Mittwoch, 25. September 2019

Alte Journalistenschule


Die über Jahrzehnte geltenden demokratischen Spielregeln sind bekanntlich außer Kraft gesetzt.
Vor zehn Jahren hätte es niemand für möglich gehalten, daß Regierungschefs, die es so weit treiben wie Trump oder Johnson nicht nur dummdreist im Amt bleiben, sondern dabei auch noch von ihren Parteien, Medien und der Hälfte der Bevölkerung unterstützt werden.


Oder Trump, der gerade eine Sonderermittlung wegen Verschwörung mit einer ausländischen Macht zur Manipulation der eigenen Wahlen (mit Dutzenden Anklagen und sieben Gefängnisstrafen) hinter sich hat, daraufhin gleich versucht ein weiteres Land zur Manipulation der US-Wahlen zu überreden und sich auch noch tolldreist damit brüstet. 


[….] Demokraten sprechen von Mafia-Methoden [….] Donald Trump hat die Ukraine ermuntert, seinem Rivalen Joe Biden mit Ermittlungen zu schaden. Die Demokraten fühlen sich durch das Gesprächsprotokoll bestätigt [….] Donald Trump ist in der Ukraine-Affäre in die Offensive gegangen und hat ein Gesprächsprotokoll des Telefonats zwischen ihm und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj veröffentlichen lassen. Der US-Präsident sieht sich dadurch entlastet. [….] In dem Telefongespräch mit Selenskyj regte Trump Ermittlungen an, die seinem politischen Rivalen Joe Biden schaden könnten. Er werde seinen persönlichen Anwalt Rudolph Giuliani und Justizminister William Barr beauftragen, sich in der Sache bei Selenskyj zu melden, sagte Trump dem Gesprächsprotokoll vom 25. Juli zufolge. [….]



[…..]  Die Dokumentation des Telefonats von US-Präsident Trump mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij, die das Weiße Haus vorlegte, verärgert die Demokraten. Der Grund ist vor allem, dass sie in dem Telefonat einen Versuch Trumps sehen, Ermittlungen gegen seinen möglichen Wahlkampfgegner Joe Biden durch die Ukraine anzustoßen. Wer sich mit IT-Sicherheit oder der mutmaßlichen Einmischung Russlands in den Wahlkampf 2016 auskennt, den ließ eine andere Passage aufhorchen. Trump nennt den Namen "Crowdstrike". So heißt ein Unternehmen, das sich auf die Analyse von Hacking-Angriffen spezialisiert hat.
Dass Trump Crowdstrike ins Spiel bringe, sei "einfach schockierend", schrieb Michael McFaul, der unter Barack Obama Botschafter in Moskau war. […..]

In diesen völlig irren Zeiten, in denen sich die Kakistokratie in immer mehr Staaten etabliert, verlieren Fakten, Recht und Gesetz an Bedeutung.


 Auch wenn es im Moment nicht so gut läuft für die regierenden Rechtspopulisten, die allesamt erkennen, daß die Wirklichkeit sich blöderweise nicht an ihre primitiven Fascho-Sprüche anpassen will, sind sie noch lange nicht am Ende, weil weite Teile der Wähler und Medien moralisch völlig verdorben sind.


 Es dreht sich alles um den Spin der Geschichten.
Wie mäandert man um die unangenehmen Fragen, so daß die Basis in ihren Filterblasen weiter an Bord bleibt?
Wer versucht Trump-Wähler mit der schockierenden Wahrheit vertraut zu machen, unterliegt dem Irrtum diese verfügten immer noch über rudimentären Anstand.
Dabei wußten wir schon vor dem November 2016, daß das eben nicht der Fall ist. 62 Millionen Amerikaner wählten Trump nicht nur obwohl sie schon wußten, daß er sich öffentlich über Behinderte lustig macht, rassistisch daher plappert, sich damit brüstete Frauen an die Pussy zu grabschen. Gerade das gefällt den Trump-Wählern. Dem fundamentalen Missverständnis unterlagen auch all diejenigen, die auf den Mueller-Bericht hofften. Wenn Mueller kriminelle Methoden des Trump-Teams und illegale Wahlkonspiration mit Moskau beweisen könnte, müssten sich seine Fans und die GOPer von #45 abwenden.
Falsch! Die meisten Trumpisten sind längst so fanatisiert und enthemmt, daß sie es sogar schätzen, wenn Trump mit Hilfe Putins die verhassten Demokraten erledigt.

