Sonntag, 3. April 2022

Danke, Olaf Scholz

Wladimir Klitschko stellt klar, für ihn sei Wladimir Putin „klar krank“.

Damit folgt Wladimir seinem Bruder Vitali, der schon 2014 zur Krim-Krise festhielt „Putin ist krank!“

Wladimir Kaminer sagt im ZEIT-Podcast über Wladimir Putin, er könne den Satz "Putin ist verrückt" nicht mehr hören.

Der in Moskau lehrende Ökonom Vla­dis­lav Ino­zem­tsev untersucht, wie Putin verrückt werden konnte.

[…]  Vor dem Krieg waren die meisten Exper­ten, dar­un­ter auch ich, der Ansicht, dass Putin die Ukraine nicht angrei­fen wird, ent­we­der weil er nicht über die not­wen­di­gen stra­te­gi­schen Kräfte verfügt, um das gesamte Land zu beset­zen, oder weil eine mög­li­che mili­tä­ri­sche Nie­der­lage seine Macht zu Hause gefähr­det. Der Beginn der rus­si­schen Offen­sive hat viele Men­schen zu der Annahme ver­an­lasst, dass Putin wahn­sin­nig gewor­den ist und den Sinn für die Rea­li­tät ver­lo­ren hat. Die dama­lige Bun­des­kanz­le­rin Angela Merkel erklärte bereits 2014, dass der rus­si­sche Staats­chef „in einer anderen Welt“ lebt.  Wie konnte das pas­sie­ren? Ich würde dafür drei Haupt­fak­to­ren nennen.  Putin als Opfer seiner eigenen Propaganda[…]  Putin hat sich im Westen getäuscht. […]  Die Put­in­sche Macht­ver­ti­kale funk­tio­niert nicht mehr. […]  

 (Vla­dis­lav Ino­zem­tsev, 20.0.2022)

Der berühmte britische Historiker Ian Kershaw hält die Frage nach Putins Geisteszustand für nicht entscheidend. Denn wäre er es, wären wir im Westen offenkundig auch verrückt, indem wir seit vielen Jahren tumb alle Zeichen ignorieren.

[…..] Es ist nicht so, dass der Westen keine Warnsignale erhalten hätte, wie brutal Putins Regime auf eine vermeintliche Bedrohung reagiert, wie paranoid sein Blick auf die Nato ist und wie er über die Hinwendung der Ukraine zur EU und zur Nato denkt. Fügt man noch die Annahme des Kremls hinzu, dass Russland von westlichen Sanktionen nichts zu befürchten habe, ist der Hintergrund der Invasion so gut wie vollständig.   [….] Zwischen 2004 und 2014 hatte sich die bloße Existenz einer unabhängigen Ukraine in Putins Gedanken immer mehr zu einer Obsession entwickelt. Und seit 2014 waren die Beziehungen der Ukraine zur Nato und zur EU eher enger geworden. Da der Westen die Coronapandemie immer noch nicht ganz hinter sich gelassen und im Debakel in Afghanistan seine Schwäche offenbart hatte, muss Putin geglaubt haben, dass er keine bessere Gelegenheit bekommen würde, das Ukraineproblem relativ unbeschadet zu lösen.  Keiner der vom Putin-Regime gegebenen Hinweise auf eine Gefahr für den Weltfrieden ließ den Westen von seinen engen Wirtschaftsbeziehungen zu Russland abrücken. Europäische Länder – insbesondere Deutschland – haben zugelassen, dass sie von russischem Gas abhängig wurden. Unterdessen kauften russische Oligarchen derart viele Immobilien in London, dass die Stadt den Spitznamen Londongrad erhielt. Sie ist so etwas wie die Geldwaschanlage der unvorstellbar reichen russischen Elite, die zum Teil Putin nahesteht. Russisches Geld floss in die Kasse der Konservativen Partei und in den Besitz von Zeitungen und führenden englischen Fußballklubs. […..]

(Ian Kershaw, 13.0.2022)

Ich sage nach wie vor, daß Ferndiagnosen über Putins Geisteszustand unseriös sind und kann nicht beantworten, wie rational der Kreml-Herrscher denkt.

Unglücklicherweise sind unter den Herrschern von Groß- und Supermächten immer mal wieder Verrückte. Der mächtigste Mann der Welt vom Januar 2017 bis Januar 2021 ist definitiv geisteskrank. Im Fall Trump gibt es genug Belege.

