Mittwoch, 24. Mai 2023

Deutsche Peinlichkeit.

Eins tut Olaf Scholz sicher nicht; und zwar unbedacht losplappern. Seine viel zitierten Begriffe „Bazooka“, „Wumms“ und „Doppelwumms“ kamen garantiert nicht im Affekt über seine Lippen, sondern sollten genau die Wirkung erzielen, die dann auch eintrat.

So verstehe ich auch seinen unbundeskanzlerischen Satz rund um das Wort „bekloppt“:

[….] Bei einem EU-Projekttag in einer Schule sagte er am Montagnachmittag in Kleinmachnow östlich von Potsdam: "Ich finde das völlig bekloppt, sich irgendwie an ein Bild festzukleben oder auf der Straße." Er habe den Eindruck, dass es auch nicht dazu beitrage, dass irgendjemand seine Meinung ändere, sondern es ärgerten sich vor allem alle. "Das ist eine Aktion, von der ich glaube, dass sie nicht weiterhilft", sagte Scholz.  [….]

(SZ, 22.05.2023)

Scholz weiß natürlich, daß die Anliegen der „Letzten Generation“ gar nicht bekloppt, sondern berechtigt und sehr moderat sind.

Er weiß aber auch, wie extrem unbeliebt sich die naiven Aktivisten im Volk gemacht haben, weil sie der massiven Hetz-Kampagne der BILD, CDU und CSU – „Klima-RAF“, „Klimaterroristen“ – nichts entgegensetzten. 80% der Wähler stimmen dem Bundeskanzler zu.

FFF, die Grünen und die „letzte Generation“ haben alle die Schlacht um die Herzen der Öffentlichkeit verloren. Klimaschutz gilt den meisten als nachgeordnetes Thema.

Nur jeder zehnte Bundesbürger legt Wert auf Ökostrom. 70% interessiert nur, ob der Strom billig ist und nicht, wie klimaschädigend er erzeugt wurde.

Diese Zahlen sind ein absolutes Desaster für die Klimaschützer. Ihre PR-Kampagnen sind nicht etwa bloß wirkungslos, sondern kontraproduktiv. Wenn die Autofahrer sich höhnische „Heul leiser, Greta“-Aufkleber an ihre SUVs kleben und genau diese PS-Monster täglich beliebter werden, können sich Volker Wissing und Ondi Scheuer bei den Klebe-Aktivisten bedanken.

Wie unbedarft die Letzte Generation“ agiert, zeigt sich auch daran, wie naiv sie in die Falle des Bundeskanzler tappten; ihm den Gefallen taten, verbal ebenfalls zu eskalieren und noch mehr Aufmerksamkeit für die populären Scholz-Machtworte erzeugten.

[….] Die Klimaschutzaktivisten der "Letzten Generation" sind nach eigener Aussage "fassungslos" über die Kritik von Bundeskanzler Olaf Scholz. [….] "Herr Scholz, wie können Sie es wagen, sich vor die Kinder zu stellen, deren Zukunft Sie gerade vernichten, und davon zu sprechen, dass Sie Protest gegen Ihre zerstörerische Politik 'völlig bekloppt' finden?", fragten die Umweltschützer.

Es sei schließlich die Schuld des Kanzlers, dass Menschen auf Deutschlands Straßen versuchen müssten, friedlich ihre Grundrechte zu erstreiten. "Die Ursache unseres Protests liegt in der verantwortungslosen Befeuerung des gesellschaftlichen Zusammenbruchs durch die Regierung Scholz." Außerdem sprühten Aktivisten am Dienstagnachmittag orange Warnfarbe an die Fassade des Willy-Brandt-Hauses, wie es von der Polizei hieß.  [….]

(SZ, 23.05.2023)

Und nun werden sich noch mehr Menschen auf die Seite des Kanzlers schlagen.

Die Causa ist ein Paradebeispiel dafür, weswegen Demokratie und plebiszitäre Elemente nicht funktionieren.

Die öffentliche Meinung ist eindeutig. 80% gegen die Klimakleber. Eine riesige Mehrheit urteilt also nach Gefühlslage und von Springer-Presse aufgestachelt.

Inhaltlich sieht es allerdings genau umgekehrt aus: Die Forderungen der Letzten Generation sind wissenschaftlich eindeutig gerechtfertigt und faktisch richtig.

Vom Hass auf die „Klimakleber“ will selbstverständlich auch der wahlkämpfende Rechtspopulist Söder profitieren.

Nach GOP-Vorbild schwingt er die ganz große Keule gegen die jungen Menschen, die sich erdreisten, das Überleben der Menschheit zu befürworten.

[….] Womit man bei Alexander Dobrindt wäre. Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag ist einer der ganz wenigen Menschen, die beim Anblick eines Unfalls finden: Will ich auch. Bestimmt hätte sich für die Heizpläne der Ampel am Dienstag auch ein anderes Wort als "bekloppt" finden lassen; womöglich hätte ihn das nicht derart in Fahrt gebracht, dass er sogleich von "Hinweisen auf zivilen Ungehorsam" bei Hauseigentümern schwärmte. Dobrindt? Der Mann, der neulich erst die "Klima-RAF" erfand? Findet auf einmal zivilen Ungehorsam gut? Immerhin, es wäre eine Attraktion, ihn demnächst an einer Ölheizung kleben zu sehen.  [….]

