Physikprofessoren waren Männer. Bei den Chemie-Studenten lag der Frauenanteil bei geschätzten 10%, bei Physik kann ich mich an überhaupt keine weiblichen Studenten erinnern. Dafür waren es bei den Medizinern schon die Hälfte.
Aber es gab einige Doktorandinnen und so nahm ich an, die testosteronige Nerd-Welt der Naturwissenschaften würde kontinuierlich auch weiblicher.
Ich erinnere mich nicht an bewußte Diskriminierungen von Frauen; es gab lediglich das hartnäckige Gerücht, Frauen kämen an eine gewissen Grenze bei der Syntheseplanung in organischer Chemie, wenn es um komplexe Stereochemie ginge, da dafür ein ausgezeichnetes räumliches Vorstellungsvermögen notwendig ist.
Ob das stimmt, habe ich nie herausgefunden. Aber aus Erfahrung weiß ich, daß die Fähigkeit sich sehr große chirale Moleküle so gut vorzustellen, daß man sie als L- oder D-Form identifizieren kann, offensichtlich angeboren ist und nichts mit der Intelligenz zu tun hat.
Das ist so wie mit angeborener Rot-Grün-Verwechslung. Egal wie sehr man sich bemüht, egal wie schlau man ist, gewisse Farbnuancen kann man nicht unterschieden.
Aber richtig ersnt nahm eigentlich niemand das Klischee von den Frauen, die nicht räumlich denken können.
Es ist eigentlich eher so wie mit dem Klischee vomNicht-Einparken können.
Das hat vor allem damit zu tun, daß Väter und Brüder a posteriori Frauen nicht zutrauen das zu können und das Bild so verbreitet ist, daß einige Frauen es selbst glauben und sich anders als männliche Fahranfänger, die nicht einparken können, gar nicht erst die Mühe machen es zu lernen.
Echte Misogynie aber, prinzipielle Schlechterstellung von Frauen hielt ich aber als Student für ein Relikt. Eine archaische Form der Diskriminierung, die natürlich in einigen konservativen Kreisen – der CSU, der Kirche, Burschenschaften – weiterlebte, aber sicherlich irgendwann ihr Ende fände.
1992 wurde Maria Jepsen in Hamburg die weltweit erste evangelische Bischöfin. Da war was los, als sie den notorisch selbstverliebten Michel-Pastor Helge Adolphsen bei der Bischofswahl schlug.
Die konservativen Christen drehten durch und beschworen das Ende des Abendlandes. Damals studierte ich noch und konnte nur staunen, daß eine Frau auf dem Bischofsstuhl weltweit so eine Sensation war.
Als Atheist freuten mich zwar alle kirchlichen Schwierigkeiten, aber ich saß etwas zwischen den Stühlen, weil Bischöfin Jepsen zu den ganz wenigen Karriere-Theologen gehört, die ich tatsächlich sympathisch finde.
Ihrer Kirche wünsche ich bis heute den Untergang, aber ihr persönlich gönnte ich den Erfolg.
In den folgenden Jahren gab es eine türkische und eine Pakistanische Regierungschefin, US-Außenministerinnen und schließlich sogar eine Kanzlerin und Verteidigungsministerin.
Langsam aber sicher sollte sich also die Frauendiskriminierung von selbst erledigen.
Erstaunlicherweise nehme ich aber seit einigen Jahren ein Rollback wahr, das offenbar mit der nivellierenden Wirkung der Social Media einherging.
Im Sommer 2019 erschien Anja Rützels legendärer Artikel „Arschmagneten“
im gedruckten SPIEGEL und belegte aus der Sicht einer Profi-Trash-Guckerin, was
ich als Facebook- und Instagram-Geront auch schon empfunden hatte:
Die Jungs von heute sind wieder Machos, Jäger und Anführer, während sich die
Mädchen wieder bestimmt und beschützt werden möchten.
