Sonntag, 5. Oktober 2014

Negativparadebeispiel

Seit Monaten verschärft sich der Ton zwischen der extrem Russland-kritischen Majorität der deutschen Medien und einer wachsenden Gruppe von Misstrauischen, die Objektivität einklagen.

Die Facebookgruppe der überzeugten Putinisten wird geradezu von neuen Mitgliedern überschwemmt. „Leider“ kann ich keine Interna mehr ausplaudern, da ich aus der Gruppe gelöscht wurde, nachdem ich dazu aufrief sich doch bitte zukünftig auf seriöse Quellen zu beschränken, da man dem eigenen Anliegen nur schade, wenn auf Wirrköpfe wie Eva Herman und Jürgen Elsässer Bezug genommen werde. (OK, daß Elsässer selbst einer der Gruppenadministratoren ist, half meiner Bitte vermutlich nicht weiter…)

Das ist genau das Problem an der Kritik der Russland-Kritik: Es mischen sich zu viele Torfköpfe und Verschwörungstheoretiker darunter.
So kann man nicht ernst genommen werden, wenn man in einer Schublade mit Herman und Naidoo sitzt.

Dabei ist ein objektiver Blick nötiger denn je.
Denn tatsächlich produzieren die Dinosaurier unter den Leitmedien, also Tagesthemen, Heute, SPIEGEL und Co, zu viele Fehler.

In den vergangenen Tagen wurde viel darüber diskutiert, ob die öffentlich-rechtlichen Sender eine ausgewogene Berichterstattung über den Konflikt in der Ost-Ukraine geliefert hätten, oder ob sie "tendenziös" gewesen sei. In einem Punkt räumt die ARD nun einen klaren Fehler ein: Es geht um einen Beitrag in den "Tagesthemen" vom 20. Mai, in dem Moskau-Korrespondent Udo Lielischkies unter anderem über den Tod zweier Anwohner in Krasnoarmeysk im Osten der Ukraine berichtet hatte. Diese seien durch die "Kugeln der neuen Machthaber" gestorben, hieß es damals - was offenbar nicht der Wahrheit entsprach, wie sich nach einem Hinweis eines Zuschauers herausstellte. Tatsächlich war es genau andersherum.
"Die erneute Sichtung des gesamten Filmmaterials und nochmalige Überprüfung der Fakten durch den ARD-Korrespondenten haben ergeben, dass die tödlichen Schüsse seinerzeit der falschen Seite zugeordnet wurden. Richtig ist, dass die Schützen einem ukrainischen Freiwilligen-Bataillon zuzuordnen sind, also nicht den Separatisten", heißt es in der Mitteilung der ARD.

[…]  Mit dem gestern Abend erschienenen Artikel „Putins langer Arm reicht bis in Gremien der ARD“ übertrifft Springers WELT jedoch die schlimmsten Vorahnungen, wie weit die Agitation in den deutschen Medien überhaupt gehen kann. WELT-Redakteur Ulrich Clauß dreht darin am ganz großen Rad und vergleicht die Kritik des Programmbeirats sogar mit den „stalinistischen Geheimprozessen“. Wer heutzutage noch alle Sinne beisammen hat und die einseitige Berichterstattung der großen Medien kritisiert, ist somit nicht nur ein „Putin-Versteher“ oder „Kreml-Troll“, sondern sogar ein Handlanger Stalins. Geht es nicht noch dümmer? […] „Ein Dolchstoß aus den eigenen Reihen“ sei die Kritik des Programmbeirats. Die Zuschauer, die sich über die einseitige Berichterstattung beschwert haben, gehörten „ganz offensichtlich koordinierten Protestwellen“ an. Von wem sollen sie denn koordiniert worden sein? Klar, von Putin! […] Doch bei einfacher Publikumsbeschimpfung belässt es die WELT nicht. Der ARD-Programmbeirat sei – so Ulrich Clauß – „die Fünfte Medienkolonne“. Nun muss man wissen, was dieser Begriff eigentlich aussagt. Als „Fünfte Kolonne“ werden allgemein subversiv tätige Gruppen bezeichnet, deren Ziel der Umsturz einer bestehenden Ordnung im Interesse einer fremden aggressiven Macht ist. So, so, der Programmbeirat der ARD arbeitet also subversiv und hat das Interesse die Ordnung Deutschlands zu stören – sicher im Auftrag Putins. Wenn das die honorigen Damen und Herren wüssten, die ja immerhin von den ebenfalls honorigen Rundfunkräten der ARD-Landesfunkanstalten aus ihrer Mitte entsandt wurden. Sie würden Herrn Clauß wahrscheinlich eine stationäre Behandlung in einer Nervenklinik anraten. […]