In Deutschland, das in seiner Geschichte von vielen echten Spinnern (Otto I., Ludwig II., Wilhelm II., Hitler) regiert wurde, glauben offenbar viele Menschen, ein Irrer wäre automatisch auch als Führer illegitim. Gaddafi, Saddam, Kim Jong-Un, Putin – alle irre? Trump, Johnson? Vielleicht sind die alle geisteskrank, aber sie sind/waren die legitimen Regierungschefs, mit denen wir umgehen müssen, weil wir uns nun einmal nicht aussuchen können, wer in einem anderen Land regiert.

 Mich irritiert aber sehr, daß die bellizistische Fraktion Deutschlands, die Putin für „völlig durchgeknallt“ hält und nun wie der ebenfalls offensichtlich dem Wahnsinn anheimgefallene Ukrainische Botschafter Melnyk „all in“ gehen wollen, um am liebsten mit der NATO die russischen Truppen aus der Ukraine vertreiben wollen, so sicher sind, der eben noch als „krank und durchgeknallt“ eingestufte Putin, würde vollkommen rational auf militärischen Druck reagieren. Gegenüber genügend NATO-Feuerkraft würde er sich wie ein Gentleman zurückziehen und keineswegs zu „kranken und durchgeknallten“ Methoden wie A-, B- oder C-Waffen greifen.

Ich kenne Putin nicht persönlich und weiß nicht, ob er „irre“ ist. Aber wäre er es, handelte er so irrational, daß ihm die Folgen seiner Taten nicht interessierten, haben wir alle schon verloren.

Denn dann sind alle Sanktionen, alle wirtschaftliche Maßnahmen und alle Waffenlieferungen zum Scheitern verurteilt, weil man einen Irren, der über tausende Atomsprengköpfe gebietet, nicht aufhalten kann. Eine Niederlage der russischen Truppen in der Ukraine, würde dann unweigerlich in einen Weltkrieg münden.

Ich hoffe also, daß Putin nicht „irre“ und nicht „krank“ ist.

Gegen diese Theorie spricht seine durchaus raffinierte Vorbereitung. Dem wirtschaftlich angeblich so schwachen Russland ist etwas gelungen, von dem USA und EU nur träumen können: es manövrierte China eiskalt aus.

[….]  Die chinesische Führung hat seit Kriegsbeginn klargestellt, dass sie sich nicht von Russland abwenden wird. Druck erscheint daher in der Tat wenig erfolgversprechend.  […..]  China stehe vor einem nicht aufzulösenden Dilemma, sagt der frühere Spitzendiplomat Bilahari Kausikan aus Singapur. Um sich auf seinen Hauptgegner USA konzentrieren zu können, würde eigentlich naheliegen, dass Peking die Beziehungen zu den Europäern zu retten versuche. Doch die Position gegenüber Russland verhindere das. »China hat keine guten Optionen«, schreibt Kausikan.  In diese Situation hat sich die Führung selbst gebracht. Beim Besuch Putins in Peking am 4. Februar verabschiedeten er und Xi Jinping eine gemeinsame Erklärung, die als Gründungsdokument einer autoritären Entente verstanden werden kann. Beide Länder wenden sich darin gegen US-geführte Militärbündnisse in ihrer Nachbarschaft. Die Analystin Yun Sun vom US-Thinktank Stimson Center vermutet, dass Putin den Chinesen damit ausmanövriert habe: Wegen der gemeinsamen Erklärung könne China sich jetzt nicht von Russland abwenden. […..]

(DER SPIEGEL Nr.14, 02.04.2022, s.30f.)

Russland ist auch keineswegs so isoliert, wie es USA und EU gern hätten. Auch die Atom-Macht Indien stellt sich nicht gegen Russland. Hinzukommen 30 (von Putin erfolgreich umgarnte) afrikanische Staaten und zahlreiche Nahost-Monarchien. Die wirtschaftlich mächtigen Asean-Staaten verurteilen zwar offiziell gemeinsam mit dem Westen den Ukraine-Krieg, aber Japan, Indonesien, Südkorea und Co beteiligen sich nicht an Sanktionen gegen Russland.

