Donnerstag, 31. Mai 2018

Nabelschau Teil II


Das wird ja schon etwas langweilig mit der Zeit:
Trump kündigt irgendeine Ungeheuerlichkeit an und sofort gehen europäische Presse und Regierungen in den Hühnerhaufenmodus über:
Das wäre aber geradezu gefährlich, damit schade Trump doch auch Amerika und überhaupt müsse man ihn als wirklich schlechten Präsidenten ansehen.
What else is new?
Das weiß ich schon seit 2015, als er seine Kandidatur in den Ring war.
Inzwischen regiert der Mann fast anderthalb Jahre und einst geistreiche Sprüche wie

„Woran erkennt man, daß Trump lügt?
Wenn er seine Lippen bewegt.“

sind gar nicht mehr komisch, sondern nackte Realität.

Heute der nächste Streich: Strafzölle gegen europäische Produkte. Brüssel is not amused.

[….] Trump macht Ernst. [….]  Im Handelsstreit mit Europa lässt es US-Präsident Donald Trump auf eine Eskalation ankommen. Wirtschaftsminister Wilbur Ross teilte am Donnerstag mit, Stahllieferungen aus der EU, Kanada und Mexiko würden von diesem Freitag an mit Einfuhrzöllen von 25 Prozent belegt. Bei Aluminium sind es zehn Prozent. Der Schritt sei notwendig, weil die Importe die nationale Sicherheit der USA gefährdeten. [….]

Schockierend. Trump ist also doch nicht insgeheim rücksichtsvoll und besonnen, sondern setzt den Unsinn, den er per Twitter raushämmert sogar um?

Also damit konnte nun wirklich keiner rechnen. Schließlich hatte man ihm doch die Gegenargumente vorgelegt. Donnerlittchen. Und dabei sind diese Strafaktionen und Kündigungen all der internationalen Abkommen doch schlecht, schreiben die empörten Journalisten.

[….] Trump meint, er könne durch Abschottung die heimische Wirtschaft schützen. Die Geschichte hat Dutzende Male gezeigt, dass derlei Protektionismus nicht funktioniert und dem eigenen Land mehr schadet als nutzt. [….] In Deutschland werden die Auswirkungen der Stahlzölle auf Wirtschaft, Wohlstand und Arbeitsplätze zunächst kaum spürbar sein - und doch birgt Trumps Entscheidung die Gefahr, dass eine Spirale aus Sanktionen und Gegensanktionen in Gang kommt, die das Potenzial hat, den globalen Konjunkturaufschwung zu beenden. Das gilt insbesondere für den Fall, dass der Präsident seine Drohung wahr macht, auch den Import von Autos mit Strafabgaben zu belegen. Die Pkw-Industrie ist heute längst keine nationale mehr, sondern eine, die auf allen Kontinenten ihre Werke betreibt. Wie weit die Globalisierung hier gediehen ist, zeigt der Umstand, dass BMW der größte Autoexporteur der USA ist. Wer diese Lieferketten und die globale Arbeitsteilung zerstört, weil er glaubt, er könne sein Land abschotten und Jobs "nach Hause holen", wird die Welt ins Chaos stürzen. [….]

Willkommen in der Trumpwelt. Es stört ihn nicht sich pausenlos selbst in den Fuß zu schießen und wenn etwas wirklich, wirklich schlecht ist, zieht er das umso lieber durch.

Trump versteht nicht nur nichts von Deals und Business, er versteht überhaupt gar nichts.

Von dieser Erkenntnis überrascht sein können nur Menschen, die mehrere Jahre im Koma lagen, oder auf einer geheimen Mars-Langzeitmission von allen Nachrichten abgeschnitten waren.

Wir müssen also zur Kenntnis nehmen, daß wir die USA nicht ignorieren können, weil sie die mit Abstand stärkste ökonomische und militärische Macht sind.
Und wir müssen gelernt haben, daß alle Versuche der Einflussnahme auf die US-Administration total gescheitert sind. Ob man es mit Schmeicheleien (wie Macron), enthusiastischer Argumentation (wie Trudeau), beiläufiger Richtigstellungen (wie Merkel), deutlichen Drohungen (wie Kim Jong Un) oder moralischer Empörung (NGOs) versucht, ist irrelevant. Der zutiefst destruktive Trump ist unbelehrbar und frönt ausschließlich seinem Drang selbst gepriesen zu werden und die Werke anderer zu zerstören.

Damit bleibt uns nur noch genau eine Alternative:
Alle Staaten außerhalb der USA müssen sich ökonomisch und ökologisch gegen Trump verbünden.
Die Vereinigten Staaten sind zwar ein ökonomischer Gigant, aber sie sind nicht unabhängig und nicht mächtiger als alle anderen zusammen.


Klar, Deutschland exportiert mehr Industriegüter in die USA als umgekehrt. Das Ungleichgewicht in der Handelsbilanz ärgert den Egomanen von Washington.