Viele Teile „der Medien“ müssen sich vorhalten lassen nicht mehr zwischen Meinung und Berichten zu trennen. Völlig verschiedene Begriffe wie „Russland“, „Putin“ oder „Kreml“ werden fahrlässig synonymisiert.
Sie geben den „Fakten“ oft einen russophoben Spin mit und bewerten die Seriosität der Quellen höchst unzureichend.
So werden die Verlautbarungen der Kiewer Regierung stets als Fakten präsentiert, während Meldungen aus dem Kreml grundsätzlich misstraut wird.
Dabei hat Kiew längst – man denke nur an die Behauptung des Ukrainischen Verteidigungsministers Russland habe Atomwaffen eingesetzt – seinen Ruf ruiniert.

Wir sollten uns die Worte der Russland-Expertin und Professorin für TV- und Medienwissenschaft Gabriele Krone-Schmalz zu Herzen nehmen.

[…]Frage: Was stört Sie konkret an der Berichterstattung?

Krone-Schmalz: Zunächst einmal die unpräzise Sprache. Gerade in der Fernsehberichterstattung treten verbale Schlampigkeiten auf, mit denen Vorurteile bedient werden. Es gibt beispielsweise einen Unterschied zwischen Europa und der Europäischen Union. Doch in der Berichterstattung über den Streit der EU mit Russland werden die beiden Begriffe pausenlos durcheinandergeworfen. Dann ist häufig nicht von prorussischen, sondern von russischen Separatisten die Rede. Und schließlich kommen in der Berichterstattung permanent Worte wie „wohl“, „vermutlich“ oder „wahrscheinlich“ vor, die darin nichts zu suchen haben. Es wird mehr gemutmaßt als berichtet. Dabei haben Journalisten genug damit zu tun, vorhandene Dinge zu beschreiben und zu analysieren. Die Medien sollen Politik erklären und keine machen wollen.

Frage: Tenor der meisten deutschen Medien ist: Russland trägt die alleinige Verantwortung für die Ukraine-Krise und deren Eskalation. Hat nicht auch die EU Fehler gemacht?

Krone-Schmalz: Auch ist gut! Die EU hat die Krise ausgelöst. Wie blind müssen politische Verantwortungsträger sein, um nicht zu sehen, dass ein EU-Assoziierungs-Abkommen mit der Ukraine auch Russland betrifft? Solch ein schwieriges Problem durfte nicht, wie geschehen, konfrontativ angegangen werden. Es gab die Idee, Brüssel, Kiew und Moskau an einen Tisch zu setzen, um über das Abkommen zu reden. Doch diese Idee hat sich in der EU nicht durchgesetzt, weil entscheidende Politiker gesagt haben: „Was hat Moskau damit zu tun?“

Frage: Wer solch eine Kritik äußert, wird inzwischen als „Putin-Versteher“ umgehend in die Ecke gestellt. Können Sie mit dem Vorwurf leben?

Krone-Schmalz: Natürlich. Ich frage mich nur: Was ist in einer Gesellschaft los, wenn der Begriff „verstehen“ dazu taugt, etwas Negatives auszudrücken? Wer eine vernünftige Entscheidung treffen will, muss zuerst verstehen und begreifen. Nein, das Wort „Putin-Versteher“ ist einfach abartig und dumm.

Frage: Sie können also die Handlungsweise des russischen Präsidenten Wladimir Putin verstehen?

Krone-Schmalz: Warum fragen Sie nur nach Putin? Gegenüber keinem anderen Land personalisieren wir die politischen Entscheidungen einer Regierung so stark wie gegenüber Russland. Sich völlig auf Putin zu fokussieren, halte ich für einen Fehler.

Frage: Dann stelle ich die Frage anders: Was können Sie an der russischen Position nachvollziehen?

