Wenn Wolfgang Kubicki chauvinistisch-sexistischen Unsinn von sich gibt, wenn CDU-Rechtsaußen Hans-Georg Maaßen gegen Juden hetzt, wenn Markus Söder wie gedruckt lügt, wenn Friedrich Merz seine sagenhafte ökonomische Unkenntnis zum Besten gibt, staune ich kurz über den konservativen Personal-Ausleseprozess. Wie schaffen es, so offensichtlich wenig intelligente und wenig integre Schießbudenfiguren in ihren Parteien ganz nach oben?
Aber im Post-Trump- und Post-Truss-Zeitalter wundere ich mich längst nicht mehr grundsätzlich.
Ich empfinde auch kein Bedauern über so viel Schäbigkeit der genannten vier Herren, weil sie nie besser waren. So, und nicht anders, kennt man sie.
Die putinophile völkische Multi-Verschwörungstheoretikerin Sahra Sarrazin ist auch so ein Fall. Sie generiert laufend Schlagzeilen, wird aber jedes Mal nur noch unsympathischer. Seit ein paar Tagen geistern ihre antigrünen Hetztiraden durch Deutschland, aber ich nehme sie eher achselzuckend zur Kenntnis. Die einstige erzlinke Vertreterin der kommunistischen Plattform, begann bereits vor einer Dekade mit ihren beherzten Sprüngen in die braunen Güllegruben. Der penetrante AfD-Duft wurde längst zu ihrem Markenzeichen.
Man braucht schon ein Elefantengedächtnis, um sich an die Zeiten zu erinnern, als Wagenknecht eine konstruktive und kenntnisreiche Politikerin war.
Es ist ungewöhnlich, wenn meinungsmachende Figuren einen vollen öffentlichen Horst Mahler aufführen, also von ganz links nach ganz rechts marschieren.
Dafür sind aber einige Beispiele für diese Rechtsdrift sehr prominent. Henryk M. Broder, Arnulf Baring, Vera Lengsfeld, Angelika Barbe, Wolfgang Clement, Monika Maron, Cora Stephan, Boris Palmer, Oswald Metzger.
Besonders bedauerlich erschien mir das in seinen allerletzten Jahren offensichtlich Abdriften des von mir eigentlich hochgeschätzten Ralph Giordanos. Ein bißchen ähnlich bewegt sich Wolf Biermann, dessen Prosa-Texte mit politischen Analysen, die vor 35, 30 Jahren regemäßig im SPIEGEL erschienen, ich grenzenlos bewunderte, jedes Wort verschlang. Seit einigen Jahren bekundet er aber, Merkel zu wählen und wettert manisch gegen Links.
Auch wenn es jüngere Menschen kaum noch glauben: Sogar Thilo Sarrazin war 2002, als er Berliner Finanzsenator wurde, ein fähiger und eloquenter Mann, dem man gern zuhörte. Er gab wichtige Denkanstöße, rüttelte auf, wurde Talkshowstar. Er entwickelte eine zunehmende Lust an der Provokation, die ich anfangs wohlwollend akzeptierte. Den „Westberliner Schlampfaktor“ anzuprangern, war natürlich ebenso richtig, wie die Hinweise auf die exorbitanten Pensionslasten des Berliner Beamtenheeres.
Ab 2005, 2006 schoß er sich auf HartzIV-Empfänger ein, nahm später auch Migranten ins Visier. Bis 2009 wollte ich ihn nicht ganz fallenlassen, aber mit seinen Thesen im Lettre International vom September 2009 („Kopftuchmädchen“, „negative Auslese“) war der Bogen endgültig überspannt. Ich war fertig mit ihm, auch wenn ich mir damals nicht vorstellen konnte, wie viel weiter nach rechts der Mann in den nächsten 13 Jahren noch wandern würde.
Sehr lange sehr nachsichtig war ich mit Alice Schwarzer, weil sie so viele positive Eigenschaften hat. Sie ist gebildet, schlagfertig und verdammt mutig.
Für ihr großartiges Buch über Marion Gräfin Dönhoff wird sie bei mir immer einen Stein im Brett haben. Schwarzers radikalen Einsatz gegen Pornos und Prostitution fand ich immer absurd, war mir aber bewußt, als weißer Mann, der nicht seit 50 Jahren giftig für feministische Positionen beschossen wird, womöglich weniger qualifiziert zu urteilen.
2005 bekundete Schwarzer, sie werde Angela Merkel wählen, weil sie eine Frau ist.
