„Von 100 politischen Entscheidungen verstehe ich 98 nicht!“ entgegnete mir letzte Woche eine über 90 Jahre alte Dame in einer Pflegeeinrichtung.
Klaren Verstandes fügte sie verschmitzt hinzu „ich soll nicht immer so übertreiben hat man mir gesagt, also, von 100 politischen Entscheidungen verstehe ich 97 nicht!“
Es ging um die ihrer Meinung nach nicht konsistenten Corona-Maßnahmen. Wieso darf sich in dem Seniorenheim jeder frei bewegen, der als „Dienstleister“ kommt; also Handwerker, Physiotherapeutin, Lieferanten, Blumenboten, Briefträger, aber sie dürfe nicht einmal in der Woche in ein Restaurant mit exzellenten Hygienekonzept, Plexiglasstellwänden und nur jedem zweiten besetzten Tisch gehen.
Nun geht es aber bei den deutschen Corona-Regeln nicht unbedingt um Einzelfallgerechtigkeit, sondern es werden verschiedene Interessen abgewogen, während man die Quantität aller Kontakte betrachtet und aus pandemischer Sicht Vorgaben erhält wie viel Prozent davon möglichst wegfallen sollten.
Wäre ich über 90 Jahre alt, würde ich mich sicherlich auch auf die Position zurückziehen, vieles nicht mehr zu verstehen und den Luxus genießen es auch nicht mehr verstehen zu müssen.
De facto gibt es schon heute viele Bereiche des Lebens und der Ökonomie, die anderen extrem wichtig erscheinen, aber für mich so irrelevant sind, daß ich gar nicht erst beginne Zeit dafür aufzuwenden.
Manga, Anime, Play Station, Gamen, Zocken, Streamen – darum sollen sich Jüngere kümmern.
Ich verstehe wie unverständlich die meisten politischen Entscheidungen wirken, wenn ein Betroffener eine konkrete Auswirkung im Alltag spürt, die er als Verschlechterung empfindet.
Wenn ich als Autofahrer guten Gewissens (weil ich erstens extrem wenig fahre und zweitens damit pandemisch vorbildlich kontaktlos) sehe, daß ich nicht mehr in die Länden gehen kann, die ich seit Jahrzehnten frequentiere, wo schon meine Mutter und meine Oma einkauften, bin ich sauer.
Wieso macht der blöde Senat den Hamburger Jungfernstieg autofrei, hackt massenhaft Bäume ab, vernichtet jedes Jahr tausende Parkplätze zu Gunsten von Radfahrern?
Das schadet der Autoindustrie, das schadet den Geschäftsleuten in der Innenstadt und das schadet mir, weil ich gezwungen werde meine Routinen zu ändern, ja sogar teilweise gezwungen werde Waren im Internet zu bestellen, obwohl ich das möglichst immer vermeide, um den stationären Handel zu stärken gegen die großen Multikonzerne, die keine Steuern zahlen.
Man könnte also sagen „ich verstehe die politischen Entscheidungen“ des frommen grünen Verkehrssenators Tjarks nicht.
In Wahrheit finde ich die Entscheidung nur falsch und meine, er sollte die verschiedenen Interessen anders abwägen und kreativer entscheiden.
Falsche Entscheidungen sind meist nur Entscheidungen, die aus anderen Gründen getroffen werden. Sie sind eben doch zu verstehen, wenn man darüber nachdenkt, von welchen Lobbyisten ein Entscheider gelenkt wird, welche Interessen er nicht berücksichtigt, bzw welche Absichten er verfolgt.
Tjarks denkt an seine Wahlchancen bei jungen urbanen Typen, möchte die Unterstützung der Radfahrerlobbys, will sich in seiner Partei al derjenige profilieren, der erfolgreich die schadstoffausstoßenden Autos verbannt und denkt eben nicht daran, daß es ältere und gebrechliche Menschen gibt, die nicht Radfahren können oder aus gesundheitlichen Gründen nicht in einen vollen ÖPNV-Bus steigen.
