Donnerstag, 30. Juni 2022

Die Zeit spielt für Putin.

Die russische Armee kommt  - langsam, aber stetig – voran. Die Material-Übermacht der östlichen Seite kann offenbar nicht vom Westen kompensiert werden.

[…] Lyssytschansk ist das nächste wichtige Ziel der russischen Truppen, nachdem sie die Nachbarstadt Sjewjerodonezk nach wochenlangen Gefechten am Wochenende gänzlich eingenommen hatten. Die Region Luhansk, eine der beiden Teilregionen des Donbass, steht damit nahezu vollständig unter russischer Kontrolle. Sollten die russischen Truppen auch Lyssytschansk einnehmen, könnten sie anschließend Kramatorsk und Slowjansk in der zweiten Donbass-Teilregion Donezk ins Visier nehmen. Slowjansk ist ebenfalls bereits Ziel heftiger russischer Luftangriffe. […]

(Merkur, 30.06.2022)

Mutmaßlich hatte sich Putin erhofft, inzwischen längst die gesamte Ukraine zu kontrollieren und viel weniger Verluste gemacht zu haben. Aber da die Kämpfe ausschließlich auf Ukrainischem Gebiet toben, werden keine russischen Zivilisten massakriert, keine russischen Städte zerstört.

Die Kreml-Propaganda kann nun richtig wirken. In der Ukraine leben mehr als acht Millionen Russen, fast 20% der Gesamtbevölkerung. Fast alle Ukrainer sprechen russisch oder Surschyk, die weit verbreitete mündliche Mischform von Ukrainisch und Russisch. Die massive Unterdrückung der Russen durch die Ukrainische Regierung war bisher weitgehend eine Propaganda-Lüge des Kremls, aber Selenskyj tut Putin nun den Gefallen, diese Vorwürfe wahr zu machen.

Russische Sprache wird verboten, russische Literatur verschwindet aus dem Unterricht. Sogar russische Musik wird verbannt. Alles Russische wird demoliert.

[…] Allein in Kiew sollen, so Klitschko, 60 weitere Gedenkstätten, die an Russland und die Sowjetunion erinnern, verschwinden, viele weitere an anderen Orten in der Ukraine. "Wir müssen den Feind und den russischen Besatzer aus unserem Land vertreiben."  Viele ukrainische Gemeinden sind außerdem dabei, Straßen umzubenennen, die an Russland erinnern. In Dnipro wird die Straße der 30. Irkutsk-Division ab sofort Straße der ukrainischen Soldaten heißen. In Kiew sollen 60 Straßen umbenannt werden, darunter auch der Leo-Tolstoi-Platz und die gleichnamige U-Bahn-Station. Im Dorf Fontanka […] entschieden sich die Verantwortlichen […] die Wladimir-Majakowski-Straße in Boris-Johnson-Straße umzubenennen. […]

(SZ, 28.04.2022)

Keine Frage, die dahinter stehende Motive, die ukrainische Wut auf „die Russen“ ist verständlich. Aber solche Aktionen sind dennoch eine große Hilfe für Putin, weil die Millionen russisch-stämmigen Ukrainer, die bisher keinerlei Sympathie für den Kreml-Herrscher verspürten und den Krieg klar verurteilten, in eine unmögliche Lage gebracht werden. Viele sprechen gar kein Ukrainisch und haben ein völlig normales, friedliches Leben als Krankenschwester, Taxifahrer, Chemiker, Lehrerin oder Polizist geführt. Ohne je mit Ukrainern in Konflikt zu geraten.  Und nun dürfen sie nicht mehr die russischen Schriftsteller Lermontow oder Puschkin lesen.

[…] Tatjana Uschik beispielsweise, 61, die einst in der Werbung und der Architektur arbeitete und in einem der schwer bombardierten Hochhausviertel lebt, hat eine wahre Entfreundungswelle auf Facebook erlebt, einige Nachbarn und Bekannte reden nicht mehr mit ihr. "Aber was soll ich tun? Meine Tochter lebt mit ihrer Familie in Sankt Petersburg, ich bin am Baikalsee aufgewachsen und habe 21 Jahre lang in Russland gelebt", sagt sie: "Russland ist der Aggressor, keine Frage, aber ich kann Russland nicht hassen."  Dabei hat sie diesen Aggressor selbst erlebt - und auch, wie man sich in Russland selbst belügt. Nach Kriegsbeginn beglückwünschten sie russische Freunde in den sozialen Medien: Ihre Befreiung von den Faschisten in Kiew sei nur noch eine Frage der Zeit, schrieben sie. "Welche Befreiung?, habe ich geantwortet: Über uns kreisen die Kampfflugzeuge, wir werden angegriffen!"   Mindestens ebenso verzweifelt aber ist sie angesichts der fortschreitenden Ausbreitung der ukrainischen Sprache zulasten des im Osten lange dominanten Russischen - in Schulen und Hochschulen, Theatern und Filmen, Ämtern und Medien. "Man kann ja nicht mal darüber reden, ob es gut ist, Russisch in Schulen zu verbieten, denn es ist die Sprache des Feindes." Tatjana Uschik spricht kein Ukrainisch, nur Russisch. Für Moskauer Propaganda, für Fake News und Manipulation aus dem Kreml ist sie die ideale Zielgruppe. Ob sie sich Russland enger verbunden fühlt oder dem Westen der Ukraine? Sie zögert nicht: "Natürlich Russland. Ich war nie in Lwiw." […]

(Sonia Zekri, 24.06.2022)

Trotz der Durchhalte-Appelle und der demonstrativen Zuversicht der westlichen Mächtigen auf der Elmau und in Madrid, wird die Bevölkerung zunehmend kriegsmüde.

Die konservativen Medienleute und CDU-Politiker, die Links-AfD-Querfront sowieso, wenden sich gegen die Ampel-Regierung, verspotten die Aufrufe zum Energiesparen. Lindner will keine E-Autos, Wissing blockiert den Ausbau des ÖPNV, rechte Blogs und CDUler hetzen gegen Habeck, machen ihn für die Energiekrise verantwortlich.

Heizung runterdrehen und kürzer zu duschen als unzumutbare Anmaßungen der bösen Linksgrünversifften – ohne auch nur zu erwähnen, daß Putin womöglich auch etwas damit zu tun haben könnte.

Dabei haben wir Hochsommer. Wie kritisch werden Teile des Volkes erst das Energie-Embargo gegen Russland sehen, wenn Benzin vier Euro pro Liter kostet und sie tatsächlich frieren müssen?

Deutschlands Wirtschaft kann – Danke an CDU- und FDP-Wirtschaftsminister unter Angela Merkel – nicht ohne Gas. Und Putin hat Gas. Noch dazu Gas, das sehr viel näher liegt und sehr viel weniger umweltschädlich produziert wird, als die Alternativen.

Die Rufe werden kommen, die Sanktionen gegen Putin zu lockern.

Vermutlich noch dramatischer ist die russische Hand am weltweiten Weizenhandel. Wie wollen wir, „der Westen“, eigentlich Sanktionen gegen Russlands Exporte rechtfertigen, wenn deswegen Millionen Menschen verhungern, während die EU satt und zufrieden auf genügend Weizen-Reserven sitzt, die aber weit überwiegend als Tierfutter und zur Gewinnung von Treibstoff eingesetzt werden?

780 Millionen Tonnen Weizen wurden 2021 weltweit geerntet. Das war schon zu wenig, etwa 20.000 Menschen verhungern jeden Tag. 2022 werden mutmaßlich um die 740 Millionen Tonnen eingefahren.  Aber die Groß-Produzenten USA und Australien liegen weit weg. Ihr Weizen verursacht so viel Transportkosten, daß sich die armen Nord- und Ostafrikanischen Staaten das Korn nicht leisten können. Dadurch werden die russischen und ukrainischen Ernten noch überlebenswichtiger. Aber Putin soll nichts verdienen und die mindestens 25 Millionen Tonnen der ukrainischen Weizenernte von 2021 liegen in Silos, hauptsächlich in Odessa, fest und können nicht abtransportiert werden.

[…] Neben den Kampfhandlungen und ihren Folgen sind die durch Russland blockierten Seehäfen ein ebenso großes Problem für die ukrainische Landwirtschaft. Etwa 25 Million Tonnen Ernte­erträge vom letzten Jahr, die schon kurz vorm Export standen, müssen gezwungenermaßen im Land verbleiben. Hinzu kommen weitere 1,5 Millionen Tonnen Getreide in den erst kürzlich besetzten Gebieten. Nach Angaben des ukrainischen Landwirtschaftsministeriums hat Russland rund 400.000 Tonnen dieses Getreides auf sein Staatsgebiet verbracht habe und versuche jetzt, es zu verkaufen. […]

(Anastasia Magasowa, 30.6.2022)

Die Folge ist eine Hungerkatastrophe, für die Scholz, Biden und Selenskyj einmütig und korrekt Putin verantwortlich machen. Aber wer in Tunesien oder Somalia wird das noch artig zur Kenntnis nehmen, wenn die eigenen Kinder verhungern und der russische Präsident treuherzig anbietet, günstig seinen Weizen zu liefern, das aber bedauerlicherweise nicht zu können, so lange G7 und Nato ihn vom Welthandel abschneiden.

