Vor 48
Stunden hatte ich nur über den Kim-Trump-Gipfel spekuliert.
Seit dem
habe ich viele, richtige viele Kommentare dazu gelesen.
Der
gemeinsame Nenner ist weltweit überwiegend, daß Trump, ob seiner bahnbrechenden
allgemeinen Unkenntnis recht einfach vom
Kim über den Tisch gezogen werden konnte.
Wenn MAKE
NORTH KOREA GREAT AGAIN der Plan war, ist dieser perfekt aufgegangen. Nur zu
verständlich, daß Kim gar nicht mehr aufhören konnte zu grinsen.
Er bekam
alles was er sich in seinen kühnsten Träumen bis vor kurzem noch nicht mal zu
wünschen wagte und mußte im Gegenzug keinerlei überprüfbare, konkrete
Konzessionen machen. Im Gegenteil, er sagte die vagen Denuklearisierungssprüche
auf, die schon seit 30 Jahren aus Nordkorea kommen, ohne je umgesetzt zu
werden.
Dabei
gab sich Trump wieder einmal der Lächerlichkeit preis.
[….] Entscheidend
ist, dass die außenpolitische Woche des US-Präsidenten eine politische Methode
und eine Weltsicht offenbart haben, die das Gruseln lehren. Aufschluss über
Trumps Welt und den Zustand der amerikanischen Regierung gibt nicht nur das
dürre Kommuniqué von Singapur. Aufschluss gibt die Pressekonferenz, die fast
länger gedauert hat als das direkte Gespräch der beiden.
Selbstdarstellung und
Selbstwahrnehmung des US-Präsidenten zeugen von einer gefährlichen
Infantilität. Aus Trumps Mund ergießt sich ein Strom von wirren Deutungen und
Dummheiten: Xi Jinping ist jetzt wieder sein Freund, Justin Trudeau nicht mehr;
Kim hat er nach einer Stunde verstanden; Nordkorea bietet tolle Strände für den
Bau von Hotels - "betrachten Sie es aus einer
Immobilien-Perspektive". Von den internen G-7-Gesprächen wird glaubwürdig
berichtet, dass der Präsident zusammenhanglos und bar jeder Faktenkenntnis
spreche, derweil seine Hintersassen die Kim-Truppe an Servilität locker
überbieten.
[….]
Kim wird keine Gulags schließen, und
überhaupt wurde er nicht bedrängt in Sachen Menschenrechte. Den US-Präsidenten
nannte man einst den Anführer der freien Welt. Jetzt ist er der Intendant eines
Illusionstheaters. [….] Überall auf
der Welt wächst die Zahl der Menschen, die Trumps Methode für hohe Politik und
für erfolgreich halten. Hier liegt der eigentliche Schaden, den so ein
"Gipfel" anrichtet. So wie Trump über die Handelsverhältnisse mit
seinen europäischen Verbündeten die Unwahrheit sagt, so sagt er auch nach dem
Treffen mit Kim die Unwahrheit. Spektakuläre Bilder und die stupide wiederholte
Formel vom "großartigen Erfolg" bilden das Szenengerüst für das
Illusionstheater. Aber Vorsicht: Die Vorspiegelung von Politik ersetzt nicht
die eigentliche Tat, die so unendlich viel mühsamer ist. [….]
Wir
lernen einmal mehr: Integre Demokraten wie Barack Obama oder Justin Trudeau
sind für Trump Betrüger und Lügner – „very dishonest“ - denen er nicht traut,
mit denen er keine Vereinbarung trifft und Bestehende aufkündigt.
Kim Jong
Un und Wladimir Putin hingegen sind für ihn echte Ehrenmänner, die er gar nicht
genug loben kann.
[…..]
Mittlerweile ist Kim Jong Un in den Augen
des US-Präsidenten offenbar ein feiner Kerl. Oder wie er sagt: "Ein sehr
ehrenwerter, sehr smarter Verhandler." Kim habe eine "große
Persönlichkeit", sei "sehr schlau" und "sehr
talentiert" - um nur einige Superlative zu nennen, mit denen Trump den
nordkoreanischen Diktator bei ihrem gemeinsamen Gipfeltreffen in Singapur
belegt hat. [….]
(STERN,
12.06.2018)
So
spricht der US-Präsident über einen Mann, der Millionen Menschen hungern lässt,
über 200.000 Nordkoreaner in Gulags schmoren lässt. Es gilt Sippenhaft. Gerät
auch nur ein Mensch in den Verdacht Kim Jong Un nicht genug zu verehren, verschwindet
seine gesamte Familie bis zum Kleinkind im Arbeitslager, aus dem man nie mehr
rauskommt.
