Dienstag, 12. November 2013

Sport und Spaß.



Guckt man sich die Eröffnungsfeier einer Olympiade an, fragt man sich beim Einmarsch der Nationen manchmal, ob zu den Gruppen überhaupt aktive Sportler gehören, weil in der ersten Reihe stets pyknische Funktionärs-Geronten grinsen.
Sportfunktionär ist ein schöner Beruf.
Man muß sich nicht selbst anstrengen, wird fürstlich bezahlt und muß dafür nur im Hintergrund ein paar Strippen ziehen. Das beschränkt sich in der Regel darauf einen Verteilungsschlüssel zu ersinnen, wie die üppig fließenden Vermarktungs-Millionen auf die alten Anzugträger verteilt werden.
Allein die ARD gibt 2013 mehr als 360 Millionen Euro für Sportrechte aus. Und dieses ist ein billiges Jahr ohne Olympiade und Fußball-WM.
Die Herren von IOC, Fifa und Co können also aus dem Vollen schöpfen. Vermutlich können sich überhaupt nur noch sehr reiche, totalitäre Staaten wie Katar oder Russland die Bestechungsgelder für den Zuschlag für eine Fußball-WM oder eine Olympiade leisten.
Mega-Events wie Olympische Spiele sind längst so aufwändig geworden, daß sie keineswegs einen garantierten Geldsegen für das Veranstalterland bedeuten.
Auch der Image-Gewinn ist schlecht planbar, da man „die Stimmung“ nicht künstlich generieren kann.
Einige Olympiaden der letzten beiden Dekaden waren zweifellos tatsächlich in dem Sinne erfolgreich, daß sie eine grandiose Werbung für die Gastgeberstadt und Nation waren.
Noch heute schwärmen Sportler und Besucher von Barcelona 92, Sydney 2000, Vancouver 2010 oder Lillehammer 1994.
Die Bevölkerung spielte mit; die Veranstaltungen waren alle ausverkauft und auch noch der Letztplatzierte eines Wettbewerbs aus einer Nation vom anderen Ende der Welt wurde frenetisch bejubelt.
Atlanta 96, Athen 2004 und Albertville 92 erreichten eher das Gegenteil. Eine unfreundliche, desinteressierte Bevölkerung, die nur die eigenen Athleten beklatschte, machten die Spiele für die Teilnehmer außerordentlich missvergnüglich.
Auch perfekte Organisation, zu der wirklich nicht jede Nation in der Lage ist, garantiert keinen Erfolg.
Ja, Peking 2008 und Nagano 1998 funktionierten nach Drehbuch. Aber mehr auch nicht. Niemand ist deswegen ein Fan der beiden Städte geworden.
Einige Olympiaden schaffen es sogar überhaupt keinen Eindruck zu hinterlassen. Oder kann sich irgendwer noch an Turin 2006 erinnern?
Der logistische und sicherheitstechnische Aufwand verleidet jedem Planer die Laune.

Es erinnert an die Weltwirtschaftstreffen, die einst von Helmut Schmidt erfunden in kleinster Runde in einem Gasthaus stattfanden. Die Idee war, daß Regierungschefs die Gelegenheit bekommen sollten in Ruhe zusammenzusitzen, um längerfristige Pläne zu schmieden.

Heute sind G20-Treffen ein logistischer Alptraum. Allein die amerikanische Delegation ist weit über 1000 Personen groß und zudem müssen Myriaden Protestler niedergeknüppelt werden. Spaß ist anders.
Inzwischen wird überlegt solche Treffen auf einem Flugzeugträger auf hoher See stattfinden zu lassen.
Dort wäre man für Demonstranten nicht erreichbar und würde auch keine Stadt lahmlegen müssen. Die Kosten würden drastisch sinken; die Sicherheit übernähme automatisch das Marine.

Ich stelle mir vor, daß man auf diese Weise auch Leichtathletik-WMs oder Olympiaden durchführen könnte.
Man müßte nur einmal ein richtig großes Schiff bauen, das einem Flugzeugträger ähnlich über eine große Fläche an Deck verfügte, so daß dort Tartanbahnen oder Weitwurfanlagen aufgebaut werden könnten.
Außer den Sportlern wären nur die Dopinglieferanten (vulgo Ärzte) und ein paar Schiedsrichter notwendig.
Man wäre sogar wetterunabhängig, weil sich das Schiff dorthin bewegen könnte, wo es gerade sonnig und windstill ist.
Die Zuschauer würden abgeschafft und könnten stattdessen alles aus dem heimischen TV-Sessel verfolgen.
Die Sportrechtemillionen würden kontinuierlich fließen, weil man auf dem Schiff ein Megasportevent nach dem Nächsten abhalten könnte.

