Im 2021er Bundestagswahlkampf war ich sehr Grünen-kritisch, weil ich sie a) ob ihrer Umfragewerte unangenehm arrogant empfand und weil sie b) auf die völlig falsche, unerfahrene Kanzlerkandidatin Baerbock gesetzt hatten. Ein schwerer Fehler. Mit Habeck an der Spitze, wären sie womöglich wirklich in Kanzleramt eingezogen. Die Kaskade des Baerbockschen Wahlkampffehler – das nicht selbst geschriebene Buch, der frisierte Lebenslauf, Wissenslücken in Interviews – deutete ich damals als Überforderung und Unerfahrenheit. Von Null auf Kanzlerin würde jeden überfordern. Mit einigen Jahren Erfahrungen in Landes- und Bundesregierungen könnte sich das aber ändern. Dann wäre sie durchaus kanzlerinnentauglich. Dachte ich. Nach drei Jahren als Außenministerin, revidiere ich diese Position. Ihre Fehler und Inkonsequenzen haben nie aufgehört. Immer wieder peinliche Versprecher und ein kontinuierlicher Wackelkurs bei Menschenrechten. Ich erkenne keine deutliche Lernkurve. Die absoluten Spitzenämter sind wohl doch eine Nummer zu groß für sie.
Aber um auch das einzuordnen: Außer Fischers erster Amtszeit, hatte es vermutlich nie ein deutscher Außenminister mit so extrem komplizierten Problemen zu tun. Und selbstverständlich schlägt sich Baerbock als Ministerin um Längen besser, als die meisten schwarzen und gelben Kollegen der letzten Jahre. Spahn, Scheuer, Lindner und Dobrindt waren, verglichen mit Baerbock, echte Vollkatastrophen. Während aber Kollege Fischer von 1998 an, über sich hinaus wuchs, Deutschlands Ansehen in der Welt erheblich mehrte und international zu einem wichtigen Player aufstieg, auf dessen Meinung auch in Washington wert gelegt wurde, zeigte seine Grüne Nachfolgerin, daß sie dieses Potential nicht in sich hat. Deutschlands Stimme in der Welt ist heute weitgehend irrelevant.
Umso höher rechne ich Baerbock an, sich immerhin selbst inzwischen realistisch einzuschätzen und ohne Mucken diesmal Robert Habeck den Vortritt zu lassen.
Nur schade, daß es drei Jahre zu spät kommt. Inzwischen hatten Springer, Nius und Co Zeit genug, sein Image mit Lügen-Narrativen kaputtzuschießen. Von der BILDschen „Heizungshammer“-Kampagne erholt man sich nicht so leicht. Ganz vergessen wird dabei, daß er als Wirtschaftsminister erfolgreicher war, als man angesichts der katastrophalen Umstände – Krieg – Klima - Gas – erwarten konnte. Niemand fror im Winter, der Umbau zu erneuerbarer Energie geht schneller als geplant voran und wenn man mal die ganze schwarzgelbe Hetze und innerkoalitionäre Obstruktion durch Linocchios Leute beiseite läßt, wird man eines Tages auch erkennen, daß sein Heizungsgesetz natürlich historisch richtig ist.
Der Vizekanzler hat vielleicht keine Chance, aber er nutzt sie. Die Wahlkampagne startete vom Tag des Lindner-Rausschmisses auf 100%. Sein Konterfei schwirrt durch alle sozialen Medien, die Grünen vermelden seither über 20.000 Parteieintritte – beeindruckend! Anders als bei seiner grünen Kanzlerkandidatenvorgängerin, habe ich auch keine Bedenken hinsichtlich seiner persönlichen Eignung. Er hat das Zeug dazu, Kanzler zu sein. Er ist intelligent und aktiv genug, kann kommunizieren und überzeugen. Leider mangelt es ihm am Potential, Kanzler zu werden.
Bei Fritz Merz ist es umgekehrt. Weitgehend ohne sein Zutun, ist sein Potential Kanzler zu werden enorm hoch. Aber er ist viel zu unbeherrscht, unerfahren und unqualifiziert, um Kanzler zu sein.
Der xenophobe CDU-Mann Merz ist auch der Grund, weshalb ich trotz all meiner Grundsympathie für Habeck, Olaf Scholz wählen werden. Habeck ist viel zu CDU-affin und wird, wie schon einige grünen Landesverbände, schwarzgrün vorziehen, bevor er eine Koalition mit der SPD erwägt. Das Werben um Merz und Linnemann, betreiben Habeck und seine Staatssekretärin Franziska Brantner – im Nebenjob Grünen-Vorsitzende – so offensiv, daß der Preis für grüne Merzstimmen bei der Bundeskanzlerwahl, jetzt schon rapide abstürzt.
Obschon ich großer Felix Banaszak-Fan bin, ist der CDU-Vorliebe unter den Spitzengrünen des Bundestages (auch Özdemir, Göring-Kirchentag) nicht zu trauen.
Die letzten Parteitage zeigten, wie mühelos sich die schwarzaffine Spitze durchsetzen kann. Einige Landesverbände – Hessen, Saar, Schleswig-Holstein, NRW, BW und der superrechte CDU-Fanclub der Grünen in Hamburg – muss Habeck ohnehin nicht überzeugen, im Zweifelsfall lieber mit Merz als mit Scholz zu regieren.
Andere Landesverbände versinken im Chaos.
