Sonntag, 7. Oktober 2018

Nur wer sich ändert, bleibt sich selbst treu


Ein paar Prozentpunkte weniger bei der Bayernwahl in einer Woche wären zwar glanzlos für den neuen Ministerpräsidenten, hätten aber den Vorteil für den Machthungrigen endlich Parteichef Seehofer als Sündenbock zu entsorgen und zum Alleinherrscher aufzusteigen.
Söder selbst galt als ungefährdet, weil es keine Alternative zu ihm gibt.
Sollte etwa der eine Generation ältere Herrmann nach dem MP-Job greifen, nachdem er als Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl 2017 das mieseste Ergebnis aller Zeiten geholt hatte?
Oder Ilse Aigner, die im Kampf um die Seehofer-Nachfolge schon das völlige Fehlen von Machtbewußtsein bewies und immer nur absteigt? Von der Bundesministerin über die Landesministerin mit Aufstiegschancen zur Landesministerin unter „ferner liefen“?
Nein, das sah ganz gut aus für Söder.
Nun aber brechen die CSU-Umfragewerte derartig ein, daß schon eine Zahl in den hohen 30ern ein Achtungserfolg wäre. Es könnten aber auch 33 oder 34% werden.


Aus der staubigen Gruft des Franz Josef Strauß im Schatten der Klosterkirche von Rott am Inn hört man heftiges Rotieren.
Wie konnte das nur geschehen?

Interessanterweise ist das keine rhetorische Frage für die CSU-Altvorderen, sondern sie verstehen es wirklich nicht. Bayern gehe es doch so gut und ihre CSUler wären doch so großartig. Wieso also nicht 55+x%, wie das unter FJS in Stein gemeißelt schien?

[….] 24 Jahre lang war [Scharnagl] Chefredakteur der Parteizeitung "Bayernkurier", des Zentralorgans der CSU. Auf dem Tisch liegt die Kopie eines "Bild"-Artikels über Strauß und ihn von 1985. "Was ich denke, schreibt Scharnagl", lautet die Schlagzeile. Ein Strauß-Zitat. Scharnagl nimmt die Uhr in die Hand, die Strauß so oft trug, eine silberne Omega, Modell Speedmaster Professional. Nach Strauß' Tod bekam er sie von dessen Kindern zum Geburtstag geschenkt. Sie blieb stehen bei fünf vor halb sieben.


Scharnagl schießen Tränen in die Augen. "Ich muss da immer ankämpfen, dass es mich nicht zu sehr berührt. Es ist da eine tiefe Traurigkeit", sagt er. "Ich muss mit Strauß immer noch fertig werden, mit dem Verlust, nach 30 Jahren." Zusammen sind sie um die Welt gereist, haben als Vertreter Bayerns die Großen dieser Erde getroffen. Deng Xiaoping, der beim Treffen einen Spucknapf neben sich stehen hatte. "Der hatte eine Art zu spucken, dass sich der Napf gedreht hat." Einmal im Jahr fuhren sie privat für ein paar Tage mit dem Geländewagen über die Alpen bis nach Südfrankreich. "Das war die verlorene Zeit, die wir gesucht haben." […..]
(DER SPIEGEL Nr 41, 06.10.2018, s.16)

Wie konnte die Staatspartei zur Satireveranstaltung werden?
Während FJS als CSU-Chef in der Hauptstadt gefürchtet wurde, lacht man Seehofer aus.


Es sind aber nicht nur die zwei Deppen Söder und Seehofer, die Straußens Partei in den Abgrund reißen.
Die CSU verfängt auch deswegen nicht mehr so gut bei den Bayern, weil sich selbst das bizarre Alpenvolk irgendwie weiterentwickelt, während die CSU ideologisch stehenbleibt.