ICH sage, die Tjarks-Verkehrspolitik ist schlecht. Aber ich verstehe sie trotzdem, wenn ich darüber nachdenke was ihn leitet und was ihn nicht interessiert.
Und so ist es auf allen Ebenen. Kommunal, in den Bundesländern, im Bundeskabinett, in Brüssel oder beim G20.
Es werden zwar jede Menge Entscheidungen verkündet, die demjenigen, der damit leben muss als völlig unverständlich erscheinen, aber in der Regel lässt sich nachvollziehen weshalb welche Interessen berücksichtigt wurden, wer Einfluss nahm und was damit beabsichtigt wurde.
Sehr selten kommt es vor, daß politische Vorgänge gänzlich rätselhaft erscheinen und mir gar nicht klar wird, wer eigentlich davon profitiert.
Einer dieser wenigen Fälle ist der Streit des Bundes, Berlins und Brandenburgs mit dem Hause Hohenzollern.
Der aktuelle Prinz von Preußen überzieht Bund, Länder und Stiftungen seit Jahren mit hunderten von Klagen.
Er will all die Schätze, die seine Familie bis 1918 zusammenraffte, als die Monarchie abgeschafft wurde.
Er ist klagefreudiger als Trump und überzieht ganze Regierungsabteilungen mit immer neuen Rechtsstreitigkeiten.
Dabei geht es auch um die Hohenzollern-Schlösser, die auf dem ehemaligen Gebiet der DDR liegen und unter sowjetischer Besatzung nach 1945 enteignet wurden.
Die heutige Rechtslage ist aber eindeutig: Ja, die enteigneten Junker dürfen ihre Besitztümer zurückfordern, WENN sie nicht aktiv Hitler und den Nationalsozialismus »erheblichen Vorschub geleistet« haben. Dies Unwürdigkeitsklausel soll ausschließen, daß Nazis und deren Nachfahren Steuermittel erhalten.
Das ist aber im Falle der Preußen eindeutig der Fall.
Ex-Kaiser Wilhelm II war glühender Antisemit und Hitler-Fan; seine erwachsenen Söhne waren aktive überzeugte Nazis, die Hitler durch ihre prominenten Namen einen enormen Propagandaerfolg bereiteten und die Herrschaft des ehemaligen Gefreiten gewissermaßen absegneten. Sie waren „Hitlers nützliche Idioten“, wie es Heribert Prantl ausführlich für die Süddeutsche Zeitung dokumentierte.
Wilhelm II. träumte im holländischen Exil…
[……] „von einer Rückkehr auf den Thron, hier verstieg er sich in Fantasien über den Mord an Juden (»Das Beste wäre Gas«), hier begeisterte er sich für die frühen Siege Hitlers auf dem Schlachtfeld.“ […..] Wilhelm II. war freilich ein undankbarer Gast. Als die Wehrmacht 1940 in die Niederlande einmarschierte, jubelte der reaktionäre Nationalist. Ein Angebot der Briten, sich wie die niederländische Königin nach Großbritannien abzusetzen, schlug er aus. […..]
(DER SPIEGEL, 21.11.2020, s.48)
Sein Urenkel Georg Friedrich, Prinz von Preußen, kennt keine Hemmungen und will trotzdem ein gewaltiges Multimillionenvermögen vom Steuerzahler haben.
[….] Die wachsenden Belastungen der öffentlichen Haushalte durch die Coronakrise sind absehbar. Ausgerechnet den unbeliebten Hohenzollern in solchen Zeiten Millionenbeträge zu überweisen dürfte schwer vermittelbar sein. Und dann ist da noch der aberwitzige juristische Feldzug des Kaiser-Nachfahren gegen Medien und Historiker. Ihnen wirft Prinz von Preußen falsche Tatsachenbehauptungen vor. Über die Zahl der Fälle will er heute keine Auskunft mehr geben, im Februar waren es nach seinen Angaben bereits 120.