[…..] Arschmagneten
Shows wie "Dschungelcamp" und "Bachelor" galten lange als Parallelwelt für schräge Vögel. Doch in der aktuellen Saison liefern die Formate sexistische Entgleisungen. […..] Das Trash-TV-Jahr, das traditionell mit dem Dschungelcamp im Januar startet, hat gerade seinen Höhepunkt erreicht: Neue Staffeln von "Die Bachelorette", "Das Sommerhaus der Stars", "Promi Big Brother" und "Paradise Hotel" sind kürzlich angelaufen, bald startet auch "Bachelor in Paradise", der ressourcenbewusste Grabbeltisch mit Personal aus vergangenen Formaten. Lange waren solche Formate ein Reservat für Normabweichler und schutzbedürftige Schrägvögel. Eine Parallelwelt, in der es auch strauchelnde Charaktere wie der ewig abgelehnte "Deutschland sucht den Superstar"-Kandidat Menderes immerhin zu katzengoldenen Trosttiteln wie den Dschungelkönig-Würden bringen konnten. Heute allerdings zeigt sich dieses Genre reaktionärer denn je. Als hätte es sich vorgenommen, alle möglichen Varianten davon durchzuspielen, wie Männer ganz selbstverständlich über Frauen verfügen. […..] Ständig wird neues Menschenmaterial nachgeschossen. Die männlichen Kandidaten sind testosterondampfende Schnellkochtöpfe, so etwa stellt man sich die Abschlussklasse der sonderbaren Alpha-Akademie vor, die der Rapper Kollegah betreibt: Sie bezeichnen sich, ohne lachen zu müssen, als "Wölfe" oder "Adler" und verkünden, sie müssten "jagen" und "beißen", Frauen natürlich, beziehungsweise: "Beute". "Hey, wo ist Linda, die Fotze?", fragt Mario, der "crazy Surferboy mit Gute-Laune-Potenzial" (RTL), und die anderen lachen, denn Linda hat sich das schließlich selbst zuzuschreiben: Sie hatte den anderen Frauen geraten, mit Rücksicht auf eine spätere bürgerliche Berufswahl eventuell nicht unbedingt vor der Kamera Sex zu haben, und so die Männer gegen sich aufgebracht. […..] Eine Grenze, die bei "Paradise Hotel" schon in der Anfangsfolge überschritten wird: Aaron und Jacqueline steigen ins ihnen zugewiesene gemeinsame Bett, schnell wird klar: Sie hat zwar den ganzen Abend mit ihm geflirtet, will aber keinen Sex. Sie sagt "Nein", er fragt "Wieso?" und rückt noch näher ran, sie sagt noch mal "Nein", dann noch mal und noch mal, und er sagt: "Ich schwör, ich geb gleich auf, aber dann hast du keine Chance mehr" (und gibt natürlich nicht auf). Dieses ständige Bedrängen, Betatschen und -quatschen nennt Aaron in ekligstem Pick-up-Artist-Sprech: "Ich habe versucht, sie zu knacken." Und wertet Jacqueline am nächsten Tag vor den anderen als "nicht fuckable", nicht fickbar also, ab. […..] Denn so passiere es eben mal, dass einem Mann die Hand Richtung Frauenhintern ausrutsche, weil das Gesäß allzu keck hervorgereckt würde. So geschehen im "Sommerhaus der Stars", wo Kandidat Quentin – dessen Prominenzberechtigung hier zu umständlich zu erklären wäre – sich in der Schmierenrolle des Dirty Old Man suhlt. "Hat er dich auch angetatscht?" – "Ja, dich auch?" – "Mich auch", tauschen die Bewohnerinnen in der Küche ihre Grabscherfahrungen mit ihm aus, der sich schlicht damit entschuldigt, seine Hände seien ein "Arschmagnet": "Ich mache das, weil ich das mag. Jede Frau hat so einen schönen Körper, ich möchte es anfassen." […..]
Ich staunte.
