Mittwoch, 27. Juli 2016

Zweiter DNC-Tag



Im Jahr 1787 trafen sich die „founding fathers“ der USA, um eine Verfassung zu diskutieren.
Auch im 21. Jahrhundert gibt es kaum eine große politische Rede in Amerika, die nicht voller Stolz auf die „constitution“ verweist, die nun fast 230 Jahre in Kraft ist. In der vergleichsweise jungen Nation USA gilt also eine der ältesten Verfassungen der Welt.
Auch wenn die US-Republikaner fast geschlossen das Gegenteil behaupten und sich als christliche Nation verstehen, ist die constitution ein bewußt säkuklares Werk ohne Gottesbezug.
Die einige Jahre später hinzu gefügte „Bill of Rights“ mit ihren bis heute hochgradig kontrovers interpretierten Zusatzartikeln ist ein weiteres amerikanisches Heiligtum.

Noch älter ist die weltberühmte Unabhängigkeitserklärung vom 04.07.1776, die bis heute den amerikanischen Nationalfeiertag bestimmt.
In der Präambel steht der billionenfach zitierte Satz:

„We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness.“

Die Rede ist also von Männern.
Weißen Männern.
Männliche „African Americans“ durften offiziell nach dem Bürgerkrieg ab 1870 auch wählen. Theoretisch. Viele Bundesstaaten erließen aber spezielle Gesetze, die Schwarze von der Wahl ausschlossen.
Es dauerte bis 1968 und bedurfte des Mutes von Menschen wie der legendären Rosa Parks, das allgemeine Wahlrecht für alle Rassen durchzusetzen.
Als Barack Obama 1961 geboren wurde, war es in den meisten Bundesstaaten, zB auch in Washington DC, noch illegal gemischtrassig zu heiraten.

Das volle Wahlrecht für alle Frauen ist in den USA noch nicht mal 100 Jahre alt und wurde erst 1920 eingeführt.

LGBTI-Rechte standen sogar erst im 21. Jahrhundert auf dem Plan und sind auch 2016 noch heftig umstritten.

Es dauerte also von 1776 aus betrachtet wirklich extrem lange bis die certain unalienable Rights tatsächlich in die Realität umgesetzt wurden, bzw noch werden.
Der Grund für diese Jahrhunderte währende Verzögerung liegt in den gewaltigen Beharrungskräften der religiösen Konservativen und Kirchen, die sich stets vehement gegen Menschenrechte für alle stemmen.

Vom ersten US-Präsidenten George Washington (30. April 1789 - 4. März 1797) bis zur Nummer 43, GWB (20. Januar 2001 - 20. Januar 2009) blieben alle Amtsinhaber weiße männliche Christen, wenn es auch bei Lincoln und Jefferson Zweifel gibt.
Für einen bekennenden Atheisten ist die Zeit immer noch nicht reif.
Aber Barack Obama hatte nur ein weißes Elternteil, erfüllt aber noch die Kriterien „Penis“ und „Christ.“

Unglaublich, aber angesichts des bisherigen Geschlechterverhältnisses von 44:0 für die Männer, befürchten Trump-Supporter schon, mit der Wahl Clintons könnten Jungs benachteiligt werden.

Donald Trump surrogate Scottie Nell Hughes lashed out at Democratic presidential nominee Hillary Clinton on Wednesday for failing to acknowledge that boys could grow up to be president after her historic nomination.
After Hillary Clinton became the first female nominee for president on Tuesday, Hughes argued on CNN the next morning that it was “sexist” for women to vote for Clinton “just because she’s a woman.”
“Hillary Clinton, when she was in that room of girls, said if you’re a daughter or if you’re a girl you could be president too,” Hughes observed, “this would have been an excellent opportunity to say, ‘You know what, whether you are a boy or a girl, both of you, my job will be to make sure it’s equally an option for both of you.'”
“That’s the problem,” she continued. “We’ve continued to say we want equality, we want equal but we then tear down one group and tried to build up another. That’s what I heard last night.”
Hughes remarks were met with quizzical looks from the CNN panel.

“So was Hillary Clinton tearing down men?” CNN’s Carol Costello wondered.

“I think she was,” Hughes insisted. “What about my son? Does my son from what she said — your daughter can become one as well — I immediately [thought] what about making it equal so both of them have the opportunity? Why is it that she’s going to sit there and put favor on one?”

Hillary Clinton und die Demokraten haben also Recht, ihre Nominierung als „historisch“ zu bezeichnen.

Klar, für deutsche Verhältnisse ist es kitschig was die US-Demokraten am zweiten Tag ihrer Convention nach der so gelungenen Inszenierung des Ersten aufgeführt haben, aber in der Halle blieben wenige Augen trocken.


In den TV penals wurde richtigerweise immer wieder betont, daß Hillary Clinton die wohl unbekannteste weltbekannte Persönlichkeit wäre.

