May, der Urinduscher oder Trump
liefern so zuverlässig „you cannot make that shit up“-Stories, daß man „der“ Politik
schon alles zutraut.
Das ist ungerecht, weil damit
viele fähige und fleißige Parlamentarier mit in die Gaga-Schublade sortiert
werden.
Tatsächlich gibt es diese „kann
man sich nicht ausdenken“-Geschichten auch in allen anderen Bereichen des
Lebens.
Sogar im echten Leben.
Da ist zum Beispiel der Juniorpartner
in meiner Radiologen-Praxis. Ich kenne die Typen schon lange, musste im letzten
Jahr wegen meines Beines aber öfter dort erscheinen.
Immer wenn ich den Arzt dort
spreche, nennen wir ihn Dr. Schmidt, hatte ich das Gefühl er käme gerade aus
China; ständig auf dem Sprung nach Hongkong.
Wieso das eigentlich?
Nun, er ist mit einer Chinesin
verheiratet, deren Eltern noch in Hongkong leben. Sie haben zwei noch nicht
schulpflichtige Kinder, so daß sie nicht auf Ferienzeiten angewiesen sind und
das ausnutzen, um öfter mal rüber zu fliegen.
Wenn man langfristig plant sind auch diese extremen
Landstreckenflüge durchaus bezahlbar.
So weit, so mittelmäßig spektakulär.
Als ich die Schmidts mal privat traf, erfuhr ich, daß er aus
einer alteingesessenen Hamburger Ärzte-Dynastie stammt. Sein Vater betreibt
eine riesige und lukrative Radiologische Praxis, die natürlich sein Sohn mal
übernehmen sollte. Schon während seines Studiums half er dort. Aber dann
verliebte er sich in die Frau aus Hongkong. Dem konservativen Papa gefiel das
gar nicht. Gut. Sich amüsieren wäre verzeihlich, aber so eine könne man nicht
heiraten. Aber dann wurde seine chinesische Freundin schwanger und der
Großvater in Spe verlangte ultimativ eine Abtreibung und/oder die Trennung
seines Stammhalters von ihr.
„Ich werde niemals Schlitzaugen-Enkel akzeptieren!“
Der Sohn reagierte so wie man in der Situation reagieren
muss: Er zeigte seinem Vater einen Vogel und blieb mit seiner schwangeren
Freundin zusammen. Kurze Zeit später heirateten sie.
Seine Eltern tobten, verstießen und enterbten den
abtrünnigen Sohn, der diese Wechselbälger
produzierte.
Das fiel insofern nicht ganz so schwer, weil Dr. Schmidt Jr.
noch einen zehn Jahre jüngeren Bruder hatte. Damals gerade 16, aber
ausgezeichneter Schüler, der zum Wohlgefallen des Vaters in der JU engagiert
war und plante ebenfalls Medizin zu studieren.
Sollte sich also der Erstgeborene mit seiner Chinesenfamilie
zum Teufel schweren und in einer anderen Praxis als Angestellter arbeiten.
Schmidt Sr. Setzte alles
auf seinen Benjamin, der würde dereinst die Praxis seines Vaters übernehmen.
Eine Zeit lang lief es gut. Die Deutsch-chinesische Familie
gedieh, der Kontakt zum Rest der Familie war endgültig beendet.
Einige Jahre später, der zweite Sohn steckte mitten im
Medizinstudium, meldete sich Opa aber doch wieder; er hätte sich das überlegt. Er
wäre unter Umständen doch bereit seine Praxis an den ersten Sohn zu übergeben.
Woher der Sinneswandel?
Ganz einfach, Großvater hatte auf’s falsche Pferd gesetzt,
sein Jüngster outete sich nämlich als schwul. Das war noch schlimmer. Dann
schon lieber der Sohn mit der Chinesenfrau und den „Schlitzaugenkindern“.
Das Ende vom Lied ist, daß die Brüder wieder versöhnt sind,
der Ältere aber seinem Vater einen Korb gab, weil er in seiner neuen Praxis
glücklich ist und die große renommierte elterliche Praxis gar keinen Nachfolger
aus der Familie haben wird.
