Freitag, 25. Oktober 2013

Koalitionsverhandlungen.



Zur nächsten Regierung sind die abschließenden Urteile auf Seiten der dauernörgelnden ganz Linken schon gefallen. Die SPD hat sich billig verkauft, läßt sich nach Belieben von Merkel dominieren und verrät ihre Wähler.

Dazu ist einiges zu sagen:

1.) Diejenigen, die jetzt am lautesten die SPD verdammen, hatten sie ohnehin schon nicht mehr gewählt und waren längst zu Linken oder Piraten abgewandert.
Eine Partei kann aber nicht Verrat an irgendwelchen Leuten begehen, die ohnehin andere Parteien gewählt haben. Genauso wenig kann mich die FDP verraten. Die würde ich ohnehin nie wählen, also existiert auch kein Vertrauen zwischen der FDP und mir, welches die Partei brechen könnte.
Wer also die SPD bei der Wahl ohnehin nicht unterstützt hat, soll auch nicht anschließend rumjammern, wenn sie anders handelt als man wollte.

2.) Die SPD hat nicht die absolute Mehrheit bekommen! Vielleicht muß man das noch mal erwähnen, weil das von vielen offenbar nicht verstanden wurde. Rund 75% der Wähler haben eine andere Partei als die SPD gewählt und über 50% wählten mit CDU, FDP, AfD und CSU eine Partei, die eindeutig Merkel bevorzugte. Hinzu kommen Linke und Piraten, die zumindest billigend in Kauf nahmen, daß Merkel Kanzlerin würde.

3.) Wenn es zu einer Großen Koalition kommen sollte, ist das schon deswegen kein „Wortbruch“ oder „Verrat am Wähler“, weil es eben diese Wähler sind, die a priori und a posteriori genau das wollten. Quer durch alle Lager gibt es deutliche Mehrheiten für SchwarzRot.

Eine Mehrheit der Befragten setzt zur Lösung der Probleme in Deutschland auf eine Große Koalition aus CDU/CSU und SPD. Das zeigt das aktuelle ZDF Politbarometer. Unter den Anhängern von Grünen und Linke gibt es dagegen weniger Befürworter.
61 Prozent aller Befragten halten eine Große Koalition aus CDU/CSU und SPD für am ehesten geeignet, die anstehenden Probleme in Deutschland zu lösen. Das sehen nicht nur Mehrheiten der Anhänger von CDU/CSU (76 Prozent) und SPD (67 Prozent) so, sondern auch 64 Prozent derjenigen der AfD. Bei den Anhängern der Grünen sind es 44 Prozent, die diese Auffassung teilen, bei den Anhängern der Piraten allerdings nur 27 Prozent und bei denen der Linken 21 Prozent. Dass eine Koalition aus CDU/CSU und Grünen dafür am besten geeignet sei, glauben hingegen nur 14 Prozent aller Befragten und 15 Prozent plädieren in dieser Frage für Rot-Rot-Grün. Letzteres sehen allerdings mehrheitlich nur die Anhänger der Linken so (62 Prozent; SPD-Anhänger: 19 Prozent; Grüne-Anhänger: 21 Prozent).

4.) Wie man eine große Koalition inhaltlich beurteilt, hängt sehr stark von dem im Koalitionsvertrag beschlossenen Programm ab. Das kennt aber noch niemand, weil die Verhandlungen darüber noch nicht mal richtig begonnen haben.

Bevor jemand Zeter-und-Mordio-brüllend den Stab über die SPD bricht, sollte er doch erst mal abwarten, bis es überhaupt ein Ergebnis gibt. Wer weiß; vielleicht setzten sich ja die Sozis sehr weitgehend gegen die CDU durch. Immerhin hat die SPD in den mit der Union strittigen Punkten (höherer Spitzensteuersatz, Mindestlohn, Herdprämie) eine breite Mehrheit der Bevölkerung auf ihrer Seite.

Dieses WORTBRUCH-Gerede geht dem eindeutigen rotrotgrün-Befürworter Tammox auf die Nerven. Umgekehrt wird nämlich ein Schuh draus.
Leider wäre es Wortbruch, wenn links-SPD-Grün käme. Das war vor der Wahl ausgeschlossen worden und nicht die Große Koalition.
Steinbrück hatte lediglich gesagt, daß ER PERSÖNLICH nicht unter Merkel dienen wolle. Und genau daran hält er sich.

Mir tut heute noch Franz Müntefering Leid, den vor der Erfindung des Ausdrucks „Shitstorm“ ein solcher ereilte, nachdem er 2005 beklagt hatte es sei unfair die Parteien immer an den Wahlversprechen zu messen.
Das wollten alle nur zu gerne falsch verstehen. In der „Heute-Show“ von letzter Woche wurde Müntefering unter dem Gejohle des Publikums erneut mit diesem Spruch vorgeführt.
Gemeint hatte der damalige SPD-Chef natürlich nicht, daß Parteien generell lügen.
Vielmehr beklagte er die Zwänge einer großen Koalition, in der die SPD zu allem Übel auch nur Juniorpartner war.
ALLE Wahlversprechen kann und muß man umsetzen, wenn man die absolute Mehrheit bekommen hat. Eine absolute Mehrheit der SPD wollte der Wähler aber ganz offensichtlich NICHT.
Natürlich kann ein Koalitionsvertrag nicht zu 100% dem Wahlprogramm einer Partei entsprechen.
Viele Köche haben in den Koalitionsverhandlungen die Chance den Brei zu verderben.
Es ist tatsächlich unfair vom Wähler eine Partei an den Wahlversprechen zu messen, wenn er diese Partei durch ein mickriges Stimmenergebnis selbst daran hindert diese Versprechen 1:1 umzusetzen.

