(….) Diplomatie ist ein grundsätzliches Dilemma, weil es gerade darum geht, mit den Mächten einen Modus Vivendi zu finden, die man nicht mag und die nicht den eigenen Regeln folgen. (….) Es liegt in der Natur der Sache: Diplomatie ist ein Drahtseilakt, bei dem man einerseits Rote Linien ziehen muss, sich nicht alles gefallen lassen darf, aber man andererseits stets schwer erträgliche Zugeständnisse machen muss, um handlungsfähig zu bleiben.
Nach den beantragten Haftbefehlen des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) gegen Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu und seinen Verteidigungsminister Yoav Gallant, ist das internationale Geschrei sehr groß. (…..)
(Realpolitik mit Verbrechern, 20.05.2024)
Immer wenn es um Israel geht, ist in Deutschland besonders viel Fingerspitzengefühl gefragt, weil Berlin völlig zu Recht aufgrund seiner Geschichte Israel beschützen möchte, aber gleichzeitig auch aufgrund seiner Geschichte, besonderen Wert auf die Einhaltung internationalen Rechts legt.
Deutschland vertritt bezüglich der Palästinafrage richtigerweise auch den Plan der Zweistaatenlösung. Das liegt schließlich ebenfalls im Interesse Israels. Anders kann es keinen Frieden geben.
[….] Zur Versachlichung der Debatte sollte man sich zunächst ein paar Zahlen anschauen: Zwischen Mittelmeer und Jordan leben 15 Millionen Menschen. Ungefähr die Hälfte davon ist jüdisch, die andere Hälfte palästinensisch. Keine Seite wird die andere verdrängen oder vertreiben können. Einen eigenen Staat aber haben bislang nur die Juden, ein Großteil der Palästinenser lebt unter Besatzung. Das führt zu immer neuen Runden des Konflikts.
Die Zweistaatenlösung ist, bei allen praktischen Problemen, immer noch das beste Konzept zur gerechten Aufteilung des Landes. Norwegen, Irland und Spanien wollen dies mit der Anerkennung Palästinas erklärtermaßen voranbringen. Das mag realpolitisch naiv erscheinen, aber es ist eine hehre und nachvollziehbare Absicht.
Ganz gewiss ist das kein feindseliger Akt gegenüber Israel, wie das die rechte Regierung in Jerusalem nun suggeriert. Im Gegenteil: Von außen – und auch immer noch zum Teil von innen, also vom israelischen Friedenslager aus – betrachtet, ist die Zweistaatenlösung im Interesse Israels. Denn langfristig kann der jüdische Staat nur bei einem Ausgleich mit seinen Nachbarn in Frieden und Sicherheit leben. […..]
(Peter Münch, SZ, 23.05.2024)
Für Deutschland ist es ein diplomatischer Alptraum, weil sich in der derzeitigen Lage mit der derzeitigen Regierung Israels, mehrere eherne Prinzipien, die alle deutschen Nachkriegsregierungen hochhielten, widersprechen. Egal, was Baerbock und Scholz tun, sie machen sich angreifbar und müssen sich der Heuchelei bezichtigen lassen. Die einzige andere Möglichkeit ist kleinlautes uneindeutiges Herumlavieren, sich also bei entscheidenden Fragen der Weltpolitik wegducken. So erklärt sich die Haltung – auch unter den Vorgängerregierungen zur Frage der Anerkennung Palästinas. Ja, wir sind dafür, trauen uns aber nicht, das ganz offiziell zu machen.
Die Mehrheit der Staatensieht es so, aber es gibt keine Fortschritte.
[……] Wer erkennt Palästina an?
Eine deutliche Mehrheit der 193 UN-Staaten: neben Russland und China die meisten Staaten Asiens (ohne Japan), Afrikas und Südamerikas. In Europa sind es neben Island und Schweden vor allem mittel- und osteuropäische Staaten (die ihre Anerkennung vor 1989 aussprachen) sowie die meisten Balkanländer. Norwegen, Irland und Spanien wären die UN-Mitgliedstaaten 144, 145 und 146, die diesen Schritt vollziehen.
Warum ist Palästina kein UN-Mitglied?
Weil es Israel nicht will, und weil die USA, Israels wichtigster Verbündeter, es auch nicht wollen. Zur Anerkennung braucht es die Zustimmung von mindestens neun der 15 Mitglieder des UN-Sicherheitsrats. Entsprechende Anträge stoppt die Veto-Macht USA seit 2011, zuletzt Anfang Mai wieder. Die offizielle Sichtweise der USA ist, dass eine Anerkennung erst am Ende einer Lösung des Nahostkonflikts stehen kann. Ähnlich argumentieren Großbritannien und Frankreich. Allerdings gibt es Anzeichen für ein Umdenken in westlichen Staaten. Demnach könnte die Anerkennung eventuell schon früher kommen – als Hebel für eine Lösung. […..]
Nach den beantragten Haftbefehlen des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) gegen Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu und seinen Verteidigungsminister Yoav Gallant, in einem Abwasch mit den drei Hamas-Führern - Jahia Sinwar, Mohammed Diab Ibrahim Al-Masri, Deif genannt, und Ismail Haniyeh, entsteht eine weitere diplomatische Megazwickmühle für Berlin.
