Das Feld der 28 demokratischen Präsidentschaftsbewerber 2020 war so riesig, daß es schwer fiel, die Übersicht zu behalten. Meine Lieblinge waren Elisabeth Warren, Amy Klobuchar, Kamala Harris, Julián Castro, Cory Booker, Beto O’Rourke, Kirsten Gillibrand und Eric Swallwell. Leider schwächelten sie alle oder ihnen ging früh das Geld aus.
Auf keinen Fall wollte ich Bernie Sanders, dessen politische Positionen mir zwar am nächsten sind, aber ich bin sicher, daß er in den konservativen Vereinigten Staaten Schiffbruch erlitten hätte. Als Biden unerwartet stark wurde, war ich erst entsetzt, weil ich ihn (habituell) für viel zu alt halte und befürchtete, die junge US-Bevölkerung würde nicht zur Wahl gehen.
Aber es zeigte sich andererseits, daß die meisten Amerikaner Biden vertrauten und er zumindest kaum jemand aktiv abschreckte, wie es Hillary Clinton 2016 getan hatte. Im Grunde war mir ohnehin völlig egal, wofür die einzelnen Kandidaten politisch standen, weil es für mich nur ein einziges Kriterium gab: Wer kann Trump schlagen? Den hochgefährlichen debilen Psychopathen #45 aus dem Weißen Haus zu drängen, war die eine, alles überschattende Frage.
Nachdem die Umfragen zeigten, Biden könnte Trump deutlich schlagen, arrangierte ich mich mit ihm. Es war sympathisch und klug von ihm, mit Kamala Harris diejenige zu seiner VP-Kandidatin zu machen, die ihn im Vorwahlkampf brutal angegriffen hatte und so angenehm weniger „weißer alter Mann“ war. Damit konnte ich leben. Sollte Biden doch Trump schlagen und dann den leicht trotteligen, aber ehrlichen und sympathischen Grußonkel im Weißen Haus geben, während die hochintelligente und tatkräftige Kamala Harris die Kärrnerarbeit leistet, sich damit als seine Nachfolgerin empfiehlt. Möglicherweise müsste sie ja gar nicht bis 2024 warten, sondern könnte früher auf den Fahrersitz wechseln, wenn Opa Biden sich nach dem Zwischenwahlen auf das Altenteil zurückzieht.
Ein Jahr später sieht es etwas anders als erwartet aus.
Die Präsidentschaftswahl wurde zwar gewonnen, aber im House verloren die Demokraten überraschend deutlich jede Menge Sitze, weil es eben doch stimmt, daß die Amis sehr konservativ sind. Homorechte, Cannabisfreigabe und dann auch noch zur BLM-causa „defund the police“-Forderungen, gaben den QTrumpliKKKans fast die Mehrheit zurück.
Geronto-Joe war auch eine Überraschung und zwar zunächst im positiven Sinne. In den ersten Tagen und Wochen griff er so beherzt durch, daß man schon hoffte, er würde das Desaster des Vorgängers doch aufarbeiten können. Statt Kamala Harris glänzen zu lassen, gab er ihr allerdings die unlösbaren und vor allem undankbaren Aufgaben.
Mrs. Harris, ich verteile hier mal die Billionen-Wohltaten, sie gehen an die Südgrenze und lösen das Immigrationsproblem.
Das schaffte die VP natürlich nicht, aber viel schlimmer; sie stellte sich in der praktischen Regierungsarbeit als ineffektiv und Chaos-anfällig heraus.
[….] US-Vizepräsidentin Harris in der Krise: »Ihr Büro ist eine Shitshow« [….] Vom Zauber des Anfangs war nicht viel zu spüren, als der Präsident vor ein paar Wochen den Garten des Weißen Hauses betrat, um das Infrastrukturpaket zu unterschreiben, für das er und seine Partei so lange gekämpft hatten. Am Ende der Zeremonie drängten sich die Ehrengäste um den Präsidenten, Harris musste sich ins Bild schieben. [….] Die Szene passt zu dem Eindruck eines dysfunktionalen Weißen Hauses. Ein 79-jähriger Präsident muss dabei zusehen, wie seine innenpolitische Agenda im Kongress zerpflückt wird, während seine potenzielle Nachfolgerin in einem Strudel aus Intrigen und Personalquerelen versinkt. Seit Monaten machen in Washington Geschichten über das Büro von Harris die Runde. Es geht dabei um eine herrische Chefin, die ihre Launen an ihren Untergebenen auslässt und Fehler immer nur bei anderen erkennt. Schon im Sommer gab es so viele Durchstechereien, dass sich Harris' Sprecherin Symone Sanders genötigt sah, die Gegner in den eigenen Reihen öffentlich als »Feiglinge« zu bezeichnen. Sie setzte einen Tweet mit Bildern einer Party ab, die Harris für ihre Angestellten geschmissen hatte. Zu sehen waren lachende Menschen. »Das Essen war toll und die Leute großartig«, schrieb Sanders. Fünf Monate später kündigte sie selbst. [….]
Neben der unerwartet miesen Harris-Performance, trog auch die Hoffnung im US-Senat bei einer 50:50-Sitzverteilung mit der ausschlaggebenden VP-Stimme wichtige Gesetzesvorhaben auf den Weg zu bringen.
