Sonntag, 3. Januar 2016

Hüte dich vor der Erfüllung deiner Wünsche.



Warum tun die Araber eigentlich nichts?
Diese Frage zog sich durch die Republikanischen Präsidentschaftsdebatten in den USA.
Und viele der GOPischen Möchtegern-Außenpolitiker versprachen ihrem Publikum, amerikanische „boots on the ground“ wären nicht nötig, weil sie diesmal die reichen Golfstaaten dazu brächten das Kämpfen zu übernehmen.
Aus Sicht konservativer Amerikaner ist es in der Tat irgendwie unbefriedigend gelaufen bisher: Fast alle der WTC-Attentäter waren saudische Staatsbürger und als es anschließend ans Aufräumen in Afghanistan und dem Irak ging, hielt sich Riad vornehm zurück.
Auch wenn das eine sehr vereinfachte Darstellung ist, so hat sich doch bei westlichen Bellizismus-Diskussionen eingebürgert die Armeen der Golfmonarchien gar nicht erst einzuplanen.
Über richtiges Militär scheinen nur Israel und der Iran zu verfügen und beide sind denkbar unbeliebt bei ihren Nachbarn.
Es ist schon bequem für die sunnitischen Nationen unter dem Radar zu operieren.

Wenn man sich in deutschen Talkshows über die fürchterlichen Zustände in Gaza echauffiert, weil Israel den Gaza-Streifen so abriegelt, daß weder Medikamente noch Nahrungsmittel hineinkommen und Michel Friedmann zufällig dabei sitzt, um daraufhin zuweisen, daß Gaza auch eine Grenze zu Ägypten habe, die Ägypten aber genau hermetisch abriegele, dafür von Deutschen aber nie kritisiert werde, glotzt man ihn ungläubig an und vergisst den Einwand sofort wieder.

Vergessen wird auch, daß der kleine gebeutelte Libanon und das arme Jordanien, sowie die Türkei und Pakistan mit Abstand die allermeisten Flüchtlinge aufnehmen, obwohl man sie schwerlich für die Zustände im Irak oder Syrien verantwortlich machen kann.
Nur 5% der Flüchtlinge aus dem Nahen Osten gelangen überhaupt bis nach Europa.

In Folge der weiter ansteigenden Flüchtlingszahlen wird auch der Druck auf die Aufnahmeländer immer größer. In absoluten Zahlen nahm die Türkei bis 30. Juni 2015 mit 1,84 Millionen die meisten Flüchtlinge unter UNHCR-Mandat auf (Palästinenser fallen unter das Mandat der Schwesterorganisation UNRWA). Im Verhältnis der Flüchtlingszahl zur einheimischen Bevölkerung hat der Libanon mit 209 Flüchtlingen pro 1.000 Einwohnern die meisten Menschen aufgenommen. Mit 469 Flüchtlingen pro Dollar des Bruttoinlandsprodukts trägt Äthiopien in Relation zu seiner Wirtschaftskraft die größte Last.
Den Großteil der Verantwortung für die Aufnahme von Flüchtlingen tragen weiterhin jene Länder, die unmittelbar an die Konfliktzonen angrenzen; viele von ihnen sind Entwicklungsländer.

Die sechs größten Aufnahmeländer von Flüchtlingen
(Zahlen bis Ende 2014)
Türkei - 1,59 Millionen
Pakistan - 1,51 Millionen
Libanon - 1,15 Millionen
Iran - 982.400
Äthiopien - 659.500
Jordanien -  654.100

Länder mit den meisten Binnenvertriebenen
Syrien - 7,6 Millionen
Kolumbien - 6 Millionen
Irak - 3,6 Millionen
Demokratische Republik Kongo - 2,8 Millionen
Sudan - 2,1 Millionen
Südsudan - 1,5 Millionen
Somalia - 1,1 Millionen

Viele muslimische Länder sind also durchaus sehr engagiert bei der Flüchtlingsaufnahme – deutlich mehr als Deutschland, das auch 2015 „nur“ 2,5 Asylanträge pro 1000 Einwohner verzeichnet (Libanon: 209).