[…] Zumindest mag Putin eine bestimmte Strategie verfolgen mit seinem Krieg, der auch ein Weizenkrieg ist, sagt der US-Geschichtsprofessor Scott Nelson von der Universität Georgia, der in seinen Forschungen dem Weg des Weizens gefolgt ist, […] „Putin versteht die Zusammenhänge zwischen Geopolitik und Wirtschaft erstaunlich gut“, sagt Nelson, beim russischen Präsidenten habe man es mit einem Experten zu tun: Putin habe seine Doktorarbeit über Rohstoffe geschrieben. Die Rolle des Weizens in dem Konflikt könne gar nicht überschätzt werden. Putin habe mit der Ukraine 2011 ein Weizenkartell bilden wollen, das die Weltpreise bestimmen sollte. Als der Plan 2012 am Widerstand des ukrainischen Volkes scheiterte, habe Putin sich zum Überfall auf die Ukraine und zur Annexion der Krim entschieden.  Steigen die Weizenpreise, profitiert Russland als drittgrößter Weizenproduzent der Welt direkt davon. Und Odessa ist für Putin attraktiv, weil der Hafen große Schiffe aufnimmt, die den Transport verbilligen. […]

(SZ, Buch Zwei, 24.06.2022)

Putin hat die meisten Trümpfe in der Hand, denn er verfügt über Gas und Weizen und die logistischen Möglichkeiten beides sofort auszuliefern. Kiew kann das nicht und muss seine Millionen Tonnen Weizen verrotten lassen. Ihren einzigen Seehafen Odessa haben die Ukrainer selbst total vermint. Dort wird für lange Zeit kein Kornfrachter mehr anlegen können.

[…] All das sei Teil von Putins Strategie, sagt [Landwirtschaftsminister Cem] Özdemir, […]. „In Syrien wurde Hunger bewusst als Mittel der Destabilisierung eingesetzt, und so ist es auch hier.“  Dahinter stecke eine Doppelstrategie: Einerseits lasse sich so die Ukraine als Konkurrent ausschalten, schließlich investiere keiner in ein Land, in dem jederzeit eine Rakete einschlagen kann. „Und Ländern in Afrika, Asien oder der arabischen Welt signalisiert man: Wir sind da, wir sind bereit zu liefern, wenn der Westen die Sanktionen aufhebt.“ Das solle so wirken, als wären die Ukraine und der Westen schuld. „Eine völlige Umkehrung von Ursache und Wirkung.“ Seine Befürchtung: Russland könnte irgendwann den Krieg für beendet erklären und dann anbieten, für die schrittweise Rücknahme der Sanktionen auch den Weg für das Getreide frei zu machen. „Genau so ein Deal darf nicht passieren“, sagt Özdemir. „Wir dürfen uns nicht erpressbar machen.“  Es ist ähnlich wie beim Gas. Um dem Kreml Druckmittel zu nehmen, braucht es Alternativen, und das schnell. Wenn der Seeweg für das Getreide blockiert ist, bleibt nur der Landweg, doch der ist kompliziert. Ein Containerschiff der sogenannten Panamax-Kategorie - das sind Schiffe, die gerade noch durch den Panamakanal passen – schafft bis zu 70 000 Tonnen Getreide weg. Es bräuchte mehr als 2000 Lastwagen oder 30 voll beladene Güterzüge, um dieselbe Menge auf Straßen oder Schienen zu transportieren. Einer der möglichen Wege führt über Polen an die Ostsee, vom litauischen Klaipėda etwa ließe sich die ukrainische Ernte verschiffen. Der Haken: Die Bahnen in der Ukraine und in Litauen fahren noch auf der sowjetischen, breiteren Gleisspur. Polen dagegen hat die schmalere westeuropäische. Das Getreide müsste also zweimal umgeladen werden, ehe es den Hafen erreicht. […] Bliebe die Donau, die im äußersten Süden die Ukraine berührt. Vom Hafen in Ismajil aus könnten Schiffe stromaufwärts nach Rumänien fahren und dann über einen Kanal hinunter zum Schwarzmeerhafen Constanţa. Doch die Mengen, die bisher die Ukraine auf dem Seeweg verließen, monatlich fünf Millionen Tonnen, sind für diesen Weg zu groß. […] Außerhalb der Halle regnet es, ein Lastwagen setzt durch eine riesige Pfütze zurück und rangiert in die Halle hinein. Cem Özdemir tritt einen Schritt zur Seite. Der Fahrer ist Ukrainer, ein kleiner Mann mit roten Bäckchen. Verlegen lächelt er Özdemir an. Er mache so einen Trip zum ersten Mal, erklärt der Mann dem Minister. Er tue es für sein Land. Özdemir schaut ihn lange an, schweigt, dann bedankt er sich. Der Bundeslandwirtschaftsminister ringt mit den Tränen. Der Krieg mag im Berliner Regierungsviertel weit weg sein, hier, in der Halle mit dem Kartoffelpüree, wird er Realität.[…] 2000 Kilometer weiter südwestlich, in Nordafrika, überlegen deshalb jetzt schon Menschen, ihre Heimat zu verlassen. […]

(SZ, Buch Zwei, 24.06.2022)

Es ist zum verrückt werden: Während jeden Tag Tausende jeminitische, äthiopische, sudanesische und tschader Kinder verhungern, muss die Ukraine aufhören Weizen anzubauen, weil sie ihn nicht loswerden kann.

[…] Das Mykolajiwer Agrarunternehmen trägt den Namen „Goldener Koloss“, Leiterin ist die 42-jährige Nadiia Iwanowa. Es handelt sich um einen Großbetrieb: Auf zusammen 45 Feldern mit einer Fläche von über 4.000 Hektar bauen sie hier jedes Jahr Sonnenblumen, Weizen, Gerste und andere Feldfrüchte an. Jährlich ernten sie im Schnitt 12 bis 14 Tonnen.   Aber nicht in diesem Jahr.  „Der Krieg hat alles kaputtgemacht. Alle Pläne und Träume“, beginnt Iwanowa das Gespräch. Sie sitzt in ihrem Büro am Schreibtisch, zwei ihrer Kollegen sind dazugekommen. Während sie erzählt, wird sie ständig vom Klingeln des Telefons unterbrochen. Das ist wenig erstaunlich, denn in ihren Getreidespeichern lagern noch einige tausend Tonnen der Ernte vom Vorjahr, die dringend weiterverkauft werden müssen, um die Silos frei zu machen. In den nächsten Tagen beginnt die erste Ernte dieses Jahres, die man aber nirgendwohin exportieren kann. Und sie lässt sich auch nicht lagern, denn dafür gibt es nicht genügend Platz in den Silos. […]

(Anastasia Magasowa, 30.6.2022)

Putin kann diesen perversen Zustand lange aushalten, weil er skrupellos ist. Aber wie lange kann der Westen dem Verhungern und dem Elend zugucken?

Mittwoch, 29. Juni 2022

Vom Dreiklang zum Zweiklang

Seit Generationen, spätestens seit Watergate vor genau 50 Jahren, spielen sich die großen Skandale in drei aufeinander folgenden Stufen ab.

1)   Etwas Kriminelles oder zumindest Skandalöses passiert.

2)   Journalisten recherchieren und decken den Fall auf, so daß die Öffentlichkeit informiert ist.

3)   Es werden juristische und/oder politische Konsequenzen gezogen. Der Übeltäter wird abgestraft.

Phase Drei beim Watergate-Skandal wurde nach dem Auftauchen der Tonbänder, auf denen Nixons Untaten dokumentiert waren, eingeläutet. Die ungeheuerlichen Vorgänge rund um den Präsidenten führten zu einer schweren Verfassungskrise und einem massiven Vertrauensverlust der US-Bürger in ihr politisches System. Der Chef der Republikaner im Kongress, Senator Barry Goldwater, marschierte schließlich rüber ins Weiße Haus, um dem republikanischen Präsidenten zu erklären, er werde das Impeachmentverfahren politisch nicht überleben. Nixon versuchte sich bei dem Gespräch zuerst mit demonstrativer Zuversicht und guter Laune zu retten, fragte seinen Parteifreund Goldwater auf wie viele Stimmen er im US-Senat zählen könne.  Goldwater antwortete „sieben bis neun, meine jedenfalls nicht!“.

Damit war es aus. Nixon kam seinem offiziellen Rausschmiss zuvor, trat zurück und rettete den Republikanern durch die Amtsübernahme Gerald Fords die Macht.

Ein halbes Jahrhundert später ist die dritte Phase abgeschafft. Das ist ohnehin schon ein tödlicher Hieb für den amerikanischen Staat und die Gesellschaft. Völlige Verzweiflung breitet sich aber aus, weil Phase Eins inzwischen alles sprengt, das man sich in den vierzig Jahren nach Nixon vorstellen konnte.

Die kriminelle Energie, die Nixon akkumuliert in seiner gesamten Präsidentschaft erreichte, schafft Präsident Trump mühelos an einem Tag. Der Betrüger, Lügner, Rassist, Vergewaltiger, Sadist, Psychopath, Erpresser, schickte einen bewaffneten Mob ins Kapitol, um seinen eigenen Vize zu lynchen, sorgte persönlich dafür, daß die Metalldetektoren deaktiviert wurden, um die automatischen Waffen in den US-Senat zu lassen, wollte sich gar persönlich an die Spitze der Umsturz-Horde setzen und alle US-amerikanischen Institutionen niederreißen. Er ergötzte sich an der Gewalt, war genau informiert, wie seine Capitol Police-Leute niedergerannt und ermordet wurden, weigerte sich über viele Stunden, einzuschreiten.