Aber betrachtet man die IT- und Dienstleistungen sieht es genau umgekehrt aus.
Da sind die USA der große Exporteur und hängen von unserer tumben Bereitschaft ab Google, Amazon, Facebook und Apple nahezu unbesteuert und unbezollt den europäischen Markt aussaugen zu lassen.
Es ist ja ganz süß wie der haptische Herr Juncker nun an symbolische Gegenzölle auf Bourbon und Harleys erheben will – in der Hoffnung, das verschrecke die Republikaner wie Paul Ryan in deren Heimatstaaten solche Fabriken stehen.
Nur tritt Ryan gar nicht zur Wiederwahl an und der Rest der GOP hat hinreichend bewiesen, daß er unter keinen Umständen bereit ist Druck auf Trump auszuüben.
Es hilft alles nichts, nun müssen sich die „BRICS“-Staaten, Japan und die EU zusammensetzen und eine einheitliche Front gegen Washington aufbauen.

Das ist natürlich etwas schwierig, da jeder einzelne Staat seine Partikularinteressen hat und der Mega-Exporteur China beispielsweise einen Modus Vivendi mit Trump gefunden hat, indem er gezielt Ivanka besticht und dafür im Handelsstreich von ihrem Papi bekommt, was Peking will.

Jetzt ist also die hohe Kunst der internationalen Diplomatie erforderlich.
Ein geachteter wichtiger Regierungschef, möglichst der Amtsälteste, müsste sich der Angelegenheit annehmen, sein gesamtes persönliches und politisches Renommee in die Waagschale werfen und zu einer enormen Pendeldiplomatie starten. Pausenlos zwischen Moskau, Tokio, Peking, Neu Delhi, Pretoria, Brasilia, Brüssel, London, Paris und Berlin hin und herfliegen. Mit Engelszungen auf alle einreden, Interessen ausgleichen, um Mitstreiter werben, Konzepte entwickeln und geistig flexibel, sowie mutig agieren.
Putin kommt nicht in Frage, weil er von vielen nicht akzeptiert wird, Abe ist in die anderen Organisation zu wenig eingebunden, Xi hat Ivanka, May ist zu schwach, Macron zu neu.
Es wäre die Paraderolle für die deutsche Kanzlerin, die seit 13 Jahren ununterbrochen regiert, die jeder kennt und gegen die auch kein anderer Staatschef extreme Vorbehalte hat.
Deutsche Kanzler sind durchaus in der Lage solche bahnbrechenden internationalen Bündnisse zu schmieden.
Schmidt hat die gemeinsame EU-Währung, den Nato-Doppelbeschluss und die G7 geschaffen, Schröder die internationale Koalition gegen den Irakkrieg geformt.
Blöderweise haben wir aber nun Merkel als Kanzlerin und die tut in dieser Welt-Megakrise das was sie am liebsten tut: Abtauchen und so tun, als ob sie mit Politik nichts zu tun hat.
Bloß keine heißen Eisen anfassen, bloß nichts wagen. Immer schön den Kopf einziehen.
Gegenwärtig weilt sie in Portugal, Nr. 47 der Rankingliste nach dem BSP.

Die kleine Hamburger Mopo macht heute einen guten Job und zählt die totale Arbeitsverweigerung der Kanzlerin auf.

Mopo Kommentar 31.05.2018

[…..] Was macht eigentlich Angela Merkel?
In Europa und im Verhältnis zu den USA türmen sich mächtige Probleme auf. Doch die Kanzlerin schweigt
[…..] Die Welt ist aus den Fugen: Ein US-Präsident, der das westliche Bündnis in Trümmer legt. Europäische Staaten, die die Errungenschaften vergangener Jahrzehnte schleifen und damit den ganzen Kontinent an den Rand des Abgrunds zerren. Ausgerechnet in dieser Zeit, die nach Orientierung und Führungsstärke schreit, ist die Bundeskanzlerin abgetaucht.

Beispiel USA: US-Präsident Donald Trump verhängt Strafzölle gegen die früheren Bündnispartner, […..] Dass US-Konzerne wie Amazon, Facebook, Google, Apple und Co. in Europa Milliarden scheffeln, ohne angemessen Steuern zu bezahlen, erwähnt er lieber nicht.

Und was sagt Angela Merkel dazu? Sie schweigt.

Beispiel Bruch des Atomabkommens mit dem Iran: […..] Trumps Botschafter in Berlin, Richard Grenell, gerade ein paar Tage im Amt, führt sich auf wie der Statthalter einer Besatzungsmacht: Er fordert deutsche Firmen im Kommando-Ton auf, ihre Geschäfte mit dem Iran „sofort runterzufahren“.
Und die Bundeskanzlerin schweigt.

Beispiel Italien: Da schicken sich ein Polit-Clown und ein Rechtsradikaler an, das Land zu regieren. […..] Was sagt die Kanzlerin zu diesem Irrsinn? Sie schweigt.

  Beispiel CSU: Hand in Hand mit dem ungarischen Regierungschef und Europa-Feind Viktor Orbán sägt die CDU-Schwesterpartei am EU-Grundpfeiler Reisefreiheit. […..]
Die Kanzlerin schweigt.

Beispiel Polen: Beim wichtigsten EU-Partner Deutschlands im Osten schafft die PiS-Partei um Jaroslaw Kaczynski gerade die Demokratie wieder ab, die in den 80er Jahren mühsam und glücklich der sowjetischen Besatzungsmacht abgetrotzt wurde[…..]
Was Angela Merkel dazu sagt? Nichts.

Beispiel Frankreich: Seit Monaten liegen Vorschläge von Präsident Emmanuel Macron auf dem Tisch, die Wege aus Europas schwerster Krise seit Jahrzehnten weisen. […..]
Doch was macht die Kanzlerin? Sie schweigt.