[….] Zweieinhalb Monate vor der geplanten Bundestagswahl ist die hessische Grünen-Vorsitzende Kathrin Anders zurückgetreten. Sie begründete den Schritt „mit sofortiger Wirkung“ in einer Erklärung mit einer aus ihrer Sicht unzureichenden Aufarbeitung einer angeblichen Parteispendenaffäre bei den hessischen Grünen. Es geht dabei um Auslandsreisen des Co-Landesvorsitzenden Andreas Ewald auf Einladung und Kosten Dritter nach Israel und in die USA. [….]
[…..] Es kracht im für die Grünen wichtigen Landesverband Hessen: Die Vorsitzende Anders wirft ihrer Partei Intransparenz und unzulässige Zuwendungen vor. […] In ihrem Rücktrittsschreiben erinnerte Anders daran, dass Reisen, die als geldwerter Vorteil bewertet werden, Zuwendungen an die Partei darstellen könnten. „Solche Zuwendungen durch gemeinnützige Organisationen oder Staaten außerhalb der EU sind unzulässig“, so Anders. Deswegen könne sie die bei den Grünen aktuell „notwendige Veränderung und die Wiederherstellung des Vertrauens nicht vorantreiben“. Mit Blick auf Strafanzeigen gegen Vorstände und Prüfungen durch die Staatsanwaltschaft sehe sie sich nicht in der Lage, den Reformprozess mit der erforderlichen Glaubwürdigkeit zu führen. […..] Nach der Wahl will der Vorstand den Weg für neue Vorstandswahlen frei machen. Ewald will sein Amt dann aufgeben – könnte aber als möglicher Nachrücker in den hessischen Landtag weich fallen: Am kommenden Samstag werden die hessischen Grünen in Marburg ihre Landesliste aufstellen. […]
[….] Nur einen Tag, nachdem sie zur Landesvorsitzenden der Grünen in Sachsen gewählt wurde, hat Christin Furtenbacher ihren Rücktritt erklärt. Ihr Ergebnis bei der Wahl habe sie schwer getroffen, teilte Furtenbacher mit. »Ich musste für mich die Schlussfolgerung ziehen, dass ich keinen ausreichenden Rückhalt als Landesvorsitzende in unserem Landesverband mehr habe.« Lediglich 57 Prozent der Delegierten hatten Furtenbacher am Samstag im Amt bestätigt. Dafür benötigte sie zwei Wahlgänge, im ersten war sie noch durchgefallen. Nach dem schlechten Abschneiden der sächsischen Grünen bei der zurückliegenden Landtagswahl hatte die Landesversammlung in Chemnitz am Samstag alle bisherigen Mitglieder der Parteispitze im Amt bestätigt. Die Co-Vorsitzende Marie Müser kam im ersten Wahlgang dabei auf 63,5 Prozent, wie die Grünen am Samstag mitteilten. Der Landesvorstand als Gremium sollte die Verantwortung allerdings ohnehin nur auf Zeit übernehmen. [….]
[….] In Baden-Württemberg sind die Grünen so etwas wie eine Volkspartei, zumindest sah es sehr lange Zeit so aus. Schließlich stellen sie seit 2011 in Winfried Kretschmann den Ministerpräsidenten, bei der Landtagswahl 2021 kamen sie auf 32,6 Prozent Zustimmung. [….] In Baden-Württemberg liegen die Grünen in den Umfragen aktuell 16 Prozentpunkte hinter der CDU, auf Bundesebene unter den Werten der Bundestagswahl 2021[….] Brantner will die Grünen als moderne Partei der Mitte positionieren, sie wirbt in ihrer Rede für Digitalisierung, mehr Bürgerbeteiligung und beschleunigte Genehmigungen für Windräder. Und sie stichelt gegen den verbliebenen Koalitionspartner in Berlin, die SPD und Bundeskanzler Olaf Scholz. [….] Bei der Bundestagswahl 2021 kamen die Grünen in Baden-Württemberg auf 17,2 Prozent der Zweitstimmen. Sie gewannen vier Direktmandate, in Stuttgart, Freiburg, Karlsruhe und Heidelberg, zudem kamen die ersten 14 Listenbewerber zum Zug. Und nun? Ist die Unsicherheit groß, ob sich das Wahlergebnis wiederholen lässt, der Gewinn von Direktmandaten. Und wie sich das neue Wahlrecht auf die Zahl der grünen Mandate auswirken wird. Aktuelle Prognose: eher nicht positiv. Das alles so bleibt, wie es ist, darauf will jedenfalls niemand seine politische Zukunft verwetten. Dass am Vortag des Parteitags eine Landtagsabgeordnete angekündigt hat, von den Grünen zur CDU zu wechseln, passt irgendwie ins Bild. Im Sommer hatte bereits die Bundestagsabgeordnete Melis Sekmen die Grünen verlassen, sie kämpft bei der Bundestagswahl im Februar nun als CDU-Kandidatin in Mannheim um das Direktmandat. [….] Ab Listenplatz sieben kommt es am Samstag zu Kampfkandidaturen, [….]
[…..] Die Grünen-Spitze zieht nach den schlechten Ergebnissen der Partei bei mehreren Wahlen personelle Konsequenzen. Die Co-Vorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour gaben den Rücktritt des gesamten Parteivorstandes bekannt. "Wir sind zum Ergebnis gekommen: Es braucht einen Neustart", sagte Nouripour. [….]
[…..] Grüne Jugend: Vorstand tritt aus Partei aus
Bei den Grünen kracht es richtig: Nach dem Rücktritt des Parteivorstands kündigt auch der Vorstand der Grünen Jugend den Rücktritt an - und zugleich den Austritt aus der Partei. [….]
Niemand wünscht sich Politiker, die so wie Lindner oder Esken ewig an ihren Parteiposten kleben. Aber ganz so leicht wie die Grünen, sollte man die Jobs auch nicht aufgeben.