Bei der gestrigen Sitzung des 1/6-Kommitees, welches die Hintergründe der Erstürmung des US-Kapitols am 06. Januar 2020 untersucht, sagte die eingefleischte Republikanerin und Hardcore-Trumpistin Cassidy Hutchinson aus. Als persönliche Assistentin von Trumps Stabschef Mark Meadows saß sie nur wenige Meter vom Oval Office entfernt, war die Kontaktperson zwischen Regierung und Kongress und damit Ansprechpartnerin jedes Senators und Abgeordneten, der etwas von Trump wollte. Sie war immer anwesend im engsten Zirkel der Macht. Sie rief die Diener, wenn der Fastfood-fressende orange Berserker die Beherrschung verlor und sein Essen gegen die Wände schmiss oder Tischdecken mit allen drauf befindlichen Unterlagen herunter riss.

[…] 1) Hutchinson said she was told that when Trump got back into the presidential limousine, known as the Beast, and was told that he could not join protesters at the Capitol, he lost it. The then-President tried to grab the steering wheel and, when one of his security detail reached to stop him, he grabbed at that man's throat.

2) Trump, in expletive-laden language, urged that people with weapons -- guns, knives and the like -- be let through the magnetometers before his speech to the "Stop the Steal" rally. His goal? Ensure that the photographs and video of the event showed a packed crowd all listening to him. "They're not here to hurt me," Trump reportedly told people.

3) Meadows, when pressed by White House counsel Pat Cipollone, to say something more amid "Hang Mike Pence" chants at the US Capitol responded, according to Hutchinson: "[Trump] thinks Mike deserves it. He doesn't think they are doing anything wrong." [….]

(CNN, 28.06.2022)

Ein US-Präsident, der tobend seinem Fahrer ins Lenkrad greift und versucht die Secret Service-Leute zu würgen, wenn er seinen Willen nicht bekommt.

Es gibt aber eben keine Konsequenzen. Die republikanischen Senatoren und House-Abgeordneten distanzieren sich nicht, Trumps ehemalige Minister schweigen und die hervorragenden Wahlchancen für die Midterms im Herbst werden nicht eingetrübt. Die Spender der GOP spenden weiter und die konservativen Sender senken schon gar nicht die Daumen über ihrem Cult-Leader.

Die wie immer äußerst sehenswerten „panelists“ auf CNN rangen nach den Hutchinson-Enthüllungen wieder einmal nach Worten. „Shocking“, „worse than ever expected“  und „devastating“ wurden inflationär gebraucht. Das habe man sich bis vor einer Stunde nicht vorstellen können. Ein vollkommen „unhinged“ Trump, der das Weißes-Haus-Porzellan und Ketchup-Flaschen gegen die Wand schleudert, sein Personal physisch angreift. Aber nach einer Viertel Stunde  konstatierten sie, das passe eigentlich doch sehr gut ins Bild. Nachdem man das nun gehört habe, gäbe es keinen Grund sich zu wundern. Jeder weiß längst: Trump verfügt über die Impulskontrolle eines debilen Sechsjährigen und ist ein zutiefst bösartiger radikal egomaner Mensch.

[….] Es war genauso schlimm wie befürchtet. Trump hat nicht nur mit zweifelhaften legalen Argumenten versucht, sich an die Macht zu klammern. Er hat auch seine bewaffneten Anhänger zum Kapitol geschickt, um eine friedliche Machtübergabe zu verhindern. Er, der amtierende Präsident, wollte persönlich im Parlamentsgebäude in Washington auftreten, um die Zertifizierung des Siegs seines demokratisch gewählten Nachfolgers zu verhindern.

Trump ging so vor, obwohl ihn seine Rechtsberater gewarnt hatten, das könne wie ein Putsch wirken. Trump war das nicht nur egal - er steuerte geradezu auf diesen Putsch hin. Und er war viel näher daran, sein Ziel zu erreichen, als lange vermutet.

Diese Gewissheit verdankt die Öffentlichkeit dem Mut von Cassidy Hutchinson, damals Assistentin von Trumps Stabschef. Sie hat am Dienstag als Überraschungszeugin vor dem Ausschuss zur Untersuchung des 6. Januar ausgesagt. Hutchinson machte erstmals sichtbar, was sich im inneren Zirkel um den Präsidenten abgespielt hat. Sie zeichnete das Bild eines Wahnwitzigen, der im Zorn seinen Teller voller Ketchup an die Wand schmiss, weil ihm ein Interview seines Justizministers missfiel. Der dem Fahrer im Präsidentenauto ins Lenkrad griff, als sich der Secret Service am 6. Januar weigerte, ihn zum Kapitol zu fahren. […]

(Fabian Fellmann, 29.06.2022)

Allein, die 75 Millionen moralisch völlig verwahrlosten Trump-Wähler stört es nicht. Im Gegenteil, sie finden es mutig und stark, wie er sich durchsetzt.

Sie wollen ihn wieder im Weißen Haus sehen.

Dienstag, 28. Juni 2022

Streisand – Teil III

Für die Bürger auf Sylt scheint das Internet immer noch #Neuland zu sein.

Mit dem 9-Euroticket, welches ausgerechnet ihr Heiratsboy und Porschefan Chris Linder finanzierte, verfielen sie in Panik. Und traten in ihrer akuten Angst einen veritablen Streisand-Effekt los.

Bisher blieben die Kampener immer unter sich – Champagner, Diamanten, Porsches, Rolex, Villen zu einem Quadratmeterpreis von über 30.000 Euro, mindestens achtstelliger Bankkontostand. Diese exklusive Umgebung aus Superreichen sorgte dafür,  daß Di,Mi,Do-Bürgermeister von Beust stets ein Viertage-Wochenende unter den Millionären verbrachte, statt bei der lästigen Arbeit im Hamburger Rathaus zu sitzen. Deswegen setzt sich Lindner mit seinen jungen Gespielinnen nach Sylt ab, wenn es an der politischen Front brenzlig wird.

Nichts fürchten diese Menschen so sehr wie den Kontakt zur Mittelschicht.

Daß bei neun Euro Fahrtkosten sogar Geringverdiener auf die Insel geraten könnten, war einfach zu viel für sie. Proaktives Handeln war gefragt.

(….) Als Barbra Streisand unbeabsichtigt 2003 den nach ihr benannten Effekt inventete, war möglicherweise wirklich noch nicht jedem digital immigrant klar wie der Schwarm des Internets funktioniert.  Mrs. Streisand hatte damals die die Website Pictopia.com verklagt, weil diese zwischen 12.000 anderen Bildern auch ihr Haus veröffentlicht hatte.  Nicht jeder Mensch klickt täglich auf Pictopia und selbst von denen, die es tun, macht sich kaum einer die Mühe nachzuvollziehen, wer die Besitzer der einzelnen Häuser sind.   Nachdem Streisand aber eine 50-Millionen-Dollar-Klage darüber angestrengt hatte, machte der Fall Schlagzeilen, so daß das inkriminierte Bild rasend schnell im Netz verbreitete und nun wirklich jeder wußte in welchem Haus die Kult-Sängerin und demokratische Aktivistin wohnte.  Sie erreichte also das diametrale Gegenteil dessen, was sie wollte. Die Diva lernte daraus und tat es nie wieder. (….)

(Streisand extrem, 28.03.2019)

Nun gibt es für den gemeinen Punkus Teutonicus wenig Anlaß nach Sylt zu fahren, wenn man doch überall sein könnte. Die Fahrt dahin dauert lang, die Orte sind winzig und Gleichgesinnte trifft man dort auch nicht.

Aber nachdem die Sylter so laut bundesweit jammerten, sich vor Punks zu fürchten, fühlten sich auch diejenigen von ihnen, die nie von Sylt gehört hatten, regelrecht verpflichtet, der Promi-Insel einen Besuch abzustatten.

Ein lehrbuchartiger Streisand-Effekt. Mit ihrem Agieren erreichten die Sylter Bürgermeister genau das, was sie verhindern wollten – eine Punkerwelle.

Während einige Touristen sich entsprechend trollen ließen und brav den konservativen Journalisten in die Kameras sprachen, wie unpassend dieses Publikum für einen so exklusiven Kurort wäre, erleben die Sylter Eingeborenen eine Art Wacken-Effekt. Sie waren nett zu den Punks und die Punks waren nett zu ihnen.


ermeister von Westerland verharrte allerdings im Lindner-Modus und wehrte sich mit Anti-Terror-Pollern und Bauzäunen gegen Punks. Daß sich Nicht-Millionäre auf seiner Insel einfinden, konnte er einfach nicht ertragen.

So startete er eine Markus-Schreiber-Gedächtnis-Aktion. Wir erinnern uns; Schreiber war der legendäre Möchtegern-Sheriff, der im Jahr 2011 als Bezirksbürgermeister von Hamburg-Mitte ein Vermögen ausgab, um ein paar Obdachlos daran zu hindern unter einer Brücke unweit der Reeperbahn zu übernachten.

