Donnerstag, 13. Oktober 2022

Putinophobes Wunschdenken.

Nach gut sieben Monaten Ukraine-Krieg, den grausamen Bildern und Zahlen, die uns täglich erreichen, sind Hashtags wie #FCKPUTIN und die Flut von antirussischen Memes völlig verständlich.

Natürlich fühlen sich alle Menschen, die nicht moralisch vollkommen verdorben sind, angewidert, wünschen ein sofortiges Kriegsende.

Für Europa insgesamt gab es seit 1945 keinen Krieg mehr, der so massive Auswirkungen auf unbeteiligte Länder hat, weil sich zwei der weltweitgrößten Weizenproduzenten streiten und der Aggressor Europas wichtigster Energielieferant ist. Die Weltwirtschaft stürzt in Rezession und Inflation. Die Gemengelage ist so kompliziert, daß gegenwärtig nicht einmal verhandelt wird – niemand kann sich eine friedliche Lösung vorstellen. Der deutsche Michel erträgt aber keine komplexen Schwierigkeiten, bei denen er zugeben muss, intellektuell überfordert sein. In dem Fall sucht er sich einen Sündenbock, wird anfällig für Hetzer aller Art. Die einen rennen Wagenknecht und der AfD nach, weil sie glauben, man müsse nur Putin freundlich bitten, die verbliebene Nordstream2-Röhre wieder aufdrehen und schon lösten sich alle unsere Probleme in Nichts auf. Das ist natürlich Unsinn.

Fünf Cent mehr Intellekt erfordert es, zu erkennen, daß der Merkel-Weg* eine Sackgasse war. Damit hat man aber auch noch keine Lösung und projiziert seinen Drang nach geistiger Schlichtheit auf die Verdammung Putins und die Sympathie für alles Ukrainische. Gelb-blaue Flaggen auf das Facebook-Profil stellen und sich gegenseitig „Putin muss weg!“ versichern.

*(Auf eigene Innovationen verzichten, das Geld für die Entwicklung erneuerbarer Energiequellen sparen und alle Augen vor Menschenrechtsverletzungen zudrücken, während man billig in Saudi Arabien, Russland und China einkauft. Hauptsache, man hat seine Ruhe, muss sich nicht ändern und wird immer wiedergewählt.)

Putin zu verdammen ist menschlich verständlich und mehrheitsfähig.

Es könnte aber eine zu vage Hoffnung sein, auf die man da setzt. Trotz der offenkundigen und letztlich überraschenden militärischen Schwäche Russlands, bleiben die Atomwaffen, die Russland, anders als sonstige unsympathische Kriegsherren wie Hitler oder Saddam, nun einmal besitzt. Daher hinken alle Appeasement-Vergleiche mit 1938.

Noch weiter hergeholt ist die Hoffnung auf Putins schlechten Gesundheitszustand. Natürlich könnte er morgen zufällig tot umfallen, aber erstens ist das unwahrscheinlich und zweitens bricht dadurch nicht augenblicklich Friede auf Erden, sowieso Demokratie in Russland aus.

Ich weiß nicht, wer als Nachfolger aufrücken würde, bezweifele aber sehr stark, daß brutale Scharfmacher wie Sergej Schoigu, Dmitri Medwedew oder gar Sergej Surowikin („General Armageddon“) lammfromm die weiße Fahne schwenkend aus der Ukraine abzögen.

Es gibt keine einfache Lösung und so beschränken wir uns darauf, stellvertretdend diejenigen zu beschimpfen, die wir in Deutschland als „Putins Agenten“ ausgemacht haben. Schröder, Schwesig, Weidel, Chrupalla, Wagenknecht, Kretschmer, Merz und nun auch noch Bohlen.

[…] Auf einer Podiumsveranstaltung der Business-Plattform „Entrepreneur University“ sagte der 68-Jährige mit Blick auf die Politik zum Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine: „Wenn die diese Sanktionen zum Beispiel nicht gemacht hätten und man hätte sich vernünftig an einen Tisch gesetzt, ja, dann bräuchten die Leute jetzt nicht diesen ganzen Firlefanz machen.“ Weiter ist in dem kurzen Clip von der Veranstaltung zu sehen und zu hören, wie Bohlen sagt: „Jetzt müssen wir frieren, jetzt müssen wir dies und das, das ist doch alles scheiße aus meiner Sicht.“ [….]

(MoPo, 13.10.2022)

Nicht falsch verstehen; natürlich ist Bohlen ein Blödmann, natürlich verdienen Merz und Sahra Sarrazin hart kritisiert zu werden. Aber auf solche Typen einzudreschen, bringt uns dem Frieden nicht näher.


