Das
Heucheln nervt immer so sehr.
Die
Double Standards.
Wie
Schäuble und Merkel mit ihrer „Gürtel-enger-schnallen“-Rhetorik in Brüssel
auftreten, das Hohelied vom Sparen singen und dabei natürlich nicht erwähnen,
daß Deutschland in der problematischen Finanzkrisensituation von 2008 genau das Gegenteil tat:
Massiv Schulden machen und mit zig Milliarden schweren Investitionsprogrammen (zB Abwrackprämie) die staatliche Nachfrage ankurbeln.
Massiv Schulden machen und mit zig Milliarden schweren Investitionsprogrammen (zB Abwrackprämie) die staatliche Nachfrage ankurbeln.
Griechenland
wird nun aufoktroyiert den gesamten staatlichen Besitz zu verscherbeln –
Energieunternehmen, Müllabfuhr, Piräus – alles soll privatisiert werden.
Zu Hause
in Deutschland hat man erkannt, daß das genau falsch ist und überall nehmen
Kommunen große Anstrengungen auf sich, um einst verstaatlichte Kraftwerke,
Netzbetreiber oder Krankenhäuser zurück zu kaufen.
Genauso sieht
es mit der Russlandpolitik aus.
Heucheln
und Double Standards.
Penibel
wird von Russland die Einhaltung aller Menschenrechte eingefordert, während
Gauck und Merkel fröhlich mit den China und Saudi Arabien kuscheln, die beide sehr
viel extremere Menschenrechtsverstöße als Russland auf dem Kerbholz haben.
Sogar
Amerika ist in vieler Hinsicht schlimmer als Russland: Die USA spionieren
Regierung und Wirtschaft aus. Führen illegale Folterlager in aller Welt, töten
tausende Menschen durch völkerrechtswidrige Drohnenattacken, bestehen als
einziges westliches Land auf der bestialischen Todesstrafe.
Wenn
Willy Brandt, Egon Bahr, Walter Scheel und Helmut Schmidt solche Maßstäbe an
Russland angesetzt hätten, wäre es vielleicht nie zu einer Aussöhnung und zum
Mauerfall gekommen.
Mit
Sicherheit hätte man dann aber keine Gesandten mit dieser DDR ausgetauscht, in
der eine gewisse Angela M. wohnte.
Wie den Streit mit
Russland schlichten? Michail Gorbatschow und SPD-Legende Egon Bahr verlangen:
Berlin muss auf Moskau zugehen - und nicht ständig die mangelnde Demokratie
geißeln. Das mache man bei China ja auch nicht.
Das Bündnis für
versöhnliche Töne gegenüber Russland ist breit an diesem Dienstagabend,
Parteigrenzen zählen nicht. Das zeigt schon die Sitzordnung im Atrium des
Moskauer Hotels Kempinski: Da sitzt etwa CSU-Mann Peter Gauweiler neben Antje
Vollmer von den Grünen. Sie sind zu einer Buchvorstellung nach Moskau gereist.
Wilfried Scharnagl, lange Chefredakteur der CSU-Parteizeitung "Bayernkurier"
und Vertrauter von Franz Josef Strauß, hat es geschrieben.
"Am Abgrund"
wirbt für mehr Verständnis für die Politik des Kreml in der Ukrainekrise. Im
Mittelpunkt aber steht an diesem Tag in Wahrheit ein anderer: SPD-Legende Egon
Bahr, 93 Jahre alt, und vor mehr als vier Jahrzehnten mitverantwortlich für
Kanzler Willy Brandts Entspannungskurs gegenüber der Sowjetunion.
Es habe damals
"weder in Washington noch in Bonn Illusionen über die Sowjetunion gegeben,
eine Demokratie war das nicht", sagt Bahr. So sollte man es wieder halten,
soll das heißen: pragmatisch mit Moskau zusammenarbeiten, ohne dauernd Kritik
an der Verletzung von Bürgerrechten in Russland zu üben. Das Vorbild sei China,
gegen das der Westen ja auch keine Sanktionen verhängt habe.
Bahr sieht in der
Krise heute Parallelen zum Kalten Krieg, er plädiert für eine Art deutscher
Ostpolitik 2.0. Deutschland solle wie damals eine pragmatische Vermittlerrolle
zwischen den Lagern einnehmen - und Berlin dabei den ersten Schritt auf Moskau
zugehen. Bahr zitiert Brandt: "Manchmal muss man sein Herz am Anfang über
die Hürde werfen".
Und weiter:
"Russland muss seinen eigenen Weg finden. Es muss sich nach seinen
Traditionen entwickeln. Demokratie gehört nicht dazu", befindet der
SPD-Mann. […]
Pragmatismus
ist aber nicht mehr gefragt, sondern Ideologie und Heuchelei.
So nimmt
„der Westen“ Massenaufmärsche und Gefechte des faschistischen „Rechten Sektors“
in Kiew und der Westukraine schulterzuckend hin, während Separatisten in der
Ostukraine energisch verurteilt werden.
Ja, man
fordert immer nur dann Konsequenzen, wenn es gerade zu den eigenen Interessen
passt:
Irak und Libyen und Serbien und Mali wurden bombardiert. Syrien und Ägypten und Saudi Arabien und Nordkorea aber nicht.
Irak und Libyen und Serbien und Mali wurden bombardiert. Syrien und Ägypten und Saudi Arabien und Nordkorea aber nicht.
Aktuelles
Beispiel der Superheuchelei ist die Türkei.