(…) Aber eins haßt Ordnungsfanatiker mehr als alles andere: Obdachlose!
Die müssen weg - koste es was es wolle.
Besonders die Wohnungslosen, die unweit des berühmten Bismarckdenkmals beim Kiez unter der Kersten-Miles-Brücke übernachten, lassen Schreibers Hirn glühen.
Im Juni frohlockte er kurz, nachdem er glaubte die Schläfer, die außer ihm selbst niemanden stören, endgültig vertrieben zu haben.
100.000 Euro ließ der durchgedrehte Bezirksamtsmann dafür springen die Fläche unter der Brücke obdachlosophob umzugestalten. Ein künstlicher Bach und viele einbetonierte Steinklumpen sollen die Wohnungslosen daran hindern hier zu nächtigen.

Die skurrile Maßnahme war vollkommen nutzlos. […] Gelagert hatten die Obdachlosen auf den Dächern von Bunkern unter der Brücke. Die Weltkriegs-Schutzräume ließ Schreiber aufwendig abbrechen. Dann schafften Arbeiter Felssteine heran, die auf der neu geschaffenen unebenen Fläche ausgelegt wurden. Außerdem entstand auf behördliche Weisung eine Art Bachlauf, der bei starkem Regen Wasser führt. Doch die Obdachlosen ließen sich nicht abschrecken, lagern nun zwischen den Steinen. Bei Regen sitzen sie am Rand des „Bachs“, trinken Bier und werfen Stöckchen ins Wasser. Von der MOPO darauf angesprochen sagt Schreiber: „Dann müssen wir eben noch mehr Steine aufstellen.“
(Mopo 30.06.11)

Für 100.000 Euro Baumzuschuss könnte Hamburg 200 große Staßenbäume pflanzen lassen. Aber nicht mit Schreiber; der betoniert lieber ein paar Quadratmeter unter einer Brücke extra obdachlosenfrei. Jetzt hat Schreiber, der offensichtlich annimmt in den Kassen seines Bezirks gäbe es Geld wie Heu, nachgelegt und für knapp 20.000 Euro noch einen Alu-Zaun um die Obdachlosen-Abwehr-Steinklumpen bauen lassen.

Aufgeschüttete Wackersteine (Kosten: 100.000 Euro) haben nichts bewirkt, nun ließ er für 18.000 Euro einen Stahlzaun errichten: Bezirksamtsleiter Markus Schreibers neuester Streich, um Obdachlose unter der Kersten-Miles-Brücke am Bismarck-Denkmal zu vertreiben. Dienstag waren Arbeiter angerückt und hatten die massive Stahlkonstruktion montiert. Sie soll verhindern, dass Obdachlose unter der Brücke im Alten Elbpark nächtigen.
(HH MoPo 22.09.2011) (….)

(Leidensfähigkeit – Teil IV, 23.09.2011)

Westerlands Bürgermeister Nikolas Häckel (parteilos) ließ sich also von Schreiber inspirieren und baute.


[…] Bürgermeister Nikolas Häckel (parteilos) hat die Wand aus Betonblöcken, die den privaten Zugang neben einem Crêpe-Laden schützen soll, jetzt verteidigt.  „Natürlich ist die Abgrenzung heiß diskutiert, polarisiert und die ,Punks‘ gehen damit auf ihre Weise polarisierend um. Dennoch war dieses Zeichen wichtig, denke ich“, sagte Häckel am Samstag. Ordnungsamt und Polizei gingen seinen Worten nach mit Augenmaß aber konsequent mit der Lage um. […]

(MoPo, 25.06.2022)

Und tatsächlich, einer der Punks beging ein schweres Verbrechen. Er pinkelte gegen eine Hauswand. Aber Häckel legte nach.

[….] Wie die »Sylter Zeitung « berichtet, setzt die Gemeinde auch auf noch massivere Barrikaden: Mit mehreren Betonblöcken wird der Weg zu einem Privatweg versperrt. Der Lokalzeitung zufolge war der Ort zuvor zum »Wildpinkeln« missbraucht worden. Dem Bericht zufolge gibt es aber weiter einen kleinen Durchlass in der Absperrung, es dürfe bezweifelt werden, ob die Maßnahme hilfreich ist, schrieb das Blatt. Auch seien Punker bereits auf die Betonquader geklettert. […]

(Spon, 23.06.2022)

Blöd nur, daß die Punks sich als völlig harmlose Zeitgenossen herausstellten.

Die Mauern wurden wieder abgebaut.

[…] Die Absperrungen rund um den bei Punks beliebten Brunnen in Westerland auf Sylt sind nach wenigen Tagen wieder entfernt worden. „Die Situation hat sich über das Wochenende weiter entspannt, daher wurde der Zaun rund um den Wilhelminenbrunnen zurückgebaut“, teilte der Bürgermeister der Gemeinde Sylt, Nikolas Häckel, mit.  […]

(MoPo, 28.06.2022)

Westerland ist zu öde für Punks. Bald sind Lindner, Beust und die Millionäre wieder unter sich!

Montag, 27. Juni 2022

Wenigstens einmal gelacht

Das war heute einer dieser Tage. In meiner Wohnung herrschen nachts mollige schwüle 26°C, so daß ich natürlich nicht schlafen kann, also muss ich die auf CNN aufgezeichneten letzten Teile der Insurrection-Hearings sehen, die ich bisher noch nicht kannte. Der Hauseigentümer mäht morgen lautstark wieder den Vorgarten auf Wimbledon-Maß, damit a) auf gar kein Fall irgendein Kleintier Nahrung oder ein Insekt Unterschlupf findet und b) alle Mieter des unisolierten Baus, die doch noch eingeschlafen sind, geweckt werden. Der Kaffee, eine Jumbo-Tasse mit frisch gemahlenem Thailand Arabica Akha Hilltribes, nützt nichts, macht nicht wacher und gegenüber beginnen die desinteressierten Großstadt-SUV-Mums, ihre Blagen auf dem betreuten Kita-Spielplatz zusammen zubrüllen. Es könnte ja in der Wohnstraße doch noch jemand schlafen, der nicht von den Rasenmähern geweckt wurde.

Die helicopterisierte Brut zahlt mit gleicher Münze zurück, schreit mit 130 Dezibel ihre Daseinsberechtigung heraus. Und zwar in einer Frequenz, die weitgehend nur von Fledermäusen zu höhren ist, so daß ich gar nicht verstehen kann, wieso diese akustische Pein dennoch dieses Ohrenbluten bei mir auslöst. Bleibt nur zu hoffen, daß mich das eigenartige Kraut, welches mein Nachbar auf dem Balkon raucht und direkt in mein Bett zieht, schnell tötet.

Mit dem zweiten Kaffeebecher, 600 ml, ich versuche es nun mit meinem schwersten Geschütz, Papua-Neuguinea Arabica aus der Keto Tapasi Kooperative, greife ich auch meinen Wochenkalender und beschließe, keine unverschiebbaren Termine zu erkennen. Montagnachmittag und die Woche nervt. Da hilft nur eins: Nichts tun. Liegen bleiben, die Telefone gar nicht erst anstellen. Offline-mode.

Vor dem Ventilator ausgebreitet Zeitung zu lesen, ist gar nicht so einfach, man muss die einzelnen Seiten recht klein falten und mit dem Rücken zum Luftstrom liegen; aber immerhin kein unlösbares Problem. Um 21.00 Uhr bin ich durch die in der letzten Wochen angesammelten Artikel, habe mich detailliert in die Weizenkrise eingelesen, haarsträubende Stories aus QTrumplistan konsumiert und spätestens nach den Berichten über die russischsprachige Minderheit in der Ostukraine weicht meine Frustration des Tagesanfangs einer echten Depression.

Aber man soll den Tag nicht vor dem Abend verdammen. Endlich doch noch eine gute Nachricht; endlich sind die lange erwarteten 2021er Austrittszahlen aus der römisch-katholischen Kirche da. Das erste Lächeln des Tages.

[….] Der Gottesdienstbesuch ist – coronabedingt – in 2021 mit 4,3 Prozent erneut zurückgegangen (2020: 5,9 Prozent). Die Zahlen beim Sakramentenempfang sind dagegen teilweise deutlich gestiegen: So lag die Zahl der kirchlichen Trauungen bei 20.140 (2020: 11.018), die Zahl der Taufen bei 141.992 (2020: 104.610) und die Zahl der Erstkommunionen bei 156.574 (2021: 139.752). Die Bestattungen sind mit 240.040 ebenfalls leicht gestiegen (2020: 236.546). Im Jahr 2021 sind 1.465 Menschen in die katholische Kirche eingetreten (2020:  1.578), es wurden 4.116 Menschen wieder aufgenommen (2020: 4.358). Die Zahl der Kirchenaustritte ist in 2021 erneut massiv gestiegen: 359.338 Menschen haben die Kirche verlassen (2020: 221.390; 2019: 272.771). Zur Statistik 2021 erklärt der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Georg Bätzing: „Die Zahlen des Jahres 2021 zeigen die tiefgreifende Krise, in der wir uns als katholische Kirche in Deutschland befinden. Es ist nichts schönzureden, und ich bin – trotz der gestiegenen Zahlen der Sakramentenspendung – zutiefst erschüttert über die extrem hohe Zahl von Kirchenaustritten. […]

(dbk, Pressemitteilung, 27.06.2022)

Von 83,2 Millionen Menschen in Deutschland sind nur noch  21.645.875 (26%) katholisch. Die Protestanten haben mit 19.725.000 Mitgliedern schon die 20-Millionen-Grenze geknackt.