Eine Fußball-WM oder Sommerolympiade in einer normalen Stadt wie zuletzt London durchzuführen, dürfte schwieriger werden, weil sich die Gegner dieses Wahnsinns zunehmend Gehör verschaffen.

Im Frühjahr sagten die Schweizer Nein Danke.

Das Projekt zur Durchführung der XXIV. Olympischen Winterspiele 2022 im Kanton Graubünden muss zurückgezogen werden. Mit 52,7 Prozent Ja-Stimmen und einer Beteiligung von über 59 Prozent haben die Stimmenden des Bergkantons eine Kandidatur bachab geschickt.

Die Bayern gaben den Funktionären letzten Sonntag ein vierfaches NEIN.
Bevor jemand schon sein Scheckbuch zückt, weil er aus Sorge um die darbenden IOC-Funktionäre eine Spende nach Lausanne schicken möchte, sollte ich darauf hinweisen, daß die IOC-Mitglieder noch einen winzig kleinen Notgroschen von 1,1 Milliarden Euro gebunkert haben.

Nervös werden die Inkarnationen der Korruption um die Herren Blatter und Bach aber dennoch.
Nun plötzlich merken sie, daß ihre offensichtliche Geldgier und Bestechlichkeit, die sich unter anderem in den Entscheidungen für Katar (dort sterben derzeit versklavte Arbeiter auf den Baustellen) und Sotchi (dort macht man jetzt schon mal Jagd auf die Schwulen) zeigte, ihr Image gründlich ruiniert haben.
Schon in China 2008 reagierte das IOC mit einem Maulkorberlass für die Sportler, die es wagen würden Zensur und Menschenrechtsverletzungen in Peking anzusprechen.

Die Quittung kommt 2013 aus Deutschland und der Schweiz: Mit solchen Funktionären will man sich nicht mehr ins Bett legen.

Diese Sorte „unangenehmer Mensch“ findet sich offenbar auf allen Sportfunktionärsebenen. Franz Beckenbauer trat nach, indem er nach der erlittenen Abstimmungsniederlage "Das wird ihnen irgendwann leid tun!" giftete.

Gerd Heinze, der Präsident der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft DESG, hat mit drastischen Worten seinen Unmut über das klare Nein der Bürger zu Olympia 2022 zum Ausdruck gebracht. „Auf Deutsch gesagt: Die Bayern haben keinen Arsch in der Lederhose“, sagte Heinze am Montag der Nachrichtenagentur dpa. „Sie sind nicht bereit, das geringste Risiko einzugehen, um Dinge nach vorn zu bringen, die für ganz Deutschland so wichtig wären“, beklagte Heinze.

Heinze weiß wie man sich beim Volk beliebt macht. Die Bayern als Feiglinge zu beschimpfen und darin die Ursache der Ablehnung zu diagnostizieren, ist schon eine bemerkenswerte Tatsachenblindheit.
Die Herren Multimillionäre* sind pissed.

Die Absage der Bürger an eine Bewerbung Münchens war ja weniger gegen das Konzept selbst gerichtet. Sie sollte vor allem ans IOC gehen, für Intransparenz, "Knebelverträge", wie es die Gegner nannten, und Kosten, auf denen die Ausrichter sitzenbleiben. Vor allem zeige die Entscheidung das "Misstrauen" gegenüber dem IOC, sagte denn auch der Schweizer Gian-Franco Kasper, Präsident des Internationalen Skiverbandes und IOC-Vizepräsident.
Noch deutlicher wurde Manfred von Richthofen, DOSB-Ehrenpräsident und als ehemaliger Präsident des Deutschen Sportbundes Vorgänger von Bach: "Das IOC hat keinen guten Ruf. Olympische Spiele haben einen unangenehmen Beigeschmack bekommen. Bach hat einen riesigen Sack von Problemen in Bezug auf Sauberkeit, Doping, Bestechlichkeit, Transparenz. Lösungen sind notwendig."

Politiker quer durch alle Parteien stehen nun verstört da und können nicht begreifen, daß ihr bisheriges Verhalten nicht mehr funktioniert; nämlich dem Volk Brot und Spiele zu bieten, so daß sie sich selbst hervorragend inszenieren können, ohne ihre eigentliche Arbeit zu tun – nämlich die soziale, ökologische und ökonomische Zukunftssicherung.
Hier erlebt man die geistige Entkoppelung von Politfunktionären und Volk.

