Donnerstag, 20. Oktober 2016

Billiger Sterben


Nur zwei Dinge auf Erden sind uns ganz sicher: der Tod und die Steuer.
(Benjamin Franklin)

Bei der gestrigen, dritten US-Präsidentschaftsdebatte sah man wieder einmal einen faktenfernen und sprachfaulen Donald Trump. Immer wieder floskelte er über „and many many more“ oder „many others.“
Mit 12 oder 13 Jahren, so ungefähr in der 7. Klasse bekamen wir solche Formulierungen bei Deutsch-Aufsätzen als „Stilfehler“ angestrichen.
Bitte keine vagen Formulierungen, schreibt aus, was gemeint ist.
Daß Trump auf dem geistigen Niveau eine Präpubertären stehengeblieben ist, wundert nicht. Bei ihm zeugen diese prahlerischen und substanzlosen Formulierungen von seinem gewaltigen Ego. Er findet sich selbst so großartig, daß er es gar nicht nötig hat, sich für ein paar Sekunden zu konzentrieren, um konkret auszudrücken, was er eigentlich sagen will.
Ganz offensichtlich ist er völlig unfähig Selbstreflexion zu betreiben. Er kann sich nicht zur Realität in Relation setzen, sondern sieht sich als alles überstrahlenden Fixstern.
Wer es wagt zu widersprechen oder ihn auch nur anzweifelt, muß in Trumps Universum zutiefst böse, verblödet, bestochen, korrumpiert oder alles zusammen sein.

Warum stößt dieser Charakter nicht 100% der Amerikaner ab? Wieso finden ihn 40 % der Wähler ganz großartig?

Vielleicht liegt es daran, daß die meisten Menschen sich selbst als Mittelpunkt der Welt sehen. Daher verstehen sie instinktiv Trumps extrem egozentrierte Sicht auf die Dinge.

Es erfordert eine gewisse intellektuelle Anstrengung sich selbst als das unwichtige kleine Rädchen zu sehen, das man tatsächlich ist.

Die eigene Endlichkeit, Begrenztheit und Unwissenheit als selbstverständlich zu akzeptieren, erschreckt die meisten Homo Sapiens, weil sie dazu zu dumm sind.

Wir mogeln uns um unsere im Vergleich zu Stören (150 Jahre), ldabra-Riesenschildkröten (250 Jahre), Grönlandhaien (400 Jahre), Sumpfzypressen (3.500 Jahre), Eichen (10.000 Jahre) oder Neptungras (100.000 Jahre) recht kurze Lebensspanne herum.

Daß mit der Geburt eines Babys auch dessen Sterben und Tod sicher ist, wird so erfolgreich verdrängt, daß Mensch ganz geschockt reagiert, wenn ein Kind stirbt. Dann ist man am Boden zerstört und spricht von besonderer Tragik.
Wieso eigentlich?
Könnte man nicht angesichts der elenden Unausweichlichkeit des Sterbens über jeden froh sein, der es hinter sich hat?

Menschen altern und sterben.
Es ist genauso absurd sich gegen den Alterungsprozess zu sperren (nur Blanche Devereaux bleibt ewig 42), wie den Gedanken an den eigenen Tod zu verdrängen.

Da die Menschen generell nicht sterben wollen und aus der Tatsache, daß sie es doch müssen, die Konsequenz ziehen energisch den Kopf in den Sand zu stecken, sterben die Menschen auch in den meisten Fällen so, wie sie es gerade nicht wollen.
Vorsorge würde zu viel IQ erfordern.

Zwei von drei Deutschen verbringen die letzten Stunden ihres Lebens nicht an dem Ort, den sie sich wünschen. Nach einer aktuellen Studie der DAK-Gesundheit wollen nur sechs Prozent der Deutschen im Krankenhaus oder Pflegeheim sterben. In der Realität sterben jedoch dreiviertel aller Menschen in solchen Institutionen. Diesen deutlichen Unterschied zwischen Wunsch und Wirklichkeit zeigt die Krankenkasse in ihrem Pflegereport 2016. [….]

Tja, wenn doch bloß diese lästige Realität nicht wäre!
Ein Krankenhaus ist natürlich gut, wenn man krank ist und dort Linderung oder gar Heilung erfahren kann.

Aber im Krankenhaus kann auch Leidensvergrößerung erzielt werden. Mit dem lächerlich untauglichem Versuch das Unvermeidbare zu vermeiden, verdient man nämlich prächtig.
Da müssen sich die Patientenwünsche hinten anstellen.