[…..] Der Strafgerichtshof "ist eine elementare Errungenschaft der Weltgemeinschaft", teilte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes noch am Montagabend mit. Die Bundesregierung habe den Gerichtshof immer unterstützt und "respektiert seine Unabhängigkeit und seine Verfahrensabläufe wie die aller anderen internationalen Gerichte".
Allerdings dürften sich daraus für Kanzler Olaf Scholz oder Außenministerin Annalena Baerbock heikle Fragen ergeben, sollte die Vorverfahrenskammer in Den Haag den Anträgen von Chefankläger Karim Khan stattgeben. […..] Zwar kritisiert auch das Auswärtige Amt, durch die gleichzeitige Beantragung der Haftbefehle gegen drei Anführer der terroristischen Hamas und die beiden israelischen Amtsträger sei "der unzutreffende Eindruck einer Gleichsetzung entstanden", und führt aus, das Gericht werde "sehr unterschiedliche Sachverhalte zu bewerten haben". Allerdings bliebe der Bundesregierung kaum eine Wahl, sollte Khan mit seinen Anträgen durchdringen.
Als der Strafgerichtshof im März 2023 einen Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin erließ wegen der Verschleppung ukrainischer Kinder aus besetzten Gebieten nach Russland, begrüßten Scholz und Baerbock dies. Während eines Besuchs in Japan sagte der Kanzler damals, es sei so, dass "niemand über Recht und Gesetz steht". Putin verzichtete angesichts des Haftbefehls auf Reisen zu Gipfeltreffen der Brics-Staaten und der G-20-Staaten.
Berlin müsste einen Haftbefehl gegen Netanjahu vollstrecken, sollte er nach Deutschland kommen. Politisch wäre mindestens Kritik programmiert, sollten Scholz oder Baerbock ihm oder Gallant in Israel die Aufwartung machen, falls der Gerichtshof Haftbefehle erlässt. Die Bundesregierung steht dann vor dem Dilemma: zum einen die historische Verantwortung für die Sicherheit Israels, die sie selbst als deutsche Staatsräson bezeichnet hat, und die Unterstützung für den Strafgerichtshof, die sich ja ebenso aus der deutschen Geschichte herleitet. Beides müsste sie gegeneinander abwägen. […..]
(Paul-Anton Krüger, 21.05.2024)
Nicht nur, daß man hier nicht das Richtige tun kann, ohne gleichzeitig etwas Falsches zu tun. Noch schlimmer erscheint die Unvermeidlichkeit, es sich mit einer Seite der Konfliktparteien zu verscherzen, so daß man zukünftig noch weniger diplomatischen Einfluss hat und international der Heuchelei bezichtigt wird, weil Deutschland auf der Weltbühne als unzuverlässig gelten würden.
Nicht ohne Grund gilt Palästina als unlösbare Mutter aller Konflikte. Es gibt keine einfache Lösung. Noch nicht einmal Raushalten ist für die Europäer möglich, weil es schließlich die katastrophale Kolonialpolitik Englands, Frankreichs und auch des Deutschen Reichs war, die vor hundert Jahren das Desaster mit willkürlichen Grenzziehungen und mehreren nicht eingehaltenen widersprüchlichen Garantien an verschiedene Seiten, anrichtete.
Das sollte diplomatisches Allgemeinwissen sein.
Nur Fritze Merz, der unumstrittene Führer der in der Gunst des Urnenpöbels weit vorn liegenden CDU, höchstwahrscheinliche CDU-Kanzlerkandidat und nächste Kanzler, ist offensichtlich komplett verblödet und begreift diese wahrhaft tödliche Situation als billige Möglichkeit der deutschen Außenministerin eins mitzugeben.
Für Merz stellt sich die Situation nämlich ganz simpel dar: Internationales Recht ist völlig irrelevant und soll von Deutschland mit Füßen getrampelt werden, um sich zu 100% hinter Bibi Netanyahu zu stellen, dessen Politik sich gerade als schwerster Schaden für Israel überhaupt herausstellt.
[…..] CDU-Chef Friedrich Merz hat das Vorgehen des Chefanklägers am Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) gegen Israel sowie die Reaktion der Bundesregierung darauf scharf kritisiert. Die gleichzeitige Beantragung von Haftbefehlen gegen Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und die Führung der radikalislamischen Hamas sei „eine absurde Täter-Opfer-Umkehr“, sagte Merz der „Bild“-Zeitung am Mittwoch. „Aber das Schweigen der Bundesregierung bis hin zur Andeutung des Regierungssprechers, dass Netanjahu auf deutschem Boden verhaftet werden könnte, wird nun wirklich zum Skandal.“
Regierungssprecher Steffen Hebestreit hatte zuvor auf die Frage, ob sich Deutschland an Entscheidungen des Strafgerichtshofs halten werde, geantwortet: „Ja, wir halten uns an Recht und Gesetz.“ Deutschland sei „grundsätzlich“ ein Unterstützter des IStGH. […..]
Für den Juristen und ehemaligen Amtsrichter Merz scheint die Vorstellung, sich an Recht und Gesetz zu halten, also nahezu absurd.
Einen Strafgerichtshof anzuerkennen, jazzt der Mann zum „Skandal“ hoch und stellt sich lieber an die Seite des völlig rechtstreuen und gar nicht kriminellen Rechtsradikalen Netanyahu.
So einer darf niemals Kanzler werden!