Ob Kevin Spacey wirklich so übergriffig war, daß es angemessen war, ihn dafür zur Persona Non Grata zu erklären und seine Engagements zu kündigen, weiß ich nicht.
Sicher bin ich mir allerdings über seine Qualitäten als Schauspieler: Der Mann ist überragend gut und daher vermisse ich ihn extrem in der Serie „House Of Cards“.
Das Netflix-Meisterstück mit der verbotenen ikonischen auf dem Kopf stehenden US-Flagge startete im Februar 2013, kurz nachdem Barack Obama wieder gewählt worden war und sich nach den irren George W. Bush-Jahren, die US-Politik zu konsultiert haben schien. Mit dem ersten schwarzen US-Präsidenten waren Moral und Anstand nach Washington zurückgekehrt, das katastrophale Meinungsbild in der Welt verbesserte sich nachhaltig, man schaute wieder zu Amerika auf.
House Of Cards war in vielerlei Hinsicht maßstabsetzend. Aber ein wesentlicher Punkt der Faszination für die Zuschauer lag in dem schockierenden Verhalten der Serienfiguren. Die Spannung entstand unter anderem durch den Widerspruch der Bildsprache und des Inhaltes. Es sah clean und hyperrealistisch aus, fast wie eine Doku aus dem echten Weißen Haus. Der demokratische Abgeordnete Francis „Frank“ Underwood verhielt sich allerdings wesentlich ungeheuerlicher und schockierender, als alles, was man sich vorstellen konnte. Dagegen wirkte GWB wie ein Waisenknabe.
Aber 2013 lag natürlich auch Jahre vor der historischen Zäsur der Trump-Inauguration vom 20. Januar 2017, als alle Gewissheiten zerbröselten und das Undenkbare Realität wurde.
Es war naheliegend, Vergleiche mit „House of Cards“, der bis dahin extremsten Darstellung der USA-Politik, zu ziehen.
[….] Amerikas Politik nähert sich auf unheimliche Weise jenen fiktiven Serien an, die das Land der Welt geschenkt hat. Eine unglaubliche Wendung folgt der nächsten: Gut 100 Tage vor der Wahl entscheidet sich der greise US-Präsident, der kaum noch richtig sprechen kann, für seine Vizepräsidentin Platz zu machen. Nur sie kann jetzt noch einem Mann den Weg zur Macht versperren, der gerade von einem rätselhaften Attentäter angeschossen wurde und der mit einem autoritären Umsturz liebäugelt. Es sind beängstigende Tage für Amerikas Verbündete. Das Zentrum der westlichen Welt ist im Innern gefährlich instabil. Auf dieses Land ist für seine transatlantischen Partner schon länger kein Verlass mehr, über diese Tatsache täuschte die Präsidentschaft von Joe Biden nur hinweg. An der tiefen politischen Krise in den USA gibt es nichts zu beschönigen; die mehr als 200 Jahre alten demokratischen Institutionen zeigen große Schwachstellen. […..]
(Mathieu von Rohr, SPIEGEL-Leitartikel, 27.07.2024)
Tatsächlich ist die Lage wesentlich finsterer als in der genannten Netflix-Serie.
Das schockierende umgekehrte Sternenbanner aus dem Vorspann, wurde tatsächlich zum Erkennungszeichen der hasserfüllten Trumpisten – verwendet von Abgeordneten (Marjorie Taylor Green) bis zu Supreme Court-Richtern (Justice Samuel Alito).
[….] Upside-down American flags emerged outside homes and on social media on Friday in support of Donald Trump after a New York jury returned a historic guilty verdict against the former Republican president.
Republican Representative Marjorie Taylor Greene and country music singer Jason Aldean were among the prominent Americans to display the inverted flag, a symbol of distress or protest in America for over 200 years.
The symbol, popular among some avid Trump supporters since his 2020 election defeat, exploded across pro-Trump social media accounts after he was convicted on Thursday of falsifying documents to cover up a hush money payment to a porn star to illegally influence the 2016 election.
Minutes after the verdict Greene, a Trump loyalist, posted an inverted U.S. flag on her X account. By Friday afternoon more than 8 million people had viewed it. […..]
Oberste Richter, die aktiv gegen die US-Verfassung agitieren, Grundrechte aushebeln und einen zutiefst kriminellen Rassisten, der die Demokratie abschaffen will, mit Immunität versehen: Das konnte sich selbst Frank Underwood nicht vorstellen.
Europäer verzweifeln daran, zu verstehen, wieso dieser grotesk orange geschminkte Horrorclown überhaupt eine einzige Stimme erhält.
Es lässt sich nicht erklären, wieso eine gesamte staatstragende Partei der 250 Jahre alten Großdemokratie USA, kollektiv Testikel und Rückgrat entfernen ließ, um sich diesem ganz offenkundig unterbelichteten Psychopathen unterzuordnen.
Es lassen sich keine Beispiele in der Geschichte finden, um diesen Irrsinn vor unseren Augen, irgendwie einzuordnen.
Es ist alles beispiellos, also wurde „unprecedented“ zum meistgebrauchten Begriff der Medien, die sich auch nur im entferntesten mit Donald Trump beschäftigen.
Die Wähler reagieren inzwischen nicht mehr Fakten-korreliert, sondern rein gefühlig. Aufgepeitscht von Stimmungen, Polls, Spins, Narrativen, die leider meistens auf Lügen basieren.
Kurioserweise war es ausgerechnet der 101-Jährige Joe Biden, dem es trotz dreieinhalbjähriger verzweifelter Bemühungen nie gelang, die negative Stimmung gegenüber seiner Partei zu verändern, der urplötzlich das junge, internetaffine Amerika in gewaltige Wallungen versetzte.