Wie lautet die Überschrift übe dem Koalitionsvertrag der GroKo? „Ein neuer Aufbruch für Europa – Eine neue Dynamik für Deutschland“. Davon ist nichts zu spüren. […..]
(Hamburger Morgenpost, 31.05.2018)

So ärgerlich Trump ist, aber die Deutschen sollten sich auch mal eine andere Regierung wählen.

Mittwoch, 30. Mai 2018

Die Ekeligkeit einiger Sozifunktionäre.


Was tun wir als Linke oder als Sozialdemokraten; als international und nicht national denkende Menschen, die lieber die Solidarität der Benachteiligten fördern, statt die Schwächsten gegeneinander auszuspielen, wenn der Souverän das an der Wahlurne nicht goutiert?
Wenn die SPD immer weniger Stimmen bekommt und die richtig rechten Parteien AFDPCDUCSU immer breitere Mehrheiten im Plenum bekommen?

Dann haben wir theoretisch zwei Möglichkeiten.

1.)
Wir vergessen unsere Grundüberzeugungen und das Parteiprogramm.

Wir akzeptieren stillschweigend und schleichend den Zeitgeist, der offensichtlich rechts zu sein scheint. Haben nicht auch schon so viele ehemalige SPD-Wähler zur AfD rübergemacht? Außerdem blinken doch alle anderen ehemals linksliberalen Parteien nun auch rechts. Wenn sowieso jeder auf Flüchtlinge, Dunkelhäutige und Andersgläubige eindrischt, sollten wir diese Mode eben mitmachen, um mehrheitsfähig zu bleiben.

Das klingt in sozialdemokratischen FB-Gruppen durchaus schon so an.




SPD-Gruppe Facebook 30.05.2018

2.)
Wir besinnen uns auf „unsere Werte“.

Welche das sind, kann man im aktuellsten SPD-Parteiprogramm nachlesen; dem sogenannten „Hamburger Programm“ aus dem Oktober 2007.

[…..] Wir erstreben eine friedliche und gerechte Weltordnung. Wir setzen auf die Stärke des Rechts, um das Recht des Stärkeren zu überwinden. Das soziale Europa muss unsere Antwort auf die Globalisierung werden. Nur in gemeinsamer Sicherheit und Verantwortung, nur in Solidarität und
Partnerschaft werden die Völker, Staaten und Kulturen das Überleben
der Menschheit und des Planeten sichern können. […..] unsere besondere Solidarität gilt den Schwächsten in unserer Gesellschaft. (s.5) [….]
Menschen finden heute an fast allen Orten der Welt Angehörige ihrer Kultur, Produkte aus ihrer Heimat und Medien, die ihnen den Kontakt zu ihren Herkunftsländern lebendig halten. In ihren Heimatländern begegnen sie anderen Kulturen.
Das Fremde rückt näher, auch die Chance, es zu verstehen. Wo die Angst
vor dem Fremden überwiegt, wächst die Gefahr, dass aus Vorurteilen
Konflikte entstehen. Wo kulturelle Konflikte durch soziale Gegensätze
verschärft werden, entsteht Gewalt. Kulturelle Vielfalt aber ist heute ein
Merkmal erfolgreicher Gesellschaften.
Die Globalisierung mindert die Gestaltungsmöglichkeiten des demokra-
tischen Nationalstaates. Gleichzeitig wachsen der Politik neue Aufgaben
zu. Hierzu gehören der Klimaschutz, die soziale Integration von Millionen
Menschen und der demographische Wandel (s.10 f) [….]
(Die Zeit, in der wir leben)

[….] Viele Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten
leisteten Widerstand und wurden Opfer des NS-Terrors. Der Wille zur
Freiheit machte den Bruch mit den Kommunisten unausweichlich. Die
Wiedergründung der Sozialdemokratie in der DDR war ein Signal für
die Freiheit.
Die Sozialdemokratie entstand als Teil der Arbeiterbewegung. Sie hat
Arbeiterrechte erstritten, den Sozialstaat ausgebaut und zusammen mit
den Gewerkschaften aus verachteten Proletarierinnen und Proletariern
gleichberechtigte und selbstbewusste Staatsbürgerinnen und Staatsbürger
gemacht.
Die Sozialdemokratie war – im Gegensatz zu anderen Parteien – immer
internationalistisch und europäisch orientiert. Deshalb arbeiten wir
weiter am Projekt des geeinten Europa, das 1925 im Heidelberger
Programm der SPD eine Vision war und nun vollendet werden kann.
Obwohl viele entschiedene Pazifisten die Sozialdemokratie als politische
Heimat betrachtet haben, war sie nie eine pazifistische Partei. Aber sie
war immun gegen Chauvinismus und Militarismus. Wo sie Regierungsverantwortung trug, diente sie dem Frieden. Wir sind stolz darauf, niemals Krieg, Unterdrückung oder Gewaltherrschaft über unser Volk gebracht
zu haben. Die Sozialdemokratie war von Anbeginn die Demokratiepartei. Sie hat
die politische Kultur unseres Landes entscheidend geprägt. In ihr arbeiten
Frauen und Männer unterschiedlicher Herkunft, verschiedener religiöser
und weltanschaulicher Überzeugungen zusammen. Sie verstehen sich seit
dem Godesberger Programm von 1959 als linke Volkspartei, die ihre Wurzeln in Judentum und Christentum, Humanismus und Aufklärung, marxistischer Gesellschaftsanalyse und den Erfahrungen der Arbeiterbewegung
hat. (s.13) [….] Wir widersetzen uns jeder Form der Diskriminierung. Die Würde des Menschen ist unabhängig von seiner Leistung und seiner wirtschaftlichen Nützlichkeit.
Darum ist die Gesellschaft bei Behinderung, im Alter, am Lebensanfang und am Lebensende zum Schutz der Menschenwürde besonders verpflichtet. [….] (s.15)
(Unsere Grundwerte und Grundüberzeugungen)

