Montag, 2. November 2020

Den toten Gaul reiten

Da in fast allen deutschen Periodika nur gläubige Kirchenfreunde über christliche Kirchen berichten, ist der Tenor a priori klar:

Religion ist gut, Christentum ist gut, Kirchenaustritte sind schlecht.

Es wird ein gar nicht vorhandener Konsens der Leserschaft vorausgesetzt, daß es gelte kirchliches Leben zu fördern, den Glauben zu festigen, die Positionen der Bischöfe zu hören.

Es gibt durchaus Entwicklungen, die von nahezu allen Bürgern begrüßt werden:
Weniger Verkehrstote, mehr Alphabetisierung, weniger Obdachlosigkeit, geringere Schulabbrecher-Quote, Eindämmung von Kriminalität.

Aber „weniger Kirchenaustritte“ ist kein gesamtgesellschaftliches Ziel, welches die Kirchenreporter in den Zeitungsredaktionen oder Kirchenpolitiker in den Parteien für alle postulieren dürfen.

Es gibt sehr gute Gründe für mehr Kirchenaustritte zu arbeiten und sich eine massive und andauernde Schwächung der Institution Kirche zu wünschen – auch wenn es für diese Position kaum öffentliche Teilhabe gibt.

(…..) Das ist einer der von mir immer wieder beklagten Presse-Missstände.

Alle Kirchenthemen werden von frommen Gläubigen behandelt.

Dafür hat Springer Badde und Englisch, der Tagesspiegel die unvermeidliche Claudia Keller, die Zeit Frau Finger und die SZ eben Matthias Drobinski.

(……) Man stelle sich vor über die CDU würden nur noch CDU-Mitglieder schreiben. Oder nur noch Soldaten über die Bundeswehr. 

Geht es um die Grundfrage des Christentums in Deutschland – was geht da eigentlich so sagenhaft schief, daß jedes Jahr Hunderttausende aus der Religionsgemeinschaft flüchten, während aus anderen Kontinenten ein reger Zulauf herrscht – wird es bei den großen Zeitungen ganz gediegen.

(Weinen mit Robert – 06.08.2013)

Wenn der fromme Kirchenfreund und ehemalige Theologie-Student Matthias Drobinski ermattet seine geliebte RKK kritisiert ohne das übliche Gejammer über das beschädigte Ansehen und die Befürchtung von mehr Austritte zu formulieren, weiß man, es ist ernst.

Woelki wiederholte den Christian-Pfeiffer-Skandal, dessen kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen für die RKK eine große Studie anfertigen sollte und 2011 von der DBK zurückgepfiffen wurde.

Erst kündigte er im Zeichen der Offenheit eine Untersuchung des sexuellen Missbrauchs in seinem Herrschaftsbereich als Metropolit der Kirchenprovinz Köln samt der Suffraganbistümer Aachen, Essen, Limburg, Münster und Trier an, aber als ihm die Ergebnisse nicht passten, setzte er dem schnell ein Ende. Wie immer in der römisch-katholischen Amtskirche ist es auch im Jahr 2020 dem mächtigsten und reichsten Kardinal Deutschlands wichtiger die Täter zu schützen, als an die Opfer zu denken. Wenn die Wahrheit andere Kirchenfürsten schlecht aussehen lässt, muss sie unter Verschluss bleiben.

[….] Die Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl, die Woelki beauftragte, hatte schon 2010 die Akten des Münchner Erzbistums untersucht. Der Bericht blieb allerdings unter Verschluss, veröffentlicht wurde lediglich eine Zusammenfassung. Das sollte nun in Köln anders werden.   Aber am 12. März gab es keine Pressekonferenz. Es gebe rechtliche Probleme, hieß es. Nach Monaten des Wartens folgte am Freitag der große Knall: "Die Zusammenarbeit mit der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl wird beendet", hieß es in einer gemeinsamen Erklärung des Erzbistums und des Beirats der Missbrauchs-Betroffenen. Eine "vollständige Neufassung der Untersuchung", verantwortet vom Kölner Strafrechtsexperten Björn Gercke, werde am 18. März 2021 veröffentlicht. [….]

(SZ, 01.11.2020)

Nachdem Kardinal Woelki aber tolldreist den Missbrauchsopfern seines Sprengels mit voller Wucht in den Rücken trat, weil er lieber die ehemaligen Kardinäle Höffner und Meisner, sowie den Hamburger Erzbischof Heße schützt, fiel auch dem SZ-Mann nichts mehr ein, um seine Kirchenfürsten zu verteidigen.

[…..] Selbst wenn im Text des Kölner Missbrauchsberichts nicht jeder Satz gelungen sein sollte - der Versuch, die Erkenntnisse zum systematischen Versagen der Leitung des katholischen Erzbistums im Umgang mit Fällen von sexueller Gewalt unter Verschluss zu halten, ist falsch. Die Art und Weise, wie dies gerade geschieht, macht ihn zur Katastrophe. […..]  Aus dem furchtlosen Aufklärer im Bischofsamt ist innerhalb eines halben Jahres der verzagte Hirte geworden, der - statt um die Wahrheit zu ringen - die verstorbenen Kardinäle Joseph Höffner und Joachim Meisner schützt, ihre noch lebenden Generalvikare und Personalchefs, von denen einer heute Erzbischof von Hamburg ist, Stefan Heße. Es hat das alte System gesiegt. […..] Wieder einmal sind die Betroffenen der sexuellen Gewalt die Opfer. Den Betroffenenbeirat des Erzbistums über den Tisch zu ziehen und ihn ein Gutachten kritisieren zu lassen, das er selber nicht kennt, war eine infame Aktion. Man sollte die Mitglieder das weggesperrte Gutachten lesen lassen - und sehen, welche Meinung sich diese dann bilden. [……]

(Matthias Drobinski, 02.11.2020)

Willkommen auf der dunklen Seite der Macht, Herr SZ-Redakteur!
„Infame Aktion“ – endlich eine gute Wortwahl.

Die Kirche ist nicht zu retten.  Dort liegt Unmoral und Gewalttätigkeit im System.

Zum Wohle aller gibt es nur eine Methode im Umgang mit der RKK: Sofort austreten.