Den 142.000 katholischen Taufen stehen 240.000 Todesfälle gegenüber.

Innerhalb von 12 Monaten verlor die RKK-Deutschland damit rund 460.000 Mitglieder. Die Kirche ist erledigt.

Ein großartiger Erfolg, für den ich meinen Top-Agenten Woelki, Müller, Bätzing, Marx, Ackermann und Ratzinger ganz herzlich danken möchte.

Leider konnten wir die halbe Million/Jahr nicht vollmachen, weil die Ortsämter nicht genügend Austrittstermine bereitstellten. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben, die Diözesen produzieren eifrig weiter Horrornachrichten.

[….] Genau 359 338 Menschen sind im vergangenen Jahr aus der katholischen Kirche ausgetreten - das ist in etwa die Einwohnerzahl Wuppertals, welches übrigens zum Erzbistum Köln gehört, daher passt die Stadt als Referenzgröße doppelt gut. Das Erzbistum Köln ist Statistik-Spitzenreiter der deutschen Diözesen mit 41 000 Ausgetretenen, in Kirchenkreisen spricht man vom Woelki-Effekt. Von ihm, dem nach Skandal und Auszeit unverdrossen zurückgekehrten Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki, hat der Papst noch ein Rücktrittsgesuch im Schreibtisch liegen, auf Wiedervorlage. Er wolle erst entscheiden, wenn der öffentliche Druck nachgelassen habe, hatte Franziskus jüngst in einem Interview gesagt. Wann das sein wird, ist unklar - und wie viele Katholikinnen und Katholiken es in Köln bis dahin noch gibt, auch. [….]

(Annette Zoch, 27.06.2022)

Einer der für RKK-Verhältnisse geradezu aufgeschlossenen und sympathischeren Vertreter ist der Jesuitenpater Ansgar Wiedenhaus, Seelsorger der Offenen Citykirche St. Klara in Nürnberg, der sich mit seinem Gesprächsformat "Exit?" an Austrittswillige wendet. Er konnte noch niemanden überreden zu bleiben, möchte aber den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen und damit den Austritt aus der Glaubensgemeinschaft der Katholiken nicht bei einem simplen kommunalen Verwaltungsakt belassen. Der Jesuit geht kritisch mit seinen Führern ins Gericht und formuliert für einen Geistlichen erstaunliche Erkenntnisse.

[….]  Früher hieß es, soll ich gehen oder soll ich bleiben? Inzwischen fragen sich viele: Ist es moralisch überhaupt noch vertretbar, zu dieser Kirche zu gehören? Oder unterstütze ich damit nicht ein Unrechtssystem? [….]

(Ansgar Wiedenhaus, 27.06.2022)

Gratulation. Ja, die RKK ist ein Unrechtssystem. Das hätte ich ihm freilich schon vor Jahrzehnten sagen können und genügend Menschen haben das über die Jahrhunderte immer wieder zu Papier gebracht, aber es ist doch schön, daß auch ein Pfaff dazu lernen kann.

Aber keine Sorge, es ging nicht soweit, Wiedenhaus sympathisch zu finden. Er ist immerhin katholischer Priester und holte schon bei der nächsten Frage, ob man die Kirchenüberhaupt brauche, um seinen Glauben zu leben, des SZ-Interviews zu einem Klopfer aus, der mich laut auflachen ließ.

[….] Man braucht irgendeine Form von Gemeinschaft. Ich glaube, dieses "Ich mache meinen Glauben für mich selbst", das funktioniert nicht. Dann fängt man irgendwann an, zu einem Gott zu beten, der nur dem eigenen Kopf entspringt. Man braucht den Austausch über Dinge, auf die man von selbst nicht kommt. Zuspruch, den man sich selbst nicht geben kann. Denkanstöße.  [….]

(Ansgar Wiedenhaus, 27.06.2022)

Religiotie par excellence. Ist das ein genialer Gag: Der „Exit?“-Mann warnt vor einem Glauben an G*tt außerhalb der Kirche, dann finge man an zu einem Gott zu beten, der nur dem eigenen Kopf entspringt!

Dem gegenüber sieht er offenbar den real existierenden Gott, den man sich nicht ausgedacht hat, der aber nur innerhalb der Mauern der Kirche für diejenigen existiert, die ihre Beiträge bezahlen!

Also wenn das die besten und liberalsten Pfaffen sind, welche die RKK aufbringt, um ihre eigenen Exodus zu vermeiden, freue ich mich schon auf die Austrittszahlen des Jahres 2022!

Sonntag, 26. Juni 2022

Kemmerich 2.0

Die FDP gerät mit ihrem bockigen, destruktiven Verhalten in immer schwereres Fahrwasser.

Sogar der traditionell sehr gelbe SPIEGEL – Gründer Rudolf Augstein saß für die FDP im Bundestag – senkt die Daumen.

Gute Wirtschaftspolitik macht man heute, indem man das Gegenteil der FDP-Propaganda umsetzt.

[….] Wir müssen aufhören, auf diese Leute zu hören  [….] »Die Versäumnisse der letzten Dekade«, das klingt immer noch ziemlich abstrakt, also buchstabiere ich mal aus, was Habeck da eigentlich meint: Wir haben uns politisch von Leuten in die falsche Richtung führen lassen, die mit dieser falschen Richtung viel Geld verdient haben. Von den Lobbyverbänden der Kohle-, Öl- und Gasbranchen, von den Lobbyverbänden gewisser Industrien, allen voran der Automobilindustrie.

Die größten und schlimmsten Versäumnisse aber sind:

    In der Solarbranche beispielsweise arbeiteten in Deutschland  im Jahr 2011 über 156.000 Menschen. Zehn Jahre später, im Jahr 2021, waren es fast 100.000 weniger.

    In der Windenergiebranche begann die Arbeitsplatzvernichtung erst später, nämlich 2016. Damals arbeiteten in der Branche, on- und offshore zusammengenommen, etwa 167.000 Menschen. 2021 waren es vorläufigen Daten des Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zufolge etwa 37.000 weniger. [….] Insgesamt ist die Geschichte der Arbeitsplätze im Bereich der erneuerbaren Energien hierzulande eine Geschichte des Scheiterns nach hoffnungsvollem Anfang. Zukunftsjobs wurden kaputtreguliert, Vergangenheitsjobs vor jeder sinnvollen Regulierung geschützt und fleißig subventioniert. Dabei war längst klar, dass alle Volkswirtschaften dekarbonisieren müssen, und zwar schleunigst.

Im Jahr 2000, als das Erneuerbare-Energien-Gesetz verabschiedet wurde, gab es in allen erneuerbaren Energiebranchen Deutschlands – einschließlich Wasserkraft, Geothermie und Biomasse – zusammen knapp 105.000 Arbeitsplätze. Bis 2011 vervierfachte sich diese Zahl fast, auf über 415.000.

Ab da aber ging es bergab, was viel mit den Aktivitäten der FDP-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle und Philipp Rösler zu tun hat. [….] Christian Lindner bleibt sich treu und gibt im Moment eins zu eins die Positionen des VDA wieder. Immer wieder fordert er, dass das vom EU-Parlament beschlossene Ende für neue Verbrenner ab 2035 auf keinen Fall kommen dürfe – ganz egal, was deutsche Autobauer wirklich wollen. Lindner liebt den Verbrennungsmotor noch mehr als VW, Audi und Daimler. Es gibt noch weit mehr auf den alten Geschichten Hängengebliebene in Berlin, aber Lindner ist derzeit der Mächtigste unter ihnen. [….]

(Prof. Christian Stöcker, 26.06.2022)

Noch nicht mal die Auto-Industrie selbst denkt so rückwärtsgewandt und kontrafaktisch wie Christian Lindners Epigonen.

[…] Immer mehr Hersteller nennen ein Datum für das Verbrenner-Ende. Darunter sind neben GM auch Ford, Audi, Mercedes, Volvo, VW, Hyundai und jetzt ebenfalls Opel. [….] Die Rüsselsheimer und ihre britische Schwestermarke haben es mit dem Verbrennerausstieg besonders eilig. Heute hat Opel zwölf elektrifizierte Modelle – darunter das gesamte Nutzfahrzeug-Portfolio – im Angebot, 2024 soll die gesamte Modellpalette mindestens teilelektrisch unterwegs sein. Doch das sind nur Zwischenschritte in eine vollelektrische Zukunft, die bereits 2028 anbrechen wird. […]

(Auto Motor Sport, 04.03.2022)

Offenbar ist es nur noch Porschefahrer Lindner selbst, der annimmt, im Jahr 2035 würden die Kunden noch gern neue Verbrenner-Autos kaufen.