Das ist nicht so schlecht geschrieben und spiegelt auch heute noch durchaus meine Ansichten wider.

Umso bedauerlicher ist es, wenn ausgerechnet die Parteivorsitzende Andrea Nahles sich von diesen Grundwerten entfernt und damit liebäugelt Menschen zu diskriminieren und sie nach ihrer wirtschaftlichen Nützlichkeit zu sortieren. So handelte sie schon als Sozialministerin, als sie Menschen aufgrund ihrer Nationalität Leistungen kürzte und so möchte sie offenbar auch als Doppelvorsitzende handeln, indem sie neuerdings der AfD nachplappert und demonstrativ mit den rechten Zündlern der CDU/CSU kuschelt.

Anders als Nahles plädiere ich also dafür nicht den eigenen Tonfall den Rechten anzupassen, sondern sich nun auch noch an unsere Verfassung zu erinnern.

Darin heißt es:

Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.
(Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art 21)

Das heißt offenbar, daß wir als Sozis daran arbeiten sollen für unsere Überzeugungen zu werben. Wir müssen argumentieren, Zögernde mitnehmen, Mitläufer motivieren und Skeptiker umstimmen, so daß sich möglichst unsere Grundüberzeugungen nach und nach auch im Willen des Volkes abbilden.

Im GG steht nämlich nicht:

Die Parteien plappern den politischen am lautesten in Facebookpostings und Twitter-Mitteilungen vorgebrachten Willen des Volkes nach.

Die Grünen-Vorsitzende Baerbock und SPIEGEL-Kolumnist Augstein verstanden.

[….]  Mehrere SPD-Politiker kritisieren eine Äußerung von Parteichefin Nahles zur Flüchtlingspolitik, wonach Deutschland "nicht alle aufnehmen" könne. Juso-Chef Kühnert sagt, mit solchen Sätzen spielten die Parteien das Spiel der AfD mit.
[….] SPD-Innenpolitiker Lars Castellucci bezeichnete Nahles' Satz im Kurznachrichtendienst Twitter als "dumm, gefährlich und richtig": "Dumm, weil gar nicht alle kommen wollen oder können; gefährlich, weil mit diesem Satz gezündelt wird; richtig, weil es objektiv so ist und auch niemand etwas anderes behauptet." Der Süddeutschen Zeitung sagte er, die SPD müsse endlich zu einer klaren Haltung in dieser Frage finden. "So kann das nicht weiterlaufen." [….] Grünen-Chefin Annalena Baerbock hielt der SPD, ebenfalls auf Twitter, entgegen: "Wenn in den letzten 70 Jahren Politik in unserem Land in den entscheidenden Momenten nach gefühlter (!) Akzeptanz gemacht worden wäre, gäbe es weder das Grundgesetz, die EU noch die Gleichstellung von Mann und Frau. Politik braucht Haltung." [….]

[….]  Deutschland ist auf einem Abweg. Seit Jahren orientiert sich die Politik an einer Minderheit: den AfD-Anhängern. Die schweigende Mehrheit guckt in die Röhre. [….]  Aus Angst vor der AfD. Es ist zum Kotzen.
Besonders ärgerlich ist es aber, wenn die Parteien, die eigentlich ein Bollwerk gegen politische Dumpfheit sein sollten, um erste Plätze im rechten Rattenrennen kämpfen. Andrea Nahles liegt da gerade ziemlich weit vorne.
In einem Interview hat sie gesagt: "Menschen, die weder geduldet noch als Asylbewerber anerkannt werden, müssen schneller Klarheit haben, dass sie nicht bleiben können und zurückgebracht werden. Das gehört unweigerlich zur Willkommenskultur dazu. Sie funktioniert nur zusammen mit einem durchsetzungsstarken Rechtsstaat. Wer Schutz braucht, ist willkommen. Aber wir können nicht alle bei uns aufnehmen."
Wenn die SPD-Vorsitzende geplant hatte, auf möglichst kleinem Raum eine möglichst große Fülle von Unwahrheiten und miesen Assoziationen unterzubringen, dann ist ihr das gelungen.
Wollen "alle" zu uns kommen? Wer hat gesagt, dass wir "alle" aufnehmen wollen? Und: Wer sind überhaupt diese "alle", von denen Nahles da spricht? Die Antwort auf diese Fragen der Reihe nach: Nein. Niemand. Keine Ahnung.
Nahles reagiert auf eine Forderung, die niemand im Ernst stellt. Sie spielt damit das Spiel jener kleinen Minderheit von fanatischen Rechtspopulisten, die unsere Öffentlichkeit so erfolgreich am Gängelband führen.
Und warum tut Nahles eigentlich so, als gebe es ein Spannungsverhältnis von "Willkommenskultur" und "Rechtsstaat"? Das ist wieder eine rechte Fiktion, der die SPD-Chefin unnötig nachgibt. Und die Idee, Willkommenskultur müsse "funktionieren", ist ganz abwegig. [….]

