Montag, 28. Januar 2019

Wenn Rassismus bereut wird.


May, der Urinduscher oder Trump liefern so zuverlässig „you cannot make that shit up“-Stories, daß man „der“ Politik schon alles zutraut.
Das ist ungerecht, weil damit viele fähige und fleißige Parlamentarier mit in die Gaga-Schublade sortiert werden.

Tatsächlich gibt es diese „kann man sich nicht ausdenken“-Geschichten auch in allen anderen Bereichen des Lebens.
Sogar im echten Leben.

Da ist zum Beispiel der Juniorpartner in meiner Radiologen-Praxis. Ich kenne die Typen schon lange, musste im letzten Jahr wegen meines Beines aber öfter dort erscheinen.
Immer wenn ich den Arzt dort spreche, nennen wir ihn Dr. Schmidt, hatte ich das Gefühl er käme gerade aus China; ständig auf dem Sprung nach Hongkong.
Wieso das eigentlich?
Nun, er ist mit einer Chinesin verheiratet, deren Eltern noch in Hongkong leben. Sie haben zwei noch nicht schulpflichtige Kinder, so daß sie nicht auf Ferienzeiten angewiesen sind und das ausnutzen, um öfter mal rüber zu fliegen.
Wenn man langfristig plant sind auch diese extremen Landstreckenflüge durchaus bezahlbar.
So weit, so mittelmäßig spektakulär.
Als ich die Schmidts mal privat traf, erfuhr ich, daß er aus einer alteingesessenen Hamburger Ärzte-Dynastie stammt. Sein Vater betreibt eine riesige und lukrative Radiologische Praxis, die natürlich sein Sohn mal übernehmen sollte. Schon während seines Studiums half er dort. Aber dann verliebte er sich in die Frau aus Hongkong. Dem konservativen Papa gefiel das gar nicht. Gut. Sich amüsieren wäre verzeihlich, aber so eine könne man nicht heiraten. Aber dann wurde seine chinesische Freundin schwanger und der Großvater in Spe verlangte ultimativ eine Abtreibung und/oder die Trennung seines Stammhalters von ihr.
„Ich werde niemals Schlitzaugen-Enkel akzeptieren!“
Der Sohn reagierte so wie man in der Situation reagieren muss: Er zeigte seinem Vater einen Vogel und blieb mit seiner schwangeren Freundin zusammen. Kurze Zeit später heirateten sie.
Seine Eltern tobten, verstießen und enterbten den abtrünnigen Sohn, der diese Wechselbälger produzierte.
Das fiel insofern nicht ganz so schwer, weil Dr. Schmidt Jr. noch einen zehn Jahre jüngeren Bruder hatte. Damals gerade 16, aber ausgezeichneter Schüler, der zum Wohlgefallen des Vaters in der JU engagiert war und plante ebenfalls Medizin zu studieren.
Sollte sich also der Erstgeborene mit seiner Chinesenfamilie zum Teufel schweren und in einer anderen Praxis als Angestellter arbeiten.
 Schmidt Sr. Setzte alles auf seinen Benjamin, der würde dereinst die Praxis seines Vaters übernehmen.
Eine Zeit lang lief es gut. Die Deutsch-chinesische Familie gedieh, der Kontakt zum Rest der Familie war endgültig beendet.
Einige Jahre später, der zweite Sohn steckte mitten im Medizinstudium, meldete sich Opa aber doch wieder; er hätte sich das überlegt. Er wäre unter Umständen doch bereit seine Praxis an den ersten Sohn zu übergeben.
Woher der Sinneswandel?
Ganz einfach, Großvater hatte auf’s falsche Pferd gesetzt, sein Jüngster outete sich nämlich als schwul. Das war noch schlimmer. Dann schon lieber der Sohn mit der Chinesenfrau und den „Schlitzaugenkindern“.

Das Ende vom Lied ist, daß die Brüder wieder versöhnt sind, der Ältere aber seinem Vater einen Korb gab, weil er in seiner neuen Praxis glücklich ist und die große renommierte elterliche Praxis gar keinen Nachfolger aus der Familie haben wird.