In der Tat, das steinreiche Saudi-Arabien nimmt nicht in so einem Umfang Flüchtlinge auf.

Leider stimmt es aber auch nicht, daß Saudia-Arabien sich ganz zurückhält.

Die mit deutschen Panzern und deutscher Logistik hochgerüstete wahabitische Monarchie mischt militärisch mit.
Und stiftet Unheil.

Im März 2011 rückten Saudische Truppen mit deutschen Panzern in Bahrain ein, um dort die Demokratiebewegung niederzuschlagen.
In den nächsten Jahren forcierte Waffen-Prinzessin Merkel noch mal die militärischen Exporte nach Saudi Arabien.

Täglich treffen sich in dem Königreich Bahrain mit Einbruch der Dunkelheit meist junge Demonstranten, fordern Demokratie und liefern sich Schlachten mit Polizei und Militär. Das hat WDR-Autor Marc Thörner bei seiner Recherche im abgeschotteten Bahrain erfahren. Die Königsfamilie unterdrückt jeglichen Protest brutal und ist sich seit Beginn der "Arabellion" im März 2011 des Beistands Saudi-Arabiens sicher.
Vor diesem Hintergrund legt der Autor die Brisanz der von der Bundesregierung beschlossenen Panzerlieferungen an Saudi Arabien und Katar offen. Mit den Panzer-Exporten, so Thörner, schlägt sich Deutschland eindeutig auf die Seite reformfeindlicher und erzkonservativer Golfmonarchien, vor allem um den vermeintlich wachsenden Einfluss Irans in der Region zurückzudrängen. Ein Spiel mit dem Feuer, wie der Autor aufzeigt.
Das ARD radiofeature "Panzer für das Kalifat" schildert erschütternde Geschichten von Menschenrechtsverletzungen in Bahrain. So berichtet Rula Safar, die Leiterin einer Krankenpflegeschule, dass Prinzessin Nura al Khalifa, eine Angehörige der sunnitischen Herrscherfamilie, sie persönlich geschlagen und mit Elektroschocks bis zur Bewusstlosigkeit gefoltert habe, weil sie verletzte Aufständische behandelte. [….]

Nach dem blutigen Eingreifen in Bahrain agierte Riad sogar sukzessive noch aggressiver und brutaler.

Saudi-Arabien bombt den Jemen ins Elend
 […] Seit vier Monaten führt Saudi-Arabien mit Unterstützung arabischer Staaten Krieg gegen die Huthi-Rebellen im Jemen. Die Huthis sind Zaiditen, Anhänger einer Strömung im schiitischen Islam. Ihr gehören etwa ein Drittel der Jemeniten an. […] Seit Beginn der Luftangriffe auf den Jemen sind dort nach Zählung der Uno knapp 4000 Menschen getötet und fast 20.000 weitere verletzt worden. Jeder zweite Tote war Zivilist.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) wirft Saudi-Arabien Kriegsverbrechen im Jemen vor. Am vergangenen Freitag soll die Luftwaffe ein Wohnviertel in der Stadt Mokka bombardiert haben. Dabei seien 65 Menschen getötet worden, unter ihnen zehn Kinder.
[…]  Die USA unterstützen die Militärkampagne Saudi-Arabiens - und machen sich damit mitschuldig am Tod Unbeteiligter. Einerseits sieht Washington einen Jemen, der von den proiranischen Huthis regiert wird, mit Sorge. Wichtiger aber noch ist, dass US-Präsident Obama die Unterstützung der Saudis im Kampf gegen die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) braucht. Deshalb lässt er König Salman im Jemen weitgehend freie Hand.
Leidtragende dieses Kriegs sind die Zivilisten im Jemen. Nach Schätzungen der britischen Hilfsorganisation Oxfam hungern derzeit 13 Millionen Jemeniten, also etwa die Hälfte der Bevölkerung. Seit der saudi-arabischen Intervention sei die Zahl der Hungernden täglich um rund 25.000 gestiegen. […]

Sich ein militärisches Eingreifen der reichen Golf-Monarchien zu wünschen, ist überflüssig, weil das längst passiert ist und die allgemeine Lage nur noch mal extrem verschlimmert hat.
Der schiitische Bahrain und auch die schiitischen Zaiditengruppe der Huthi gelten als Assoziierte der großen schiitischen Schutzmacht Iran.