Leider haben Nahles und ihre Parteifans auf Facebook diese Erkenntnis noch nicht gewonnen.
Und schwenken rhetorisch auf Gauland und Storch ein.

SPD-Administrator FB 30.05.2018

Aber wie schon Wilfried Schmickler sagte, sollen wir diese braune Hasenfüßigkeit nicht adaptieren, sondern ihr entgegentreten.

Aber wir müssen die Ängste und Sorgen der Bürger doch ernstnehmen.
So ein Blödsinn!
Wir müssen den Bürgern die Ängste nehmen und ihre Sorgen zerstreuen.“
(Wilfried Schmickler 12.11.2015)

Dienstag, 29. Mai 2018

Billig, billig, billig.


Jens Spahns Eltern sind vermutlich glücklich.
Glücklich, daß ihr Sohn berühmt ist. Minister ist. Finanziell ausgesorgt hat. Vermutlich noch weiter Karriere machen wird. Und natürlich weil er schon öffentlich verkündete keinesfalls seine Eltern pflegen zu wollen, wenn die nicht mehr allein zu Recht kommen.

[…..] Bundesgesundheitsminister Jens Spahn kann sich nach eigenen Worten nicht vorstellen, seine Eltern selbst zu pflegen.
"Meine Eltern würden es auch nicht erwarten, dass ich meinen Beruf aufgebe, um sie zu pflegen", sagte der CDU-Politiker in der ARD-Sendung "Maischberger".  Der auch für Pflege zuständige Minister ergänzte: "Ich würde so oft wie möglich versuchen, zuhause zu sein und mitzuhelfen." [….]
(STERN, 19.04.2018)

Aber ein bißchen mithelfen würde er.
Vermutlich denkt sich Spahn nichts dabei, oder ist sogar stolz darauf, so offen und ehrlich zu sein.
Aber diese Aussagen zeigen auch seine Ahnungslosigkeit.
Eltern erwarten in den wenigstens Fällen, daß ihre Kinder sie später mal windeln und waschen, womöglich viele Jahre rund um die Uhr für sie da sind.

Das war „früher“, sagen wir vor 100 Jahren, mal anders, weil es erstens große Familien gab, in denen die Last der Pflege nicht auf einem einzelnen Paar Schultern lag und zweitens die Medizin gar keine besonders langen Pflegezeiten ermöglichte. Die Leute starben natürlich viel früher.

Gelegentlich hört man in Alten- und Pflegeheimen von sehr betagten Personen die Klage, „heutzutage“ wären so viele Leute schwer krank, müssten sich plagen. Aus ihrer Jugend kennten sie das gar nicht. Sicher, da starben auch Verwandte, aber die waren nie so lange und so grausam krank.

Das ist nur ein Schein-Widerspruch. Die Leute waren nicht so krank, weil sie schon viel früher gestorben sind. Bevor sich die vielen altersspezifischen Krankheiten einstellten. Man wurde nicht multimorbid, weil vermutlich eine Krankheit ausreichte, um einen frühzeitig zu erledigen.

Geht man mal davon aus, daß Eltern im Jahr 2018 ihre Kinder lieben, möchten sie ihnen natürlich nicht zumuten später einmal Jahre ihres Lebens für die Pflege von Mami und Papi zu opfern.
Ich behaupte, die wenigstens Bettlägerigen verlangen dies ausdrücklich von ihren Kindern.

Gut für Spahn.

In der echten Realität gibt es allerdings sehr viel subtilere Methoden eben doch Druck auf die Kinder auszuüben. Möglicherweise auch ganz unbewußt, indem beispielsweise offensichtlich wird, daß Muttern unglücklicher, ungepflegter, dünner wird.
Vielleicht wird auch nur deutlich wie Alte in Gegenwart ihrer erwachsenen Kinder aufblühen.

Außerdem ist natürlich die Variante weit verbreitet, daß sehr alte Menschen dement/senil/alzheimerig werden und damit eben nicht mehr Hilfe ablehnen können.

Eine dritte Möglichkeit trat bei meinen Eltern ein, um nun doch mal aus dem Nähkästchen zu plaudern: Mutter und Vater wurden fast gleichzeitig pflegebedürftig, waren aber da schon Jahrzehnte geschieden; es gab also gleich zwei weitere Singlehaushalte zu versorgen.
Ich hatte vorher schon zweimal jemand bis zum Ende gepflegt und wußte genau was das bedeutet. 

