Donnerstag, 13. Februar 2025

Haltung und falsche Haltung

Die AfD, CDU und CSU im Glücksrausch, neun Tage vor der Bundestagswahl, über das schöne Wahlkampfgeschenk aus München, das sie nun genüsslich auswalzen: Einfach herrlich, wie man aus dem Leid anderer, seinen Honig saugen kann.

[….]  „Bild und Welt melden: Es war wieder ein Afghane. München. Wer die Grenzen nicht DICHT macht und diese Leute nicht abschiebt und weiter reinströmen lässt, an dessen Händen klebt das Blut der Opfer. [….] beten wir dafür, dass am 23.2. die Wende kommt! Wählt AfD. Setzt ein Zeichen: Es reicht!“ [….]

(Beatrix von Storch, Nazi-Enkelin, Nazi-Politikerin)

Einfach herrlich, wie man mit dem Leid anderer, von den größeren Problemen ablenken kann.

[…..]  „Deutschland erlebt einen widerwärtigen Anschlag nach dem nächsten und hat vor lauter Normalität die ganzen Messerangriffe, Gewaltdelikte & Sexualdelikte schon als „Tagesmeldung“ abgeheftet. Wieder war es vermutlich ein Mensch aus einem Asylhauptherkunftsland. Nach dem, was alleine ich die vergangene Woche an aggressiver Ignoranz, Diffamierung und Gleichgültigkeit beim Thema Migration & Kriminalität von Links erlebt habe, muss ich nochmal deutlich sagen. Deutschland kann sich keinen einzigen Tag mehr diese links-ideologische Politik leisten. Keinen einzigen Tag!“ [….]

(Manuel Ostermann, CDU, Polizeigewerkschaft)

Nun sind die Schleusen wieder offen, um noch xenophober und menschenfeindlicher zu reden. Friedrich Merz erregt die Vorstellung immer mehr, was er mit Alice und Tino treiben könnte. Nach verfassungs- und europarechtswidrigen Maßnahmen zu schreien, ist so viel einfacher, als dem Wahlvolk zu erklären, wieso bei dem neuerlichen Anschlag in Bayern, die Behörden des CSU-Staates wieder versagt haben. Vor neun Jahren kam der mutmaßliche Täter als 15-Jähriger unbegleiteter Flüchtling nach Bayern.

Aber wozu sich an die eigene Nase fassen, wenn man auch gegen Grüne und SPD hetzen kann? Wenn Wahlkampf ist und man ohnehin an keinerlei Lösungen, sondern nur Macht interessiert ist? Wenn man nun einmal rechtsextremen Überbietungswettkampf so exzellent beherrscht. Wenn man nichts lieber tut, als für die verfassungsfeindliche AfD zu werben.

[….] Was die Demonstrationen gegen den Rechtsruck zeigen, nennt man: Haltung [….] Auf den Straßen und Plätzen deutscher Städte konnte man in den vergangenen Wochen ein ganz anderes Bild von der Klugheit der Menschen gewinnen. Allein auf der Münchner Theresienwiese haben sich am Samstag 250 000 Menschen eingefunden. „Demokratie braucht dich!“ [….] Der Politikwissenschaftler Tarik Abou-Chadi, der in Oxford lehrt, hat jüngst im Fachportal Verfassungsblog über die viel diskutierte Frage geschrieben, ob die etablierten Parteien durch eine harte Migrationspolitik Stimmen von den Rechtspopulisten zurückgewinnen können. Indem sie also deren Themen kopieren. Sein Fazit: Die Forschung belege das genaue Gegenteil: „Jede Form der Zusammenarbeit führt zu einer stärkeren Normalisierung radikal rechter Parteien.“

Dass dies so ist, hat mit einem geradezu grotesken Mechanismus zu tun. Die Parteien der Mitte – beileibe nicht nur die CDU, sondern auch SPD und Grüne – fahren einen immer rigideren Kurs in Sachen Migration, in der Annahme, dass sie damit den Ängsten und Sorgen der Wählerschaft begegnen. Mehr Abschiebung, mehr Zurückweisung, mehr Grenzkontrollen – weil der Wähler es wolle.

Wissenschaftler haben jedoch herausgefunden, dass der Wille der Wähler maßgeblich von den Parteien mitbestimmt wird. „Das, was Parteien machen und sagen, hat einen starken Einfluss auf die Positionen und Prioritäten von Bürgern und Bürgerinnen“, schreibt Abou-Chadi. Dieser Mechanismus führt zu einer fatalen Rückkopplung: Die Politik macht, was die Wähler wollen. Und die Wähler wollen, was die Politik macht.