Als ich vor 30 Jahren in dem Alter der von Rützel Portraitierten war, hätte sich Frau so ein Verhalten nicht bieten lassen.
Was ist geschehen? Wieso entwickeln sich diese Z-Promis zurück in die 1950er Jahre?
Offensichtlich kommt diese Entwicklung nicht aus dem luftleeren Raum, sondern durch all die weiblichen Vorbilder aus der schönen Internet-Glitzerwelt, die sich lieber auf Schminke und Brust-Vergrößerungen verlassen, um „etwas zu erreichen“.
Das Marketing mit dem Kleinkinder in ihre rosa und hellblauen Rollen gedrückt werden, wird ebenfalls exzessiver.
Solche Extra-Drei-Clips sind sehr amüsant, aber auf den zweiten Blick umso deprimierender.
Ich habe als kleiner Junge gern gehäkelt und 40 Jahre später werden die Mauern zwischen den Geschlechtern wieder hochgezogen.
Frauen zurück in die Küche, zuständig für Sex und gutes Aussehen, während die Männer arbeiten und die Entscheidungen treffen; das ist nicht nur das neue alte Frauenbild frustrierter INCELS, die keine Frau mehr abbekommen haben, weil die alle Emanzen, Karrieristinnen oder Lesben sind.
Erschreckenderweise sind es gerade junge Frauen selbst, die so denken.
Meine TV-Zeitschrift spuckt heute aus, die neue RTL-Bachelorette Melissa, eine Haar-und Make-up-Stylistin, erklärt „Zudem soll ihr Traummann nicht auf den Kopf gefallen sein: "Ich bin sehr wissbegierig, daher wäre ein pfiffiger, smarter Mann ganz toll".
Selbst die Nase in ein Buch zu stecken, kommt ihr gar nicht in den Sinn. Der Mann soll ihr ihre Fragen erklären.
Das ist bedauerlicherweise kein Einzelfall. Das belegen Auswertungen von Partnervermittlungsagenturen.
[….] Partnervorlieben bleiben weltweit erstaunlich stabil: Frauen wünschen sich ältere Männer von hohem Status und Männer sehnen sich nach jüngeren Frauen von besonderer Schönheit. […..] Mit Aschenputtel ist im Grunde genommen alles gesagt. Da ist die wunderschöne junge Frau, gesegnet mit reinem Wesen, drangsaliert von der Stiefmutter und den fiesen Stiefschwestern, erträgt sie aufrecht ihr Schicksal. Dann ist da der Königssohn, ein Prinz, zukünftiger Herrscher über reiche Ländereien, gütig, gerecht, finanziell unabhängig. […..] Die wunderschöne junge Frau und der reiche Prinz stellen Traumpartner-Prototypen dar, seit jeher. Die bisher in der Forschung vorliegenden Daten dazu sind zwar jüngeren Datums als das Märchen von Aschenputtel, aber "dennoch Jahrzehnte alt", wie ein internationales Team von mehr als 100 Forschern um Kathryn Walter von der University of California, Santa Barbara, und David Buss von der University of Texas, Austin, im Fachjournal Psychological Science schreibt. Mit ihrer aktuellen Arbeit frischen die Wissenschaftler aber nun den Erkenntnisstand auf: Für ihre Studie haben sie in 45 Ländern knapp 15000 Teilnehmer um Auskunft darüber gebeten, über welche Attribute ein idealer Partner verfügen müsse. […..] Die Geschlechtsunterschiede in den Präferenzen blieben demnach quer durch alle Länder robust, wie die Forscher berichten. Männer sehnen sich also weltweit stärker nach schönen Partnerinnen, die jünger sind als sie selbst; und Frauen richten ihre Sehnsucht stärker auf Partner, die älter sind als sie und darüber hinaus mit guten finanziellen Aussichten gesegnet sind. Die einen suchen Jugend und Schönheit, die anderen Status und Wohlstand. [….]