Donnerstag, 10. November 2022

Lindner wird gebraucht.

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung existiert seit 1963 und ist inzwischen eine Institution. Jeder kennt ihn unter dem Stichwort „fünf Wirtschaftsweise.“

Ehrfürchtig erwartet die Bundesregierung jährlich diese Experteneinschätzung, die als äußerst seriöse Expertise gewertet wird. Sie schwebt über der Parteipolitik und wird mit größter Hochachtung von den Wirtschaftsredakteuren anerkannt.

Nicht so gern erinnert man daran, wer diese Edel-Ökonomen eigentlich aussucht: Die Bundesregierung selbst, die einen Teufel tun wird, und sich tatsächlich kritische Stimmen in das Expertengremium setzen wird.

Dieses Jahr aber zeigen die multiplen Krisen so offensichtlich eine einseitige Belastung der Geringverdiener, während bei den Superreichen die Kassen klingeln, daß die Wirtschaftsweisen Ungeheuerliches rieten: Steuererhöhungen für Multimillionäre.

Die deutsche Professorin Ulrike Malmendier, die in Kalifornien an der Universität Berkeley lehrt, ist eine der Wirtschaftsweisen und sagte es wirklich:

[….]  SZ: Die Weisen haben nun empfohlen, Besserverdiener befristet mit einem Energie-Soli oder höheren Steuern zu belasten. Ist es nicht seltsam widersprüchlich, sie erst mit der Gaspreisbremse zu entlasten und sie dann steuerlich zu belasten?

Prof. Malmendier: Wichtig ist: Würde auf der Staatsausgabenseite zielgenauer gearbeitet und wären reichere Haushalte von den Entlastungen wie der Gaspreisbremse ausgenommen, dann müssten wir auf der Staatseinnahmenseite weniger über solche ausgleichenden Maßnahmen nachdenken. Netto würden diese Vorschläge also nur die Mängel zu breit gestreuter Ausgaben wieder einfangen. Uns war es aber wichtig, dass nicht nur die Ausgabenseite, sondern auch die Einnahmenseite gründlich diskutiert wird. Je weniger zielgenau und je höher die Ausgaben sind, desto mehr müssen wir uns um die Einnahmen kümmern, wenn wir die Tragfähigkeit der Schulden langfristig garantieren wollen. Dazu haben wir ein paar Optionen aufgezählt, zum Beispiel einen zeitlich streng an die Entlastungspakete gebundenen Energie-Soli oder die Verschiebung des Ausgleichs der kalten Progression. [….]

(SZ, 10.11.2022)

Schock schwere Not – Reiche auch zur Kasse bitten und nicht nur die Armen belasten? Pure Ketzerei! Die erzkonservative FAZ fiel fast in Ohnmacht und ist kurz davor einen Exorzisten zu rufen.

[….]  Fällt jetzt eine der letzten Bastionen des ordnungspolitischen Denkens dem Zeitgeist zum Opfer? Der Sachverständigenrat, traditionell eine liberale Stimme für niedrige Abgaben und einen schlanken Staat, fordert in seinem neuen Jahresgutachten höhere Steuern für Besserverdienende. Wahlweise soll der Ausgleich der kalten Progression ausgesetzt werden, ein „Energie-Soli“ eingeführt oder der Spitzensteuersatz temporär erhöht werden. So seien die Kosten der Krise zu stemmen, schreiben die fünf Wirtschaftsweisen. Diese Botschaft irritiert und um es vorweg zu nehmen: Die Regierung sollte auf keinen Fall auf sie hören. [….]

(FAZ, 09.11.2022)

Es war zwar die Lindner-Regierung, die Professorin Ulrike Malmendier berief, aber so etwas hätte die Frau nicht sagen dürfen. Dem Finanzminister rutschte vor Schreck die goldene Rolex in den Champagner. Er zeigt sich fest entschlossen, seine superreiche FDP-Klientel vor so böser Ideologie zu bewahren. Nein, die Hepatitisgelben werden dafür sorgen, noch mehr von unten nach oben umzuverteilen.

[….]  Das Problem ist nun, dass Steuererhöhungen exakt das sind, was Lindner und die FDP seit Jahren kategorisch ausschließen. Entsprechend deutlich fiel die Reaktion des Ministers und Parteichefs aus. "Wir sind in einer Phase wirtschaftlicher Unsicherheit - da wären zusätzliche Belastungen bei der Steuer enorm gefährlich", sagte er. Auch und gerade Spitzenverdiener steuerten schon heute erhebliche Summen zur Finanzierung des Allgemeinwohls bei. Statt die Steuern zu erhöhen, will die Koalition die Belastung von Gutverdienern sogar noch leicht senken.  [….]

(SZ, 09.11.2022)

Eine derartige Blasphemie, befristete Steuererhöhungen für Superreiche, darf noch nicht mal gedacht werden. Sonst kommt der Urnenpöbel noch auf ganz seltsame Ideen.

Es scheint aber schon einzureißen. Der traditionell FDP-freundliche Spiegel kolumniert heute gar garstig.

[….]  Die Verantwortung der Besserverdienenden

Viele Menschen haben an den Krisen der vergangenen Jahre gut verdient – und sollten stärker in die Pflicht genommen werden. Die SPD sollte sich die Politik nicht von der FDP diktieren lassen. [….]   [….]  Reichtum ist ein Tabu, selbst sehr reiche Menschen rechnen sich gern arm, wie der heutige CDU-Vorsitzende Friedrich Merz. Er sagte in einem »Bild«-Interview 2018, er zähle sich zur gehobenen Mittelschicht. Damals arbeitete er für die Investmentgesellschaft Blackrock und verdiente nach eigenen Angaben eine Million Euro brutto pro Jahr. Mittelschicht, dass ich nicht lache.

Es kann doch nicht sein, dass sich die politischen Steuerungsmaßnahmen in der Krise auf Duschtipps und wildes Herumschenken an alle beschränken, während man die wachsenden ökonomischen Ungleichheiten systematisch ausblendet und staatliche Institutionen und Infrastruktur weiter ausgehöhlt werden. Genau diese Verweigerung von Politik führt dazu, dass die Menschen in ihrer Ratlosigkeit und ihrer Wut und auch in ihrer Überforderung rechtsautoritäre Parteien wählen.

Der König der Verweigerer heißt Finanzminister Christian Lindner (FDP). Seine Reaktion auf die Vorschläge des Sachverständigenrats erinnern an das Kind, das sich die Ohren zuhält und laut »lalala« singt, während man es bittet, seine Hausaufgaben zu machen. Es werde keine Steuererhöhungen geben, denn so steht es im Koalitionsvertrag, basta, und überhaupt seien die armen Bürger schon so gebeutelt, dass ihnen keine weiteren Belastungen zuzumuten sind. [….]

(Sabine Rennefanz, 10.11.2022)

Die Superreichen werden ihre private Lobbygruppe innerhalb der Regierung (FDP) noch dringend benötigen, denn es droht außerdem Ärger an der Klimafront. Die „letzte Generation“ klebt nicht nur im Berufsverkehr auf der Straße oder wirft Dosensuppe auf Gemälde, sondern ließ sich nun etwas ebenso Perfides wie Prof. Malmendier einfallen: Eine Blockade von Privatjet-Terminals. Das trifft jene 0,001% der Allerreichsten, die es gar nicht gewöhnt sind, für irgendetwas zur Rechenschaft gezogen zu werden. Die armen Reichen haben doch schon den Privatjet-Tracker Jack Sweeney, 20, an der Hacke, der täglich twittert, wie viel CO2 die Megastars in die Luft blasen.

[….]  Ein Twitter-Nutzer postet jede Bewegung von Elon Musks Privatjet. [….]  n übereinstimmend US-Medien wie „Business Insider“, aber auch die bestens in der Branche vernetzte PR-Agentur Private Jet Media. In Savannah (US-Staat Georgia) orderte Musk demnach für 78 Millionen Dollar eine Gulfstream G700. Geliefert wird im Frühjahr. [….]   Jack Sweeney ist ein 20-jähriger Student und Software-Entwickler aus Florida und verfolgt Musk derzeit wie eine Stechmücke einen Büffel. Bei Twitter veröffentlicht Sweeney jede Flugbewegung des gebürtigen Südafrikaners, der aktuell meist mit seiner Gulfstream G650 fliegt. Sein Ziel ist es, Musk als Klimarowdy anzuprangern. Besonders in die Kritik geriet ein Neun-Minuten-Flug zwischen den kalifornischen Flughäfen San Francisco und San José. [….]  Sweeney twittert weiter. Musk fliegt dagegen weiter, zuletzt am Montag von Austin nach San Francisco (16 Tonnen CO2; Sprit für 10.296 Euro). Seit er mit seiner Mutter Maye auf der Party von Heidi Klum in New York Halloween feierte, flog er hin und her wie eine Flipperkugel: San José, San Francisco, Washington, wieder New York. [….]  Überhaupt ist Sweeney nicht der einzige Promi-Privatjet-Jäger bei Twitter. Unter Profilen wie "Celebrity Jets" lässt sich verfolgen, dass Rapper Drakes Jet am Mittwochmorgen in elf Minuten von Hamilton nach Toronto flog (beides in Ontario, Kanada; CO2: 4 Tonnen). Sein Rap-Kollege Travis Scott brauchte 51 Minuten von Rio de Janeiro nach São Paulo.  Scotts Quasi-Schwägerin Kim Kardashian hob für 28 Minuten innerhalb Kaliforniens ab, als es sie von Camarillo nach Long Beach zog. In 17 Minuten flog Tom Cruise in Florida von Palm Beach ins benachbarte Fort Lauderdale. Auch Ex-Baseballer Alex Rodriguez, Ex-Boxer Floyd Mayweather, Kosmetikqueen Kylie Jenner und Countrysänger Blake Shelton jetteten umher. Den Rekord dürfte allerdings niemand geringeres als Taylor Swift halten. Swifts Jet startete von Januar bis Juli 170-Mal. Ihre Emissionen sind damit 1100-mal höher als bei Durchschnittsamerikanern. Der Vorwurf sei „eklatant falsch“, versuchte ihr Sprecher abzuwiegeln. Meistens säße die Sängerin gar nicht in ihrem Flieger. Für das Klima bedeutet das jedoch keinen Unterschied. [….]

(Abendblatt, 10.11.2022)

Die Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam berichtete schon vor zwei Jahren: Das reichste 1 Prozent (63 Millionen Menschen) hat zwischen 1990 und 2015 mehr als doppelt so viel klimaschädliches CO₂ ausgestoßen wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung zusammen.

Die Superreichen wie Musk und Bezos sind die Treiber der Klimakrise.

[….] Ein Milliardär ist so klimaschädlich wie eine Million Menschen

Privatjets, Superjachten, Luxusvillen – all das verursacht Emissionen. Zudem bewirken schon allein die Investitionen von 125 Milliardär*innen jährlich so viel Treibhausgase wie ganz Frankreich. [….]  125 Milliardär*innen sind im Durchschnitt wegen ihrer Investitionen für so viele Emissionen verantwortlich wie eine Million Menschen aus den ärmeren 90 Prozent der Weltbevölkerung. Das geht aus unserem neuen Bericht „Carbon Billionaires: The investment emissions of World’s richest people” hervor, den wir anlässlich der UN-Weltklimakonferenz COP 27 in Scharm El-Scheich veröffentlicht haben.  „Schon die Emissionen, die Milliardär*innen durch eigenen Konsum mit Privatjets, Superjachten und Luxusvillen verursachen, betragen das Tausendfache der weltweiten Pro-Kopf-Emissionen. Wenn man sich zudem die Emissionen ansieht, die durch ihre Investitionen mitverursacht werden, sind ihre Treibhausgasemissionen um ein Vielfaches höher. Die 125 untersuchten Milliardär*innen haben zusammen ‚Investitions-Emissionen‘, die dem Treibhausgas-Fußabdruck ganzer Länder entsprechen“, sagt Manuel Schmitt, Referent für Soziale Ungleichheit bei Oxfam Deutschland.  [….]

(Oxfam, 07.11.2022)

Sollte sich dieser sozialistische Unsinn noch weiter verbreiten, nachdem auch Milliardäre solidarisch sein sollen, für die katastrophalen Folgen ihres Handelns haften oder gar – PFUI – Steuern zahlen, wird Lindner einiges zu tun haben, um seine Jungs zu schützen.

Aber zum Glück für die Megareichen, sind die Deutschen derzeit weit davon entfernt linke Parteien zu wählen und wünschen sich mehrheitlich Blackrock-Millionär Merz als Kanzler. Die CDUCSU liegt in der Sonntagsfrage weit vorn. Bei dem Urnenpöbel muß kein Privatjetbesitzer befürchten, daß die Steuerbefreiung für Kerosin beendet wird oder gar Einkommensteuern drohen.