Das nenne ich „dumm gelaufen“ für den Alten. Nun ist er beide Söhne los.

Ich war insofern erstaunt, weil ich mir gar nicht bewußt darüber war, daß es immer noch so große Vorbehalte gegen Asiaten gibt.
In meiner engeren Ami-Verwandtschaft gibt es gemischtrassige Ehepaare, daher kenne ich diese subtile Form von Rassismus gegenüber Schwarzen:
 „Wir haben ja gar nichts gegen deine (schwarze) Freundin, aber denk‘ an deine Kinder! Die werden es so schwer haben, wenn sie weder schwarz noch weiß sind und nicht wissen wo sie hingehören.“
Es ging aber nie so weit ernsthaft die Hochzeit zu torpedieren und als der erste Sohn geboren wurde, liebten ihn natürlich alle.

In China selbst gibt es übrigens auch umgekehrt einen ausgeprägten Rassismus. Die besten Menschen sind Asiaten, dann kommen weiße Europäer, dann ganz lange nichts und irgendwo ganz unten, kurz vor den Affen Schwarze.

China ist ethnisch sehr homogen und kam lange gar nicht mit Afrikanern in Kontakt. Seit dem dies geschieht, entstehen Probleme.
Durch Chinas Engagement in Afrika entstanden viele Handelsbeziehungen. In der drittgrößten chinesischen Stadt Guangzhou leben Zehntausende Schwarze.

[…..] "Manche kommen mit zwei leeren Koffern, kaufen hier Kleidung ein und fliegen nach wenigen Tagen zurück", sagt Benoît, ein junger Mann aus Benin, der seit zwei Jahren in Xiaobei als Koch arbeitet. Sie verkaufen die Textilien dann in Afrika und bereiten sich auf die nächste Einkaufsreise vor. Andere – wie Benoît – bleiben länger. Sein Touristenvisum kann er im rund 100 Kilometer entfernten Hong Kong innerhalb weniger Tage neu ausstellen lassen.
Sie alle allerdings leiden unter den in China weitverbreiteten Vorurteilen gegenüber Schwarzen. "Es herrschen klare soziale Hierarchien, die auf rassischer Überlegenheit basieren", schreibt der Soziologe M. Dujon Johnson. Der in Köln lebende Wissenschaftler ist der erste Afro-Amerikaner, der an einer taiwanesischen Universität seinen Doktor gemacht hat.
Barry Sautman, Soziologieprofessor an der Hong Kong University of Science and Technology, forscht seit Jahren zum Thema des chinesischen Rassismus. "Rassismus hat eine lange Tradition in China, und rassische Typologien sind tief in traditionellem chinesischem Denken verwurzelt", sagt er. Die wichtigste Ursache dafür sieht er in dem ethnischen Einheitsgedanken, der für die chinesische Gesellschaft prägend sei. [….]

Ein ähnliches Phänomen gibt es im ebenfalls ethnisch isolierten Japan.
Es war ein großer Schock, als ausgerechnet in der japanischsten aller Sportarten, im Jahrhunderte-alten Sumo Ausländer auftauchten.
Erst waren es vereinzelte Mongolen und Hawaiianer in den unteren Ligen. Dann tauchte Akebono Tarō (*1969 in den USA) auf, kämpfte sich 1992 bis in die höchste Liga, die Makuuchi-Abteilung hoch, gewann das Natsu-Basho von Tokio, wurde zum Ozeki befördert und musste nach zwei weiteren Turniergewinnen zum Entsetzen der konservativen Sumo-Fans zum 64. Yokozuna, also in den höchsten Rang befördert werden. Eine extreme Ehre, wie schon die Zahl zeigt – in dem bis ins 12. Jahrhundert zurückreichenden Sport gab es erst 64 Yokozuna-Würdige und 1993 den ersten Ausländer.
Immerhin gab es in den 1990ern noch japanische Yokuzuna, die Akebono gelegentlich schlagen konnten, aber dann wurden die mongolischen Rikishi immer stärker, die Top-Japaner wurden verdrängt und nach den Taka-Waka-Brüdern wurden gleich fünf Ausländer nacheinander Yokuzuna. Nr 67 Musashimaru aus Samoa, sowie mit Nr. 68 bis 71 gleich vier Mongolen in Folge: Asashōryū Akinori, Hakuhō Shō, Harumafuji Kōhei, Kakuryū Rikisaburō.
Davon erholte sich der traditionelle konservative Sumosport nicht mehr.
Sumo mit Ausländern? Das können bis heute viele Japaner nicht akzeptieren.
Dabei war der im Vergleich zu Akebono geradezu schmächtige Asashōryū einer der interessantesten Sumotori seit Jahrzehnten. Niemand verwendete so viele verschiedene Techniken und machte seine Auftritte spannender als er.

