Donnerstag, 9. Juni 2022

Sehenden Auges in den Abgrund

Wenn ich alle gegenwärtigen Megaprobleme der internationalen und deutschen Politik vergleiche, gibt es eine Gemeinsamkeit: Sie kommen nicht überraschend. Seit vielen Jahren, manchmal Jahrzehnten, warnen Wissenschaftler, NGOs, Expertenräte, Elder Statesmen, aber die Regierenden sind nie in der Lage vorausschauend und damit rechtzeitig zu handeln.

Ein junger Mensch in Saudi Arabien, Nordkorea, Kirgisien oder China kann trotz aller Vernunft und allen guten Absichten nicht die Politik seiner Regierung beeinflussen. Es gibt keine demokratischen Wahlen, die Regime sind extrem repressiv, die Diktatoren sitzen ewig im Sattel.

Das macht es aber nur umso tragischer und unerträglicher, daß gebildete Menschen in Demokratien mit freier Presse, sich freiwillig dafür entscheiden, die Problemlösungsverhinderer zu ihren Regierenden zu wählen, die tumb dem Abgrund entgegen taumeln und die unweigerlich auf uns zukommenden Probleme nur noch verschärfen.

Nachdem die rotgrüne Schröder-Regierung tatschlich die Weichen in vielerlei Hinsicht richtig stellte, begannen die Wähler schon ab 1999 wieder damit, die Reformen zu blockieren, indem sie die bremsende Merkel-CDU stärkten.

(…) Unglücklicherweise ist das deutsche Volk leider verblödet und wählte nach nur vier Monaten rotgrüner Macht in beiden Kammern im Januar 1999 mit der Roland-Koch-Regierung eine CDU-Mehrheit in den Bundesrat, so daß Angela Merkel ihr notorisches NJET immer wieder einsetzte, um die Reformen zu Fall zu bringen.

Das Volk ist so bekloppt, daß es Merkel zur Bundeskanzlerin machte. Die stieg wieder in die Atomenergie ein, ließ alle Förderungen der erneuerbaren Energien auslaufen, so daß fast alle grünen Arbeitsplätze verloren gingen und wir heute am russischen Tropf hängen.  Der Urnenpöbel war vom totalen Stillstand so begeistert, daß der immer wieder CDU wählte und genüsslich zusah, wie Deutschland erstarrte und in nahezu jeder Hinsicht hinter alle anderen europäischen Länder zurückfiel.  Arbeitsmigranten werden abgewehrt, Flüchtlinge bei Pushbacks in den Tod geschoben und ich bin, obwohl in Deutschland von einer deutschen Mutter geboren nach über 50 Jahren in Deutschland immer noch Ausländer, weil CDU-Parlamentarier an Hitlers Blutrecht festkleben und immer noch ein modernes Staatsbürgerschaftsrecht blockieren.  (…)

(Klimapolitik kaputt, 05.06.2022)

Schon der nicht gerade als linker Eiferer bekannte Olaf Scholz war dem Wähler zu radikal, so daß er dafür sorgte, die Bremser-FDP im Kabinett zu haben, die eisern eine vernünftige Klimapolitik verhindert, ausgerechnet die extrem profitable und extrem klimaschädliche und extrem Russland-abhängige Mineralölindustrie mit weiteren drei Milliarden Euro „Tankrabatt“ pampert, dafür aber Tempolimit und vorausschauende Corona-Politik eisern blockiert.  FDP-Tankrabatt – dümmer geht nimmer.

In Diana Zimmermanns ZDF-Dokumentation „Armes reiches Königreich“ wurde die Verelendung Millionen Engländer analysiert, die sich durch extrem gestiegene Preise keine Heizung nun nicht mehr genügend zu Essen leisten können.

Im Arbeiterstädtchen Burnley gründete der einzähnige Klempner James Anderson eine Hilfsorganisation, weil die meisten Bewohner ihn auch im Winter bei ausgefallenen Heizungen nicht zu sich bestellten, da sie keine Reparatur bezahlen konnten. Nun ist der engagierte Mann privater Sozialarbeiter, bietet Reparaturen für ein Pfund an. James Anderson erklärt aber, schon 2016 so frustriert von der Verarmung der Menschen gewesen zu sein, daß er für den Brexit stimmte. Bei den vorgezogenen Unterhauswahlen nach dem totalen Mayschen Brexit-Chaos, gaben die Briten 2019 ausgerechnet Boris Johnson fast eine Zweidrittel-Mehrheit.

Und nun jammern sie über die rasanten Preissteigerungen bei Energie und Lebensmitteln, während sie Regierung die Sozialleistungen immer mehr zusammenstreicht.