Marc Beise neoliberaler Wirtschafts-Chef der Süddeutschen und der in der gesamten SZ-Redaktion mutmaßlich der Konservativste, schreibt hingegen über dem GRÜNEN Bundeswirtschaftsminister:

[….]  Robert Habeck macht seinen Job nahezu perfekt[….] Robert Habeck hat die zweite von drei Gaskrisenstufen ausgerufen, und das kann man ohne Übertreibung eine Zeitenwende in der Energieversorgung dieses Landes nennen. Dabei geht es um mehrere Konsequenzen, die zunächst wichtigste ist diese: Es wird sich (erst) jetzt im Land die Erkenntnis durchsetzen, dass die Lage ernst ist. Für viele Menschen ist die Energiefrage bisher immer noch eher akademisch: Da ist ein Problem, da kommt was, aber mich betrifft's noch nicht. Es ist Sommer, der Sommer nach einer langen Pandemie, und über den Ernst der Lage denken wir im Herbst nach.  Auch auf diese so überaus menschliche Regung hat der Bundeswirtschaftsminister in seiner Alarm-Pressekonferenz am Donnerstag voller Sympathie hingewiesen, er hat sie "Selbstvergesslichkeit" genannt und Verständnis geäußert. Man kann es drehen und wenden, wie man will, der Mann macht gerade mit einer nahezu unheimlichen Sicherheit einfach alles richtig. Er spricht frei, aber präzise, erklärt, zeigt (nur) eine Grafik, spielt keine parteipolitischen Spielchen, dramatisiert nicht, bagatellisiert aber auch nicht, und ordnet das auch noch so in den großen Putin-Zusammenhang ein, dass es passt. Habeck macht seinen Job, man muss es einfach sagen: nahezu perfekt. Gerade deshalb wird dieser Donnerstag seine Wirkung nicht verfehlen. [….]

(SZ, 23.06.2022)    

Autsch, das muss dem selbsternannten Wirtschaftsexperten Lindner, der schon mit 18 Jahren eine Kuhkrawatte umband, sich einen Benz lieh, als Unternehmensberater posierte, stets nur Häme für die Grünen übrig hatte, mit seinen persönlichen Geschäften aber immer nur Schiffbruch erlitt und sich für ganz schlau hielt, daß mächtigere Finanzministerium zu übernehmen, während er Vizekanzler Habeck auf der vermeidlich eher nachrangigere Wirtschaftsministerium abschob, wirklich weh tun.

Der stets um Aufmerksamkeit heischende ultra-eitle FDP-Chef muss sein Ego immer über die Sache, über die Regierung über das Wohl seines Landes stellen und erträgt es einfach nicht, daß Grüne Minister ihm im Beliebtheitsranking enteilen.

 [….] Unfug erlauben. Von Regierungsmitgliedern dürfen wir mehr erwarten. [….] Finanzminister Christian Lindner ist das Sorgenkind der Ampel. Offenbar zunehmend verzweifelt schreit er nach Aufmerksamkeit. [….]

»Mehr Fortschritt wagen« wollte die Ampel. Die FDP scheint davon nichts mehr wissen zu wollen – und macht jüngst lieber Angebote für ein Publikum, das sich zurück in eine Vergangenheit wünscht, in der Autos noch einen Auspuff haben mussten und die Kernkraft als zuverlässig galt. [….] Die Verlängerung der Atomlaufzeiten hingegen ist noch nicht einmal Lindners eigene Idee, er hängt sich hier an einen Vorschlag des CDU-Chefs Friedrich Merz, offenbar in Sorge wegen dessen zunehmender Beliebtheit beim liberalen Stammpublikum. [….]Wie bestimmt auch Christian Lindner und Friedrich Merz wissen (und womöglich sogar Markus Söder), ist ein Atomkraftwerk nicht einfach so an- und abzuschalten. Zunächst müsste man die richtigen Brennstäbe erst einmal beibringen. Zudem wären teure, zeitraubende Sicherheitsüberprüfungen nötig und der Einsatz von Personal, das sich angesichts der kommenden Abschaltung längst anderweitig orientiert hat. Mal ganz abgesehen davon, dass kein einziges der Probleme gelöst ist, die seinerzeit zur Abkehr von der Atomkraft geführt haben: wohin mit dem Müll? Was ist mit dem Restrisiko? Nein, nicht einmal der Chef des Energiekonzerns RWE wünscht sich längere Laufzeiten. Er hält die Debatte für rückwärtsgewandt. [….]

(Spiegel Leitartikel 25.06.2022)

Die Verzweiflung der FDP ist so groß, daß sie offenbar mal wieder an ihre bräunliche Phase anknüpfen will. Der oppositionelle Lindner hatte das immer wieder versucht, polterte rechter als Alexander Gauland und gratulierte dem Kemmerich-Coup mit der Höcke-AfD.

Sehr viel schlimmer ist es, daß Linder die Ausrichtung seiner Partei, die schon immer Berührungen mit dem rechtsextremen Spektrum hatte, seit Jahren immer stärker an die AfD anlehnt.

Die Lindner-FDP ist ein Gauland-Appendix.  (….) Die FDP suche nun ihren Platz weit rechts der Mitte zwischen CDU/CSU und AfD. Wieder muß ich Jörges zustimmen; die Christian-Linder-Partei (CLP) wird rapide unsympathischer.

Ungeniert feuert der Chef aus der rechten Ecke.

[…..] In einem Interview mit dem Magazin "Stern" wendet sich Linder recht offensichtlich an die Menschen am rechten Rand des Wählerspektrums. "Warum sind so viele Deutschtürken keine Verfassungspatrioten?", fragt Lindner darin. Deutschland sollte beginnen, sich "offensiver zu seinem großartigen liberalen Grundgesetz zu bekennen".  Der FDP-Chef befand in diesem Zusammenhang außerdem: Der türkischstämmige Fußballer Mesut Özil soll vor Spielen der Nationalmannschaft die deutsche Hymne mitsingen.

Lindner kritisierte zudem die Flüchtlingspolitik der Bundesreagierung. "Unsere Zuwanderungspolitik benötigt eine Generalinventur", sagte er dem "stern". "Wer bleibt, den müssen wir uns aussuchen. Da sollte das Ziel der Integration viel stärker die deutsche Staatsangehörigkeit sein."

Das Interview von Lindner sorgte in den sozialen Medien schnell für Wirbel. Vor allem der Satz über Mesut Özil missfiel vielen Lesern. "Leute zwingen, eine Hymne zu singen - ist das liberal?", fragte etwa einer. […..]

(HuffPo, 26.04.2017)

Die FDP in der Nähe der AfD scheint zu funktionieren. Petrys Umfragezahlen werden kleiner, die FDP kratzt schon wieder an den 10%.

Braun kommt immer an in Deutschland.

Bezeichnenderweise verwendet der eher linke Grüne Jürgen Trittin heute die gleiche Wortwahl wie CDU-General Tauber vor vier Monaten:

   [….] CDU-Generalsekretär Peter Tauber hat FDP-Chef Christian Lindner scharf attackiert. Zwei Tage nach dem Dreikönigstreffen der Liberalen, bei dem Lindner die Union erneut wegen ihrer Flüchtlings- und Sicherheitspolitik kritisiert hatte, warf Tauber dem FDP-Chef überhebliches Verhalten vor. Das provoziere ein erneutes Scheitern der Liberalen wie bei der Wahl 2013. Damals hatte die FDP bei der Bundestagswahl nur 4,8 Prozent der Stimmen geholt und ist seitdem nicht mehr als Fraktion im Bundestag vertreten. "Der Grund, warum die FDP damals aus dem Bundestag geflogen ist, war nicht die CDU, sondern sie selbst", sagte Tauber der Bild am Sonntag. "Und mit seinem selbstherrlichen Auftreten tut Herr Lindner gerade alles dafür, dass sie es wieder nicht schafft. Dann wäre die FDP erledigt."  Lindners Auftreten erinnere ihn an den stellvertretenden Parteichef der Alternative für Deutschland, sagte Tauber: "Er redet teilweise wie Herr Gauland von der AfD. Der einzige Unterschied besteht darin, dass er statt eines abgewetzten Tweed-Sakkos einen überteuerten Maßanzug trägt." […..]

(SZ, 08.01.2017)

Das ist schon eine sehr ekelige Allianz mit den Rechten, die Türkei-Basher Lindner anstrebt. Von taz bis WELT, von Linke bis CSU stehen Medien und Parteien in Deutschland ausnahmsweise zusammen, wenn es um die Menschenrechtsverstöße unter Präsident Erdoğan geht. Einheitlich fordert man die Freilassung Deniz Yücels und all der anderen inhaftierten Journalisten in der Türkei.  Aber rechts von der CSU, bei denen, die Lindner anvisiert sieht das anders aus. (…..)

(Türken-Twitter, 27.04.2017)

Rechtsaußen und Dunkelkatholik Thomas Kemmerich, vom 5. Februar bis zum 4. März 2020 der sechste Ministerpräsident des Freistaates Thüringen, ist bis heute FDP Landeschef in Thüringen, zeigte auf Covidioten-Demonstrationen ganz offen seine politische Verwandtschaft zur faschistischen AfD Thüringens. AfD-Freund Christian Lindner stört es nicht.

In der Baden Württembergischen FDP dominiert mit Hans-Ulrich Rülke, dem stellvertretenden Landesvorsitzender und Fraktionsvorsitzenden der FDP/DVP Landtagsfraktion ebenfalls ein stramm-rechter „AfD-Klon“ (CDU-Sozialverband).