Das nenne ich „dumm gelaufen“ für den Alten. Nun ist er
beide Söhne los.
Ich war insofern erstaunt, weil ich mir gar nicht bewußt
darüber war, daß es immer noch so große Vorbehalte gegen Asiaten gibt.
In meiner engeren Ami-Verwandtschaft gibt es gemischtrassige
Ehepaare, daher kenne ich diese subtile Form von Rassismus gegenüber Schwarzen:
„Wir haben ja gar
nichts gegen deine (schwarze) Freundin, aber denk‘ an deine Kinder! Die werden
es so schwer haben, wenn sie weder schwarz noch weiß sind und nicht wissen wo
sie hingehören.“
Es ging aber nie so weit ernsthaft die Hochzeit zu
torpedieren und als der erste Sohn geboren wurde, liebten ihn natürlich alle.
In China selbst gibt es übrigens auch umgekehrt einen
ausgeprägten Rassismus. Die besten Menschen sind Asiaten, dann kommen weiße
Europäer, dann ganz lange nichts und irgendwo ganz unten, kurz vor den Affen
Schwarze.
China ist ethnisch sehr homogen und kam lange gar nicht mit
Afrikanern in Kontakt. Seit dem dies geschieht, entstehen Probleme.
Durch Chinas Engagement in Afrika entstanden viele
Handelsbeziehungen. In der drittgrößten chinesischen Stadt Guangzhou leben
Zehntausende Schwarze.
[…..] "Manche kommen mit zwei leeren Koffern, kaufen hier Kleidung ein
und fliegen nach wenigen Tagen zurück", sagt Benoît, ein junger Mann aus
Benin, der seit zwei Jahren in Xiaobei als Koch arbeitet. Sie verkaufen die
Textilien dann in Afrika und bereiten sich auf die nächste Einkaufsreise vor.
Andere – wie Benoît – bleiben länger. Sein Touristenvisum kann er im rund 100
Kilometer entfernten Hong Kong innerhalb weniger Tage neu ausstellen lassen.
Sie alle allerdings leiden unter den in China weitverbreiteten
Vorurteilen gegenüber Schwarzen. "Es herrschen klare soziale Hierarchien,
die auf rassischer Überlegenheit basieren", schreibt der Soziologe M.
Dujon Johnson. Der in Köln lebende Wissenschaftler ist der erste
Afro-Amerikaner, der an einer taiwanesischen Universität seinen Doktor gemacht
hat.
Barry Sautman, Soziologieprofessor an der Hong Kong University of
Science and Technology, forscht seit Jahren zum Thema des chinesischen
Rassismus. "Rassismus hat eine lange Tradition in China, und rassische
Typologien sind tief in traditionellem chinesischem Denken verwurzelt",
sagt er. Die wichtigste Ursache dafür sieht er in dem ethnischen
Einheitsgedanken, der für die chinesische Gesellschaft prägend sei. [….]
Ein ähnliches Phänomen gibt es im ebenfalls ethnisch
isolierten Japan.
Es war ein großer Schock, als ausgerechnet in der
japanischsten aller Sportarten, im Jahrhunderte-alten Sumo Ausländer
auftauchten.
Erst waren es vereinzelte Mongolen und Hawaiianer in den
unteren Ligen. Dann tauchte Akebono Tarō (*1969 in den USA) auf, kämpfte sich
1992 bis in die höchste Liga, die Makuuchi-Abteilung hoch, gewann das Natsu-Basho
von Tokio, wurde zum Ozeki befördert und musste nach zwei weiteren
Turniergewinnen zum Entsetzen der konservativen Sumo-Fans zum 64. Yokozuna,
also in den höchsten Rang befördert werden. Eine extreme Ehre, wie schon die
Zahl zeigt – in dem bis ins 12. Jahrhundert zurückreichenden Sport gab es erst
64 Yokozuna-Würdige und 1993 den ersten Ausländer.
Immerhin gab es in den 1990ern noch japanische Yokuzuna, die
Akebono gelegentlich schlagen konnten, aber dann wurden die mongolischen Rikishi
immer stärker, die Top-Japaner wurden verdrängt und nach den Taka-Waka-Brüdern
wurden gleich fünf Ausländer nacheinander Yokuzuna. Nr 67 Musashimaru aus Samoa,
sowie mit Nr. 68 bis 71 gleich vier Mongolen in Folge: Asashōryū Akinori, Hakuhō
Shō, Harumafuji Kōhei, Kakuryū Rikisaburō.
