Freitag, 29. April 2022

Männer mit Machtverlust.

Mögen Katholiken, Juden, Sunniten, Protestanten und Schiiten sich auch bis auf’s Blut bekämpfen, als Abrahamiten nehmen sie teilweise Bezug auf dieselben Texte und entstanden allesamt in einer Männergesellschaft, in der Religion von der Beziehung mächtiger Männer mit einem männlichen Gott handelt.

Über Jahrtausende, die allerlängste Zeit der Existenz von Religionen, waren Frauen ganz selbstverständlich rechtloses Eigentum von Männern. Jesus hatte 12 männliche Jünger – daraus leiten 1,4 Milliarden Katholiken auch im Jahr 2022 ganz selbstverständlich ab, wer geistliche Ämter übernehmen darf: Ausschließlich Menschen mit Penis. Wer mit einer Vagina geboren wurde, gilt dadurch lebenslang als minderwertig.

Frauenrechte, angefangen mit dem Wahlrecht, wurden erst im 20. Jahrhundert gegen den erbitterten Widerstand der Religionsvertreter durchgesetzt.

Da alle abrahamitischen Religionen ein drastisch menschenfeindlich patriarchisches System propagieren, werden nicht nur Frauen bis heute unterdrückt, sondern auch Schwule diskriminiert.

Das ist in sich logisch bei einer Ideologie, die auf der innigen Beziehung männlicher Geistlicher zu einem männlichen Gott fußt. Sollte man dabei auch nur an physische Liebe unter den Frommen denken, wäre der metaphysische Nimbus dahin.

Homophobie passt aber auch aus anderen Gründen perfekt in religiotische Glaubenskonstrukte.

Als Machtinstrument der herrschenden Klasse war Religion immer auch wichtig, um willige Untertanen, Leibeigene und Soldaten zu produzieren. Seid fruchtbar und mehret euch, sagte schon der liebe Gott. Diese spektakulär gescheiterte Strategie der unbedingten Menschenvermehrung ist heute das möglicherweise tödlichste Problem der Menschheit: Die Überbevölkerung mit allen ihren für Klima, Fauna und Flora letalen Konsequenzen. Dem destruktiven Wahn, immer mehr Menschen zu produzieren, sind Juden, wie Moslems und Christen verfallen. Deswegen werden Verhütungsmittel, Schwangerschaftsunterbrechungen oder feministische Entwicklungen verdammt: Die Frau soll möglichst viel gebären, alles was sie daran hindert, ist Sünde.

In diesem Sinne „schadet“ auch Homosexualität der religiösen Gesellschaft. Queere werden zwar ebenfalls Eltern, aber fast immer nur, wenn sie es wirklich wollen. Wenn Schwule oder Lesben miteinander aus Vergnügen Sex haben, entstehen keine Kinder als „Unfall“, die gegen den ursprünglichen Willen der Eltern geboren werden. Kinder queerer Eltern entwickeln sich statistisch sogar besser als die Heterokinder, weil sie nahezu 100%ig Wunschkinder sind. Die altreligiöse Horrorvorstellung, in Sodom und Gomorrha würden keine Kinder gezeugt, weil Männer mit Männern schlafen, ist simplifiziert. Wenige Schwule und Lesben sind eine „6“ auf der Kinsey-Skala. Alle 0-5 Menschen können/wollen durchaus auch mal eine heterosexuellen Kontakt haben.

Schwulenfeindlichkeit aus der Angst heraus, es könnten weniger Kinder geboren werden, ist also ohnehin unsinnig. Tatsächlich wäre es bei einer katastrophalen Überbevölkerung von fast acht Milliarden Menschen auf der Welt sehr wünschenswert, sich auf homosexuelle Kontakte zu konzentrieren.