[….] Man mag es kaum glauben, aber es sind erst anderthalb Wochen vergangen, seit Joe Biden den Weg für Kamala Harris frei machte. Die USA scheinen sich in dieser Zeit in ein anderes Land verwandelt zu haben, der Wahlkampf 2024 ist jedenfalls nicht mehr wiederzuerkennen. Der designierten demokratischen Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris fliegen auf einmal die Herzen und vor allem die Spendengelder zu. Und Donald Trump steht plötzlich nicht mehr im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, das hat ihn offenbar so verwirrt, dass er zumindest vorübergehend den Faden verlor. Wenn es wirklich so etwas gibt wie ein Momentum, dann darf man festhalten: So schnell hat das Momentum selten die Seiten gewechselt. Und das – so seltsam es klingen mag – haben die Demokraten auch Joe Bidens Sturheit zu verdanken. Noch vor anderthalb Wochen schien einer Rückkehr Trumps ins Weiße Haus nichts mehr im Wege zu stehen, am allerwenigsten die demokratische Kampagne mit ihrem fast schon bemitleidenswerten Protagonisten. Trump hatte gerade ein Attentat überstanden und wurde auf dem Parteitag der Republikaner in Milwaukee wie der Allmächtige höchstpersönlich gefeiert. Präsident Biden saß derweil in seiner Covid-Isolation, und das Letzte, was die Außenwelt von ihm mitbekommen hatte, war die Ansage, dass ihn allenfalls der Allmächtige von seinem Vorhaben abbringen könne, erneut bei der Wahl anzutreten. [……] Indem er sich fast einen Monat lang starrköpfig gegen das Unausweichliche gewehrt hatte, baute er die Spannung erst auf, die sich nun in einer explosionsartigen Zuneigung zu seiner Nachfolgerin entlädt. Das Momentum von Harris ist auch die Erleichterung über die späte Einsicht Bidens. Nur damit ist dieser Raketenstart zu erklären. [……]
Kurz gesagt: Die Lage war bis vor zwei Wochen derartig deprimierend, daß bereits die Aussicht, überhaupt irgendeinen anderen wählen zu können, das Land elektrisiert.
Kamala Harris wird mit Zustimmung überschüttet und häufte in neun Tagen 310 Millionen Dollar Wahlkampfspenden an.
Statt seniler alter Männer, einfach ein neues Gesicht, welches auch das diverse Amerika anspricht.
Der notorisch undisziplinierte Trump „can‘t help himself“ und ist angesichts der Sympathien, die einer nicht weißen Einwanderertochter zufließen, außer sich vor Wut. Er kann seinen tiefsitzenden Rassismus nicht im Zaum halten.
Die pure Existenz von Kamala Harris, als Frau und Dunkelhäutige – bringt Trump und seine rechtsextreme Partei zur Weißglut. Sie ist die Inkarnation eines GOP-Triggers. Sie muss nur existieren, um Hetze-Eruptionen der QTrumpliKKKans zu generieren.
[…..] Der Ex-Präsident stellt ungeniert vor einem schwarzen Publikum die Frage, seit wann die Vizepräsidentin eigentlich schwarz sei. Selbst für einen wie ihn sind so offen rassistische Aussagen ungewöhnlich – und lassen tief blicken in einen finsteren Charakter.
Der ehemalige US-Präsident Donald Trump ist ein Rassist. Das mag nach Binse klingen, es ist aber wichtiger denn je, sich das vor Augen zu halten, da Trump sich als Spitzenkandidat der Republikaner anschickt, womöglich an die Spitze des Staates zurückzukehren. Bereits Anfang der Siebzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts hat das Justizministerium gegen ihn ermittelt, weil das damals von ihm und seinem Vater Fred geführte Immobilienimperium potenzielle schwarze Mieterinnen und Mieter benachteiligte. […..] Der Rassismus von Freds Sohn, Donald Trump, zeigte sich in dieser Woche in selten gesehener Deutlichkeit, als er die Frage in den Raum stellte, seit wann die designierte demokratische Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris eigentlich schwarz sei.
Trump fuhr fort, fast im Plauderton: Er habe Harris immer als indischstämmig wahrgenommen. Aber offenbar habe sie eines Tages beschlossen, dass sie nun schwarz sei. Das Ganze gipfelte in der Frage, ob sie nun also indisch oder schwarz sei. Er, Trump, wisse es nicht. Diese auf besonders perfide Art rassistische Äußerung, die Harris einen Teil ihrer Identität absprechen will, wäre zu anderen Zeiten das Ende einer Präsidentschaftskampagne gewesen.
Die irrwitzige Volte ist, dass Trump dies vor einer Versammlung von schwarzen Journalisten und Journalistinnen sagte. Rassismus ist in den USA bis heute allgegenwärtig, doch meist äußert er sich subtiler. Trump hingegen hat offenbar kein Problem mehr damit, diese Karte wirklich überall offen zu spielen. [….]
(Christian Zaschke, 01.08.2024)
Und so schäumen die Republikaner vor Hetze; ihre niedersten Instinkte brechen sich unkontrolliert Bahn. Damit erfreuen sie sich selbst. Aber offenkundig auch weitgehend nur sich selbst, Orbán, Spahn und den Springer-Verlag.
Der Teil der US-Wählerschaft, der noch mit Rudimenten von Anstand behaftet ist, wendet sich gruselnd ab.
Das dreieinhalb Jahre festgefahrene Meinungsbild dreht sich.
Es sieht immer noch nicht gut aus für die Demokraten. Aber endlich stimmt die Richtung. Die massive Social-Media-Begeisterung für Kamala Harris wirkt sich peu à peu auch in der realen Welt aus.