Mitglieder
seiner eigenen Familie ließ Kim öffentlich mit Flakgeschützen hinrichten,
seinen Bruder vergiften; also „sehr ehrenwert“ in Trumps Augen.
Staaten
wie der Iran, Südafrika oder Pakistan sollten lernen, daß internationale
Kooperation, Abrüstung und Ehrlichkeit bestraft wird, daß sich hingegen
derjenige, der am dreistesten Menschenrechte mit Füßen tritt und sich
Massenvernichtungswaffen besorgt, gelobt und gepriesen wird, sogar ins Weiße Haus
eingeladen wird.
Noch ein
paar Stimmen:
[…..]
Gestern noch isoliert, heute auf
Weltmacht-Niveau […..] Die
Gretchenfrage lautet: Wie konkret und kontrollierbar fällt eine Vereinbarung
aus? Wenn Ihr Chef zum Beispiel zusagt, Ihr Gehalt "bald" und
"erheblich" zu erhöhen, werden Sie mit Recht fragen: Heißt
"bald" in den nächsten Wochen - oder erst in fünf Jahren? Und heißt
"erheblich" um 15 Prozent - oder doch eher nur um zwei?
Trump hat mit Kim
unter anderem vereinbart, dass Nordkorea an der "kompletten
Denuklearisierung" auf der koreanischen Halbinsel arbeitet. Aber was genau
passiert? Bis wann? Und wie werden die Kontrollen aussehen? Eine Vereinbarung,
die nichts Konkretes festhält, ist eine Luftnummer. […..]
[…..]
Dabei fiel dieser Substanzmangel den
meisten US-Experten sofort unangenehm auf. Selbst Republikaner warfen Trump
vor, ohne Not Konzessionen gemacht zu haben, um bei seiner Basis zu punkten -
während Kim erst mal nichts aufgeben müsse, sondern sich nun als international
geachteter Staatsmann rühmen könne.
"Kann man
vergessen", urteilte Christopher Hill, ein früherer Nordkorea-Unterhändler
der US-Regierung, über den Gipfel. "Die gemeinsame Erklärung ist schwächer
als jede vorherige seit 1992." Jennifer Rubin, konservative Kolumnistin
der "Washington Post", nannte das Treffen eine "totale
Farce": "Wir bekamen nichts, Kim bekam einen PR-Coup."
Auf Trumps Hauskanälen
war von solcher Kritik freilich nichts zu hören. Im Gegenteil: Trumps Freund
Sean Hannity, der als Chefkommentator von Fox News angeblich fast jeden Abend
mit dem Präsidenten telefoniert, bekam das erste "Interview" nach dem
Gipfel zugeschustert. Da konnte Trump zum Beispiel unwidersprochen behaupten,
Kim werde "praktisch sofort" mit der Denuklearisierung beginnen. […..] Das war natürlich frei erfunden, doch Trump wiederholte es auch
anderswo, wobei er jedesmal weiter aufdrehte. "Er denuklearisiert das
ganze Land", fabulierte er bei ABC. "Es wird ziemlich schnell
losgehen, er fängt glaube ich jetzt schon an." Auf dem Rückflug erklärte
er schließlich, Kim habe einen "totalen Plan zur Denuklearisierung".
Oder meinte er einen "Plan zur totalen Denuklearisierung"? […..]
[…..]
Es ist ein historisches Treffen mit
zweitklassigem Ergebnis gewesen, urteilte beispielsweise die Organisation Arms
Control Association. Trump sei es wie immer vor allem um die Optik gegangen,
weniger um die Substanz. Der Präsident habe deutlich weniger vorzuweisen als
frühere Verhandlungsführer, schrieb auch der demokratische Abgeordnete Ted
Lieu. Die Vereinbarung bleibe hinter dem Iran-Abkommen zurück, das er gerade
erst aufgekündigt habe. "Es sieht so aus, als sei Trump in Singapur hereingelegt
worden", fasste es der Nordkorea-Experte Nicholas Kristof in der New York
Times zusammen.
Trump habe dem
nordkoreanischen Machthaber konkrete und weitreichende Zugeständnisse gemacht,
während Kim sich weder inhaltlich noch zeitlich habe festlegen müssen, meinen
viele Experten. "Das Dokument
beinhaltet überhaupt nichts", sagte der lange für die Nordkorea-Politik
zuständige US-Diplomat Joseph Yun. Ein Zeitplan habe es in dem einseitigen
Dokument – das Trump selbst als "umfassend" bezeichnete – genauso
gefehlt wie Verpflichtungen, Inspektoren ins Land zu lassen,
Interkontinentalraketen zu zerstören oder Programme für die Anreicherung von
Uranium und Plutonium einzufrieren. Kim habe lediglich denselben "Willen
zur Denuklearisierung" gezeigt wie schon sein Großvater Kim Il Sung 1992
zeigte, ohne konkrete Schritte zu unternehmen, so Kristof. "Es ist
gruselig, dass Trump das nicht zu merken scheint." […..]