Es geht dabei oft um nebensächliche Fragen, etwa ob Prinz von Preußen ein staatliches Hohenzollernmuseum verlangt hat. Hat er nämlich nicht. Kaum ein ehemaliges Hohenzollernschloss um Berlin, dessen Bestände nicht betroffen wären. Inzwischen hat sich daraus eine Grundsatzdiskussion über Wissenschafts- und Pressefreiheit entwickelt. Eva Schlotheuber, Vorsitzende des Verbands der Historiker und Historikerinnen Deutschlands, kritisierte kürzlich im Deutschlandfunk, der Hohenzoller wolle Aussagen von Wissenschaftlern unterdrücken. Darauf bekam sie Post vom Anwalt der Familie. Es handle sich um einen »völlig aus der Luft gegriffenen, ungeheuerlichen und die Grenzen jeder Äußerungsfreiheit überschreitenden Vorwurf«. Das »Geschichtsforum beim SPD-Parteivorstand« – ein Gremium aus Wissenschaftlern und SPD-Bundestagsabgeordneten – verlangte Dienstag bereits vom Bund und den beiden Ländern, die Verhandlungen mit den Hohenzollern »so lange auszusetzen, bis alle Klagen zurückgenommen sind«. Prinz von Preußen nimmt sogar Politiker ins Visier, auf deren Zustimmung er möglicherweise angewiesen sein könnte. Zurzeit prozessiert er gegen die grüne Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus und deren Geschäftsführer Wesener. Der hatte gesagt, der Hohenzoller habe ein Mitspracherecht bei der künftigen Darstellung preußischer Geschichte gefordert – was vom Landgericht Berlin vorläufig verboten wurde. Die Grundlagen für diese Behauptung seien nicht ausreichend. […..]
(DER SPIEGEL, 45/2020)
Weder Brandenburgs Finanzministerin Katrin Lange (SPD), noch Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) aus dem Kanzleramt trauen sich aber zu entscheiden.
Auch die Landespolitiker in Berlin zucken alle verängstigt zurück und kriechen auf Zeit spielend vor den Hohenzollern.
Warum? Das ist tatsächlich eine Entscheidung, die ich gar nicht verstehe.
Wieso haben rotrotgrüne Politiker solche Angst vor den ehemaligen Nazi-Prinzen und lassen sich auf der Nase herumtanzen, statt ihre Gesuche einfach abzulehnen?
Nicht nur Georg-Friedrichs Vorfahren waren Nazis, nein, auch er selbst ist 80 Jahre später nicht bereit einen Funken Reue zu zeigen und führt sich auf, als ob er immer noch regiert. Es ist eine Frechheit.
Ganz so als hätte sein Uropa nicht zufällig einen Weltkrieg mit Abermillionen Toten ausgelöst.
[…..] Die Hohenzollern fordern Entschädigung vom Staat für die Enteignungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Dabei haben sie den Aufstieg der Nazis sehr befördert und begrüßt. Das beweisen bisher kaum beachtete Briefe von 1933. Ihre Forderungen sind unanständig. […..] Über das Begehren des Hauses Hohenzollern, also des ehemaligen deutschen Kaiserhauses, ihm Wohnrechte im Schloss Cecilienhof in Potsdam oder in anderen schönen, alten Herrscherhäusern zu gewähren, wurde und wird zwischen dem deutschen Staat und der Familie Hohenzollern ernsthaft verhandelt. Der Wohnrechtsstreit gehört zum Großkomplex von Forderungen der Nachfahren des letzten Kaisers; der sann einst nach dem Ersten Weltkrieg im Exil Tag und Nacht darüber nach, wie er wieder zu Thron und Macht kommen könnte - und wurde gleichwohl von der Regierung der jungen Republik mit vielen Millionen alimentiert und mit 59 Eisenbahnwaggons voller Kostbarkeiten und Krimskrams bei Laune gehalten. Die Nachfahren von Kaiser