Insbesondere deswegen, weil meine Mutter schon Jahre zuvor an mir beobachtet hatte wie enorm das schlaucht und welche gewaltige psychische Belastung das ist, wollte sie mir das keinesfalls erneut zumuten.
Es fiel ihr extrem schwer mich um irgendwas zu bitten, weil sie immer Rücksicht nehmen wollte auf mein eigenes Leben.
Aber in dem Fall war ich es, der entschied das dennoch zu wollen.
Es gibt nämlich auch Kinder, die ihre Eltern mögen und es gar nicht aushalten würden, sie unter mangelnden Bedingungen anderen zu überlassen.
Und Achtung, jetzt kommt der Pathosalarm: Seine Eltern zu pflegen bis sie sterben ist unfassbar anstrengend, aber eben auch gleichzeitig erfüllend.
Es ist für den Pflegenden anschließend beruhigend zu wissen, daß man sich keine Vorwürfe machen muss, daß man alles getan hat, daß alles ausgesprochen wurde.
Ich wäre am schlechten Gewissen eingegangen, wenn ich meine Eltern in ein mieses Pflegeheim abgeschoben hätte.
Aber das soll kein Vorwurf an andere sein. Die Kind-Eltern-Beziehung kann auch völlig anders gelagert sein. Kinder, die selbst Kinder haben und möglicherweise viel unflexibler als ich sind, können sich nicht zerreißen.
Schließlich gibt es auch Viele, die eben nicht zu Gewissensbissen neigen und sich viel weniger Sorgen um Angehörige machen.

Für Spahn stellt sich das also einfach dar: Meine Eltern wollen nicht, daß ich sie pflege und ich habe ja ohnehin einen wichtigen Beruf.
Thema durch, also muß jemand anders ran.

Pflege ist für ihn offensichtlich ein niederer Dienst, der bei Weitem nicht so bedeutend ist, wie das was er als seinen „Beruf“ ansieht; also durch die Talkshows ziehen und über Arme, Migranten, HartzIV-Empfänger und Muslime zu schimpfen.
Ich bewerte die Wichtigkeit von Berufen ganz anders.
Spahns Eltern könnten theoretisch eines Tages bei bester Gesundheit hochbetagt einfach tot umfallen. Herzinfarkt, oder so. Also das Ende, das sich jeder wünscht.
Dann hätten sie Glück gehabt.
Wahrscheinlicher ist aber, daß es eine längere, sich ziehenden und qualvolle Angelegenheit wird. Dann wird die Versorgung von Frau und Herrn Spahn Senior aufwändig und erfordert viel Verantwortung.
Es ist garantiert nicht so, wie Spahn sich das vorstellt: Irgendeine andere mindere Hilfskraft erledigt das schön billig und er kommt ab und zu mal vorbei und hilft ein bißchen. Wenn es in seinen Terminplan passt.
Auch das versteht Spahn offensichtlich nicht. Pflege ist keine Frage von „so oft wie möglich“, also Zeit, die man hier und da mal übrig hat.
Krankheit und Tod passen nie in den Terminplan. Das ist gerade charakteristisch. Die finden immer statt, wenn es einem gerade gar nicht passt.
Noch nicht mal mein Beinbruch im Februar passte in irgendeiner Weise in meine berufliche Planung.
Aber so ist das mit Beinbrüchen und 12 Wochen an Krücken gehen: Es gibt niemals den Zeitpunkt, an dem man denkt, och, jetzt ist gerade nichts los; da könnte ich mir mal eine Krankheit für drei Monate nehmen.
Der Spahn…

Pflege ist physisch und psychisch sehr anspruchsvoll. Insbesondere wird es emotional verheerend, wenn es um die eigenen engsten Freunde und Angehörigen geht.
Die Situation ist nämlich großer Mist, weil man in der Regel irgendwann weiß, daß es nicht mehr besser wird, sondern ab jetzt nur noch kontinuierlich bergab gehen kann.

Wer sich schon mal ernsthaft mit dem Thema befasst hat, versteht auch Frau Rosenbergs Buchtitel, der ihre totale seelische Erschöpfung ausdrückt.

[….] Mutter, wann stirbst du endlich? Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird
Martina Rosenberg erzählt die authentische Geschichte einer ganz normalen Familie, für die das Leben durch die Extrembelastung der Pflege der schwer kranken Eltern zum Albtraum wurde. Es ist die Geschichte ihrer eigenen Familie. Die Mutter erkrankt an Demenz, der Vater erleidet einen Schlaganfall, und Schritt für Schritt muss die Tochter die Verantwortung und Organisation des elterlichen Lebens übernehmen. Verzweifelt versucht sie, allen Anforderungen gerecht zu werden – und scheitert, bis nach neun Jahren nur noch der Wunsch übrig bleibt: Mutter, wann stirbst du endlich? […..]

Zwischen Spahns Vorstellung, er komme dann gelegentlich mal zum Helfen vorbei und der bitteren Realität, die womöglich neun Jahre lang 24/7 schwersten seelischen und körperlichen Stress bedeuten, liegen Welten.

Sehr oft geht es nicht anders als professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Das könnte auch ein guter und geachteter Beruf sein.

Allerdings will kaum noch jemand Altenpfleger oder Intensivpflegekraft auf einer Geriatrie werden, weil es den Teufelskreis aus schlechter Bezahlung und Überarbeitung durch fehlende Pflegekräfte gibt.
An beiden Punkten muss man ansetzen.

Es gibt einerseits Pflegekräfte, die sich gar nicht so sehr mehr Gehalt, sondern vor allem mehr Zeit mit den Patienten wünschen – was nur ginge, wenn man viel mehr Pfleger einstellt.
Und andererseits gibt es Arbeitssuchende, die den Beruf nicht ergreifen, weil er zu allem Stress auch noch mies bezahlt ist.