Eine Folge dieses Effekts ist: Je stärker die politische Mitte die Themen der radikalen Rechten aufgreift, desto mehr legitimiert sie deren Parteien. In Schweden fährt die liberalkonservative Partei Moderaterna gegenüber den rechtspopulistischen Schwedendemokraten einen Kurs der Kooperation. Einer Studie zufolge werden die schwedischen Populisten inzwischen von den Bürgern als deutlich „normaler“ wahrgenommen als die AfD in Deutschland, die, jedenfalls bisher, noch hinter der Brandmauer wohnt. Und nachdem die rechtsliberale VVD in den Niederlanden eine Zusammenarbeit mit der radikal rechten PVV von Geert Wilders nicht mehr ausgeschlossen hatte, wurde sie von dieser bei den Wahlen überholt. [….]

(Wolfgang Janisch, 12.02.2024)

Diese „Haltung“ wird man bei C-Politikern nicht mehr finden. Sie stirbt generell aus; findet sich aber noch gelegentlich in der Zivilgesellschaft. Zum Beispiel in Gestalt von Marina Weisband, der 1987 in Kiew geborenen jüdischen Ukrainerin, die 1994, als Siebenjährige mit ihren Eltern im Zuge der Regelung für jüdische Kontingentflüchtlinge nach Wuppertal zog und heute als Psychologin, Publizistin, Autorin und Grünen-Politikerin wirkt.

Sie wurde gestern von der Didacta zur Bildungsbotschafterin 2025 gekürt; eine große Ehre, die sie nicht annahm.

[….] Kaum eine Nachricht hat mich so sehr gefreut, wie hier als Bildungsbotschafterin ausgezeichnet zu werden. Ich arbeite seit über einem Jahrzehnt mit großer Leidenschaft für Demokratiebildung und werde dem auch den Rest meines Lebens widmen. Umso mehr enttäuscht mich, dass diese Auszeichnung überschattet wird davon, dass sie sich nun wie ein Deckmantel der Normalität anfühlt für einen ungeheuerlichen Vorgang.

Die Didacta hat sich unfreiwillig zum Brennglas für die Frage gemacht, ob demokratiefeindliche Akteure einen Platz haben auf einer Fachmesse mit dem Motto Demokratiebildung. Und ich kann nicht anders, als hier fest auf einer Seite zu stehen: Nein, haben sie nicht.   Ich kämpfe für eine Schulkultur der Selbstwirksamkeit. Für Inklusion, Vielfalt, Neugier, den Glauben an jedes einzelne Kind, an jeden einzelnen Menschen. Die AfD kämpft gegen Gesamtschulen, gegen Inklusion, gegen Lehrkräfte, die nicht auf Linie sind. Sie spricht Menschen je nach Geburt verschiedenen Anspruch auf Würde zu. Sie stellt Menschen vor existenzielle Fragen. Gehen oder bleiben? Sind wir hier noch willkommen? Schüler mit Migrationshintergrund. Mich! Und das müssen wir NICHT aushalten. Diese Partei will nämlich keine demokratische Debatte über diese Fragen. Sie will den Debattierclub anzünden.

Weil ich mich seit Jahren mit Demokratiebildung beschäftige, kann ich hier eine Erkenntnis teilen: Demokratie stirbt nicht plötzlich. Vielmehr werden ihre Feinde Schritt für Schritt normalisiert, bis ihr Ende wie der nächste kleine Schritt in einer logischen Kette erscheint. Heute kann ich hier nicht stehen und bei dieser Normalisierung mitspielen.

Es ist meine demokratische, meine verfassungsmäßige Pflicht, dagegen aufzubegehren. Darum lehne ich diesen Preis ab. Mit großem Bedauern. Das mir wichtig als Signal an alle, die planen, diese Partei als normale Partei zu behandeln. [….]

Noch gibt es Applaus für Haltung.

[….] Weisbands Rede wurde vom Publikum mit stehenden Ovationen gefeiert.

[….] Baden-Württembergs Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) hatte sich bei der Eröffnung der Messe dafür ausgesprochen, der AfD nicht zu viel Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. »Wir brauchen diese Partei nicht«, sagte Schopper. Man müsse genau unter die Lupe nehmen, was die Partei fordere und sie inhaltlich »an den Hörnern packen«.

[….] Manche Aussteller sehen das anders. So blieben mehrere Stände aus Protest gegen die AfD-Teilnahme unbesetzt. An einem der Stände hing ein großes Poster. »Sie sind enttäuscht? Wir auch«, schreibt dort eine Ausstellerin und erläutert ihre Motivation, »durch meine Abwesenheit zu demonstrieren«. Auch Robert Reuther, Geschäftsführer des Dresdner Bildungs-Start-ups »45minuten«, das Unterrichtsmaterial von Lehrkräften für Lehrkräfte vermittelt, hatte bereits im Vorfeld klargemacht, dass sein Unternehmen in Stuttgart nicht dabei sein werde: »Wir zeigen Haltung – auch, wenn’s wehtut.« [….]

(SPON, 13.02.2025)

Aber Merz, Söder, Aiwanger, Wagenknecht, Lindner und die Nazis arbeiten eifrig an einem Agendasetting, welches den noch vorhandenen Rest-Anstand ausmerzt.