[….] Der CDU-Sozialflügel im Südwesten hat FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke als "AfD-Klon" bezeichnet, der politisch isoliert werden müsse. Landeschef Christian Bäumler sagte der Deutschen Presse-Agentur, Rülke habe mit einem irreführenden Facebook-Post zu der Klimaaktivistin Greta Thunberg endgültig die Grenze des Erträglichen überschritten. "Das politische Geschäftsmodell Rülkes besteht in Spaltung und Hetze. Diesem Politiker muss die rote Karte gezeigt werden", sagte Bäumler[….] Der FDP-Fraktionschef hatte vor kurzem kommentarlos eine Bildkombination mit Greta Thunberg auf seiner Facebook-Seite veröffentlicht. Die obere Hälfte zeigt Greta Thunberg mit dem Satz "I demand everyone drive electric cars now!" ("Ich fordere, dass jeder sofort Elektro-Autos fährt"). Die untere Hälfte zeigt verschlammte Kinder in einer Mine in Afrika, dabei steht der Satz: "We're mining the cobalt for your batteries as fast as we can, Greta." ("Wir bauen das Kobalt für deine Batterien so schnell wie möglich ab, Greta").  Nach einem dpa-Faktencheck gibt es aber keine Belege dafür, dass Greta Thunberg je eine Pflicht für Elektrofahrzeuge gefordert hat. Das Foto aus Afrika passe zudem nicht in den Kontext, denn es zeige Kinder beim Abbau von Gold und nicht von giftigen Materialien für die E-Auto-Produktion. Im Netz wurde Rülke für den Post heftig kritisiert, ihm werden peinlicher Populismus und AfD-Methoden vorgeworfen. […]

(SZ, 26.06.2022)

Samstag, 25. Juni 2022

Widerliche fette Kröten

Die FDP ist schlimm, schadet Deutschland, schadet der Zukunft; sorgt für Ungerechtigkeit und Umweltverschmutzung, für mehr Corona- und Verkehrstote, für Geldverschwendung und Umverteilung von unten nach oben.

Allein, das Bundestagswahlergebnis gibt keine bessere Regierung her. Rechnerisch sind ohnehin außer der Ampel nur Groko und Jamaika möglich und es dürfte sich von selbst verstehen, daß in der gegenwärtigen allgemeinen multidimensionalen Megakrise, eine erneute Regierungsbeteiligung von Figuren wie Scheuer, Dobrindt, Spahn, Altmaier und Kramp-Karrenbauer definitiv noch schlimmer als die Ampel wäre. Da die FDP in dieser Konstellation wie zu erwarten, die schlechtesten und unfähigsten Minister stellt, gehen ihre demoskopischen Werter zurück, sie verliert die Landtagswahlen und die Gelben rutschen im Ministerranking nach ganz hinten.

[…] Auf dem 15. und vorletzten Platz liegt Christian Lindner. Der Finanzminister schaffte es im März noch auf Platz sechs. Im Vergleich dazu hat er nun jedoch 57 Indexpunkte weniger und landet auf dem vorletzten Platz. Überhaupt schneiden die liberalen Vertreter eher schlecht ab: Der beste FDP-Minister im SPIEGEL-Regierungsmonitor ist Justizminister Marco Buschmann auf Platz 8. [….]

(SPON Regierungsmonitor, 21.06.2022)

Es ist schlau von Olaf Scholz, angesichts der ebenfalls mauen SPD-Zahlen darauf zu verzichten, die FDP zu demütigen. Er ist der Chef der gesamten Koalition, muss den Laden zusammenhalten. Eine zu sehr verletzte FDP könnte Amok laufen und eine Regierungskrise darf er nicht riskieren.

Es hilft also alles nichts; als Grüner oder Sozialdemokrat, muss man der FDP etwas von ihrer destruktiven und widersinnigen Politik lassen.

Koalitionen sind Kompromissveranstaltungen, die von jedem Partner erfordern, Kröten zu schlucken. Insbesondere in Konstellationen wie Sachsen-Anhalt, Sachsen oder dem Bund, wo der Wählerwille den Parteien Bündnisse aufzwingt, die keiner wirklich wollte.

Es versteht sich von selbst, daß alle Koalitionäre etwas schlucken müssen. Die Krötengröße wird umgekehrt proportional zum Wahlergebnis verteilt. Der Kleinste muss die größten Viecher runterwürgen.

Da in der Bundes-Koalition drei Partner einigermaßen ähnlich stark sind, bedeutet das aus der Sicht jedes einzelnen, eine 1:2-Übermacht gegen sich zu haben, immer klein zu sein und daher kontinuierlich Riesendinger in den Mund nehmen zu müssen.

Das ist ganz normal, das ist Demokratie, das bildet den Wählerwillen ab.

Ganz anders sieht es allerdings aus, wenn es mehrere Koalitionsoptionen gibt. In dem Fall sollte die Formel gelten, nach der die Koalition regiert, in der die Summe aller geschluckten Kröten am kleinsten ist.

In der Praxis spielen aber auch politische Moden, persönliche Animositäten und auch unterschiedlich ausgeprägte Würgereflexe eine Rolle. Die CDU verfügt generell über einen ausgeprägteren Würgereflex, kann daher eigentlich nur kleinere Frösche zu sich nehmen. Die FDP mag auch nur magere Laubfrösche. Sozis sind als geübte Juniorpartner durchaus in der Lage, ihren Würgereflex zu kontrollieren und dementsprechend ausgewachsene Kröten im Stück runter zu schlingen. Nase zuhalten und dann geht das schon.

Ein Sonderfall stellen die Grünen dar, denen das Runterwürgen der fettesten Amphibien offensichtlich regelrecht Lust bereitet. Im Saarland, in Hessen, in Baden-Württemberg und in mehreren Bezirksregierungen Hamburgs schlugen sie eine linkere Regierung mit der SPD, bei der einige Kröten zu schlucken gewesen wären, aus, weil noch die CDU mit gewaltigen afrikanischen Ochsenfröschen und pfundschweren giftigen australischen Aga-Kröten lockte.

Dann lassen sie Wälder roden und stimmen mit der angebräunten Hessen-CDU gegen die NSU-Opfer, zeigen sich Nazi-freundlich.

Da ist Hessen. Im Juni 2021 stellten sich die Hessen-Grünen demonstrativ gegen die Opfer des NSU-Terrors.

(….) Aber statt sich auf die Seite der Opfer des rechtsextremen Terrorismus zu stellen, schützen die Grünen lieber die angebräunte Hessen-CDU („Jüdische Vermächtnisse“), die als Verfassungsschutzaufseher womöglich schlecht aussehen könne.

[…..] Nach taz-Informationen hat der Petitionsausschuss des hessischen Landtags am Mittwoch die Forderung nach Offenlegung der geheimen hessischen NSU-Akten mit der Mehrheit von CDU und Grünen zurückgewiesen. Offiziell gab es für diese Entscheidung weder eine Bestätigung, noch wollten die Landtagsparteien dazu Stellung nehmen. Hinter der Forderung, die Akten freizugeben steht die Petition Change.org/NSU-Akten. […..] Damit ist die Petition Change.org/NSU-Akten, die bereits von mehr als 120.000 BürgerInnen unterschrieben wurde, im ersten Anlauf gescheitert. Enttäuscht zeigte sich Miki Lazar, einer der Initiatoren der Kampagne. Die Argumentation von CDU und Grünen, der Persönlichkeitsschutz für V-Leute und Beamte erfordere die Geheimhaltung der Akten, nennt Lazar „scheinheilig.“ [….]

(taz, 12.05.2021)

Schande, Schande, Schande über die Grünen!

Hier handelt kein einzelner Spinner wie Boris Palmer, sondern ein ganzer Landesverband und die Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock findet nichts dabei!

Die Grünen verdienen keine einzige Stimme mehr, nachdem sie den Naziopfern nachträglich noch einmal in Messer in den Rücken gerammt haben. (…..)
(Grüne schützen Nazis, 03.06.2021)

Auch in NRW dachten die Grünen gar nicht daran, eine Koalition mit der SPD zu bilden, segneten geräuschlos das Bündnis mit Hendrick Wüst ab, schluckten dabei lautlos alles runter, das sie vorher noch extrem verwerflich fanden.

[….] In Ostwestfalen hat die grüne Seele Ruh'

Mit 85 Prozent Zustimmung besiegeln die NRW-Grünen in Bielefeld den Koalitionsvertrag mit der CDU. Zwar gab es auch Kritik auf dem grünen Parteitag, aber die Lust am Streit scheint verdrängt von der Lust am Regieren.  […]

(SPON, 25.06.2022)

 

Es ist geradezu hanebüchen; statt mit sozialer ausgerichteten SPD-Ministern auf der Regierungsbank zu sitzen, heben die West-Grünen ausgerechnet den erzkonservativen Opus-Dei-Mann Liminiski ins Kabinett.

Ein radikal Homophober wird damit als CDU-Schulminister gehandelt.

[….] Der bisherige Chef der Staatskanzlei, Nathanael Liminski, könnte in die Riege der Minister aufrücken. Zuletzt wurde sein Name mit dem Schulministerium in Verbindung gebracht. […]

(WDR, 24.06.2022)

Da es hier eben nicht um eine alternativlose Koalitionswahl handelt, muss man staunen, wie geräuschlos die NRW-Grünen so eine Monsterkröte den schleimigen Hals hinter rutschen lassen.