[….] Die Golfstaaten, von den Energiesorgen des Westens wie beschwingt, halten Europa und den USA in der Ukrainekrise eine doppelte Moral vor. »Ich sehe hier absolut keinen Unterschied zwischen George W. Bushs Invasion im Irak 2003 und Putins Invasion in der Ukraine«, sagt der saudi-arabische Politologe Mansour Almarzoqi. »Riad ist nicht Teil dieses Konflikts und will nicht Teil dieses Konflikts werden.«  Auch wenn sie seit jener Sicherheitsrats-Entscheidung Ende Februar mit dem Westen gestimmt haben – als Brüder im Geiste sollten Europas und Amerikas Politiker die Herrscher am Golf nicht missverstehen. Putin genießt in der arabischen Welt durchaus Sympathien. Und die USA werden noch immer von vielen in der Region als Feind betrachtet, wegen der Invasionen im Irak und in Afghanistan, des Drohnenkriegs und der Ereignisse im Foltergefängnis Abu Ghraib. In konservativen Kreisen steht Putin mit seiner Verachtung für Genderpolitik und Schwulenehe auch für die Ablehnung von Individualismus, Säkularismus und Lebensformen, die aus dieser Sicht für den vermeintlichen Werteverfall des Westens verantwortlich sind.  Und wie in Indien und Südafrika investiert Russland auch im arabischen Raum gezielt in die sozialen Medien und hat damit Erfolg. Was im von Kriegen und Bürgerkriegen heimgesuchten Nahen Osten grundsätzlich gut funktioniert, sind Debatten, die vom Leid der Menschen in der Ukraine ablenken, indem gefragt wird: Aber was ist mit dem Jemen? Was mit Palästina? Das Gefühl, dass weiße und europäische Menschenleben mehr zählen als arabische, ist in der Region nicht zu Unrecht weitverbreitet.   Es grassieren aber auch Fake News und Verschwörungstheorien. Vor allem verfängt russische Propaganda in Kreisen, die sich ohnehin als Teil des antiamerikanischen Lagers verstehen. Das sind allen voran Iran und dessen Verbündete: die Hisbollah im Libanon, die Huthi-Miliz im Jemen und das syrische Regime, das direkt von Moskau unterstützt wird. So sieht man in Damaskus oder in den Vororten Beiruts, wo die Hisbollah stark ist, inzwischen auch Putin-Porträts neben jenen des Hisbollah-Anführers Nasrallah oder des syrischen Präsidenten Assad.  [….]

(DER SPIEGEL Nr.14, 02.04.2022, s. 83)

Diese geopolitischen Vorbereitungen sprechen für eine gar nicht irre, sondern rationale geostrategische Planung Putins.

Das sieht nach einem Mann aus, der nicht blindlings losschlägt, sondern genau kalkuliert.

Aber dann sind da wiederum die Bilder von heute aus Butscha. Die russische Armee zieht sich aus der Kiewer Gegend zurück und hinterlässt Berge von ermordeten Zivilisten.

[….]"21.57 Uhr: Russland will angesichts des Vorwurfs von Kriegsverbrechen im ukrainischen Butscha für Montag eine Sitzung des Uno-Sicherheitsrats einberufen. Das schreibt der Vertreter Russlands bei den Uno, Dmitri Polanski, auf der Plattform Telegram. Bei der Sitzung solle über die »Provokation von ukrainischen Radikalen« diskutiert werden."  [….]

(SPIEGEL Live-Ticker, 03.04.2022)


Das kann Putin nur schwer schaden und wird die letzten Zweifler in Europa mobilisieren.

Wer jetzt noch gegen Waffenlieferungen, auch schwere Waffen für die Ukraine positioniert, erleidet gerade schwer Shitstorms.

In dieser Situation sehe ich schwarz und zwar dunkelschwarz.

Es könnte allerdings auch noch schwärzer, nämlich vantablack sein, wenn der aggressive Dampfplauderer Friedrich Merz oder der unstete Markus Söder oder der intellektuell hoffnungslos überforderte Armin Laschet Bundeskanzler wären.

Ich bin froh, mit Olaf Scholz einen Kanzler zu haben, dem seine extreme Rationalität nicht abzusprechen ist, der nicht aus der Hüfte schießend irgendetwas anordnet, das er nicht vorher gründlich durchdacht hat, der sich nicht vom irren Melnyk treiben lässt.