Die Partei SPD geht demokratisch vorbildlich mit dem für sie enttäuschenden Wahlergebnis um. Sie versucht in Verhandlungen mit dem einzig tatsächlich möglichen Regierungspartner so viel SPD-Programmatik rauszuholen, wie nur irgend möglich. Dabei informiert sie ihre Mitglieder kontinuierlich (unter anderem durch einen täglichen Mitgliederbrief) über den Stand der Verhandlungen und läßt vor der Unterzeichnung eines solchen Vertrages sämtliche Parteimitglieder per Urwahl darüber abstimmen.
Der Autor dieser Zeilen gehört übrigens zu den extrem Merkel-kritischen SPD-Mitgliedern und kann sich im Moment nur schwer vorstellen mit „Ja zur Merkelkoalition“ zu stimmen. Ausgeschlossen ist dies allerdings auch nicht. Es kommt auf die inhaltlichen Ergebnisse an.
Man muß es unter Umständen AUCH als Wortbruch auslegen, wenn die Sozis nicht mitmachen.
Das wäre höchst asozial gegenüber den Millionen von Menschen, die als lumpig bezahlte Niedriglöhner (40 % der Deutschen können sich nach derzeitigem Stand auf Altersarmt freuen) nun DANK DER SPD die Chance haben wenigstens 8,50 die Stunde zu bekommen.
Wer strikt gegen eine große Koalition plädiert, der plädiert auch für Pofalla und Friedrich als NSA-Aufklärer, der will nichts daran ändern, daß 1,1 Millionen deutsche Kinder in Armut leben, der akzeptiert, daß weiterhin Millionen Menschen nicht von ihrem regulärem Lohn leben können.
Das wäre auch Verrat an den Linken Idealen.

Wir müssen schon dem riesigen Troß der SPD-Verhandlungsführer die Möglichkeit lassen immerhin zu versuchen so viel wie möglich rauszuholen aus der CDU/CSU.
Unter den SPD-Vertretern der verschiedenen Arbeitsgruppen sind durchaus honorige Personen, denen ich zutraue sich nicht das Fell über die Ohren ziehen zu lassen,

    Auswärtiges, Verteidigung, Entwicklungszusammenarbeit:
    Frank-Walter Steinmeier, Gernot Erler, Rolf Mützenich, Rainer Arnold, Sascha Raabe, Karin Evers-Meyer, Cornelia Füllkrug-Weitzel

    Finanzen, Haushalt, Finanzbeziehungen Bund-Länder (Kommunen):
    Olaf Scholz, Joachim Poß, Carsten Schneider, Carsten Kühl, Norbert Walter-Borjans, Barbara Ludwig, Sabine Bätzing-Lichtenthaler
    Unterarbeitsgruppe: Bankenregulierung, Europa, Euro:
    Martin Schulz, Lothar Binding, Udo Bullman, Axel Schäfer, Johannes Kahrs

    Wirtschaft:
    Hubertus Heil, Wolfgang Tiefensee, Matthias Machnig, Rita Schwarzelühr-Sutter, Andrea Wicklein, Garrelt Duin, Nils Schmid

    Energie:
    Hannelore Kraft, Torsten Schäfer-Gümbel, Stephan Weil, Heiko Maas, Peter Friedrich, Nina Scheer, Dietmar Woidke

    Arbeit und Soziales:
    Andrea Nahles, Anette Kramme, Erwin Sellering, Guntram Schneider, Gabriele Lösekrug-Möller, Detlef Scheele, Klaus Wiesehügel, Armin Schild

    Familie, Frauen und Gleichstellungspolitik:
    Manuela Schwesig, Dagmar Ziegler, Caren Marks, Kerstin Griese, Elke Ferner, Martin Dulig, Eva Högl

    Gesundheit und Pflege:
    Karl Lauterbach, Carola Reimann, Cornelia Prüfer-Storcks, Kristin Alheit, Alexander Schweitzer, Hilde Mattheis, Günter Baaske

    Verkehr, Bauen und Infrastruktur:
    Florian Pronold, Sören Bartol, Michael Groschek, Torsten Albig, Iris Gleicke, Jutta Blankau, Olaf Lies

    Wissenschaft, Bildung und Forschung:
    Doris Ahnen, Christoph Matschie, Ernst Dieter Rossmann, Swen Schulz, Jens Böhrnsen, Rene Röspel, Ralf Stegner

    Inneres und Justiz:
    Thomas Oppermann, Ralf Jäger, Christine Lambrecht, Angela Kolb, Boris Pistorius, Michael Hartmann, Burkhard Lischka
    Unterarbeitsgruppe: Integration und Migration:
    Aydan Özoguz, Andreas Breitner, Rüdiger Veit, Yasemin Karakasoglu

    Umwelt, Landwirtschaft und Verbraucherschutz:
    Ute Vogt, Till Backhaus, Bärbel Kofler, Mattias Miersch, , Anke Rehlinger, Wilhelm Priesmeier, Katrin Budde
    Unterarbeitsgruppe: Verbraucherschutz:
    Ulrich Kelber, Jochen Hartloff, Elvira Drobinski-Weiß, Dirk Becker

    Kultur und Medien:
    Klaus Wowereit, Barbara Kisseler, Siegmund Ehrmann, Oliver Scheytt, Julian Nida-Rümelin, Stephan Dorgerloh, Malu Dreyer, Marc Jan Eumann
    Unterarbeitsgruppe: Digitale Agenda:
    Brigitte Zypries, Gesche Joost, Lars Klingbeil, Björn Böhning
     (SPD Mitgliederbrief 24.10.13)

Und wenn die SPD-Kasper nicht genügend vorzuweisen haben, kann ich immer noch „nein danke“ sagen und mich DANN ANSCHLIEßEND für die Partei schämen.