Krone-Schmalz: Wir müssen sehen, was sich in Russland seit dem Zerfall der Sowjetunion abgespielt hat und was den Menschen dort zugemutet wurde. Der Westen hat das Land in den vergangenen beiden Jahrzehnten aber nur als Konkursmasse behandelt und nicht als Partner. Die russische Seite hat in dieser Zeit ein Signal nach dem anderen Richtung Westen geschickt und um Zusammenarbeit geworben. Doch bei uns ist kein Mensch darauf eingegangen. Heute rächt sich das. Und schon heißt es wieder: Siehst Du, den Russen kann man einfach nicht trauen.  […]

Ein perfektes Beispiel für eine niederträchtige antijournalistische Arbeit fand sich am Tag der deutschen Einheit im Hamburger Abendblatt.
„Meine“ lokale Tageszeitung (Auflage ~ 180.000) konnotiere ich immer noch mit SPRINGER, aber tatsächlich gehört das „HH Abla“ seit Mai dieses Jahres zur Funke-Mediengruppe, also dem alten rechtsliberalen WAZ-Konzern.
Der Autor, um den es heute geht, erinnert von seinem Namen an die Zschäpe-Verteidiger: Daniel Friedrich Sturm, 41.
(Mit dem unsachlichen Hinweis auf die Namensähnlichkeit, greife ich schon mal auf eine typische Sturm-Methode vor.)
Daniel Friedrich Sturm kennt Ihr nicht?
Macht nichts, dazu weiß Wikipedia mehr:

Nach seiner Schulzeit studierte Sturm Politikwissenschaft, Osteuropäische Geschichte und Volkskunde an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, wo er Mitglied der Studentenverbindung Bonner Wingolf war. Sturm schreibt Artikel für die deutsche Zeitung „Die Welt“. Er ist Politikredakteur der Welt, der Welt am Sonntag und der Berliner Morgenpost.
[…] Sturms Vater Erdmann Sturm war Hochschullehrer am Institut für Evangelische Theologie und ihre Didaktik der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster. Sein Bruder Johannes Gerhard Sturm (* 1981) ist seit 2012 persönlicher Referent von Bundespräsident Joachim Gauck.
(Wikipedia)

Auch Sippenhaft ist kein Tammoxsches Kriterium, aber daß Sturms Bruder Gaucks Referent ist, spielt im Folgenden doch eine Rolle.

Abla-Sturm berichtet im Politikteil über einen "Russlandtag" in Rostock-Warnemünde. Zugegen sind weitgehend Wirtschaftsvertreter, der Schweriner Ministerpräsident Sellering, Gerhard Schröder und der russische Botschafter in Berlin Wladimir Grinin.

Es handelt sich um einen der normalsten Vorgänge der Welt. Die ostdeutsche Regionalwirtschaft ist vielfach mit der Russischen verquickt. Durch die Ostseehäfen und russische Beteiligungen an ostdeutschen Werften, die tausende Arbeitsplätze retteten, ist man stärker als andere Bundesländer von den Westlichen Sanktionen betroffen.
Es bestehen seit Jahrzehnten enge Beziehungen zwischen russischen und deutschen Unternehmern. Nun stehen sehr viele Arbeitsplätze auf dem Spiel.
Es ist nicht nur üblich, sondern sogar absolut zwingend, daß sich der MP in diesem Forum engagiert und man muß Gerd Schröder dankbar dafür sein, daß er sich durch seine russischen Kontakte für die deutsche Wirtschaft einsetzen kann.
Ich war schon immer der Meinung, daß Schröder die Bitte der russischen Regierung sich in bilateralen Unternehmen zu engagieren gar nicht ablehnen konnte. In der aktuellen Zeit der Sprachlosigkeit, in der EU und Gauck dafür plädieren die Gesprächsfäden nach Russland zu cutten, sind Schröders Einflussmöglichkeiten sogar doppelt wertvoll.
Statt nun aber neutral über die Probleme der ostdeutschen Wirtschaft zu berichten und zu referieren, welche Vorschläge um aus der Krise zu kommen, entwickelt wurden, läßt Sturm in jedem zweiten Satz seinen ätzenden Spott zwischen den Zeilen erkennen. Er verachtet Russland, Schröder und Sellering zutiefst. Sein ganzer Artikel ist eine einzige Despektierlichkeit und trieft nur so von Missgunst.
Mit Journalismus hat das nichts mehr zu tun.

