Seit über
30 Jahren lese ich jetzt schon jede Woche den SPIEGEL.
Die „Montagsaufregung“
wie vor 20 Jahren gibt es nicht mehr.
Damals
konnte man es gar nicht erwarten das neue Heft in die Hand zu bekommen, weil
man nur im SPIEGEL exklusiv detaillierte politische Hintergründe erfuhr.
Selbstverständlich
sind das Informationstempo und die Informationsquantität durch das Internet
unermesslich angewachsen.
Selbstverständlich
hat der SPIEGEL im Kampf gegen den Auflagenschwund mit Boulevardisierungen und
fragwürdigen Personalentscheidungen enorme Fehler gemacht.
Ich bin
aber dennoch der Meinung, daß der SPIEGEL immer noch unverzichtbar ist.
Diejenigen,
die so locker „der SPIEGEL ist doch scheiße“ rausposaunen, sind in der Regel
diejenigen, die ihn ohnehin nicht lesen und es gar nicht beurteilen können.
Eine
Stärke aus alten Tagen sind beim SPIEGEL die exzellenten Verbindungen in die
höchsten politischen und parteilichen Kreise.
Ich
staune immer wieder, wenn in innenpolitischen Artikeln ausführlich wörtlich aus
vertraulichen Sitzungen kleinster Kreise berichtet wird.
Wenn
sich das Kabinett, das SPD-Präsidium oder Vorstände von DAX-Unternehmen treffen,
scheint es immer Teilnehmer zu geben, die anschließend sofort zum SPIEGEL
rennen und Details ausplaudern.
Altmaier
und Co rennen nicht zu Focus oder HuffPo, sondern immer noch zu dem Leitmedium. Daher ist DER SPIEGEL
eben diese besonders gut informierte Quelle.
That
said, noch ein paar Bemerkungen zur Lage der SPD nach dem Desaster-Parteitag vom 10.-12.12.15 in Berlin.
Im SPIEGEL-Leitartikel
vom 19.12.2015 fordert Markus Feldenkirchen von der SPD „Macht Euch ehrlich“.
Das
Verhältnis zwischen Gabriel und der Partei sei zerrüttet. Er müsse abtreten und
die Figuren der zweiten Reihe könnten sich nicht mehr so feige zurückhalten,
als ob sie nicht dazu gehörten.
Ob es so
viel bringt, wenn nach Scharping, Lafontaine, Schröder, Müntefering, Platzeck,
Beck, Müntefering und Gabriel der Neunte seit dem letzten überzeugenden
Parteichef (Engholm) übernimmt, hängt natürlich stark von der zu bestimmenden
Person ab.
Offensichtlich stehen die Schwarzen, die seit
15 Jahren ununterbrochen dieselbe Chefin haben, demoskopisch viel besser da.
Der
SPIEGEL geißelt die Feigheit der weiteren Führungsfiguren in der SPD.
Die
Stellvertreter Hannelore Kraft, Thorsten Schäfer-Gümbel, Manuela Schwesig, Olaf
Scholz, Aydan Özoğuz und Ralf Stegner haben alle keine Lust sich den miesen Job
anzutun. Frühestens nachdem die SPD die Bundestagswahl 2017 vergeigt hat.
Pflichtgefühl
hatte mal einen anderen Stellenwert.
Steinmeier
will gemütlich ins Bundespräsidentenamt einziehen und Nahles ist viel zu faul
dazu sich jetzt in aussichtsloser Lage aufzureiben.
Das
Parteipräsidium bietet auch keinen einzigen möglichen Kandidaten:
Katarina
Barley, Dietmar Nietan, Martin Schulz, Doris Ahnen, Ute Vogt und Florian
Pronold.
Der
einzige Name, der mir einfällt, ist Heiko Maas. Justizminister, Vorkämpfer
gegen Rechtsextremismus und Beisitzer des Bundesvorstands.
Für
Gabriel trifft das zu, was Kubicki einst der FDP diagnostizierte, sie sei unter Generalverschiss geraten.
Verblüffend,
daß man die linke „taz“ aufschlagen muß, um zu lesen, daß Gabriel eigentlich viel
besser als sein Ruf wäre.
Gabriel und die
Deutschen, das ist keine Liebesgeschichte. Die Sprunghaftigkeit des SPD-Vorsitzenden
und Wirtschaftsministers ist legendär, seine Neigung zu Ungeduld und schlechter
Laune auch. Die SPD leidet, oft still und immer öfter laut. Gabriels Ja zur
Vorratsdatenspeicherung, sein Nein zu linker Steuerpolitik, der Populismus in
der Griechenland-Krise, die verfluchten 25 Prozent in den Umfragen.
Bei alldem geht unter,
dass Gabriel manchmal besser ist als sein Ruf.
Die
positiven Anlagen, die Korrespondent Schulte ausführt, sehe ich auch alle, habe
immer wieder in diesem Blog darauf hingewiesen, was Gabriel kann.
Außerdem
rechne ich ihm hoch an, daß er 2009 die Kartoffeln aus dem Feuer geholt hat und
sich jetzt in dieser desolaten Lage nicht der Verantwortung entzieht, also
nicht einfach hinwirft.
