Dienstag, 22. Mai 2012

Langsam reicht es




Obwohl ich mich als deutlich links vom Mainstream verstehe und nie im Leben CDU oder FDP unterstützen würde, setze ich mich auch hin und wieder von linken Lieblingsprojekten ab.

Ich sehe „direkte Demokratie“ sehr skeptisch und finde man sollte Volksentscheide einschränken. Es ist richtig, daß der Bundespräsident NICHT direkt gewählt wird. Ich mag Steinbrück und Gerd Schröder. Ich bin nicht der Meinung, daß es einer deutschen Regierung obliegt die Menschenrechte in anderen Ländern zu bewerten.

Eins meiner Steckenpferde ist es immer gewesen den Menschen das regelmäßige Lesen eines Qualitätsperiodikums zu empfehlen. Man sollte sie nicht als "Mainstreampresse" diffamieren.

SPIEGEL, ZEIT, FR, SZ, ....mindestens eins davon sollte man schon abonniert haben.
Auch wenn man sich hin und wieder die Pest ärgert.

Den größten Enttäuschungsprozess habe ich bisher beim SPIEGEL durchgemacht. Vom einstigen Qualitäts-Solitär der Presselandschaft ging es kontinuierlich in Richtung Boulevard und Neoliberalismus.
Noch ist der SPIEGEL allerdings das beste Wochenmagazin; es geht also nicht ohne. 
Die FR ist etwas lahm; da merkt man die finanzielle Ausblutung leider sehr stark. 
Nahezu uneingeschränkt empfehle ich immer noch die SZ, obwohl mich Marc Beise im Wirtschaftsteil und Matthias Drobinski für’s Religiöse alles andere als begeistern.

Die ZEIT stand über Dekaden für den seriösesten Journalismus überhaupt.

Eine leichte Tendenz zu bunten Themen kann man schon seit 1996, als sie von der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck aufgekauft wurde, beobachten.
Die Herausgeber Helmut Schmidt und Marion Dönhoff haben das auch immer moniert.

Chefredakteur Giovanni di Lorenzo, der auch Herausgeber des „Tagesspiegels“ ist, führte beide Blätter zu engerer Kooperation und das tat leider gar nicht gut.

Bei solchen Entscheidungen geht es immer um Einsparungen und größere Gewinne. Aber weniger Redakteure sind meistens auch weniger Qualität.
Bisher konnte ich das zähneknirschend hinnehmen. 
Der größere Aufreger sind für mich die dezidiert konservativen bis geradezu reaktionären Meinungsartikel des neuen Mitherausgebers Josef Joffe.

Immerhin weiß man was kommt, wenn ein Joffe-Text erscheint.
Der Mann ist so vorhersehbar wie der Mond.

Mittlerweile hat aber der proreligiotische Kurs di Lorenzos abstoßende Ausmaße angenommen. 

Im Tagesspiegel erscheinen schon seit Jahren regelmäßig Artikel, die auch dezidiert Falschmeldungen und Unwahrheiten zu Gunsten der Kirchen verbreiten.

Als Beispiel sei der schon erwähnte im gedruckten Tagesspiegel vom 23.12.2009 erschienene Artikel

In den Kirchen wird es klamm. Auch katholische und evangelische Gemeinden leiden unter der Wirtschaftskrise. Doch einige Probleme sind hausgemacht

genannt.
Dazu postete ich schon einmal eine Leserzuschrift des besorgten Berliners „NoMercy2010“:

Zum Artikel "In den Kirchen wird es klamm" im Tagesspiegel vom 23. Dezember 2009, S. 15:

Sie schreiben: "Tatsache aber ist, daß die Einnahmen der Kirchensteuer in erster Linie in die Betreuung von Kindern, Alten, Kranken und Behinderten fließen. Man muß kein Christ sein, um das zu unterstützen."

Die Behauptung im ersten Satz dieses Zitats ist nachweislich falsch. Ein Blick auf z.B. die Internetpräsenz des Erzbistums Köln (dort: "Verwendung der Kirchensteuer 2009") zeigt, daß für die in Ihrem Artikel genannten karitativen Zwecke gerade einmal 9,7 Prozent des Kirchensteueraufkommens verwendet werden. Demgegenüber werden aber etwa zwei Drittel der Einnahmen der beiden Großkirchen aus der Kirchensteuer für die Bezahlung von Pfarrern und Kirchenpersonal aufgewendet (Quelle: Internetseite des IBKA, dort "Kirche und Geld"). Von einer Verwendung der Kirchensteuer "in erster Linie" für karitative Zwecke kann also beim besten Willen nicht die Rede sein.

Der Artikel zeigt aufs Neue die bereits in der Berichterstattung zum Thema "Pro Reli" Anfang dieses Jahres hervorgetretene massive kirchenfreundliche Haltung Ihres Blattes. Gerade im zeitlichen Zusammenhang mit dem bevorstehenden Weihnachtsfest und der traditionell damit verbundenen "christlichen Wohlfühlstimmung" kann die o.g. Behauptung erkennbar nur einen Zweck verfolgen, nämlich Kirchenmitgliedern, die eigentlich nicht religiös sind und möglicherweise über einen Austritt nachdenken, eine Begründung für ihren weiteren Verbleib in Kirche zu geben.

Denn "die Betreuung von Kindern, Alten, Kranken und Behinderten" zu unterstützen kann in der Tat nicht falsch sein. Um dies zu tun ist die Kirchensteuer jedoch wie gezeigt zum weit überwiegenden Teil der falsche Weg. Richtig muß es also heißen:

"Tatsache ist, daß derjenige, der möglichst effektiv Kindern, Alten, Kranken und Behinderten helfen möchte, dies am besten dadurch bewerkstelligt, daß er aus der Kirche austritt und die ersparte Kirchensteuer direkt entsprechenden wohltätigen Organisationen zukommen läßt. Man muß kein Atheist sein, um dies zu erkennen."