Eine andere Vereinfachungsstrategie sind die höhnischen Meldungen über das Versagen der russischen Armee. Plötzlich sind wir alle Militärexperten und finden es unheimlich lustig, geradezu befriedigend, zu sehen, wie viele Panzer, wie viele Soldaten, Putin schon verlor.

Zudem registrieren wirzufreiden, wie isoliert Russland in der Welt dastehe. Nur noch Nicaragua, Nordkorea und Belarus habe er an seiner Seite jubiliert social media.

Aber Putin ist noch nicht am Ende.

(….) Herrlich doof, diese Europäer, wird sich Wladimir Putin denken, während er die Gazprom-Rekordgewinne einstreicht.

[…] Wegen der massiv gestiegenen Preise für Gas und Öl hat der staatliche kontrollierte russische Energiekonzern Gazprom seine Geschäftsergebnisse nach eigenen Angaben in den ersten sechs Monaten dieses Jahres deutlich steigern können. Demnach erzielte Gazprom einen Rekordgewinn von 2,5 Billionen Rubel (umgerechnet 41,63 Milliarden Euro), wie das Unternehmen gestern Abend mitteilte.  Das ist bereits mehr als der gesamte Gewinn des vergangenen Jahres. 2021 hatte der Konzern wegen der hohen Preise für Öl und Gas bereits einen Rekordgewinn von 2,09 Billionen Rubel (rund 27,5 Milliarden Euro) erreicht. […]

(Tagesschau, 31.08.2022)

Schwere EU-Sanktionen gegen Russland. Russland exportiert viel weniger Gas und Öl. Russland verdient mehr denn je. Das hat ja ganz toll geklappt, Frau von der Leyen.

Die CDU-Präsidentin der EU ist seit geraumer Zeit untergetaucht und sieht planlos zu, wie ihr immer mehr rechts regierte Nationen (denen sie ihre Wahl verdankt) von der Fahne gehen.

Viktor Orbán blockierte die Sanktionen gegen Kriegstreiber Kyrill I., Putins wichtigsten Alliierten.

Sachsens Landesvater, von der Leyens Parteifreund Kretschmer, schert ebenfalls aus und zeigt der Ukraine den Stinkefinger.

Ungarn erhöht die Importe aus Russland deutlich.

[….]  Der Außenminister reist nach Moskau, um über neue Gaslieferungen zu sprechen. Die relative Nähe seiner Regierung zum Kreml könnte dabei helfen. Budapest ist sehr abhängig von dem fossilen Brennstoff.  Die Abhängigkeit von Gas zwingt zum Handeln. Im Falle Ungarns bedeutet das eine höhere Einfuhr aus Russland. Das kleine mitteleuropäische Land will 700 Millionen zusätzliche Kubikmeter Gas von Russland kaufen. Dies kündigte am Donnerstag die rechtskonservative Fidesz-Partei des Ministerpräsidenten Viktor Orbán an. Außenminister Peter Szijjarto wird noch im Laufe des heutigen Tages nach Moskau reisen, um über neue Gaslieferungen zu sprechen. [….]

(FAZ, 21.07.2022)

Als nächstes verließ Bulgarien die ohnehin nicht mehr einheitliche EU-Linie.

[….]  Bulgarien steht vor einer Zerreißprobe. Das EU-Land ist in der Gas-Versorgungskrise tief gespalten über den richtigen Umgang mit Russland und seinem staatlichen Energiekonzern Gazprom.  Während der proeuropäischen Kräfte eine Wiederaufnahme des Liefervertrages mit dem Petersburger Energieriesen ablehnen, befürwortet die Übergangsregierung unter Ministerpräsidenten Galab Donew die umstrittenen Gespräche. "Als geschäftsführende Regierung wollen wir das zu Ende führen, was wir als Vereinbarung bereits haben", sagt der 55-jährige Ökonom in einem TV-Interview. Der langfristige Vertrag mit Gazprom läuft erst Ende 2022 aus. [….]

(Wiener Zeitung, 01.09.2022)

Mit Italien wird mit hoher Wahrscheinlichkeit bald auch das erste echte EU-Schwergewicht auf Russland zugehen.  (…)

(Putins Plan geht weiterhin auf, 04.09.2022)

Diese Graphiken zeigen Putin aber isolierter, als er ist. Die beiden mit weitem Abstand bevölkerungsreichsten Staaten der Erde – China und Indien – stellen sich nicht gegen die Ukraine-Invasion.

Putin hat mit Viktor Orbán schon jetzt mindestens ein U-Boot in der EU, die einstimmig entscheiden muss. Bald kommt Frau Meloni dazu, so daß die EU keine Grausamkeiten mehr gegen Russland beschließen wird.