[….] Nicht nur widerspricht das Sterben im Krankenhaus den Wünschen der meisten Menschen. Es belastet auch das Solidarsystem. [….]  64 Prozent dieser Personen waren im letzten Quartal vor ihrem Tod im Krankenhaus. Gerade Klinikaufenthalte sind teuer: ihr Anteil an den Gesamtkosten in den letzten drei Monaten des Lebens beträgt 83 Prozent. Ein solcher Aufenthalt kostet im Schnitt knapp 9000 Euro. [….]  „Diese vermeidbaren Krankenhausaufenthalte belasten nicht nur die Solidargemeinschaft. Sie stehen auch im klaren Widerspruch zu dem, was sich die meisten Menschen wünschen, wenn sie sterben müssen. […..]

Eine vernünftige Pflege zu Hause in den eigenen vier Wänden, wie es sich die überwältigende Mehrheit der Deutschen wünscht, kostet bei Sterbenden durchschnittlich 1.900 Euro im Monat.
Statt diesem vergleichsweise sehr billigen Wunsch zu entsprechen, sorgt unser Gesundheitssystem dafür, daß der 4 ½ mal so teure, nicht gewünschte quälerische Weg gegangen wird.

[….] Hinzu kommt eine Tendenz zur weiteren Institutionalisierung des Sterbens, die sich aus den Beschreibungen der Sterbeprozesse von Angehörigen oder Freunden ergibt: Vor mehr als 20 Jahren starben 55 Prozent zu Hause und 6 Prozent im Pflegeheim. In den letzten fünf Jahren hingegen starben 32 Prozent zu Hause und 22 Prozent im Heim. Der Anteil derer, die im Krankenhaus starben, ist mit knapp 40 Prozent etwa gleich geblieben. [….]

Schuld an diesem Irrsinn sind Geldgier der Pharmaindustrie und der übergroße Einfluss der christlichen Religion auf die Parlamentarier.
Die Christenmafia im Bundestag verweigert sich ostentativ dem mehrheitlichen Wunsch der Bundesbürger ihre persönlichste Angelegenheit überhaupt, nämlich ihr eigenes Leben, selbstbestimmt zu gestalten.
Wären die Menschen nicht so verblödet und geübt darin ihre eigene Sterblichkeit zu verdrängen, würden sie anderen Parteien wählen.

[….] Ginge es nach dem Willen der Bevölkerung, wäre Sterbehilfe längst kein Tabuthema mehr: 87 Prozent der Deutschen meinen, dass der einzelne Mensch selbst bestimmen darf, wann und wie er sterben möchte. Immerhin 77 Prozent können sich vorstellen, persönlich Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen, wenn sie unter einer unheilbaren Krankheit, schwerer Invalidität oder nicht beherrschbaren Schmerzen leiden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sprach 2011 in seinem Urteil zum Fall »Haas gegen die Schweiz« sogar von einer »positiven Verpflichtung des Staates (…), die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, die einen würdigen Suizid ermöglichen«.
In der Politik sind diese klaren Voten bislang nicht angekommen. Im Gegenteil: Der Bundestag hat mehrheitlich entschieden, die Möglichkeiten der Sterbehilfe so einzuschränken, dass künftig kaum ein Sterbewilliger noch einen Arzt finden wird, der ihm bei der Verwirklichung seines letzten Wunsches zur Seite steht. [….]

Unser genialer Christenbundestag verdonnert also die Bevölkerung zu einem Zwangsweg in die Palliativversorgung, die für über 90% der Menschen gar nicht möglich ist, weil sich bisherige Bundes- und Landesregierungen unter dem Druck der Kirchen- und Krankenhauslobby weigerten die entsprechenden Strukturen zu schaffen.

Auch ohne entsprechende gesetzliche Grundlagen, kann man aber einiges tun, um die Wahrscheinlichkeit eines Endes mit extremen Schmerzen an Schläuchen und Maschinen angeschlossen zu minimieren.

Man kann zum Beispiel wie ich längst in einem Notariat gewesen sein und mit Stempel und Siegel eine so weit wie rechtlich mögliche Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und Pflegeverfügung zu erstellen. Man kann wie ich schon vor Urzeiten einen Bestattungsvertrag abgeschlossen haben.
Man kann rechtzeitig dafür sorgen so zu wohnen, daß man nicht irgendwann wegen Gebrechlichkeit gezwungen wird umzuziehen (Stichwort „Barrierefreiheit“). Man kann sich entsprechende Einrichtungen (Betreutes Wohnen, Alten-WGs, etc) ansehen, bevor es zu spät ist und man gaga ins nächste staatliche Pflegeheim mit Vierbettzimmern geschoben wird.
Man könnte auch überlegen wie man die Reißleine zieht, bevor es soweit ist, daß man nicht mehr selbst entscheiden kann.

Unglücklicherweise ist Mensch aber zu wenig selbstreferenziell, um entsprechende Schritte zu unternehmen. Siehe Trump.
Die meisten Menschen sind kleine Trumps, die sich eine Welt ohne sich selbst gar nicht vorstellen können.