Das schwappt mehr und mehr in die ZEIT herüber.

 Da ist die unselige Übernahme des katholischen Rheinischen Merkurs, der nun in Form der religiotischen Beilage „Christ und Welt“ mit der ZEIT erscheint.


Der nette di Lorenzo scheint mir seit seinem Totalreinfall mit dem Guttenberg-Propaganda-Buch mehr und mehr auf die schiefe Bahn zu geraten.

Zu seinem Katholentum verkündete der ZEIT-Chef erst kürzlich in der eigenen Beilage.

Kirche ist allerdings von meinem Leben nicht zu trennen, zu stark ist meine christliche, genauer gesagt: meine katholische Prägung gewesen. Insofern fühle ich mich durch ein Wort von Heinrich Böll, das er einst an seine Kollegin Christa Wolf richtete, besonders gut getroffen: „Wer einmal Katholik war und wer einmal Kommunist war, der wird das nie wieder los.“  […]  Vor knapp zwei Jahren habe ich mit meinem Freund und Kollegen Axel Hacke ein Buch über die Werte unseres Lebens veröffentlicht; es trägt den Titel „Wofür stehst Du?“. Besonders eine Passage daraus hat eine Flut von Zuschriften und Kommentaren ausgelöst. Es geht darin nicht etwa um ein sexuelles Bekenntnis, sondern um ein religiöses. Ich schreibe da, dass wir seit einigen Jahren zu Hause wieder etwas haben aufleben lassen, was lange verschüttgegangen war: Vor dem Essen wird still gebetet, auch wenn Gäste da sind. Ich habe den Satz hinzugefügt: „Sehr oft ist es der schönste Moment des Tages.“
[…]
Ein ähnlich emotionales Bedürfnis spürte ich an dem Tag, als Johannes Paul II. starb. Diese Szene schildere ich ebenfalls in unserem Buch: „Wenige Stunden vor (dem Tod des Papstes) machte ich mich mit meiner späteren Frau auf den Weg zur St.-Hedwigs-Kathedrale in der Nähe des Berliner Gendarmenmarkts. Es war schon spät, und in der Kirche waren viele junge Leute, die nicht so aussahen, als seien sie geübte Besucher von Gottesdiensten. In diesem Moment fühlte ich mich ganz und gar eins mit meiner Kirche. Das Gefühl war: Nicht wir waren ihm, dem Papst, im Sterben nahe, sondern der Papst war sterbend bei uns. Er hatte am Ende vorgelebt, was fast jeder Mensch früher oder später erfährt: Dass es nichts Wichtigeres gibt, als in der Stunde des Leids für einen anderen Menschen da zu sein – oder selbst nicht allein zu bleiben.“
[…]  Natürlich ist die Kirche nicht verstummt. Aber bisweilen wünsche ich mir, dass ihre Stimme lauter wäre, dass sie sich auch Themen widmete, die nicht zu ihrem traditionellen Kanon gehören. [….Es] könnte sich in der katholischen Kirche in Deutschland womöglich ein neues Kräftezentrum ausbilden: eine undogmatische neue Mitte, deren Vertreter sich in einzelnen Sachfragen positionieren könnten, ohne von einer kirchenpolitischen Lagerzugehörigkeit bestimmt zu werden. Ein solches Szenario hielte ich für eine positive Entwicklung. Denn das würde ich der Kirche wünschen: Dass sie sich nicht in Richtungsdebatten verheddert, sondern sich der Probleme der Menschen annimmt. Ganz so, wie es Kardinal Hengsbach vorgelebt hat.
(Giovanni die Lorenzo in Christund Welt 18/12)

Ich könnte weitere „Vorfälle“ aufzählen.

Zum Abschluß der letzte Brüllwitz:

Die „ZEIT-Akademie“ wirbt im Moment massiv für Ethik-Aufklärung. 
Dazu soll man für schlappe € 149,- eine Aufklärungs-DVD des notorischen Lügners und Faktenverdrehers Wolfgang Huber erstehen.

DVD-Seminar »Ethik«
Die Grundfragen unseres Lebens
Was ist gut – und was ist richtig? Leben wir, um zu arbeiten? Wollen wir den perfekten Menschen? Für wen tragen wir Verantwortung? Im neuen Seminar »Ethik« der ZEIT Akademie erörtert der angesehene Theologe Prof. Dr. Wolfgang Huber die ethischen Grundfragen auf dem menschlichen Lebensweg - von der Geburt bis zum Tod.

Da haben di Lorenzo und Co sich ja mit dem Ex-EKD-Vorsitzenden, der gegen Ungläubige hetzt und dafür sorgt, daß kirchliche Mitarbeiter keine normalen Arbeitnehmerrechte genießen dürfen, genau den Richtigen gefunden.


NACHTRAG:

Man lese auch noch mal den Text von Michael Bauer zu Kardinal Marx' Aussage folgender Aussage in der „Zeit“,

 "Innere Kämpfe kenne ich seit der Studienzeit. Aber die letzten Monate waren die schlimmsten meines Lebens. Was wir da erlebt haben an Auseinandersetzung, auch an Entdeckung, was die Schuld der kirchlichen Institutionen angeht. Der entschiedene Punkt ist für mich: Was will Jesus uns damit sagen?"

Die Antwort gibt es hier.