[….] Nur Russland schneidet wohl noch schlechter ab als Großbritannien

Die OECD hat ihre Wachstumsprognose wegen des Ukrainekriegs deutlich gesenkt: 2023 könnten unter den großen Industrieländern vor allem Russland und Großbritannien leiden. [….] Die Post-Brexit-Wirtschaft wachse 2022 zwar noch um 3,6 Prozent, heißt es nun in der aktuellen Wachstumsprognose der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). 2023 allerdings werde die Konjunktur im Königreich zum Erliegen kommen: Nullwachstum.  Sollte es tatsächlich so kommen wie vorhergesagt, könnte nur Russland dann – mit minus 4,1 Prozent beim Bruttoinlandsprodukt – unter den 20 führenden Volkswirtschaften (G20) noch schlechter abschneiden als Großbritannien.  Besonders entscheidend dürfte nach den Einschätzungen der Industriestaaten-Organisation die Entwicklung der Inflation für das Land werden. Unter stark steigenden Verbraucherpreisen haben die Menschen in Großbritannien demnach aber wohl auch noch kommendes Jahr kräftig zu leiden.  [….]

(SPON, 08.06.2022)

Die Entwicklung ist so überraschend, wie das Amen in der Kirche.

Klempner Anderson ist also gleichermaßen Opfer und Verursacher seiner Misere.

Nachdem in GB die drastischen Folgen des Zusammenbruchs der Lieferketten durch viel zu wenige LKW-Fahrer für jedermann sichtbar werden, könnte man meinen, FDP-Verkehrsminister Wissmann hörte so langsam mal auf die immer schrilleren Warnungen aus der deutschen Logistik-Industrie, die schon jetzt das Fehlen von 80.000 Lkw-Chauffeuren beklagt, daher immer mehr Laster stehen lassen muss, obwohl die Frachtraten auf der Straße unter anderem wegen des Totalversagens des Bahn-Managements aus CDUCSU, immer weiter ansteigen. Die Fahrer, die es noch gibt, sind zudem überdurchschnittlich alt, werden bald in Rente gehen.

Nachwuchs ist nicht zu finden, weil der Job zu unattraktiv ist: Extremer Stress, lange Arbeitszeiten, fern ab der Familie und zudem auch noch gefährlich, weil die Fahrer immer wieder überfallen werden, nachdem die Spediteure kaum noch bewachte Rastplätze anbieten.

Bisher konnten osteuropäische Fahrer, die zu Dumpinglöhnen von 1.000 Euro fuhren, den Mangel etwas ausgleichen.  Aber Ukrainische Fahrer sind gerade anderweitig beschäftigt.

Deutsche Spediteure zahlen nun bis zu 2.000 Euro für den brutalen Knochenjob und die Politik legt reichlich Steine in den Weg, um Asylbewerber, Flüchtlinge und Arbeitsmigranten davon abzuhalten als LKW-Fahrer in Deutschland zu arbeiten.

[….] Wie tückisch deutsche Regeln sein können, hat jüngst auch Horst Kottmeyer erlebt. Anfang Mai stand ein ukrainischer Lkw-Fahrer vor seinem Büro. Knapp ein halbes Jahr lang war Anton Karamow, 37, für eine litauische Transportfirma durch Europa gefahren, Spanien, Frankreich, Deutschland, das übliche Ausbeutungsmodell für 1000 Euro netto im Monat.  Dann überfiel Russland die Ukraine und daheim in Karamows Dorf bei Saporischschja flogen die Raketen über sein Haus. [….]  Karamov kündigte seinen Job in Litauen, zu Fünft sind sie bei einer Familie untergekommen. Bei Kottmeyer könnte Kamarow sofort anfangen. Aber das geht nicht. Polnische und baltische Fuhrunternehmer genießen in der EU einen Sonderstatus, dürfen ukrainische und belarussische Fahrer ohne Weiteres beschäftigen. In allen anderen EU-Ländern ist eine spezielle Qualifikation als Berufskraftfahrer nötig. [….] Von Anton Karamow wird nun erwartet, dass er erst Deutsch lernt und dann die Kraftfahrer-Ausbildung absolviert. Um danach dieselbe Arbeit zu tun wie vorher, nur dass sein Lkw dann ein deutsches Kennzeichen hätte, kein litauisches. Kottmeyer mag es kaum fassen: »Wir haben hier einen Mann, arbeitswillig, motiviert, erfahren auf europäischen Strecken, dem der Staat als Flüchtling nun Geld zahlt für sich und seine Familie.«  […]

(SPON, 09.06.2022)