Sonntag, 13. November 2022

Zwei republikanische Strömungen.

Natürlich bin ich immer noch entsetzt: Am 08.11.2022 wählten die US-Amerikaner bei den Midterms eine republikanische Gouverneursmehrheit und eine republikanische Mehrheit im House. Inklusive solcher hochgefährlichen rechtsradikalen Verschwörungstheoretiker wie Marjorie Taylor Greene. Sogar Lauren Boebert, die nah am Rande des Schwachsinns agitiert, scheint ihren Sitz wiederzugewinnen

Aber dennoch, die Mehrheit im Senat bleibt demokratisch und auch im House liegt die GOP eher knapp vorn. Gemessen an dem siegessicheren Geschrei vom RED TSUNAMI vor der Wahl, müssen die Trump-MAGAs enttäuscht sein.

Nachdem sich die Gemüter der Wahlkämpfer ein paar Tage abkühlen konnten, schlägt nun die Stunde der Hinterzimmer-Strippenzieher. Die Parteigranden befinden über die großen Linien und überlegen sich, wie man zukünftig Wahlen gewinnt. Also, woran lag es, daß Rot trotz eines so schwachen Blauen im Weißen Haus, Inflation und Benzinpreiskrise so mies abschnitt?

Senator Ted Cruz schnauft vor Empörung; er hat einen besonders perfiden demokratischen Skandal ausgemacht. Während die Republikaner konsequent immer nur gegen etwas sind, einen reinen „Fear Porn“ abziehen, indem sie erklären, was sie hassen – Migranten, Wokeness, Benzinpreise, Schwule, Transsexuelle, Steuern, Klimaschutz – hätten die Demokraten im Kongress ihre Agenda umgesetzt und wären dafür insbesondere von den jüngeren Wählern, denen das gefiel, am Wahltag belohnt worden.

Gegen diese demokratische Gemeinheit – etwas für die Wähler zu tun und dann dafür Stimmen zu bekommen – schwebt ihnen schon eine Lösung vor die Augen:
Wahlalter auf 21 Jahre raufsetzen.

Das ist konsequente republikanisches Politikverständnis: Wer womöglich Demokraten wählt, muss daran gehindert werden, seine Stimme abzugeben. So feierte auch Ron Deathsantis seinen großen Sieg in Florida.

Hinter den Kulissen wird aber auch die T-Frage gestellt. Hat Trump geholfen, oder geschadet? Ist es nicht so, daß nach dem Trumpsieg bei der Präsidentschaftswahl 2016 (bei dem auch schon Hillary Clinton fast drei Millionen Stimmen mehr bekam), jede Wahl verloren gingen, fragen sich die alten Haudegen wie Mitch McConnell, Lindsey Graham und Paul Ryan. Midterms 2018: GOP-House-Mehrheit weg. Alle Nachwahlen verloren. Präsidentschaftswahl 2020: House bleibt demokratisch, GOP-Präsident verloren. GOP-Senatsmehrheit verloren. Midterms 2022: Senat bleibt demokratisch und das House wird nur sehr knapp republikanisch. Die ultraextremen Trump-Kandidaten fallen durch.

Die Politiker, die immer noch bei den Republikanern mitmachen, obwohl sie nicht vollkommen irre sind, sagen: Trump schadet uns. Der darf nicht weiter die Partei bestimmen, soll nicht 2024 als Präsidentschaftskandidat antreten. Ron Desantis ist der neue Star, 32 Jahre jünger als Trump. Jetzt muss Trump sich zurückziehen.

Politanalysten mögen dieses Narrativ nicht unterschreiben, weil sie das schon zu oft gehört haben. Nach dem „Grab‘em by the Pussy“-tape. Nach dem ersten Impeachment, nach der Insurrection und dem zweiten Impeachment. Nach den Anklagen und der Durchsuchung Mar A Lagos. Nun nachdem seine handverlesenen extremistischen Kandidaten durchfielen. Jedes Mal dachte man, Trump wäre nun aber wirklich erledigt. Aber nichts passierte. Trump ist nicht zu erschüttern, wird niemals einen eigenen Fehler einsehen.

Die Trumpster erklären hingegen, man habe jetzt schlechter als erwartet abgeschnitten, weil Trump eben NICHT zur Wahl stand.  Bei Präsidentschaftswahlen ziehe er viel mehr.

Trump hat noch zwei Asse im Ärmel. Da sind einmal die fanatischen Trumpianer an der Basis, die es ihm ermöglichen, nach Belieben republikanischen Kandidaten, die ihm nicht gehorchen, von den Wahllisten zu entfernen.

Da ist zweitens die „Big Lie“, die er so erfolgreich verbreitete, daß er damit schon hunderte Millionen Dollar Trump-Spenden einnahm. Etwa 30% aller Amerikaner wurden von Trump so nachhaltig von der Realität entfernt, daß sie fest glauben, er hätte die Wahlen von 2020 gewonnen und daher verdiene er es unter allen Umständen 2024 wieder Präsident zu werden. In ihrer verqueren Q-Weltsicht ist das eine Frage der Gerechtigkeit.

Diese Menschen sind nicht von Ryan und McConnell zu erreichen. Sie hören nur auf Trump.