Diesem Phänomen widmete sich dieses Jahr schon eine ausführliche SPIEGEL-Titelgeschichte.
Über 40 Jahre betreibt Mrs. Clinton Politik, setzte sich kontinuierlich für die Benachteiligten ein.
Im konservativen Arkansas erlebte sie dabei als Gouverneursgattin auf wie viel Widerstand man dabei trifft und legte sich einen Panzer zu.
Welche Wunder bei dem ungefilterten Hass, der ihr seit 1992 bundesweit entgegenspringt.

[…] Es ist eine sehr männ­li­che Art, Po­li­tik zu ma­chen. Clin­ton be­herrscht sie be­mer­kens­wert gut, wirkt da­bei aber oft un­nah­bar und ar­ro­gant.

Die Hil­la­ry, die Ver­veer be­schreibt, hat we­nig ge­mein mit der Po­li­ti­ke­rin Clin­ton. Ver­veer zeich­net das Bild ei­ner warm­her­zi­gen Frau mit viel Mit­ge­fühl für an­de­re Men­schen. Sie sei zwar ein „wonk“, so Ver­veer, eine Aktenfres­se­rin, ein Nerd, ver­liebt in die De­tails von Po­li­tik. Aber sie kön­ne auch lei­den­schaft­lich und über­ra­schend lus­tig sein. „Wenn sie et­was ko­misch fin­det, lacht sie manch­mal ge­ra­de­zu hys­te­risch.“ Es sind Sei­ten, die Hil­la­ry Clin­ton nicht öf­fent­lich zeigt, die sie er­stickt in ih­rem Be­mü­hen um Kon­trol­le. War­um ist das so? [….]

Gestern nun war es an Bill Clinton, einem der erfolgreichsten Präsidenten des 20. Jahrhunderts das Ruder herum zu drehen.

Mr. Clinton kann das. Das bewies er 2012, als er Barack Obama die Wiederwahl sicherte. In seiner legendären Rede fand der Ex-Präsident die Worte, die es brauchte.

An dieser Stelle sei erwähnt, daß das vielgescholtene Amerika auf politischer (demokratischer) Ebene mit erstaunlich guten Rednern glänzt.
Allein in den letzten Tagen erlebte ich Dutzende Reden, die rhetorisch auf einem Niveau waren, von dem dröge Langweiler wie Hollande oder Merkel oder Kauder oder Gauck nur träumen können.
Beide Obamas sind begnadete Redner, aber vermutlich ist der Geschichtenerzähler Bill Clinton weltweit der beste politische Rhetor überhaupt.
Nach wie vor vertrete ich übrigens die These, daß Bill Clinton (vergl. Joe Klein: „Das Naturtalent“) der intelligenteste und gebildetste amerikanische Präsident seines Jahrhunderts war.

Herr Clinton, inzwischen deutlich gealtert, mit brüchigerer Stimme, sollte also gestern seine Frau bewerben und das erzählen, was man noch nicht über sie wußte.

Er tat das in bester Südstaaten-Erzähltradition, man fühlte sich an Harper Lee und Mark Twain erinnert.
Es war eine völlig andere Rede als seine Convention-Speech von 2012.
Ein erzählerisches Meisterwerk meiner Meinung nach.
Da war alles drin, Wärme, Persönliches, ein großer Spannungsbogen, äußerst geschickte Vereinnahmungen der verschiedenen US-Staaten, elegante Hiebe auf Trump, ohne dessen Namen zu nennen und eine flammende Wahlkampfempfehlung.
Viele Kommentatoren waren anschließend richtig gerührt und selbst die, die Hillary persönlich kannten, beeindruckte wie viel neue Informationen der mutmaßliche neue First Husband preisgab.


Wie so oft stelle ich bei Nachbetrachtungen eines Ereignisses fest, daß Profi-Kritiker offenbar etwas anderes hörten, als ich.

Veit Medick sieht die Angelegenheit kritisch, glaubt offenbar Clinton habe erst während seiner Rede überlegt was er sagen solle.
Nörgelt, er habe seine angeblichen außerehelichen Affären verschwiegen.

Vielleicht wurde bei Spiegel-Online nicht ganz verstanden, daß wir nicht mehr beim RNC sind und Hillary schlecht machen wollen, sondern daß jetzt DNC ist und dabei für Hillary geworben wird.
Und BTW, Medick, weder geht das Sexualleben eines Expräsidenten die Öffentlichkeit etwas an, noch spielt das auch nur die geringste Rolle für die Qualifikation Hillarys.

Der Ex-Präsident stellt seine Frau als linke Kämpferin vor, die sich schon während ihrer Zeit an der Yale-Universität für benachteiligte Kinder und für gleiche Bildungschancen einsetzte. Ein geschickter Zug, denn die Präsidentschaftskandidatin gilt vielen in ihrer Partei heute als Vertreterin des rechten Flügels. Hillary hat auch eine andere Seite, so die Botschaft ihres Ehemanns. "Sie hat immer schon das Leben der Menschen besser gemacht. Sie ist die beste Agentin des Wandels, die ich jemals getroffen habe", ruft er.