Gegen RotGrün und für die CDUi, welche damals deutsche Soldaten an cder Seite der USA in den Irakkrieg schicken wolle, die hart homophob agierte und den §218 verschärfen wollte, die gegen die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe gestimmt hatte? Nur weil Merkel zufällig keinen Penis hat?
Das erschien mir für eine linke, lesbische Intellektuelle doch eine erstaunlich idiotische Positionierung. Ab 2015 gab es islamophobe Töne von Alice Schwarzer; seit zwei Jahren kommen geradezu extremistische transfeindliche Attacken aus der EMMA-Redaktion. Schwarzer ist eine Hardcore-TERF und verließ als solche die Sphäre des Anstands. Nun gehört sich zur feministisch-religiotischen Querfront.
Wie fast alle bisher genannten Nach-Rechts-Gedrifteten, bleibt es bei Schwarzer nicht bei einer Spinnerei. Offenbar wurde die Emma-Gründerin mittlerweile von verschwörungstheoretischen Blasen verschluckt. So leid es mir um diese einst hochgeschätzte Frau tut: Ich kann sie nicht mehr ernst nehmen.
Heute kürt die EMMA ausgerechnet Sascha Lobo zum Sexisten des Jahres; verleiht ihm den Negativpreis mit der Stinkmorchel.
Stellvertretend für diese Berliner Blase und woke Möchtegern-Meinungsmeier, die im Namen des Feminismus „sexpositiven“ Neusprech predigen, ernennen wir darum hiermit Sascha Lobo zum Sexist Man Alive 2022! EMMA gratuliert.
Man staunt, schließlich beschreibt sich Lobo (laut Emma) selbst wie folgt:
„Ich bin Feminist, und zwar intersektional, sexpositiv, sexarbeits- und transinklusiv. Feminismus heißt für mich, eine radikale Form der Gleichberechtigung für alle Geschlechter und Sexualitäten zu schaffen. Und andererseits gilt es, sich bewusst zu machen, wie wirkmächtig und gewalttätig das Patriarchat in der Gesellschaft wütet.“
(Sascha Lobo)
Und der Mann soll Deutschlands schlimmster Sexist sein?
Man ahnt es schon; die Worte „sexarbeits- und transinklusiv“ haben das gesamte Schwarzersche Triggerprogramm abspulen lassen: „Sex Work Exclusionary Radical Feminism“ (SWERF) und „Trans-Exclusionary Radical Feminism“ (TERF) gleichzeitig.
Lobo akzeptiert Transfrauen und verdammt nicht jede einzelne Prostituierte in Grund und Boden. Also ist er für Emma schlimmer als Kubicki. Logisch.
[…] Begründet wird dies damit, dass Lobo in der NDR-Sendung "deep und deutlich" die Ausbeutung von Frauen durch Prostitution verharmlost habe. […] Lobo sprach sich in der Sendung gegen ein Verbot von Prostitution aus, weil die Sexarbeit damit in die Illegalität abrutsche und für die Frauen alles noch schlimmer werde. Menschenhandel und Zwangsprostitution seien jetzt schon verboten, fänden aber weiterhin statt, argumentierte Lobo. Außerdem wandte er sich dagegen, jeden Sex, bei dem Geld fließt, als Vergewaltigung zu werten. Es entwickelte sich eine zunehmend heftige Diskussion, an deren Ende Mau die Sendung aus Protest gegen die Haltung der "privilegierten Menschen" im Studio verließ. Lobo bedauerte das ausdrücklich. […] "Emma" wirft Lobo vor, eine Frau, die Prostitution am eigenen Leib erfahren habe, aus seiner Berliner Blase heraus belehren zu wollen. [….]
Mein erster Impuls war natürlich, EMMA für diese Eselei einfach auszulachen.
Der zweite Gedanke war. Anzuerkennen, wie gut EMMA die Aufmerksamkeitsökonomie im Internet versteht. Hätte sie Merz oder Kubicki „ausgezeichnet“, wäre jedem klar, wieso. Das brächte aber nicht die Nachrichtenagenturen in Wallung. Kaum einer würde diese feministische Spitze überhaupt bemerken.
Indem aber ein offensichtlich nicht sexistischer Mensch gekürt wurde, ist Empörung sicher. Blogger aus Hamburg springen auf das Thema an.
Das ist ärgerlich. Denn die einst so verdienstvolle Schwarzer reduziert sich einmal mehr als TERF und SWERF. Sie erweist aber vor allem dem Feminismus einen Bärendienst. Denn Feminismus ist wichtig. Es ist schon sehr erbärmlich, wenn ausgerechnet die EMMA daran arbeitet, den Feminismus zu diskreditieren und lächerlich zu machen.