😂😂😂😂😂#ImpeachmentHearings pic.twitter.com/6uGwSueXQJ
— Hear Me Roar (@Stop_Trump20) September 25, 2019

Es ist schon irritierend naiv, wenn Damir Fras heute als Hauptkommentator des RND nach Boris Johnsons juristischer Megablamage sein Ende kommen sieht.

[…..] Drei Worte brauchten die obersten Richter des Vereinigten Königreichs, um die Zwangspause aufzuheben, in die Johnson das Unterhaus schicken wollte, weil er den Brexit ohne lästige Parlamentarier durchziehen wollte: „Rechtswidrig, unwirksam und ohne Auswirkung" sei das. Kurzum: illegal nach Strich und Faden.


Es kann gut sein, dass Johnson jetzt zurücktreten muss. Er hat, wie das Urteil andeutet, die Königin hinter die Fichte geführt. Solches Verhalten gegen die Queen ist zwar nicht strafbewehrt, aber es dürfte trotzdem nicht gut ankommen in Großbritannien und Johnson die letzten Sympathien kosten, die er noch hatte. [….]

Schön wäre es, Herr Fras.
Der Kommentator hat aber offenbar weder das Wesen populistischer Herrscher noch ihrer medialen Zulieferer verstanden.



Denn das Gegenteil ist der Fall. Es passt in Johnsons Strategie Ressentiments gegen das Establishment zu schüren. Genau wie Kollege Trump wettert er gegen Parlament, gegen Gerichte, gegen alle Institutionen. Das gefällt den primitiven Rechten in ihren Blasen.
Die Tories liegen in Umfragen 15 Prozentpunkte vor Labour, Johnson ist weit populärer als Corbyn.

[…..] Johnson spielt seit Amtsantritt das heikle, aber laut Umfragen erfolgreiche Spiel 'Volk gegen Elite'. Draußen auf dem englischen Land gilt allein Boris Johnson als der Mann, der dem dreijährigen politischen Elend ein Ende machen kann. Diese Wähler könnten am Ende das letzte Wort haben." [….]

[….] Gäbe es in Großbritannien eine schlagkräftige Opposition, dann könnte sie Johnsons Rechtsbruch zu einem beherrschenden Thema im Wahlkampf machen. Angesichts des verworrenen Brexit-Kurses des Labour-Vorsitzenden Jeremy Corbyn darf allerdings bezweifelt werden, dass die bislang wichtigste Oppositionspartei den Regierungschef stellt." […]

Die Tories stellen sich erst recht hinter Johnson.

[…..] Steve Baker, Chef der nationalkonservativen European Research Group, sagte etwa nach dem Londoner Urteil, das gegenwärtige Chaos habe nicht der Premier verursacht. Und Jacob Rees-Mogg, der im Kabinett für Parlamentsangelegenheiten zuständig ist, fuhr laut Medienberichten die nächste Attacke gegen die Justiz: Der Gerichtsentscheid, sagte er demnach, sei "ein verfassungsrechtlicher Putsch". [….]

[….] Ein Zeter und Mordio wird in den nächsten Wochen über London lärmen, begleitet von parlamentarischen Winkelzügen zu Fragen der Absetzung des Premiers, der Neuwahl oder eines Referendums. All das gehört seit Monaten zum Repertoire. Aber all das ist seit Monaten auch wenig zielführend, weil dem britischen Parlament zum Willen die Mehrheit fehlt. Wie auf Bestellung hat Labour pünktlich zum Urteil eine Demonstration der Machtunfähigkeit gegeben. Die Partei kann sich nicht einmal entscheiden, ob sie nun den Brexit will oder nicht. Wen oder was soll Johnson also fürchten?
Der Premier verfolgt einen Plan, den manche genialisch, die anderen wahnsinnig nennen mögen. [….]