Sonntag, 9. August 2020

Von Kabarett zu Comedy.


Als Erbe der VHS-Cassetten meiner Vorgänger-Generation verfüge ich über ein großes Archiv Scheibenwischer-Aufzeichnungen.
Das war über Jahrzehnte ein MUSS. Man freute sich auch jede Ausgabe und diskutierte anschließend noch Tage darüber.
Für mich waren es die goldenen Helmut-Kohl-Zeiten.
Natürlich hatte man immer zu lachen, aber die besten Nummern waren natürlich die Aufklärerischen, bei denen einem das Lachen im Hals stecken blieb. Dazu gab es die zweite Ebene des außerordentlich geistreichen Sprachwitzes. Metaphern und feinsinnige Andeutungen, die so geballt waren, daß man stets Notizen machte aus Furcht alles zu schnell wieder zu vergessen.
Kohl und Strauß eigneten sich hervorragend, um imitiert zu werden. Thomas Freitag war ein besonders guter Kohl und Matthias Richling tauchte mit seinen Politiker-Parodien im Schweibenwischer auf.
Grundsätzlich bin ich aber gar kein Fan von reinen Parodisten, da das nur eine oberflächliche Humorebene bedient.
In einem Text über bekannte Politiker seinen Sprachduktus auch mal zu imitieren sind perfekte Highlighter, aber die sollten nicht allein die Show tragen.
Meine Eltern, die aus den USA schon seit Jahrzehnten brillante Standup-Comedy kannten, wunderten sich immer über des fehlen dieses Genres in Deutschland.
In den 90ern gab es erste Versuche mit Latenighttalk, aber dafür gab es weder das Publikum noch genügend geeignete Autoren.
RTL Samstag Nacht war eine Neuerung,  von November 1993 bis Mai 1998 gab es wöchentliche Comedy, die teilweise dadaistische Aspekte hatte. Es gab in Gestalt Wigald Bonings Überschneidungen mit der damals noch sensationell guten NDR-Satire-Sendung Extra Drei.
Vor einem Vierteljahrhundert guckte ich RTL Samstag Nacht ganz gern und fand es mutig von RTL den damals noch neuen Komödianten Spielraum zu geben.
Natürlich war viel Blödsinn dabei.
Ich erinnere mich bei den Auftritten Tanja Schumanns immer vorgespult zu haben, weil ich sie völlig unlustig fand.
Mit der Zeit wandelte sich der satirische Anspruch in reine Comedy und immer mehr zotenreißende Rüdiger Hoffmanns, Atze Schröders, Michael Mittermaiers tauchten auf, die für ein breites unpolitisches Publikum geeignet waren.
Unglücklicherweise schwappen diese Witzbolde auch gelegentlich in die Kabarett-Sendungen und zogen das Niveau deutlich hinab.
Die verbliebenen richtig guten Kabarettisten zogen sich zurück oder starben.
Bruno Jonas, Dieter Hildebrandt, mein All-Time-Favorite Georg Schramm sagte „die Anstalt“ ab. Urban Priol verlor den Biss, macht nun Jahresrückblicke. Riechling gibt es noch, er kann auch immer noch gut sein, verliert sich aber leider in endlosen Parodien.
Ich schätze immer noch Hagen Rether und Wilfried Schmickler. Aber auch die sieht man seltener.
Politische Comedy, wie sie Oliver Welke macht und wie es sie auch heute noch bei Extra Drei gibt, ist eine gute Sache. Sie erreicht ein größeres Publikum, klärt auf. Aber es ist ein anderes Genre als das intellektuelle scharfzüngige Kabarett der 1980er und 1990er Jahre.
Es gibt dort allerlei Klamauk, Interviews und platte Gags, die ich in dem Zusammenhang nicht schätze.

Ich glaube, das politische Kabarett ist tot, weil es so viel flachere Konkurrenz durch Comedy bekommen hat und (oder deswegen?) gibt es leider kaum noch wirklich gute Kabarettisten.
Die ZDF-Sendung „die Anstalt“, die ich mit Schramm und Priol niemals verpasste und leidenschaftlich genoss, kann ich noch nicht mal mehr kritisieren, weil sich die Version mit Claus von Wagner, Till Reiners und Max Uthoff schon seit Jahren nicht gesehen habe. Ich finde alle drei unlustig und oberflächlich.
Einst erwartete ich viel von Florian Schröder, 41, der schon in den 1990 als junger Satiriker in Kabarettsendungen auftrat.
Dann schwappte er aber auch immer mehr in den Comedy-Bereich, so daß ich seine Sendungen nicht mehr ansehen mochte.

Nun aber hat er Mann etwas wirklich Mutiges und partiell Großes getan.
Wie einst Gerhard Schröder, der 1999 als rotgrüner Kanzler Hassfigur der stramm konservativen Landwirtschaftslobby war und dennoch mit breiter Brust beim Bauerntag einmarschierte, wagte sich auch Florian Schröder 21 Jahre später ins Feindesland.
Er trat bei den Stuttgarter Querfront-Covidioten auf, für die er alles symbolisiert, was die Aluhüte bekämpfen.
Dazu gehört Rückgrat!


Natürlich wurde Schröder ausgebuht und wird bei den fanatischen Querfrontlern vor Ort nichts erreicht haben.
Aber es geht um die noch Unentschlossenen, die „stillen Mitleser“, die womöglich erst noch in die Querfront hineingezogen werden könnten.
Schröder ist in ihre Info-Blase vorgedrungen und hat vielleicht ein paar von Ihnen zum Nachdenken gebracht.