Montag, 1. Februar 2016

Impudenz des Monats Januar 2016


Und schon wieder einmal zeigt der Kalender eine „1“ - hohe Zeit für mich den Blödmann des Monats zu küren.


Talkshows, Zeitungen, die großen Parteien angstbeißen jetzt um sich.

Die am Donnerstag von der Regierungskoalition vereinbarte zweijährige Aussetzung des Familiennachzugs für Flüchtlinge, die nur einen so genannten subsidiären Schutzstatus haben, sei „inhuman und herzlos“, kritisierte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätische Wohlfahrtsverbands. Es sei „zum Fremdschämen, wie hier in Kauf genommen wird, dass sich noch mehr Frauen und Kinder in die Hände von skrupellosen Schleppern auf den gefährlichen Fluchtweg über das Mittelmeer begeben.“
[….] Als „schäbig“ kritisierte die Linksfraktion die Einigung. „Die SPD knickt vor der Union ein, die vor der AfD einknickt“, sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Jan Korte. Die Folgen des Koalitionsbeschlusses werde man „nur im Mittelmeer spüren, wo noch mehr Frauen und Kinder ihr Leben auf der Flucht aufs Spiel setzen müssen“. Von einem „Förderprogramm für Schlepper“ sprach die Linkspartei-Chefin Katja Kipping. „Da werden die Daumenschrauben in der Asylpolitik weiter angezogen“, sagte die Grünen-Vorsitzende Simone Peter.

Ich gebe zu, ich bin ehrlich beeindruckt.
Beeindruckt, wie eine Regierungskoalition mit einer derartig großen Mehrheit – immerhin 80% der Sitze – so volle Hosen haben kann.
Tatsächlich dachte ich, es wäre in den letzten zehn Jahren in allen Bundestagsparteien Konsens geworden, daß Deutschland bei der Integration von „Gastarbeitern“ in den 60er und 70er Jahren total versagt hätte.
Waren wir uns nicht alle einig, daß es ein fataler Irrweg war, sich auf den Standpunkt zu stellen, die verschwänden irgendwann von allein wieder alle zurück in ihre Herkunftsländern und deswegen müsse man sich auch nicht um Deutschkenntnisse und Schulbildung der Kinder kümmern?
Schon die fatale Herdprämie war eine klare Anti-Integrationsmaßnahme, bei der mit Milliarden Steuergeldern in die Volksverdummung investiert werden sollte.
Nun wiederholen und verschärfen CDU, CSU und SPD alte Fehler und setzen ausdrücklich auf Desintegration.

Wir haben in der Tat einen Kurswechsel, weil wir weggehen von der Integration.
Wer Familiennachzug verhindert, der verhindert Integration! Wer wie die SPD möchte, daß Flüchtlingen, selbst wenn sie anerkannt sind, nicht dahin ziehen sollen, wo sie arbeiten, sondern ihnen Zuweisungen erteilt, auch der verhindert Integration. Integration erfolgt im Wesentlichen über Familie und Arbeit. Wer in diesen beiden Punkten eine andere Politik einschlägt, der hat sich in der Tat schon länger davon verabschiedet hier für Integration zu sorgen. Ich glaube, daß wir gerade dabei sind, daß die Kanzlerin, getrieben von unter anderem der CSU und getrieben von der Angst vor der AfD hier die Kurswende eingeleitet hat. Aber da gilt der alte Satz von Rainer Werner Fassbinder, der sagt „Angst essen Seele auf!“.

Deutschland einig Menschenhass.

Raus mit den Hilfesuchenden.

Raphaele Lindemann, junger Arzt aus Mainz, der vier Wochen in einem bayerischen Erstaufnahmelager arbeitete, beschreibt es wie folgt:

[….] Ich bin zur Zeit als Arzt für die medizinische Erstversorgung der neu in Deutschland ankommenden Flüchtlinge zuständig. Diese findet nahezu vor jedem weiteren Schritt statt. Also vor der Registrierung (inkl. Fingerabdrücke und Foto!), der Versorgung mit gespendeter (Marken-)Kleidung, der Möglichkeit sich zu duschen, etwas zu essen oder der Verteilung auf das restliche Bundesgebiet etc. Das heißt im Klartext, dass man hier einen Eindruck in Reinform über die tatsächliche Situation der ankommenden Flüchtlinge erhält.
Dieser Eindruck ist pur und absolut ungefiltert. [….] Diese Menschen kommen in einem absolut desolaten und erbarmungswürdigen Zustand hier an. Sicher wird es manchen erstaunen, dass es sich nicht zu 90% um junge, gesunde Männer handelt. Das hat das Wanken der Nachzugsreglung erfolgreich zum Schlechteren gewendet. [….] In der aktuellen Situation müssen wir uns verdeutlichen, welchen Selbstanspruch wir an unsere Kultur haben. Natürlich könnten wir die Grenzen dicht machen und so tun als wäre Merkel an allem Elend dieser Welt schuld. