Mittwoch, 5. Dezember 2012

Dukatenscheißer Jeremie.




 Wenn mich eins nervt, dann ist es das öffentlich-mitleidige Gejammer, welches in allen Medien anschwillt, wenn mal wieder „der kleine Kevin“ oder „die kleine Jaqueline“ verschwunden, geschlagen oder im Blumenkübel auf dem Balkon vergraben wurden.
 
Diese Betroffenheitsfratzen von all den Typen, die ansonsten Fröhlichkeit demonstrieren, während jeden Tag auf der Erde 30.000 Kinder an Hunger krepieren, sind unerträglich.
Menschen können nicht weiter als bis zu ihrer Nasenspitze denken.
 Da richten wir das größte Umwelt-Unheil an, indem wir Fleisch fressen und dauernd nach Mallorca fliegen, scheren uns aber einen Dreck um die Millionen Menschen, die unter Dürren, Überschwemmungen und Unwettern zu leiden haben.
Aber wenn ein Einzelblag traurig von der BILD-Titelseite glotzt, kommen wir schier um vor Mitgefühl.
Das ist eine Seite der menschlichen Natur, bei der ich an diese Sorte KZ-Kommandanten denken muß, die den ganzen Tag ohne mit der Wimper zu zucken mit Massenmord beschäftigt sind und dann abends bitterliche Tränen weinen, wenn ihr Dackel gestorben ist.

Die aktuelle Kindersau, die in Hamburg durchs Dorf getrieben wird, ist „der kleine Jeremie.“ 

Wie immer, wenn man sich so ein Einzelschicksal konkret vor Augen führt, ist es tatsächlich erschütternd und beweist einmal mehr, daß es entweder keinen Gott gibt, oder daß der Herr im Himmel ein Sadist ist.

Jeremie jedenfalls hat vom Schöpfer nur Arschkarten ausgeteilt bekommen.

Bereits drogensüchtig von einer Junkiemutter geboren, waren schon seine ersten Stunden auf dieser Erde von Qualen, Schmerzen, Krämpfen und Erbrechen gekennzeichnet. Aus dem Uterus ging es sofort in den klinischen Entzug. Seine leiblichen Eltern tauchten ab, stattdessen wuchs er bei den Großeltern (eine Sinti-Großfamilie in Hamburg-Billstedt) auf. Die Großeltern Bruno und Rositta Ansin quälen und misshandeln ihn von Anfang an. Mehrfach landet das Kleinkind mit schweren Verbrennungen im Universitätskrankenhaus. Er wird aggressiv, klaut, zündelt, prügelt sich, quält systematisch Tiere und verletzt sich selbst. In der Schule gilt er als unkontrollierbar. Der „extrem auffällige Jeremie“ gilt als „völlig unbeschulbar“ und so sucht das Jugendamt nach einem Heimplatz. Die Sinti-Sippe wehrt sich massiv gegen den Kindesentzug, aber im Alter von neun Jahren wird der Kleine im Jahr 2010 an den „Circus Monaco“ in Mecklenburg zu der neunköpfigen Familie Sperlich vermittelt. Sie sollen speziell geschult im Umgang mit sehr schwierigen Kindern sein und sich rund um die Uhr um ihn kümmern. Angeblich. Zusammen mit vielen Tieren hätte Jeremie ein Teil einer neuen friedlichen, sozialen Gemeinschaft werden sollen.
Geklappt hat es, oh große Überraschung, leider nicht. 
Auch die Zirkusfamilie hat Jeremie so schlecht behandelt, daß er immer wieder ausriß und nun seit dem 20. November 2012 endgültig verschwunden ist. Er ist 11 Jahre alt.
Wer es genauer wissen möchte, kann dies zum Beispiel in der Mopo oder dem Abla nachlesen.

Ich würde mal sagen: So ein Schicksal kann man getrost als „richtig beschissen“ bezeichnen. Das dürfte Konsens sein.