Ein dritter Grund für die abrahamitische Homophobie ist ein anderer Kern dieser Religionen. Sie sind prinzipiell intolerant, pflegen ein „wir sind besser als die“-Gefühl, welches als „Fernstenhass“ zur Kriegsführung instrumentalisiert werden kann. Dazu werden immer Sündenböcke gebraucht. Irgendjemand muss die Schuld an Missernten, Seuchen, Naturkatastrophen oder anderen Unglücken gegeben werden. Anderenfalls wäre sie Macht- und damit Sinnlosigkeit des Gottes offensichtlich.

[…] Der Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide erklärte, dass Homophobie im Islam keine Frage der Theologie, sondern vielmehr eine der gesellschaftlichen Entwicklung sei. Für viele Muslime handle es sich eher um eine identitätspolitische Frage ohne „wirkliche theologische Reflexion“. Viele Muslime in Europa hätten das Gefühl, nicht anerkannt zu werden. In dieser Situation diene die Ablehnung von Homosexualität als Mittel zur Abgrenzung.  Denn der Koran und die islamische Tradition böten eine Grundlage für beide Sichtweisen zu Homosexualität. Dennoch sagte Khorchide deutlich, dass der Islam heute vielerorts ein Problem mit Homosexualität und daher großen Nachholbedarf habe.  […]

(Martin Schlorke, PRO, 28.04.2022)

Je moderner und gebildeter eine Gesellschaft wird, desto mehr verabschiedet sie sich glücklicherweise von ihrer angestammten Religion.  Wer lesen und schreiben kann, selbst denkt, wird weniger den hanebüchenen Theorien der Geistlichen folgen.

Diesen Monat feierte Deutschland eine historische Zäsur.

(….) Man muss den akademisch-theologischen (Oxymoron!) Kirchenfürsten dankbar sein. Sie beschleunigen den Machtverlust der Kirchen enorm!

[….] Der Anteil der Kirchenmitglieder ist erstmals auf unter 50 Prozent gefallen. - »Es ist eine historische Zäsur, da es im Ganzen gesehen, seit Jahrhunderten das erste Mal in Deutschland nicht mehr ›normal‹ ist, Kirchenmitglied zu sein«, sagt der Berliner Sozialwissenschaftler Carsten Frerk von der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid), die von der religionskritischen und humanistischen Giordano-Bruno-Stiftung ins Leben gerufen worden ist. - Mit der gestrigen Meldung hat der SPIEGEL ein zentrales Element unseres diesjährigen Schwerpunktthemas "Das säkulare Jahrzehnt" aufgegriffen.  [….]

(GBS, 13.04.2022)

Endlich! Christen sind nun, schneller als erwartet, zur Minderheit in Deutschland geworden. (…)

(Wenigstens ein Hoffnungsschimmer in dieser Kack-Zeit, 13.04.2022)

Die frommen Vereinigten Staaten sind uns ein paar Jahre voraus.

Schon 2020 waren die Anzahl der konfessionell gebundenen US-Amerikaner auf 47% gefallen.

[….] Americans' membership in houses of worship continued to decline last year, dropping below 50% for the first time in Gallup's eight-decade trend. In 2020, 47% of Americans said they belonged to a church, synagogue or mosque, down from 50% in 2018 and 70% in 1999.  U.S. church membership was 73% in 1937 when Gallup first measured it. It stayed near 70% through 2000 before beginning to decline, to 61% in 2010 and 47% in 2020.  U.S. church membership was 73% when Gallup first measured it in 1937 and remained near 70% for the next six decades, before beginning a steady decline around the turn of the 21st century.  [….]

(Gallup, 29.03.2021)

Diese äußerst erfreuliche Entwicklung führte natürlich auch zu einer erheblich größeren Akzeptanz queerer Lebensmodelle.


Schwule und Lesben dürfen nicht nur heiraten, werden also nicht bloß toleriert, sondern die postreligiotische US-Gesellschaft verlangt auch LGBTIQ-Repräsentanz auf allen Ebenen.  Das ist schon deswegen immanent wichtig, weil ein Durchmarsch der homofeindlichen RetrumpliKKKans bei den nächsten Wahlen durchaus möglich ist. Im obersten Gericht stellen sie bereits eine 6:3-Mehrheit.