Nicht auszudenken was passiert, wenn es den ersten dunkelhäutigen Yokozuna geben sollte, denn immerhin haben Mongolen eine phänotypische Ähnlichkeit mit Japanern.
Schwarze sind da eine ganz andere Nummer.

Das erfuhr auch die auf Hokkaidō lebende Tamaki Ōsaka als sie sich vor gut 20 Jahren in einen Schwarzen verliebte. Einen richtig Dunkelschwarzen aus Haiti namens Leonard „San“ François.
Als Tamaki Ōsaka auch noch schwanger wurde und am 16. Oktober 1997 in Osaka ihre Tochter Ōsaka Naomi gebar, reagierte der frischgebackene Großvater wie Radiologe Schmidt auf der anderen Seite der Erde. Er verstieß und enterbte seine Tochter wegen ihrer „Rassenschande“ und zwang das junge Paar letztlich dazu Japan zu verlassen und sich mit ihrer gemischtrassigen Tochter in den USA niederzulassen.
Die kleine Naomi wuchs als Amerikanerin mit japanischem Pass auf, spricht kaum japanisch und begann Tennis zu spielen.
Professionell Tennis zu spielen.
Sehr professionell. Inzwischen gewann sie die US-Open und am letzten Wochenende auch die Australien Open. Damit wurde sie zur äußerst wohlhabenden Nummer Eins der Tennisweltrangliste. Die erste Japanerin auf dem Thron.
Zu blöd, daß man das dunkelhäutige Landeskind einst verstoßen hatte.
Nun ließe sich so wunderbar mit ihr werben.
Wenn sie doch bloß nicht so dunkle Haut hätte. Aber daran kann man ja was ändern, dachte sich ein bekannter japanischer Nudelhersteller.

 [….] Japan jubelt. Nach ihrem Sieg bei den Australian Open am Samstag wird erstmals eine Japanerin Nummer eins der Tennis-Weltrangliste: Naomi Osaka. Vor einem Jahr noch auf Rang 72, wurde sie schon im Herbst zum Liebling ihrer Landsleute, als sie die US Open gewann.
[….] Das waren große Gefühle, die viele Japaner im Fernsehen verfolgten. Doch auch diesmal gab es Misstöne. Osakas Sponsor Nissin, ein Fertignudel-Konzern, musste während des Turniers einen Youtube-Werbespot zurückziehen. Der Zeichentrick-Film, Teil einer "Hungrig nach Siegen" genannten Serie von Nissin, zeigte die dunkelhäutige Osaka mit weißer Haut und großen graublauen Augen.
Das Land sehnt sich nach sportlicher Größe, auch im Hinblick auf Olympia 2020 in Tokio. Die weit verbreiteten Vorurteile gegen das vermeintlich Unjapanische stehen dem entgegen. Wenn schon jemand Ausländer ist oder "Hafu", halb, dann hat seine Haut wenigstens weiß zu sein. [….] [….] Die Sportlerin selbst, die gebrochen Japanisch spricht, hat sich indirekt positioniert. Ihr Coach Sascha Bajin ist Deutscher, ihr Fitness-Coach Abdul Sillah Amerikaner mit libyschen Wurzeln. Zu ihrer Herkunft sagte sie einmal, sie sei nicht Japanerin, nicht Amerikanerin, sondern: Naomi. [….]