(Detlef Esslinger, 24.05.2023)

Heute setzte es also Razzien gegen die Letzte Generation; ihre Websites wurden vom Netz genommen.

[….] Die Art, wie der Staat, der Justiz- und Exekutivapparat, Teile der Presse und auch der Bevölkerung mit den Protestierenden der »Letzten Generation« umgehen, ist nichts weniger als katastrophal. Und zwar insbesondere in demokratischer, aber auch gesellschaftlicher Hinsicht.

Eine bundesweite Razzia hat stattgefunden mit der Begründung, es liege ein Anfangsverdacht für eine kriminelle Vereinigung vor. [….] Der Begriff einer kriminellen Vereinigung ist viel, viel größer und gewichtiger, weil dazu noch eine »Erheblichkeitsschwelle« überschritten sein muss, wie der ZDF-Rechtsexperte Jan Henrich erklärt . Das entsprechende Gesetz dient eigentlich zur Einordnung von mafiösen oder terroristischen Strukturen. [….]

(Sascha Lobo, 24.05.2023)

Die bayerische Polizei und bayerische Staatsanwaltschaft griffen zu drastischen Methoden.

[….]   Dann aber ist anlässlich der aktuellen Razzia etwas staatsübergriffig Grenzüberschreitendes geschehen: Die Website der »Letzten Generation« wurde abgeschaltet . Das liest sich für manche vielleicht auf den ersten Blick harmlos. Faktisch aber ist es ein absichtsvoller Stich ins Herz der Demokratie, nämlich der offenen Debatte. Es kommt sehr, sehr selten vor, dass bei solcher Art Ermittlungen eine Website abgeschaltet wird. Bisher wird diese Maßnahme eigentlich nur angewendet, wenn die Website das Herzstück der Illegalität bildet, etwa bei illegalen Tauschbörsen oder Online-Drogenhandel. Die falsche Radikalität dieser Maßnahme gegen die »Letzte Generation« wird besonders im Kontrast deutlich: Bei Razzien gegen Islamisten dagegen findet eine Website-Abschaltung nicht regelmäßig statt. Ebenso wenig bei »Reichsbürgern« oder QAnon-Anhängern. Obwohl diese Gruppierungen inzwischen mehrere Ermordete verantworten, sind sogar noch Seiten online, auf denen man seine »Reichsdokumente« beantragen kann. [….]

(Sascha Lobo, 24.05.2023)

Möglicherweise hilft aber diese extrem radikale und übertriebene Maßnahme den Aktivisten.

Sympathisch macht sich der CSU-Staat so nicht.

[….] Beim Wort "kriminelle Vereinigung" denkt man an organisiertes Verbrechen. An Mafia, Menschenhändler-Ringe. [….]  Das ist ein Netzwerk der russischen Organisierten Kriminalität, es sind Schutzgelderpresser und Mörder. Die Neonazi-Kameradschaft "Sturm 34" ist ein weiteres solches Beispiel, das sind Schläger, die in den 2000er-Jahren mit Sturmhauben und quarzsandgefüllten Handschuhen in Sachsen auf Jagd nach - vermeintlichen - Ausländern gingen. [….] Am Mittwoch hat die Generalstaatsanwaltschaft München überraschend einige Wohnungen und Büros der "Letzten Generation" durchsuchen lassen, gestützt auf den Vorwurf der "kriminellen Vereinigung". Möglich war das, weil diese Strafvorschrift, Paragraf 129 des Strafgesetzbuchs, aus der Nähe betrachtet, bemerkenswert vage formuliert ist. [….]  Soll man wirklich unterstellen, das Begehen von Straftaten sei der eigentliche "Zweck" der "Letzten Generation" - wie bei den Menschenjägern des sächsischen "Sturm 34"? In München hat man daran gezweifelt, in Stuttgart hat der Generalstaatsanwalt sogar ganz offen kein Geheimnis daraus gemacht, dass er das Vorpreschen der Neuruppiner Juristenkollegen für abenteuerlich halte. Für überzogen. Jetzt aber haben sich in München die Strafverfolger aus der Deckung bewegt und sich erstmals der Position der bislang allein auf weiter Flur stehenden Brandenburger angeschlossen. "Die Letzte Generation stellt eine kriminelle Vereinigung gemäß Paragraf 129 StGB dar!", stand am Mittwoch als Statement der Generalstaatsanwaltschaft auf der beschlagnahmten Webseite der "Letzten Generation". Das ist eine Vorverurteilung, denn noch hat, wohlgemerkt, kein Gericht entschieden, ob dies auch stimmt.   [….]

(Ronen Steinke, SZ, 24.05.2023)