Und hier wird es kompliziert.
Der Iran sollte eigentlich ein natürlicher Verbündeter „des Westens“ sein, weil er im Gegensatz zu den steinzeitlichen Golfmonarchien so etwas wie Demokratie praktiziert, Wahlen abhält und eine sehr modern eingestellte Jugend hat.
Zudem ist der Iran die einzige Macht, die den zerfasernden Irak stabilisiert und der womöglich effektivste Gegner des Daesh und Al Kaidas. Iran ist auch die Großmacht, die das größte Interesse daran hat den alten Verbündeten Syrien zu erhalten und den Bürgerkrieg zu beenden.

Aber leider misst man im Westen mit zweierlei Maß.
Der Iran ist mit Russland verbündet und bekanntlich ist Putin gerade „bähbäh“ und noch schlimmer: Er ist der große Gegenspieler Saudi Arabien, das zwar noch wesentlich brutaler die Menschenrechte mit Füßen tritt als der Iran, aber andererseits auch sehr sehr sehr reich ist. Und wer so viele Milliarden in den Umlauf bringt, wird vom Westen natürlich protegiert.


Man stelle sich vor Putin würde auch nur 15 Menschen köpfen lassen. Dann wäre aber was los.
Noch mehr Menschen als in Saudi Arabien werden lediglich in den USA und China hingerichtet – aber mit Blick auf die ökonomische Potenz der beiden Riesenstaaten verbietet sich natürlich jede Kritik.

Gut möglich allerdings, daß es der Killer-König Salman nun doch etwas übertrieben hat. Nach der klar anti-schiitischen Politik in Bahrain und dem Jemen, provozierte er am Wochenende erneut den Iran so heftig, daß es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis es nicht mehr bei Stellvertreterauseinandersetzungen bleibt, sondern der ganze Nahe Osten in Flammen gesetzt wird.
47 Oppositionelle ließ Salman auf einen Schlag köpfen.
Offensichtlich will er unter allen Umständen Härte und Entschlossenheit zeigen.

Das saudische Königshaus hat Angst, dass es ihm so ergehen könnte, wie es Hosni Mubarak in Ägypten erging oder Baschar al-Assad in Syrien. Es hat Angst vor einem Machtverlust, der vor zehn Jahren noch unvorstellbar schien. Die Folge: Das Königshaus schlägt um sich.

Diesmal hat er sich aber nicht irgendwelche harmlose Schwule oder atheistische Blogger ausgesucht, nach denen kein Hahn kräht, sondern mit Nimr Baqir al-Nimr einen berühmten Ayatollah abgemurxt. Er war ein betont friedlicher Mann und um die Perfidie perfekt zu machen wurde dessen 17-Jähriger Neffe Ali Mohammed Baqir al-Nimr ebenfalls verhaftet und zum Tode verurteilt.

Das Schicksal des Predigers droht auch drei weiteren Dissidenten, darunter dem Neffen Al-Nimrs. Die jungen Männer hatten gegen die Unterdrückung der schiitischen Minderheit durch die Regierung demonstriert und waren dafür 2012 festgenommen worden. Zu diesem Zeitpunkt waren sie allesamt jünger als 18 Jahre. Ein Scharia-Gericht verurteilte Ali al-Nimr dennoch zum Tode. Er soll enthauptet und seine Leiche anschließend auf einem Kreuz öffentlich zur Schau gestellt werden. Da ein Einspruch vor Kurzem zurückgewiesen wurde, kann das Urteil jederzeit vollstreckt werden.

Aber zunächst einmal versetzte der Tod al-Nimrs Schiiten weltweit in Rage.
Und womit?
Mit Recht.