Aber
Gabriel trägt auch eine große Mitschuld an dem miesen Ansehen seiner Partei und
den 139-mal Nein und 19 Enthaltungen bei der Wiederwahl zum Vorsitzenden.
Sich in
der eigenen Parteizentrale externe PR-Berater wie Thomas Hüser zu
holen, die vorher in der CDU waren und der SPD öffentlich Niederlagen
wünschten, schafft natürlich nicht gerade Vertrauen bei den Parteimitarbeiten.
Und es
ist widerlich bei humanistischen Themen mit Blick auf den Mob und die Umfragen
einzuknicken. Auch das honorieren SPD-Sympathisanten nicht.
Schon
gar nicht, wenn Gabriel immer so tut, als sei er der einzige, der überhaupt
wisse wie „das Volk“, oder „die Basis“ ticke.
Zunächst ziemlich irritiert
und inzwischen vor allem belustigt verfolgt das Personal im Willy-Brandt-Haus
die Zahl der freischaffenden PR- und Politikberater, die der Parteichef um sich
versammelt.
Auch sein ständiges
Mantra, „fragt doch die Basis oder die Bürgermeister“, nervt viele Genossen nur
noch. Als wäre Gabriel der Einzige, der Basiskontakte unterhält und imstande
sei zu verstehen, was normale Bürger sich von der Politik wünschen. [….]
Und bis zur letzten
Minute versuchte Gabriel – gegen die Landesvorsitzenden Hannelore Kraft (NRW)
und Thorsten Schäfer-Gümbel (Hessen) – Formulierungen durchzusetzen, die auf
eine stärkere Begrenzung der Migrantenzahlen zielten. „Die Umfragen sagen doch,
dass wir wegen der Flüchtlinge in Richtung 20 Prozent gehen“, rief er mit
erhobener Stimme in der Sitzung. Hannelore Kraft hielt dagegen: „Wir müssen
unsere Leute mitnehmen, wir können nicht nur Richtung Mitte marschieren.“
Aber Gabriel wollte
keinen Kompromiss. „Ich ziehe das hier durch“, dröhnte er. Er müsse schließlich
die Partei zusammenhalten. „Dann mach du es doch“, brüllte er schließlich Richtung
Kraft.
Schließlich wusste er
ja, dass die Genossin sein Angebot nicht annehmen würde.
(DER
SPIEGEL 19.12.2015)
Punkt
für Gabriel: Es ist natürlich schwach von Frau Kraft hinter den Kulissen
rumzumäkeln, aber als Ministerpräsidentin des größten und wichtigsten
Bundeslandes gar nicht dran zu denken als Kanzlerkandidatin oder
Parteivorsitzende ihren Kopf hinzuhalten.
Andererseits
hat Kraft inhaltlich Recht. Wie unfassbar erbärmlich bei der Flüchtlingsfrage
mit den xenophoben Umfragen zu argumentieren.
Wenn das
so stimmte, müßte die CDU noch schlechter dastehen, da ihre Anhänger viel
weniger gut auf Hilfesuchende reagieren.
Man muß
Gabriel außerdem vorhalten, daß er sich bei anderen Themen überhaupt nicht um
die große Mehrheit im Volke schert.
Er
propagiert TTIP und stimmte für den von 80% des Volkes scharf abgelehnten
Anti-Sterbehilfe-Gesetzentwurf.
Wenn es
um Kirchen- und Wirtschaftsinteressen geht, traut sich der Parteichef also
unpopuläre Themen gegen die Majorität durchzupauken, aber bei Ausländern knickt
er gleich ein. Siehe auch sein Auftritt bei Pegida und die Empfehlung an
Griechenland doch den Euroraum zu verlassen.
Da muß
man sich nicht wundern den Namen „Zickzack-Sigi“ verpasst zu bekommen.
Und daß
er 74% der Stimmen bekam, bedeutet eben auch nicht, daß er all die strittigen
Punkte wie Vorratsdatenspeicherung, Waffenexporte und TTIP ein für alle Mal in
seinem Sinne von der Parteibasis als entschieden ansehen kann.
Es gibt
genügend parteitaktische Gründe Gabriel nicht demontieren zu wollen, ihn nicht
gegenüber CSU und CDU schwächen zu wollen, so daß man als SPD-Delegierter für
ihn als Vorsitzenden stimmt.
Das
heißt aber noch lange nicht, daß man damit auch sein Plazet für TTIP gibt.
Ich
glaube nicht, daß Sigmar Gabriel noch in der Lage sein wird für die SPD mehr
als 25% bei den Bundestagswahlen rauszuholen.
Wenn
sich bloß ein natürlicher Nachfolger anböte.
Einer,
der vielleicht 2017 eine Niederlage wegsteckt, ohne gleich wieder demontiert zu
werden. Auch Willy Brandt wurde als Parteivorsitzender zweimal als
Kanzlerkandidat von der CDU geschlagen, bevor er doch noch Kanzler wurde und zu
dem ganz großen Parteivorsitzenden avancierte.
Für mich
ist es vorstellbar, daß ein Maas, der jetzt die Partei übernähme im Jahr 2021 oder
2025 eine große SPD-Mehrheit holen könnte.
Aber
zehn Jahre an der Parteispitze werden mit diesem Verein vermutlich recht
unwahrscheinlich.