Wilhelm fordern nun die Rückgabe weiterer Kunstschätze aus staatlichen Museen, sie wollen viele Millionen an Entschädigungszahlungen für nach dem 2. Weltkrieg in der Sowjetischen Besatzungszone enteignete Mobilien. Sie sehen sich als Opfer. Und die brandenburgische Finanzministerin Katrin Lange (SPD) scheint geneigt zu sein, den Forderungen entgegenzukommen. […..] Die Hohenzollern haben sich an das NS-Regime angebiedert, haben es gepampert und gepriesen. Der abgedankte Kaiser Wilhelm saß im Schloss Doorn im Exil, schwadronierte dort über die Vernichtung der "Juden und Mücken" und kam 1927 zu dem eigenhändig geschriebenen Fazit: "Ich glaube, das Beste wäre Gas." Seine Kinder kooperierten mit den Nazis. Sein vierter Sohn, August Prinz von Preußen, war schon 1930 in die SA und die NSDAP eingetreten und ein Propagandapferd der Nazis. Der damalige ehemalige Kronprinz Wilhelm empfing Göring und Hitler auf Schloss Cecilienhof, schmiedete mit ihnen Bündnisse, warb für die Hitler-Regierung, posierte mit dem Hakenkreuz, nobilitierte die Nazis. Georg Friedrich Prinz von Preußen, der heute amtierende "Chef" der Hohenzollernfamilie, will, um die Unwürdigkeitsklausel zu umgehen, den Kronprinzen von damals "differenziert" sehen. […..] Und so sah dieser angebliche Widerstand aus: Alsbald nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler und der Vereidigung des Hitler-Kabinetts am 30. Januar 1933 - es war dies die Geburtsstunde der NS-Diktatur - schrieb Kronprinz Wilhelm junior an Generalmajor von Bredow: "Jetzt heißt es, die Geschlossenheit dieser Regierung in jeder Beziehung zu unterstützen und Jedem in die Fresse zu hauen, der versucht, in diese Geschlossenheit Unruhe und Misstrauen hineinzutragen. Dieses 'in die Fresse hauen' habe ich bereits verschiedentlich mit der notwendigen Rücksichtslosigkeit in den letzten Tagen besorgt." Der Brief datiert vom 6. März 1933. Es gibt viele weitere Briefe dieser Art. […..]
(Heribert Prantl, SZ vom 26.09.2020)
Auch das Schloss Doorn in Holland, in dem Wilhelm II bis zu seinem Tod 1941 lebte, verlangte Georg Friedrich von Preußen im Jahr 2014 vom Niederländischen Staat zurück.
Dort wurde aber nicht gefackelt und das Ersuchen schlicht mit „Nein“ beantwortet.
[….] Da man sich nicht habe einigen können, sehe sich Eversheds' Auftraggeber, Georg Friedrich Prinz von Preußen, Chef des Hauses Hohenzollern, »leider gezwungen, einen formellen Anspruch auf den Besitz von Haus Doorn, das dazugehörige Inventar und das umliegende Gut sowie zwei dazugehörende Bauernhöfe zu erheben«. Sollte Jet Bussemaker, Ministerin für Bildung, Kultur und Wissenschaft, den Anspruch zurückweisen, sei die Kanzlei beauftragt, rechtliche Schritte einzuleiten.
Der Brief stammt vom 26. September 2014 und belegt einen bislang unbekannten Vorgang: Die Hohenzollern wollten auf Haus Doorn zugreifen, das weltberühmte Schlösschen nahe Utrecht. [….] Die Ministerin lehnte das Ansinnen des Hohenzollern-Chefs freilich ab. Im Mai 2015 beschied die Sozialdemokratin dessen Anwälten, die niederländische Regierung sehe »keinen Grund«, dem Anspruch nachzukommen. [….]
(DER SPIEGEL, 21.11.2020, s.48)
So geht das.
Ich verstehe die politischen Entscheidungen der grünen, linken, Sozi- und CDU-Ministerialen insgesamt nicht. Wieso lassen sie sich und dem Steuerzahler so frech auf der Nase herumtanzen?