Als Besonderheit haben wir in Deutschland noch das aberwitzige Problem, daß die 1,5 Millionen Angestellten bei Caritas und Diakonie Kirchenmitglieder sein müssen. Das bedeutet, daß trotz 100% staatlicher Finanzierung tausende Krankenhäuser und Pflegeheime Muslime, Atheisten und Juden grundsätzlich nicht einstellen, sondern lieber ihren christlichen Kräften totale Überlastung bescheren.

[….] Standardmäßig sind ungefähr um die 36 Patienten auf einer Station, und das kann man sich ja vorstellen. Es ist eine Nachtschwester und 36 Patienten. Das ist ein bisschen viel. Die schlafen auch nicht immer alle und teilweise hat man auch frisch operierte Patienten dabei, schwerst pflegebedürftige Patienten, um die man sich kümmern muss, Neuzugänge, die aus dem OP kommen, etc. Und dann ist man die ganze Nacht damit beschäftigt zu entscheiden, was man weglässt und was jetzt wichtig ist, weil alles schafft man sowieso nicht. […..]

Spahns Idee; sollen doch erst mal ein paar Tausend Pfleger aus dem (christlichen) Ausland kommen.
So beschloss es die Groko. Kosten darf es aber nichts. Der Staat gibt kein Geld, sondern die Krankenkassen (=die Patienten) sollen das schön selbst finanzieren.

[….] Im Kampf gegen den bundesweiten Pflegenotstand sollen Fachkräfte aus dem Ausland helfen. Gesundheitsminister Jens Spahn will deren Anwerbung erleichtern. Doch seine Rechnung geht nicht auf.
[…..] Vergangene Woche hat die große Koalition beschlossen, in einem Sofortprogramm statt der 8000 im Koalitionsvertrag vorgesehenen Stellen ganze 13 000 zusätzliche Stellen in Pflegeheimen zu finanzieren. Auch Krankenhäuser sollen mehr Mitarbeiter einstellen. Doch woher sollen sie kommen? Auf Stellenanzeigen antwortet kaum noch jemand, zu den Infoständen auf Karrieremessen kommt fast niemand. Zu unattraktiv sind die Arbeitsbedingungen geworden. Deshalb bemühen sich Einrichtungen zunehmend um Kräfte aus dem Ausland; auch Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will deren Anwerbung erleichtern. […..]
 Da sind die Pflegeexperten, die auf das große Ganze blicken, und für die Spahns Avancen zur leichteren Anwerbung nur Augenwischerei ist.
[…..] Projekte, die eine schnelle Lösung versprachen, indem man fünfzig oder sogar hundert Menschen gleichzeitig anwarb, sind fast immer gescheitert. […..] "In dem Fall lag es vor allem an der Sprache", sagt Bordi, "in anderen Fällen scheitert es an den Erwartungen." Pfleger aus EU-Ländern haben häufig studiert. Zu Hause dürfen sie Aufgaben übernehmen, die in Deutschland Ärzten vorbehalten sind. […..]
Ein Ansturm an Bewerbern wird also ausbleiben. Aber Kliniken und Pflegeheime stehen der Anwerbung ohnehin kritisch gegenüber. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung rechnet vor, dass von 2012 bis 2015 nur jedes sechste Unternehmen in der Pflegebranche aktiv versucht hat, Menschen aus dem Ausland anzuwerben. 60 Prozent der übrigen Unternehmen gaben an, sie würden auch in Zukunft auf diese Möglichkeit verzichten. Sie sei zu teuer und zu aufwendig. […..]

Nicht, daß ich viel Weisheit in der politischen Arbeit Spahns erwartet hätte. Aber immerhin ist der Mann seit 12 Jahren beruflich im Gesundheitssektor unterwegs.
Daß alle Pflegedienste seit vielen Jahren händeringend nach Personal suchen, aber keins finden, scheint ihm dennoch nicht bekannt zu sein.

VIEW Mai 2018

Es gibt eben keine Pfleger auf dem Markt. Und den Beruf erlernen will niemand in Massen, solange der mies bezahlt wird und durch den Personalmangel extrem stressig ist.

[….] Meilenweit entfernt von dänischen Verhältnissen
Die Regierung verspricht 13.000 neue Stellen in der Pflege. Um so gut zu werden wie Dänemark, bräuchte man hierzulande jedoch eine halbe Million zusätzliche Pflegekräfte. […..]

Bei anderen Jobs, für die sich konservative Deutsche zu fein sind – Putzdienste, Restaurantküchen, Straßenkehrer, Müllmann – greift man üblicherweise auf Migranten zurück.
Aber das kirchliche Arbeitsrecht läßt eben keine Nichtchristen zu in ihren Einrichtungen.

Daran könnte Spahn rütteln.
Und er könnte den Geldhahn aufdrehen. Aber auch das versteht er offenbar gar nicht.