Frauen- und queere Rechte könnten also durchaus wieder zurückgedreht werden. Bei der Abtreibung ist das schon auf breiter Front geschehen. Republikanische Gouverneure erlassen Verbote, das Wort „gay“ auch nur auszusprechen.

[…]"Kulturkampf" um Floridas Klassenzimmer

In Florida dürfen Lehrer wegen des umstrittenen "Don't say gay"-Gesetzes an Grundschulen nicht über sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität sprechen. Kritiker nennen das beschämend und wollen klagen. […]Der Gouverneur von Florida, Ron Desantis, präsentierte ein Bild der Figur der Presse, als habe er es einer Bibliothekarin entrissen. "Damit wird versucht, Zweifel zu sähen bei Kindern über ihre Geschlechtsidentität", sagt Desantis. "So wird versucht zu sagen, sie können sein, wer sie sein wollen. Das ist unangemessen für Vorschulkinder, Erst- und Zweitklässler. Eltern wollen das nicht länger in ihren Schulen." Vom "Grooming" sprechen Verteidiger des Gesetzes. Gemeint ist der Vorwurf, Lehrer würden versuchen, sich das Vertrauen der Kinder zu erschleichen, um sie anschließend in andere Geschlechterrollen zu pressen. Gouverneur Desantis hat das so gesagt. [….]

(Tagesschau,31.03.2022)

Hardcore-Covidiot Ron Death Santis will nicht nur unbedingt nächster US-Präsident werden. Aufgrund der drastischen Wahlverhinderungsgesetze für demokratische Bürger in den meisten republikanisch regierten Bundesstaaten, ist es durchaus möglich, daß Trump oder Desantis auf Biden folgen werden.

Umso wichtiger ist queere Repräsentanz für die aufgeklärteren Amerikaner. Sie wollen Pflöcke einschlagen. In der Kultur, also in TV-Shows, Netflixserien oder Hollywood-Blockbustern werden Rollen verlangt, die für Diversität in vieler  Hinsicht stehen. Sogar Marvel-Großproduktionen kommen nicht mehr ohne schwule oder lesbische Superhelden aus.

Das bringt Hollywoodstudios allerdings in die Bredouille, da sie ihre Filme weltweit vermarkten. die Staaten, die sich noch nicht hinreichend von der parasitären Religion getrennt haben, erleiden dann homophobe Schocks.

Was also in Kalifornien gut ankommt – ein Held in Strumpfhosen und großem Gemächt, der Männer mag – führt dazu, daß arabische Staaten so einen Film gleich verbieten. Klar, für das saudische Königshaus, Hüter der heiligen Stätten, ist Homo-Toleranz ein Zeichen von weniger Religiosität und damit Machtverlust.

[…] Man kann es nicht allen recht machen. Das erlebten in der vergangenen Woche die Produzenten der Comic-Verfilmung "Doctor Strange in the Multiverse of Madness". Die Fortsetzung der Spezial-Effekt-Extravaganza, in der Benedict Cumberbatch als Superheld die Realität verbiegen kann, wurde im wahren Leben in Saudi-Arabien und Kuwait verboten, noch bevor sie startete. Laut dem US-Branchenblatt The Hollywood Reporter sorgt sich die Zensur in diesen Ländern um eine Teenager-Figur namens America Chavez, eine Latina, die in den Comic-Vorlagen lesbisch ist. Da Homosexualität in der Golfregion offiziell verboten ist, scheitern Filme mit LGBTQ-Bezügen häufig an der Zensur. Gleichzeitig kann man in den USA für ein jüngeres Publikum quasi keine Blockbuster mehr produzieren, die nicht ein diverses Personal anbieten, mit dem sich alle Ethnien und Neigungen identifizieren können. Der Comic-Verfilmung "The Eternals" war es vor einigen Monaten ebenso gegangen. Darin gab es nicht nur ein gleichgeschlechtliches Paar zu sehen, sondern auch noch einen schwulen Superhelden. [….]

(David Pfeifer, SZ, 28.04.2022)