[…] Die Politik, der treueste Bündnispartner der Sportverbände, ist schlicht schockiert darüber, dass ihr jetzt ein wesentliches Instrument für landesweites Entertainment und nationale Identitätsstiftung wegzubrechen droht. Die Verstörung über ein eindeutiges Bürgervotum ist bezeichnend - im Sport selbst herrscht nun anhaltendes Entsetzen.
Denn das Nein zu München richtete sich ausdrücklich nicht gegen den Sport oder Olympia generell, wie die Gegner vor und nach der Abstimmung darlegten. Sondern im Kern gegen das IOC und die Art, wie der globale Spitzensport heute geführt und vermarktet wird. Ein Spitzensport, der just vor zwei Monaten einen neuen Präsidenten gekürt hat. Der kommt aus Deutschland, heißt Thomas Bach und hat den nationalen Sport über die letzten 15 Jahre dominiert, von 2006 an war er Chef des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB). Wenig Vorzeigbares oder Sinnstiftendes ist aus diesen Jahren überliefert. [….] Das Glaubwürdigkeitsdefizit reicht tief in die nationale Sportpolitik hinein. Das dürfte zur größten Hypothek für den organisierten Sport aus dem München-Desaster werden. Unter dem Wirtschaftsberater Bach war die DOSB-Politik stark auf Lobbyismus ausgerichtet; in Michael Vesper gelangte ein Generaldirektor an die Verbandsspitze, dem wenig Fachkenntnis, aber rustikales Durchsetzungsvermögen auf der politischen Bühne nachgesagt wurde. Wie in der großen Sportpolitik üblich, wurden wichtige Prozesse auch hierzulande gern im Hinterzimmer verhandelt.
[….]   Der groteske Höhepunkt dieser Führungskultur war im August 2012 zu erleben, als während der Londoner Sommerspiele das Innenministerium von Journalisten per Gerichtsurteil gezwungen wurde, die Medaillen-Zielvereinbarungen mit dem DOSB offenzulegen.

Wie ich der Hamburger Lokalpresse von heute entnehme, rotten sich die hiesigen Sportfunktionäre nun wieder zusammen, um eine erneute Olympiakandidatur der Hansestadt vorzubereiten.
Wäre München nämlich zum Zug gekommen, hätten Sommerspiele im selben  Land kurz darauf keine Chance gehabt.
2024 ist laut IOC zwar erst einmal wieder Amerika gesetzt, aber 2028 stünde nach Südamerika (Rio 2016), Asien (Tokio 2020) und Nordamerika (2024) im Funktionärsgeklüngel wieder einmal Europa auf dem Plan.
Wie blamabel die Hamburger Kandidatur für 2012 unter dem passionierten Missorganisator Ole von Beust (debakulierte auch bei Elbphilharmonie, Hafencity, Domplatzbebauung, Europapassage, Schulreform, etc..) gescheitert war, ist schon wieder vergessen.
Ich freue mich schon auf den Volksentscheid im gnadenlos durcheventisierten Hamburg über ein zusätzliches Milliardenschweres Megaevent.
Unterdessen ist es aber auch amüsant zu beobachten, wie sie die Olympia-Bewegten nach den Bayerischen Entscheiden zerlegen.
Das vierfache Nein zu Olympia hat in den Kreisen der Befürworter zu Dissonanzen und gegenseitigen Schuldzuweisungen geführt. Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) lehnte eine Übernahme der politischen Alleinschuld für das Scheitern der Bewerbung ab und nahm explizit die bayerische Staatsregierung mit ins Boot - was sich die Staatskanzlei umgehend verbat. Es habe sich um kommunale Bürgerentscheide gehandelt, hieß es.
Als ungünstig wurde auch die Wahl des Termins im November bezeichnet - eine Kritik, die am Montag auch aus der Opposition im Münchner Rathaus kam. CSU und FDP warfen Ude vor, durch eine ungünstige Terminwahl sowohl eine ausführliche Olympia-Debatte als auch eine hohe Wahlbeteiligung verhindert zu haben. Sämtliche Olympia-Befürworter gehen nach wie vor davon aus, dass es in der Bevölkerung eigentlich eine Mehrheit für Winterspiele gibt.
[…]   "Ich nehme zur Kenntnis, dass ich plötzlich der einzige Olympia-Befürworter bin", sagte Ude ironisch auf Vorwürfe, er habe den Kontakt zum Bürger verloren. Tatsächlich hätten Stadt, Freistaat, Sportverbände und die Partner im Oberland die Bewerbung gemeinsam vorangetrieben. Kritik am Termin des Bürgerentscheids bezeichnete der SPD-Politiker als "schlichtweg lächerlich". Das Datum sei von allen Beteiligten beschlossen worden.


*Von Karl-Heinz Rummenigge erfuhr man dieser Tage, daß sein Grundgehalt als Sportdirektor beim FC Bayern 56.000 Euro IM MONAT beträgt. Und das sind Peanuts gegen die sonstigen Einnahmen durch Werbung.
Beckenbauer dürfte noch deutlich mehr verdienen.