Donnerstag, 3. Mai 2012

Schreiben was man will.



Für alles gibt es heutzutage rankings. 

Das ist wichtig, denn niemand ist mit einem absoluten Maß zufrieden. Man will nicht genug verdienen, sondern hauptsächlich kommt es darauf an mehr als der Nachbar zu haben.
Erst in der Relation, also dem wohligen Wissen anderen überlegen zu sein, fühlen wir uns wohl.

Das Maß der Pressefreiheit bewertet die 1941 in NY gegründete Freedom-House-Stiftung.

Gerade gab es das jährliche Ranking - mit wenig erfreulichen Ergebnissen.

Out of the 195 countries and territories examined, 74 (38 percent) were rated Free, while 58 (30 percent) were rated Partly Free, and 63 (32 percent) were rated Not Free.
In terms of population, 18 percent of the world’s inhabitants live in countries that enjoy a Free press, while 39 percent have a Partly Free press and 43 percent have a Not Free press.
[…]  There is a complex series of reasons for the decline of global press freedom, some of which derive from broad political trends, while others are specific to the media environment:
1. Pushback against Democracy: A growing drive to neutralize or eliminate all potential sources of political opposition has materialized in a number of crucial countries, with the press as a principal target.
2. Political Upheaval: Coups and states of emergency brought on by political unrest or civil war have taken place in a growing number of formerly democratic settings, especially in Asia, with a damaging impact on press freedom.
3. Violence Targeting Journalists: The tragic murder of crusading Russian journalist Anna Politkovskaya is but one of the latest examples of what has become a disturbing global trend. The killing and physical harassment of reporters is a particular problem in Latin America, where Mexico has recently replaced Colombia as the most dangerous environment, as well as in South and Southeast Asia, Russia, and Iraq.
4. Legislation Prohibiting Blasphemy, Hate Speech, Insult, and “Endangering National Security”: Governments have increasingly resorted to legal action in efforts to punish the press for critical reports on the political leadership, as well as for “inciting hatred,” commenting on sensitive topics such as religion or ethnicity, or “endangering national security.”

Für Deutschland dürfen sich die Politiker zurücklehnen; wir gelten als “free.” 

Sieht man genauer hin, könnte es allerdings auch besser sein.
Zwischen Förde und Freiburg ist die Presse nicht so frei wie in den 15 vor Deutschland platzierten Staaten:

Finland, Norway, Sweden, Belgium, Denmark, Luxembourg, Netherlands, Switzerland, Andorra, Iceland, Liechtenstein, St. Lucia, Ireland, Monaco, Palau.

Deutschland folgt gemeinsam mit Marshall Islands, New Zealand, Portugal, San Marino, St. Vincent and Grenadines auf Platz 16.

(Österreich Platz 31!  USA 22, Frankreich 43 und Italien konnte sich nach Berlusconi auf Platz 70 vorarbeiten. Wo ist denn der Vatikan?)

Um mal vor der eigenen Haustür zu Kehren:

Was in Deutschland nicht optimal läuft, haben wir gerade erst gestern in Sachsen gesehen.

Außerdem ist der Einfluß der Bundes- und Länderregierungen auf die Fernseh- und Radiosender evident.

Wenn der CDU ein kritischer ZDF-Redakteur wie Nikolaus Brender nicht passt, wird er eben abgesetzt
Merkel will nicht, daß ihre Regierung unter der vollen Pressefreiheit zu leiden hat. 
Und so ist es nur konsequent, daß sie sich aus dem regierungstreuen ZDF ihren Regierungssprecher Seibert rekrutiert und eben diesem Mann, der als offizielles und bezahltes Sprachrohr der CDU-Chefin arbeitet auch die Rückkehr in seinen Heute-Journal-Moderatoren-Job garantiert wurde.

Der Bayerische Staatssender „BR“ ist so treu auf Unionslinie, daß ohne jegliches Schamgefühl Merkels vorheriger Sprecher, Ulrich Wilhelm, als Intendant installiert wurde.

Pressefreiheit?

Die genannten Personalien wurden zwar tatsächlich alle durchgesetzt, aber wenigstens gab es auch öffentliche Kritik. 
Kritik, die allerdings eher die Vokabel „Geschmäckle“ statt „Skandal“ strapazierte.