[…..]
Gut gelaufen für Kim. Durch den
Singapur-Gipfel wird Kim Jong Un international aufgewertet. Zugeständnisse muss
er kaum machen, in der Atompolitik kann er auf Zeit spielen. […..] Trump hat die Atomkrise von seinen
Vorgängern Bill Clinton, George Bush Jr. und Barack Obama geerbt und
beschlossen, den nordkoreanischen Diktator zwecks Lösung der Krise persönlich
kennenzulernen. Das entspricht seinem Selbstverständnis als Dealmaker.
Dagegen ist nichts zu
sagen, über Massenvernichtungswaffen muss geredet und verhandelt werden, sie
sollten am besten ganz aus der Welt verschwinden. Der Preis dafür aber ist,
dass Nordkoreas Diktator Kim Jong Un damit international wie zu Hause enorm
aufgewertet wird. Etwas Besseres als ein intensives Händeschütteln mit Trump in
Singapur vor den groß aufgezogenen Nationalflaggen Nordkoreas und der USA
konnte Kim – einem Menschenrechte missachtenden Gewaltherrscher – nicht
passieren. Plötzlich steht er als international beachteter Staatsmann da.
Überhaupt ist der
Gipfel für die Nordkoreaner günstig ausgegangen, denn auch wenn Trump stets
Konsequenz und Härte zeigen will, ist er beim nordkoreanischen Staatschef ziemlich
weit in Vorleistung gegangen. Er stellte Kim in Singapur nicht nur in Aussicht,
nach Pjöngjang zu reisen, er will ihn zu gegebener Zeit auch ins Weiße Haus
einladen – eine Einladung, die Kim Jong Un angenommen hat. […..]
Alles
richtig, aber am ein interessanter Aspekt wird für meinen Geschamck zu wenig
betont, nämlich das totale Versagen der US-Medien, die zwar auch Experten
befragen, aber sich wieder einmal willig und devot vor Trumps Wahlkampfkarren spannen
lassen; ihm kostenlos 24/7 eine Propaganda-Show ganz in seinem Sinne liefern.
Offenbar
haben sie nichts daraus gelernt, wie sie 2015/2016 wesentlich dazu beitrugen mit Trump den
Mann ins Weiße Haus zu befördern, der nun nach Kräften
die freie Presse ausmerzt.
[…..]
Doch nicht nur Fox News beteiligt sich an
der Jubelfeier. Die Live-Bilder aus Singapur - die hier unter anderem die reale
US-Realityshow "The Bachelor" unterbrachen - waren ganz im Sinne des
Weißen Hauses. Selbst CNN und MSNBC, sonst eher Trump-kritisch, verklärten
jeden Schritt und jede Szene als "historisch" - oder, wie Trump es
selbstzufrieden nannte, "sehr historisch".[…..]
[…..]
Groß auf Sendung. In den amerikanischen
Medien kritisieren Experten das Ergebnis des Gipfels. Doch in der Wahrnehmung
dominiert Donald Trump und seine Inszenierung des Treffens als opulente
Fernsehshow, die sich nur um ihn drehte.
[…..]
Die Zweifel von Professoren,
pensionierten Diplomaten und anderen Experten, die im Fernsehen rational Fakten
diskutieren, dürften freilich nur begrenzt Gewicht haben. […..] Für die meisten Amerikaner war der Gipfel
vor allem ein opulentes TV-Ereignis, live ausgestrahlt zur besten Sendezeit.
Sie sahen dort ihren Präsidenten, der an einem Ereignis teilnahm, das nicht nur
das Weiße Haus, sondern auch alle Moderatoren großzügig mit dem Adjektiv
"historisch" bedachten. Dass frühere US-Präsidenten mit Kims
Vorgängern ähnliche Dokumente unterzeichnet hatten, die zu nichts führten, oder
dass sie Nordkoreas Bitten um ein Gipfel früher aus guten Gründen ausgeschlagen
hatten - all das ging in der Flut beeindruckender Bilder unter. In dieser
Hinsicht bekam Trump, was er sich von dem Treffen erwartet hatte: eine
mehrstündige Fernsehshow, die sich nur um ihn drehte. Alles sei großartig
gelaufen, Kim werde jetzt rasch alle Atombomben verschrotten, dieses Resümee
zog Trump dann im Interview mit seinem Freund und Hofberichterstatter Sean
Hannity von Fox News. Widerspruch war da nicht zu erwarten. [….]