Politisch brisant ist vor allem die Exekution des schiitischen Geistlichen und Oppositionellen Nimr Baqir al-Nimr. Der 56-jährige Ayatollah führte die Proteste der schiitischen Minderheit im Jahr der arabischen Revolutionen 2011 an. Dabei sprach sich al-Nimr, dessen Name "der Tiger" bedeutet, wiederholt gegen gewalttätige Proteste aus. Der BBC sagte er, er ziehe "das Brüllen des Wortes gegen die Obrigkeit den Waffen vor". "Die Waffe des Worts" sei "stärker als Kugeln." Nun ist das Brüllen des Tigers verstummt.

Man fragt sich schon, was im Kopf des greisen Salman, der gerade aufgrund des Ölpreisverfalls ein gigantisches 100-Milliarden-Dollar-Haushaltsloch zu verkraften hat, vorgeht, daß er mit allen Mitteln einen Konflikt mit dem Iran vom Zaun brechen will.
Vermutlich hofft er, der seinen Staat eher mit dem Vatikan als mit anderen Ländern vergleicht, weil er sich als Hüter der heiligen Stätten Mekka und Medina vorkommt, daß sich die 85% der Muslime, die Sunniten sind, im Zweifelsfall auf seine Seite schlagen, wenn es zum Krieg mit der schiitischen Macht Iran kommt.
Aber die Strategie ist äußerst gewagt, denn vorher könnte der gesamte Nahe Osten in Trümmer gelegt werden und selbst wenn Saudi Arabien über den Iran siegte, ist nicht unbedingt sicher, daß in dem Chaos Salmans Dynastie nicht gleich mit entsorgt wird.

Die 15% schiitischen Bürger Saudi Arabien leben ausgerechnet konzentriert in den wichtigsten Ölförder-Regionen.
Ob die Riader Gerontokratie gut beraten ist, diese Leute jetzt bis aufs Blut zu reizen?

Die Schiiten sehen sich in einer Position der Stärke. Sie haben das Sagen in Iran, im Irak und im Libanon, teilweise in Syrien und im Jemen. Warum nicht auch in Saudi-Arabien, durch eine Loslösung der Ölregion, als eigener Schiitenstaat?
Hingegen die Saudi-Herrscher, diese beinharten Sunniten. Für sie läuft es schlecht. Der König vergreist sehr, sehr öffentlich, während sein Sohn und mögliche Nachfolger hitzköpfig und unerfahren schattenregieren. Die sozialen Spannungen in dem früher märchenhaft reichen Land steigen parallel zum Schwinden der Öleinnahmen. Sunnitische Al-Qaida- und IS-Extremisten verüben Bombenterror. Außenpolitisch ist die Bilanz ebenso miserabel, den Saudis gehen die Freunde aus. […] Schließlich die horrende Zahl an Menschenrechtverletzungen und Hinrichtungen, seien es Kriminelle oder Oppositionelle: Saudi-Arabien wird wahrgenommen als ein Nordkorea mit Wüste, aber ohne Atombombe.
Die Angst vor dem Erstarken der Schiiten-Vormacht Iran mag das brutale Vorgehen des Saudis gegen die schiitische Opposition erklären; töricht bleibt die Exekution des Scheichs dennoch. Dass die saudische Botschaft in Teheran wenige Stunden nach den Hinrichtungen in Brand gesteckt wurde, spricht für sich: Iran will das Schicksal des saudischen Schiiten-Führers politisch ausschlachten und Punkte gegen Riad machen.

Ich weiß auch kein Patentrezept, wie man die Irren von Riad zur Raison bringen kann. Aber wenn man betrachtet, wie die EU Russland sanktioniert und daß die USA auch schon wieder den Iran wegen eines Raketentests sanktionieren, hat Saudi-Arabien schon lange einen Wirtschaftsboykott verdient.
Ja, das Königshaus ist steinreich und ein wichtiger Importeur. Aber ohne daß Öl und Gas abgekauft werden, bekommt das Land auch keinen Dollar in die Kasse.

So ein Boykott würde sicher in der Praxis nicht funktionieren, da sie Haupt-Ölabnehmer mittlerweile in Asien sitzen und China wird sich kaum nach Lage der Menschenrechte richten.

Aber man muß auch nicht ganz so devot wie Merkel und Obama gegenüber dem König in Riad auftreten und ihn auch noch nach Kräften aufrüsten.