Beispiele:

Diesmal ist es nicht Wladimir Putin, sondern Aleksander Jurjewitsch Drosdenko, den Gerhard Schröder umarmt. Drosdenko ist der Gouverneur des Leningrader Gebietes. […] Mit der Brechstange muß die ungute Konnotation mit dem gar nicht anwesenden Putin hinein.
Man tagt im Hotel Neptun, in dem zu DDR-Zeiten die Stasi Regiment führte. […] Assoziation Stasi und DDR darf auch nicht fehlen, dabei geht es nur um das Tagungsgebäude.
Es wird viel geklagt an diesem Tag, im Publikum wie auf dem Podium. Despektierlicher Hinweis auf die angeblichen „Jammer-Ossis“
Doch dieser Unmut bezieht sich nicht etwa auf die russische Aggression in der Ukraine, die Besetzung der Krim oder Putins Reformunfähigkeit – nein, bemängelt werden stattdessen die Reaktionen des Westens, vor allem die Sanktionen. Die hauptsächlich aus russischer Bevölkerung bestehende Krim führte einen Volksentscheid durch und trat freiwillig Russland bei, nachdem die von Faschisten getragene Kiewer Regierung ihnen verboten hatte Russisch zu sprechen. Sturmsche Kampfbegriffe haben hier nichts zu suchen.
Die Gäste des Russlandtages erregen sich über "Frau Merkel und unseren
Ober-Popen" (womit der Bundespräsident gemeint ist). […] Vermutlich stammen die unerhört russlandfeindlichen Sprüche Gaucks aus der Feder von Sturms Bruder.
Von einer "Veranstaltung in schwierigen Zeiten" spricht Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD), […] Der Ukraine-Konflikt und die vom Westen verhängten Sanktionen stören also die (bescheidene) Wirtschaftskraft Mecklenburg-Vorpommerns. Sturms ganze Verachtung kommt in dem unpassend eingefügten Wort „bescheidene“ zum Vorschein.
[…] Für das gesamte Jahr drohten Einbußen von 25 Prozent, sagt Grinin. Nur während der Finanzkrise war alles noch schlimmer. Grinin präsentiert viele Zahlen, seine Ursachenanalyse ist dafür umso unterkomplexer.
Unterkomplex ist in Wahrheit nur Sturms völlig einseitige Schuldzuweisung.
"Wir müssen noch einmal nachdenken", sagt Grinin: "Brauchen wir das wirklich?" Seine Frage aber bezieht er nicht auf die annektierte Krim oder Putins Propaganda-Projekt Neurussland, sondern auf die von EU und USA verhängten Sanktionen: "Wir wollen diese Spiele nicht haben."
Die Krim wurde eben NICHT annektiert.
Ganz in altem Sowjet-Stil präsentiert Schröders Kumpel Drosdenko Zahlenreihen. […] Und wieder bemüht Sturm antisowjetische Feindbilder –ein Vierteljahrhundert nach dem Ende des Kommunismus in Russland.
Ein zustimmendes Raunen geht durch den Saal, als Schröder sich über den "Kampfbegriff" des "Russland-Verstehers" mokiert.
Unpassende Anführungszeichen – Das IST ein Kampfbegriff.
Er diskreditiere alle, die differenzieren, sagt Schröder: "Ich stehe dazu, dass ich Russland, seine Menschen, seine politische Führung verstehen will. Ich schäme mich nicht dafür, im Gegenteil: Ich bin stolz darauf." Donnernder Applaus. […]
Vorsichtige kritische Worte gegenüber Russland lässt Schröder nur fallen, wenn es um den Handel geht. […] Es ist ja schließlich auch eine Veranstaltung von Handeltreibenden auf Bundesländerebene.
 Menschen- und Bürgerrechte? Diese Begriffe fallen nicht. Sie sind ebenso tabu, wie während des gesamten Vormittages nicht einmal das Wort Krim zu hören ist, weder der Ortsname Donezk noch der Begriff malayisches Passagierflugzeug. […]
Bürgerrechte werden immer ausgepackt, wenn es gerade in die Argumentation passt. Wäre Sturm konsequent, könnten wir den Handel mit dem gesamten Nahen Osten und China beenden. Im Übrigens weiß kein Mensch, wer das Flugzeug abgeschossen hat. Es ist allerdings ziemlich sicher, daß es nicht Putin oder „die Russen“ waren.