Konkreter auf das Kind eingehen will ich daher auch nicht und verkneife mir Mitleidsbekundungen, die ohnehin niemanden helfen.
Die usual suspects werden bei entsprechendem Anlass sicher wieder mit ihren Kerzen, großen „WARUM???“-Schildern und Gebeten Jeremie hinterher weinen.
Und dann wird es losgehen, daß man auf die Politik losschimpft, daß Köpfe im Jugendamt rollen sollen.

In der Schußlinie stehen vor allem der SPD-Sozialsenator Detlef Scheele und der SPD-Bezirkschef Andy Grote.
 Beide kamen allerdings erst ins Amt, als der Junge schon längst beim Zirkus Monaco abgegeben wurde.
Schon wieder gerät der Bezirk Mitte in die Schlagzeilen. Nach Jessica (7), Lara Mia (acht Monate) und Chantal (11) wirft nun der Fall Jeremie (11) die Frage auf, ob der Junge vom Jugendamt Mitte in gute Hände gegeben wurde. Oder geriet wieder ein schwer gebeuteltes Kind vom Regen in die Traufe? Die Opposition fordert Aufklärung.
 Die Schuldzuweisungen sind meiner Meinung nach ziemlich schwierig. 
Was zum Teufel soll denn ein Jugendamt tun, wenn eine Familie da ist, die den Jungen aber unbedingt behalten will? 
So ganz einfach sollte es nicht sein, jemand das Erziehungsrecht zu entziehen und das Kind wegzunehmen. 
Und wie soll man den Zeitpunkt erkennen, wann wirklich gehandelt werden muß, wenn man das Kind gegen seinen Willen mit Gewalt den Eltern entziehen muß? 
Wie soll man das definieren, wenn man nur auf Berichte und Stippvisiten angewiesen ist?
 Und wenn der Rubikon schließlich überschritten ist und die Entscheidung gefallen ist, das Kind „wegzunehmen“, eröffnet sich sofort das nächste Riesenproblem: 
Wohin mit dem Gör? 
Die Stadt verfügt zwar über Konzepte und Unterbringungsmöglichkeiten für derartige Problemkinder, die rund um die Uhr intensive Betreuung brauchen, aber bei Jeremie hatte sich das Jugendamt nur Absagen eingeholt.
 Niemand wollte ihn aufnehmen. Die Aussicht, daß ein Sinti-Großclan mit allen Mitteln versuchen würde den Jungen zurück zu bekommen und jeden Therapieerfolg zu vereiteln, dürfte wenig geholfen haben.

Für solche völlig hoffnungslosen Fälle gibt es immer noch die Kirche!

Und so kam es, daß das Jugendamt Hamburg-Mitte dem christlichen Träger „Neukirchener Erziehungsverein“ in NRW den Auftrag gab sich um den Jungen zu kümmern.
Seit über 166 Jahren hilft der Neukirchener Erziehungsverein vernachlässigten und missbrauchten Kindern sowie Familien mit Erziehungsschwierigkeiten. In zehn Bundesländern betreuen wir zusammen mit der Tochtergesellschaft Paul Gerhardt Werk über 2.500 junge Menschen. Auch in der Alten- und Behindertenhilfe sowie in der Aus-, Fort- und Weiterbildung ist der Erziehungsverein mit seinen etwa 1.600 Mitarbeitenden tätig. Im eigenen Verlag erscheint der Neukirchener Kalender, der bekannteste Andachts- und Meditationskalender im deutschen Sprachraum.

[…] Das Neukirchener Berufskolleg – Evangelische Fachschule für Sozialpädagogik zur Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern – ist integraler Bestandteil des Erziehungsvereins, ebenso die berufsbegleitende Ausbildung zur Diakonin und zum Diakon.

Der Neukirchener Erziehungsverein ist als freier Träger Mitglied im Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche im Rheinland. […]  Dem Aufsichtsrat gehört unter anderem auch der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Nikolaus Schneider, an.
Wenn man das schon liest, sollte man skeptisch werden. 
Für meinen Geschmack christelt es da viel zu sehr:
Evangelischen Kirche im Rheinland, Präses der Evangelischen Kirche, Andachts- und Meditationskalender, Ausbildung zur Diakonin und zum Diakon.
Diese Vereine sind genau die sozialen Aktivitäten, auf die Kleriker immer eifrig hinweisen, wenn sie auf ihren enormen Finanzbedarf angesprochen werden.
 Sie nähmen schließlich soziale Aufgaben wahr.