In Wahrheit haben die alles blockierenden extrem destruktiven Republikaner 51 von 100 Stimmen, da sie mit dem formal demokratischen US-Senator Joe Manchin aus West Virginia ein U-Boot in Bidens Reihen haben. Der 73-Jährige tut alles dafür, um Biden scheitern zu lassen.
[….] Von wegen Merry Christmas. Seit Monaten versucht US-Präsident Joe Biden, das Herzstück seiner Amtszeit, das billionenschwere Sozial- und Klimapaket, durch den Kongress zu bringen – und nun droht es ausgerechnet an einem Parteifreund zu scheitern. Joe Manchin, Vertreter West Virginias im Senat, will partout nicht zustimmen, was angesichts der hauchdünnen Mehrheit für die Demokraten das Aus bedeuten würde. Das ist so, als brenne der von Biden gerade kostbar geschmückte Weihnachtsbaum ab. […]
In der deutschen Berichterstattung über die USA dominieren die beiden Themen „Jahrestag der Insurrection vom 06.01.2021“ und Omikron-Katastrophe. Der durchschnittliche Ami ist aber genervt von Lieferengpässen, hohen Energiekosten und der von den demokratischen Abgeordneten angerichteten Selbst-Blockade. Ein Senator stoppt sämtliche Gesetzespakete und lässt Biden gegen die Wand prallen. Ausgerechnet der als „Dealmaker“ gepriesene Langzeitpolitiker Biden, lässt sich seit Monaten vorführen und demonstriert seine Macht- und Ratlosigkeit. So hatten sich die Demokraten-Fans das nicht vorgestellt.
Die Zustimmungsraten des US-Präsidenten verharren tief im Keller; nur noch unterboten von den katastrophalen Ratings der Vizepräsidentin.
Schon jetzt machen sie demokratische Strategen kaum noch Hoffnungen für die im November dieses Jahres stattfindenden „Midterms“. Sie werden mutmaßlich die Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses verlieren, so daß Biden schon nach zwei Jahren Amtszeit zur lame duck degeneriert und sich hilflos von den staatszersetzenden Demokratieverächtern der Trump-Partei vorführen lassen muss.
Republikanische Menschenhasser reiben sich schon die Hände bei dem Gedanken an die nächste Trump-Präsidentschaft.
Und was nun?
Die 75 Millionen fanatischen Trump-Wähler sind ohnehin nicht für demokratische Wahlkampfstrategien zu erreichen. Sie sind wie eine gewaltige extremistische Endzeit-Sekte, die ihrem orangen Psycho-Messias jubilierend in den Tod folgen – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Republikanische Politik tötet Amerikaner.
Die einzige Hoffnung der Demokraten liegt darin, auf die prinzipiell wahlfaulen Nicht-Trump-Amerikaner einzuwirken, die allerdings durch die Wahlverhinderungsgesetze der republikanischen Bundesstaaten massiv gehindert werden, überhaupt ihre Stimme abzugeben.
Sie müssen daran erinnert werden, wie Trump regierte.
Fiona Hill, DIE Russland-Kennerin der US-Politik, brieft seit George W. Bush alle US-Präsidenten über Putin und Co. Wie das mit Trump lief, erzählt sie bereitwillig.
[….] SZ: Sie haben in Ihrer Zeit im Sicherheitsrat Trump im Oval Office über Russland und Putin gebrieft. Wie muss man sich das vorstellen?
Hill: Es war, ohne Witz, unmöglich. Wir haben versucht, die Informationen zu portionieren, ihm Informations-Nuggets unterzujubeln. Es ging nicht. Viele von den hochrangigen Mitarbeitern haben versucht, in die Sunday-Shows der großen Fernsehsender zu kommen oder in die Talks-Shows von Fox News, um auf diese Art mit dem Präsidenten zu sprechen. Das hat viel besser funktioniert als im Oval Office. Trump hört nur auf andere Prominente, die im Fernsehen zu sehen sind. [….] Man kann es gar nicht genug betonen. Fernsehen war so ein wichtiger Teil seines täglichen Lebens - er hat ständig ferngesehen! Oft kam es vor, dass er sich mit einem ausländischen Staatsführer traf und ihn als Erstes fragte: "Haben Sie das eben im Fernsehen gesehen?" Er gestaltete seine Diskussionen immer nach dem Fernsehprogramm, und wir wiederum mussten ständig darauf reagieren, was im Fernsehen zu sehen war. [….]
SZ: In Ihrem zweiten Treffen nannte er sie "Schätzchen" und dachte, Sie seien die Sekretärin.
Hill: Ja. Ich kam nie über "Hello, Mister President" hinaus. Ich versuchte dann so gut ich konnte, sein Umfeld mit Informationen zu versorgen. Aber ich gab es früh auf, mit ihm direkt über Russland zu sprechen, so wie ich das mit George W. Bush oder Barack Obama getan hatte. Trump war einfach nicht interessiert - und wird es auch nie sein.
SZ: Was fasziniert Trump so an Putin?
Hill: Es ist sein Stil. Putin war für Trump der ultimative Celebrity-Politiker. Mächtig, reich, führt sein Land wie seine eigene Firma - das wollte Trump auch. Putin ist sein Vorbild. [….]
Ich würde nicht empfehlen, dem Wahnsinnigen erneut die nuclear codes zu überlassen.