Ähnlich sieht es auf UN-Ebene aus. Das mächtigste Gremium, der UN-Sicherheitsrat, kann wegen der fünf Vetomächte nicht gegen Moskau entscheiden. China stimmt nicht gegen Russland, aber vor allem ist Putin selbst Vetomacht.

Russland dominiert den Weizenhandel, setzt die globale Hungerkatastrophe gezielt als Waffe ein – auch hier ist die Staatengemeinschaft angesichts von 25.000 Menschen, die jeden Tag auf der Erde verhungern, erpressbar.

Den möglicherweise wichtigsten Coup seit einem halben Jahr landete Putin aber, als assoziiertes OPEC-Mitglied, indem er es schaffte, mitten in der größten Energiekrise, die tägliche Ölfördermenge um zwei Millionen Barrel zu verringern. Das hilft dem Erdölexporteur Russland gewaltig.

Putin holte den Verbrecher und  Kriegstreiber Kronprinz Mohammed bin Salman auf seine Seite, der als Regierungschef der mächtigsten und reichsten Erdölexportnation damit auch seinen Freund und Beschützer Donald Trump zurück ins Amt holen will. Gut möglich, daß das gelingt. Biden schäumt, aber was soll er tun, angesichts von 75 schwer verblödeten US-Wählern?

[….] Für Biden und die Demokraten kommt die Förderkürzung zur Unzeit: In vier Wochen stehen die Midterm-Wahlen an. Sie gelten als politisches Stimmungsbild, als Zwischenzeugnis für Biden, das angesichts der Inflation schlecht ausfallen könnte. Besonders ärgerlich ist für Biden, dass er die von Anfang an umstrittene Reise nach Saudi-Arabien im vergangenen Juli spätestens jetzt als außenpolitischen Misserfolg verbuchen muss.  Die amerikanische Öffentlichkeit wirft Biden vor, dass er über Menschenrechtsverletzungen des Königreichs hinwegsehe, nur um die Erdöl- und Benzinpreise zu drücken. [….]  Beobachter glauben, dass Saudi-Arabien mit dem jüngsten Opec-plus-Beschluss darauf abziele, die amerikanische Innenpolitik kurz vor den Kongresswahlen zugunsten der Republikaner zu beeinflussen. Für diese sind die steigenden Preise perfekte Wahlkampfmunition. Umfragen zeigen, dass die meisten Amerikaner die Wirtschaftspolitik der Demokraten für die Inflation und hohen Benzinpreise verantwortlich machen.

Was für diese Theorie spricht, ist das offene Geheimnis, dass Riad darauf hofft, den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump 2024 wieder im Weißen Haus zu sehen. Trump wählte Saudi-Arabien nach seiner Wahl 2017 als erste Auslandsstation, er schloss Waffendeals in Milliardenhöhe ab, ohne Riad mit dem Thema Menschenrechte zu nerven, nicht mal die Ermordung Khashoggis, der in den USA im Exil lebte, konnte das bilaterale Verhältnis trüben. Im Gegenteil: Der Washington Post-Journalist Bob Woodward zitierte Trump in seinem Buch "Rage" mit den Worten, er habe Mohammed bin Salman, kurz MbS genannt, in der Khashoggi-Affäre "den Arsch gerettet". "Ich konnte den Kongress dazu bringen, ihn in Ruhe zu lassen. Ich konnte sie dazu bringen, damit aufzuhören", steht darin. [….]

Im Kremlchef sieht bin Salman wohl einen verlässlicheren Partner, auf den er zählen kann, komme was wolle. [….] Und mit dieser Haltung steht Mohammed bin Salman auf der Arabischen Halbinsel offenbar nicht alleine da. Der einflussreiche Präsident der Vereinigten Arabischen Emirate, Mohammed bin Zayed, stattete Putin am Dienstag einen Besuch in St. Petersburg ab. Darin brachte sich bin Zayed als möglicher Vermittler im russischen Krieg gegen die Ukraine ein. Der Ton war, mit Blick auf das Protokoll, freundschaftlich-vertraut. Mohammed bin Zayed gratulierte Putin zum Geburtstag, der Kremlchef antwortete mit Schukran, dem arabischen Wort für Danke. Es scheint gerade einiges zu geben, wofür Russlands Machthaber den Herrschern am Golf dankbar zu sein scheint.  [….]

(SZ, 13.10.2022)

Trump würde in seiner zweiten Amtszeit alle Vorsicht vergessen und sich als Autokrat anderen Schlächtern verschreiben.

Wären MBS, MBZ, Trump und Putin wiedervereint, stünde Moskau wieder recht gut dar.