 Ich frage mich aber, ob Freedomhouse in seine Untersuchungen auch die selbstgewählte Presseunmündigkeit einbezog.

Zu viele echte Skandale werden jahrelang mit Samthandschuhen angefasst - man denke nur an die kirchlichen Kinderficker, die hartnäckig über Dekaden ignoriert wurden, weil sich niemand traute den Zorn der christlichen Glaubenswächter zu erregen.

Und wieso müssen hochproblematische Gestalten wie Mixa, Laun oder Overbeck, die öffentlich Hass verbreiten, in mittelalterlicher Unterwürfigkeit mit „Exzellenz“ und „Hochwürden“ angesprochen werden, wenn sie auf Anne Wills Sofa sitzen?

Und was ist mit all skandalösen Vorkommnissen, die wenig bis gar nicht in der Presse vorkommen?

Und was ist, wenn alle Zeitungen auf einmal das Gleiche schreiben, wie 2002/2003, als es absoluter Konsens war, daß nur die neoliberale Wirtschaftspolitik etwas tauge und Rot/Grün möglichst schnell durch die dynamische Reformerin Angela Merkel mit ihrem hoch-qualifizierten Turbo Guido Westerwelle abgelöst werden müsse?

Gegen Presse-Einheitsbrei wird eigentümlicher Weise dann protestiert, wenn es sich um mächtige Einzelpersonen handelt, die wie Grass („wir erleben eine Gleichschaltung der Presse“) oder Wulff („stehe in Stahlgewittern“) nicht ohne Grund eine geballte Ablehnungsfront erfahren.

Bei vielen anderen mehr oder weniger harmlosen Themen gibt es tatsächlich eine freiwillige Gleichschaltung der Presse.

So sind heiße Temperaturen und sommerliches Wetter IMMER und AUSSCHLIESSLICH ein Grund zum Jubeln. 
Daß es Millionen Pollenallergiker gibt, die schwer leiden, daß in Hitzeperioden Tausende in Altersheimen buchstäblich vertrocknen und daß die kardiologischen Abteilungen der Kliniken mit Massenansturm fertig werden müssen, stört niemanden.

Ebenso sind Sportereignisse, wie Olympiaden oder Fußball immer „ein Fest“ auf das wir uns alle freuen müssten.
Was ist mit all den Menschen, die Fußball für proletig und primitiv halten und sich die Pest über die Milliarden für die Übertragungsrechte ärgern?

Aktuelles Beispiel ist der 100. Geburtstag Axel Springers, der in allen Zeitungen rauf und runter dekliniert wird. 
Ein großer Mann, ein Visionär sei das gewesen. 
Außerdem ein Versöhner, der so nett zu Amerika und Israel gewesen wäre.

Pflichtschuldig wird zwar erwähnt, daß die BILD nicht wirklich für Qualität und Anstand stünde, aber darüber habe sich Axel Springer auch selbst geärgert.

Wer sich kritisch über den verstorbenen Ehemann der supermächtigen und superreichen Friede Springer äußert, wird aussortiert.

Das erlebte soeben die Journalisten-Ikone Wolf Schneider, 86, der einer der wenigen Verbliebenen ist, der konsequent auf Sprache und Stil achtet.
 Man könnte ihn als anerkanntesten Journalisten-Ausbilder zu Springer befragen. 
Man könnte ihn aber auch als ehemaligen Chefredakteur der Springer’schen „WELT“ interviewen. 
Man tat das auch. 

Aber die Antworten gefielen nicht.

Erst schnitt man ihn teils raus aus einer Arte-Dokumentation, sagt er, dann hakte es am Mittwoch beim Telefon-Interview mit Bayern2 (Radiowelt). Schneider kritisierte, Springer habe zwar Abwehr gegen Totalitarismus gepredigt, jedoch die Diktaturen von Franco (Spanien), Salazar (Portugal), Pinochet (Chile) und die der griechischen Obristen goutiert. Als Chefredakteur von Springers Welt sei er nach 13 Monaten 'gekegelt' worden, nachdem Kritisches über Franco und Pinochet erschien. 'Kurios' sei, dass Springers Diktaturenliebe nirgends vorkomme, woraufhin die Moderatorin durchatmete, stammelte und ein mutiges 'Das sagen Sie!' entgegen schleuderte.

Nein, Kritisches zu Axel C. Springer wird nicht in gesendet.