Die von ihr Regierten halten Umweltschutz nicht mehr für eine sozialistische Teufelei und sind gelegentlich sogar bereit einen Schwulen erst mal leben zu lassen, statt ihn sofort zu lynchen.
Nicht mehr alle Bayern stehen treu zur Kirche nachdem Kindesmissbrauch in beinahe allen großen bayerischen katholischen Einrichtungen publik wurde.
Und noch erstaunlicher: Es soll sogar Bajuwaren geben, die Frauen als echte Menschen betrachten, die sogar eigene Meinungen haben dürfen. Potzblitz.
In der CSU ist dieser Unsinn noch völlig verpönt. In der CSU-Parteiführung spielen Frauen keine Rolle, die CSU schickte keine einzige MinisterIN in die Bundesregierung und selbstverständlich ist das gesamte Führungspersonal des gewaltigen Heimat-Innen-Superministerium des Parteichefs Seehofer 100% männlich.
Diese Weiber- und Umwelt-affinen Multikulti-Bayern sind eigentlich gar keine echten CSU-Bayern, sondern verkappte Saupreißen. Aus anderen Bundesländern dahergelaufene Artfremde, die nicht wissen was sich an der Wahlurne gehört.
  
Früher hätte man solche windigen Typen mit Forken und Mistgabeln vertrieben oder aber politisch auf Linie gebracht, indem sie beim Pfaff, beim Wirt, sowie im Trachten-, Schützen, Sanges- und Heimatverein assimiliert werden.
Aber jetzt gibt es ja dieses Neuländer „Internet“ und da holen sich die Bayern dreist ihre eigenen, nicht von der CSU vorgegebenen Informationen.

Der olle FJS war vermutlich moderner als Söder heute.
Er hätte sich an die Spitze der Bewegung gesetzt, jedes Kuhdorf an Breitbandinternet angeschlossen und vor zehn Jahren schon in Anbetracht der drohenden Wohnungsnot gewaltige soziale Bauprojekte aus dem Boden gestampft – das meint zumindest FJS-Biograph Peter Siebenmorgen im neuesten SPIEGEL.
Das ist eine hypothetische Aussage. Nicht hypothetisch, sondern blanke Realität ist hingegen, daß Seehofer und Söder beim schnellen Internet, bei den Verlegungen von Stromtrassen, beim Kita-Ausbau und insbesondere im sozialen Wohnungsbau total versagt haben.

Sie dachten, es wäre bayerisch genug einfach so weiter zu wurschteln wie immer.
Ein paar Reminiszenzen an die 50er Jahre („Kruzifixzwang“) und dazu ein paar Nazi-artige Sprüche, wie sie FJS auch in seinen Bierzeltreden donnerte.
Die mit CSU-Anhängern vollgestopften Bierzelte johlen auch immer noch begeistert auf, wenn Söder gegen Multikulti hetzt.
Die Majorität der Bayern hat sich allerdings gewandelt.
Und die richtig Rechten, die ewig Gestrigen, werden sogleich zur AfD weitergereicht.
Die bayerische AfD-Kandidatiin Ebner-Steiner kann ihr Glück und die Doofheit der CSU-Spitze gar nicht fassen. Seit Monaten macht die kostenlose AfD-Werbung und pumpte die gauländer Braunen mit heißer Hetze-CSU-Luft in die Zweistelligkeit.

[….] Es sei nicht nur die Flüchtlingspolitik, die die Leute zur AfD treibe, sagt sie und spricht dann über die großen und kleinen Skandale örtlicher CSU-Politiker[….] Die CSU habe überall ihre Spitzel, sagt Ebner-Steiner. Sie kenne Bedienstete der Stadt Deggendorf, die nicht an ihrem AfD-Stand stehen bleiben dürften. "Für diese Leute ist es wie ein Befreiungsschlag, wenn sie jetzt heimlich AfD wählen können. Die sagen: Jetzt muss mal Schluss sein mit den Amigos und der sozialen Kontrolle." Dieses Empfinden habe sich über Jahre angestaut. Das Fass zum Überlaufen gebracht habe dann die Flüchtlingspolitik.
Auch da, sagt Ebner-Steiner, verstehe sie die CSU nicht. "Man kann die AfD so leicht bekämpfen, aber sie tun es einfach nicht." Vor allem Horst Seehofer mache alles falsch. "Der ist für uns wie ein Pressesprecher. Der macht Wahlwerbung für uns." Sein Satz, die Migrationsfrage ist die Mutter aller Probleme, sei großartig für die AfD. "Er hebt das Thema immer wieder hoch. Und jeder weiß, dass die AfD dieses Thema dominiert. Ich versteh nicht, dass die das nicht kapieren." [….]
(DER SPIEGEL Nr 41, 06.10.2018, s.20)