Erst fand
man es im NATO-Hauptquartier noch ganz nett, daß Erdogan de facto dem IS half –
denn dadurch wurde der verhasste Assad geschwächt.
Die
Türkei gestattete es dem IS Gebiete entlang der Grenze zu Syrien als
Operationsbasis zu nutzen, aber half auch durch die Behandlung verletzter
IS-Kämpfer in türkischen Krankenhäusern. Das NATO-Mitglied Türkei finanzierte
den IS maßgeblich, indem es Erdöllieferungen aus den besetzten Gebieten Syriens
und des Iraks aufkaufte. Auch der Waffennachschub kam direkt aus der Türkei.
Inzwischen
findet man aber den IS noch doofer als Assad, hat vergessen, daß dieser schon
Giftgas gegen die eigene Bevölkerung einsetzte und entscheid sich deswegen dafür Assad zu helfen,
indem man den IS bombardiert.
Mit Billigung des
Westens
Tatsächlich förderte
Ankara die Jihadisten in Syrien bis 2014 nicht im Alleingang, sondern in
Kenntnis und mit Billigung des Westens - auch Deutschlands. In jüngster Zeit
ist immer wieder darauf hingewiesen worden, dass "die Rekrutierungsorte
des IS in der Türkei der lokalen Bevölkerung bekannt" gewesen seien:
"Wenn die Menschen wissen, wie diese Organisationen arbeiten, wie sie sich
treffen und wie sie rekrutieren, weiß der Staat das nicht auch?", wird zum
Beispiel der Menschenrechtler Osman Süzen zitiert.[2] Dieselbe rhetorische
Frage könnte der Bundesregierung gestellt werden, nicht nur, weil der
Bundesnachrichtendienst (BND), wie seit letztem Jahr bekannt ist, die Türkei
offiziell als "Aufklärungsziel" führt.[3] Seit die Bundeswehr in
Kahramanmaraş in der Südost-Türkei stationiert ist, muss davon ausgegangen
werden, dass sie in ihrem Operationsgebiet die allgemein üblichen
Aufklärungstätigkeiten durchführt. Zudem sind Polizei und Geheimdienste seit
Jahren intensiv mit der Ausreise deutscher Jihadisten nach Syrien befasst, die
gewöhnlich über Netzwerke in der Türkei bewerkstelligt wird. Trotz seiner
mutmaßlich detaillierten Kenntnis über die Aktivitäten der Jihadisten in der
Türkei schritt Berlin bis zum Beginn des Krieges gegen den IS nicht gegen
dessen Förderung durch Ankara ein. Das Motiv, das diverse westliche Staaten zur
wohlwollenden Billigung der türkisch-saudischen Unterstützung für den IS trieb,
benannte der US-Militärgeheimdienst DIA im August 2012 ganz offen: Ein
"salafistisches Fürstentum" in Ostsyrien könne helfen, so hieß es,
die Regierung in Damaskus zu isolieren.
Nun ist
auch die Bundesregierung umgeschwenkt. Um 180°.
Die Verteidigungsministerin
bejubelt den türkischen Kriegseinsatz, der sich auch gegen die PKK richtet –
jene Partei, die der einzige Stabilitätsfaktor im Irak ist, die den Jesiden das
Leben rettete und die deswegen auch mit deutschen Waffenlieferungen ausgerüstet
wurde.
[…] Angesichts
der dramatischen Zuspitzung an der Grenze der Türkei zu Syrien und zum Nordirak
ist es also keine wirkliche Überraschung, dass Generalsekretär Jens Stoltenberg
auf Ersuchen aus Ankara für diesen Dienstag die Botschafter der 28 Nato-Staaten
zusammengerufen hat.
[…]
Derzeit wiederum ist es für die
Amerikaner vorrangig, die Türkei bei Laune zu halten. […]
Wenn also weder die
Türkei noch die USA daran interessiert sind, die Nato mit viel mehr als Worten
gegen die islamistischen Terrorkämpfer in Stellung zu bringen, so sind es die
anderen Verbündeten erst recht nicht. […]
Praktisch aber richtet die Allianz ihre neue
Speerspitze, also die neue superschnelle Eingreiftruppe, hauptsächlich gegen
eine mögliche Bedrohung aus Russland. […]
Wertegemeinschaft NATO
- Welche Werte?
Und dann schweigen sie
einfach. Die heutige Reaktion der NATO auf die türkischen Angriffe auf
PKK-Stellungen kommt einem Offenbarungseid gleich. Die
Verteidigungsgemeinschaft, die sich so gerne als Wertegemeinschaft bezeichnet,
hat heute blank gezogen: Vor den Interessen der türkischen Regierung. Vor den
bilateralen Absprachen zwischen Obama und Erdogan. Und vor ihrem eigenen
Anspruch sowieso - wenn es den denn überhaupt noch gibt. Dass die Türkei sich zum Kampf gegen den "IS" hat
hinreißen lassen, hat nur einen Grund: Sich die PKK im Grenzgebiet vom Hals zu
schaffen. Die gleiche PKK, die mit den Truppen der Peschmerga im Nordirak gegen
den "IS" kämpft und dafür von Deutschland bewaffnet wurde. So sieht's
aus: Wo die Freiheit Deutschlands im Nahen Osten verteidigt werden sollte,
opfert man diesen Kampf jetzt den durchsichtigen Interessen eines
NATO-Mitglieds, das genau diesen Kampf nie führen wollte. Dass die
Bundesregierung dazu genauso schweigt wie die NATO-Führung, zeigt: Die
Gemeinschaft funktioniert - ganz wertefrei.
(Georg
Restle, Monitor 28.07.2015)