[…] Die "Standing Ovation" der 250 Delegierten im Parkett überwältigt die bisherige Landesvorsitzende und Spitzenkandidatin auf dem Podium. Sie weint. Früh zeichnet sich also ab, wie lustvoll die meisten Grünen anno 2022 an die Macht streben.  […..]

(SZ, 26.06.2022)

Freitag, 24. Juni 2022

Es geht bergab – wie zu erwarten.

Heute ist für die USA einer der besonders dunkelschwarzen Tage  - in der Flut der schwarzen Tage, die Republikaner und Donald Trump dem Land in den letzten beiden Dekaden bescherten.

50 Jahre Bürgerrechte einfach weg. Rücksturz ins Mittelalter. Tödliche Konsequenzen für Myriaden Frauen.

Mit kaum vorstellbarer Perfidie treiben die sechs ultraradikalen Menschenhasser des Supreme Courts einen weiteren Keil in die Gesellschaft; scheinen direkt auf einen blutigen Bürgerkrieg hinzuarbeiten.

[…] Der Spruch des Supreme Court ist dazu angetan, das ohnehin tief gespaltene Land weiter auseinanderzutreiben. Die fünf konservativen Richterinnen und Richter haben ihre drei liberalen Kollegen überstimmt. Der Vorsitzende Richter, John Roberts, wollte nur einen Teil der Entscheidung mittragen[…] Trotzdem ist das alte Grundsatzurteil »Roe versus Wade« aus dem Jahr 1973, das Frauen im ganzen Land das Recht auf Abtreibung bis zur 24. Schwangerschaftswoche zusprach, damit Geschichte. […] Einige von den Republikanern beherrschte Staaten, etwa Missouri, verfügen über sogenannte »Trigger Laws«, die für den Fall einer aus ihrer Sicht positiven Supreme-Court-Entscheidung das sofortige Abtreibungsverbot vorsehen. […] Eine konkrete Folge dieser Einschränkungen: Frauen in diesen Staaten, vor allem aus ärmeren Schichten, müssten wie vor hundert Jahren Abtreibungen künftig in der Illegalität unter medizinisch gefährlichen Bedingungen durchführen lassen. Für die Reise in andere Staaten, in denen Abtreibungen erlaubt bleiben, fehlt ihnen oftmals das Geld. […] Tatsächlich wird mit dem Urteil ein alter Traum der stramm konservativen, religiösen Rechten in den USA wahr. Viele Katholiken sowie evangelikale Christen im Süden und Mittleren Westen des Landes kämpfen seit Jahrzehnten gegen das Abtreibungsrecht nach Roe v. Wade. Die Tür, um dies zu ändern, hat dabei ausgerechnet Donald Trump aufgestoßen: In seiner Amtszeit konnte er drei konservative Richter für den Supreme Court ernennen und so die Mehrheitsverhältnisse an dem Gericht drastisch zugunsten der religiösen Rechten verändern. […] Die Republikaner sehen sich derweil auf der Siegerstraße. Vor allem viele stramm konservative Trump-Unterstützer dürften nun darauf setzen, dass das Verfassungsgericht ihnen weitere Erfolge beschert. […]

(Roland Nelles, 24.06.2022)

Weniger abgebrühte Zeitgenossen als ich, mögen sich über die höchstrichterliche Indolenz gegenüber den tödlichen und brutalen Konsequenzen ihres Handelns wundern. Könnten erstaunt sein, wie völlig mitleidslos sich gerade mal sechs Menschen über die riesige Mehrheit der 165 Millionen US-amerikanischen Frauen hinwegsetzen. 

Aber es handelt sich bei allen Sechs um Religioten und damit anmaßende Ideologen, die schon bei der Waffengewalt, der jedes Jahr an die 40.000 Menschen zum Opfer fallen, voller Verachtung für die Würde des Menschen zeigten.

Als Trumpisten kennen sie ohnehin nicht den Gedanken an das gemeinsame Wohl aller Amerikaner, sondern hassen die bunte Mehrheit, die Atheisten, die Queeren und insbesondere die Nicht-Weißen.

Es bereitet ihnen Freude, den „anderen“ zu schaden.

In der Folge sind nun Urteile zu Gunsten der Rassentrennung und ein Verbot der „Ehe für alle“ zu erwarten. Die Ultrarechten führen einen Kampf gegen die eigene Bevölkerung und sie scheinen zu gewinnen.

[…] Die drei Demokraten im Richtergremium erheben in ihrer Minderheitsmeinung schwere Vorwürfe gegen ihre konservativen Kolleginnen und Kollegen: Die missbrauchten ihre Übermacht für politische Entscheidungen. "Die amerikanische Öffentlichkeit sollte nie zu dem Schluss kommen, dass ihre Verfassungsrechte an einem Faden hängen, dass eine neue Mehrheit, die einer neuen Doktrin anhängt, einfach durch ihre zahlenmäßige Übermacht verfassungsmäßige Rechte auslöschen kann", schreiben Stephen Breyer, Sonia Sotomayor und Elena Kagan.  […]

(Fabian Fellmann, SZ, 24.06.2022)

Der erschreckendste Aspekt des heutigen Unrechts ist aber wieder einmal das desinteressierte Volk, welches sehenden Auges in diese Katastrophen stolpert.

Die Richter-Ernennungen waren schon das ganz große Argument im Wahlkampf Trump versus Clinton aus dem Jahr 2016. Aber nur 54,8% der wahlberechtigten 249 Millionen Amerikaner konnte sich überhaupt aufraffen, die Stimme abzugeben. Dabei wählten die Alten und Weißen mit 65% überdurchschnittlich, während Afroamerikaner, Hispanics und Asian Americans eher zu Hause blieben.

Die Quittung sind nun Trumps drei ultrarechten Supremecourt-Richter, die ihnen Stück für Stück die Rechte beschneiden werden.


Als ich am 11.September 2001 mit offenen Mund auf die CNN-Bilder aus New York starrte, war ich ehrlich geschockt. Kaum jemand außerhalb der Geheimdienste hatte mit so einem gewaltigen Terroranschlag gerechnet.

Die Zahl von 3.000 Todesopfern machen die USA Dank der republikanischen Partei inzwischen jeden Monat voll – erschossenen von den eigenen Landsleuten. Es fehlt aber der schockierende Aspekt, weil alles absehbar, erwartet und einkalkuliert ist. Die Amerikaner wollen es entweder so oder sind zu desinteressiert, um etwas zu ändern.

Sie tapsen sehenden Auges in die Katastrophe.

Demokratische Aktivisten hoffen nun, die Abtreibungs-Entscheidung und die Insurrection-Hearings könnte die über 100 Millionen apathischen Wahlberechtigten, denen alles egal ist, doch dazu bringen bei den Midterms im November zu wählen und den Demokraten zum Sieg verhelfen.

Ich bin Pessimist. Der amerikanische Urnenpöbel war zu oft, zu drastisch gewarnt worden, schickte aber dennoch auch noch 2020, nach den vier Jahren Trump und dem blutigen Coup-Versuch, die rechtsradikalen Hetzer und skrupellosen Lügner wieder in den Kongress. Mitch McConnell und Lindsey Graham und Ted Cruz  - die neben Trump und Death Santis vielleicht den übelsten menschlichen Abschaum der Welt bilden, wurden alle wieder gewählt.

Gewalt, Ungerechtigkeit, Krieg, Klimawandel, über eine Million Covid-Tote, ungezählte Obdachlose, mehr als zehn Millionen in den USA hungernde Kinder interessieren die Wähler nicht genug. Das Thema sind die Benzinpreise, die unter Trump niedriger waren. Daher wird ein republikanischer Durchmarsch erwartet.

Die guten US-Amerikaner haben ganz offensichtlich nicht die Kraft gegen die Massenverdummung zu stemmen. Sie gehen in eine düstere Zukunft. 29 Bundesstaaten werden unbewohnbar für anständige Menschen.

[….]  Zurück in eine repressive Vergangenheit[…] Neunundvierzig Jahre lang hatten amerikanische Frauen das Recht, eine ungewollte Schwangerschaft beenden zu lassen, wenn sie das wollten. Am Freitag wurde ihnen dieses Recht genommen. […]  Die Entscheidung vom Freitag ist das Ergebnis einer sehr gezielten, vollkommen offenen und mit viel Energie betriebenen politischen Kampagne. […] In gesellschaftlicher Hinsicht ist das Urteil ein gewaltiger Rückschritt. Man kann Abtreibungen aus allerlei Gründen befürworten oder ablehnen. Aber ein Verbot verhindert ja nicht alle Abbrüche, es macht sie zunächst einmal nur strafbar und gefährlicher. Es ist gut denkbar, dass dieses Urteil, das werdendes Leben schützen soll, das Leben von Müttern kosten wird. Und ein Verbot entmündigt Frauen, weil es so tut, als seien diese nicht fähig oder zu leichtfertig, um die schwierigen Abwägungen zu treffen, die mit einer Abtreibung verbunden sind. Das ist eine herablassende, bevormundende Haltung, die nichts mit der Realität zu tun hat. […] 

(Hubert Wetzel, 24.06.2022)