In der echten Realität ist es allerdings so, daß die Kirche nicht nur nicht bezahlt für die Betreuung von „Fällen“ wie Jeremie, sondern damit sogar den großen Reibach macht.

Happige 7.400 Euro IM MONAT stellte der CHRISTLICHE „Neukirchener Erziehungsverein“ der Stadt Hamburg in Rechnung.
Nur von Luft und Nächstenliebe läuft gar nichts bei den Kirchlichen.

Was bieten die Chefevangelen eigentlich für knapp € 180.000 (= 24 X € 7.400) aus den Taschen der Hamburger Steuerzahler??
Den Amtsvormund des Bezirksamtes Hamburg-Mitte sah Jeremie in den zwei Jahren nur fünf Mal. Ansonsten wurde er ausschließlich von der Zirkusmutter betreut, die keine pädagogische Ausbildung besitzt. „Für 7400 Euro monatlich darf man eine enge pädagogische Versorgung erwarten“, so die Grünen-Abgeordnete Christiane Blömeke.
57 Millionen setzt der „Neukirchener Erziehungsverein“ im Jahr um.
 Eine Menge Geld kassieren die Christen.
 Man erfährt sogar wie sich die Summe aufschlüsselt.
Carmen Sperlich, die Zirkusmutter, die keinerlei pädagogische Ausbildung oder psychologische Qualifikation besitzt, bekommt €4.644 „Erziehergehalt“ plus € 680 „Lebensunterhaltkosten“ für Jeremie überwiesen.
 Die restlichen 2.076 Euro behält der Christliche Träger.
„Etwa 2000 Euro berechnet der Neukirchener Erziehungsverein für anteilige Personalkosten der psychologisch-pägagogischen Beratung der individualpädagogischen Projektstelle sowie für die Distanzbeschulung des betreuten Kindes, für Fortbildungen, Supervisionen, Rufbereitschaften, Krankheitsvertretungen, Beiträge zur Berufsgenossenschaft und allgemeine Verwaltungskosten.“
Dies sind Angaben des Vereins selbst.
Nach anderen Quellen schöpft die Kirche sogar noch viel mehr Geld ab.
Knapp 7.400 Euro kostet die Maßnahme, Jeremie in dem Zirkus unterzubringen. Davon bekommt die Pflegemutter 2.400 Euro, also fragt Blömeke, wo bleibt der Rest? Der zuständige Neukirchener Erziehungsverein erklärt dazu, der Betrag setzt sich aus Personalkosten, Fachaufsicht und pädagogischer Betreuung sowie Fortbildung und Verwaltungskosten zusammen.
 Nach dieser Rechnung hätte die Kirche sogar rund 5000 Euro pro Monat für sich behalten - also €120.000 in zwei Jahren. 
Dafür erbrachte sie die Leistung auf die Idee zu verfallen ein SINTI-Kind zum ZIRKUS zu schicken und sich dann nicht mehr darum zu kümmern, was aus ihm wurde.

Daß neben dem üblichen Politikerbashing auch ganz vereinzelt danach gefragt wird, wie der Kirchenverein eigentlich mit Geld umgeht, finden sie ganz fürchterlich unfair! 
Der Neukirchener Erziehungsverein fordert in der öffentlichen Debatte um den Fall Jeremie mehr Sachlichkeit und Fairness. "Wir können nicht nachvollziehen, dass die Qualität unserer Arbeit von der Hamburger Politik angezweifelt wird", sagt Dagmar Friehl, Geschäftsbereichsleiterin der Jugendhilfe des Neukirchener Erziehungsvereins.

Keiner der Kritiker habe sich jemals im Detail ein Bild von den intensiven sozialpädagogischen Einzelbetreuungen von Kindern und Jugendlichen gemacht, die der Erziehungsverein seit vielen Jahren erfolgreich leistet. Trotzdem würden jetzt voreilig Urteile gefällt.