[…..]  Politiker der Opposition, Lobbyisten sowie Gewerkschafter verstehen ihren Job nicht so, einem Minister zu sagen, dass er alles super gemacht und erledigt habe. Im Gegenteil, was einer wie Jens Spahn tut, muss falsch, mindestens aber zu wenig sein. Also kann der Gesundheitsminister nun überall lesen, was sein "Sofortprogramm" zur Pflege in Wahrheit sei: ein Witz, eine Nebelkerze, halbherzig.
[…..] Das wird nämlich leicht vergessen, wenn allgemein über Pfleger gesprochen wird: wie belastend dieser Beruf ist. Es arbeiten ja auch deshalb so viele von ihnen nur in Teilzeit, weil sie sich den Job in Vollzeit gar nicht zutrauen (mit der Folge, dass ihr Gehalt kaum zum Leben reicht). Es scheiden deshalb so viele früh aus dem Beruf, weil sie nicht mehr können. Dies ist kein Beruf, den man verrichtet wie ein Mechatroniker oder Redakteur; er ist voller physischer und psychischer Zumutungen.
[…..] Die Branche besteht aus Häusern, die unterschiedlichste Eigentümer haben: Kommunen, Wohlfahrtsverbände, Kirchen, kommerzielle Firmen. Manche Arbeitgeber verlangen ihren Pflegern 38,5 Wochenstunden ab, andere 40. Es gibt Häuser, in denen beträgt der Jahresurlaub nur 24 Tage. In manchen Gegenden erhalten Fachkräfte in der Altenpflege weniger als Helfer in der Krankenpflege. Nur wenige Beschäftigte gehören einer Gewerkschaft an, dieser wiederum fehlt ein zentraler Arbeitgeberverband als Verhandlungspartner. Und die Kirchen ziehen sich sowieso gern auf ihr verfassungsmäßiges Recht zurück, klassische Tarifverhandlungen gar nicht erst führen zu müssen.
Wenn Arbeitnehmern die Verhandlungsmacht fehlt, hat dies in jeder Branche die immer selbe Folge: dass Arbeitgeber knausern. […..]  Wenn der Gesundheitsminister Spahn von der CDU will, dass Menschen Pfleger von Beruf werden und die 30 000 offenen Stellen auf Dauer besetzt werden, gibt es einen sinnvollen nächsten Schritt: Arbeitsminister Heil von der SPD anrufen, damit dieser einen der bestehenden Tarifverträge (zum Beispiel den der Kommunen) für allgemein verbindlich erklärt.  […..]

Statt immer billiger und mehr arbeiten, sollte für Pfleger gelten: Teurer und weniger arbeiten.
Wenn Minister oder Pharmalobbyisten oder Vermieter (wie Jens Spahn) sehr viel verdienen, nützt das der deutschen Wirtschaft nur bedingt, weil er mit weiteren 10.000,- oder 20.000,- im Monat auch nicht mehr Äpfel, Brot oder Spülmittel kaufen wird. Er wird stattdessen mutmaßlich eine schöne Steueroase in Panama suchen, um das überschüssige Geld zu parken. Schlecht für die deutsche Wirtschaft.

Wenn aber Menschen mit niedrigen Einkommen, wie beispielsweise Altenpfleger und Krankenschwestern 1.000,- mehr im Monat haben, verkonsumieren sie es zum größten Teil. Sie geben es aus. Das stärkt die Nachfrage und die Binnenkonjunktur.
Gut für die deutsche Wirtschaft, die an extremer Importschwäche leidet.
Gut für die Menschen und Familien in den Berufen und auch gut für die Pflegebedürftigen.

Nur blöd, daß wir schon wieder, nach Rösler, Bahr und Gröhe einen extrem kirchenfreundlichen und lobbyaffinen konservativen Gesundheitsminister haben.

[…..] Das Sofortprogramm Pflege von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) stößt auf scharfe Kritik bei Pflegeexperten und Sozialverbänden. "Dieser Aktionsplan ist leider ein Witz", sagte der Präsident der Diakonie, Ulrich Lilie, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Mit diesen 13.000 Symbolstellen gewinnen wir nichts in diesem Land." Spahn stehe vor einer Bewährungsprobe, sagte der Chef des evangelischen Wohlfahrtsverbands. Der Minister müsse nachhaltige Reformen durchsetzen. [….]

[….] Das Papier bleibe "deutlich hinter dem zurück, was notwendig ist", kritisiert Sylvia Bühler, Mitglied im Bundesvorstand der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di). Das Programm sei "nur ein weiterer Tropfen auf dem heißen Stein", meint Otto B. Ludorff, Vorsitzender des Bundesverbandes der kommunalen Senioren- und Behinderteneinrichtungen (BKSB). "Da muss deutlich mehr passieren", fordert die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele. Das Sofortprogramm des Gesundheitsministers sei allenfalls ein "Trostpflaster", das die Dauerkrise in der Pflege nicht heilen könne, moniert Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands.
Auch die Oppositionsparteien im Deutschen Bundestag zeigen sich wenig begeistert. "Dieses Sofortprogramm kann maximal ein paar Löcher stopfen", sagt Pia Zimmermann, pflegepolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Linkspartei, "wegen einer 24-Stunden-Kita und einem Sportangebot für Mitarbeiter wird niemand zurück in den Pflegeberuf kommen." Kordula Schulz-Asche, Sprecherin für Pflegepolitik der Bundestagsfraktion der Grünen, ist nicht überzeugt – die 13.000 avisierten zusätzlichen Stellen deckten "bei weitem nicht den tatsächlichen Bedarf". Auch die pflegepolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Nicole Westig, ist skeptisch und bezeichnet das Sofortprogramm als "Nebelkerze": "Bereits jetzt können offene Stellen nicht besetzt werden, der Markt ist leergefegt." [….]
(Altenpflege Online, 24.05.2018)