Davon erholte sich der traditionelle konservative Sumosport
nicht mehr.
Sumo mit Ausländern? Das können bis heute viele Japaner
nicht akzeptieren.
Dabei war der im Vergleich zu Akebono geradezu schmächtige Asashōryū
einer der interessantesten Sumotori seit Jahrzehnten. Niemand verwendete
so viele verschiedene Techniken und
machte seine Auftritte spannender als er.
Nicht auszudenken was passiert, wenn es den ersten dunkelhäutigen
Yokozuna geben sollte, denn immerhin haben Mongolen eine phänotypische
Ähnlichkeit mit Japanern.
Schwarze sind da eine ganz andere Nummer.
Das erfuhr auch die auf Hokkaidō lebende Tamaki Ōsaka als
sie sich vor gut 20 Jahren in einen Schwarzen verliebte. Einen richtig
Dunkelschwarzen aus Haiti namens Leonard „San“ François.
Als Tamaki Ōsaka auch noch schwanger wurde und am 16. Oktober
1997 in Osaka ihre Tochter Ōsaka Naomi gebar, reagierte der frischgebackene
Großvater wie Radiologe Schmidt auf der anderen Seite der Erde. Er verstieß und
enterbte seine Tochter wegen ihrer „Rassenschande“ und zwang das junge Paar
letztlich dazu Japan zu verlassen und sich mit ihrer gemischtrassigen Tochter
in den USA niederzulassen.
Die kleine Naomi wuchs als Amerikanerin mit japanischem Pass
auf, spricht kaum japanisch und begann Tennis zu spielen.
Professionell Tennis zu spielen.
Sehr professionell. Inzwischen gewann sie die US-Open und am
letzten Wochenende auch die Australien Open. Damit wurde sie zur äußerst
wohlhabenden Nummer Eins der Tennisweltrangliste. Die erste Japanerin auf dem Thron.
Zu blöd, daß man das dunkelhäutige Landeskind einst
verstoßen hatte.
Nun ließe sich so wunderbar mit ihr werben.
Wenn sie doch bloß nicht so dunkle Haut hätte. Aber daran
kann man ja was ändern, dachte sich ein bekannter japanischer Nudelhersteller.
[….] Japan
jubelt. Nach ihrem Sieg bei den Australian Open am Samstag wird erstmals eine
Japanerin Nummer eins der Tennis-Weltrangliste: Naomi Osaka. Vor einem Jahr
noch auf Rang 72, wurde sie schon im Herbst zum Liebling ihrer Landsleute, als
sie die US Open gewann.
[….] Das waren große Gefühle, die viele Japaner im Fernsehen verfolgten.
Doch auch diesmal gab es Misstöne. Osakas Sponsor Nissin, ein
Fertignudel-Konzern, musste während des Turniers einen Youtube-Werbespot
zurückziehen. Der Zeichentrick-Film, Teil einer "Hungrig nach Siegen"
genannten Serie von Nissin, zeigte die dunkelhäutige Osaka mit weißer Haut und
großen graublauen Augen.
Das Land sehnt sich nach sportlicher Größe, auch im Hinblick auf
Olympia 2020 in Tokio. Die weit verbreiteten Vorurteile gegen das vermeintlich
Unjapanische stehen dem entgegen. Wenn schon jemand Ausländer ist oder
"Hafu", halb, dann hat seine Haut wenigstens weiß zu sein. [….] [….]
Die Sportlerin selbst, die gebrochen Japanisch spricht, hat sich indirekt
positioniert. Ihr Coach Sascha Bajin ist Deutscher, ihr Fitness-Coach Abdul
Sillah Amerikaner mit libyschen Wurzeln. Zu ihrer Herkunft sagte sie einmal,
sie sei nicht Japanerin, nicht Amerikanerin, sondern: Naomi. [….]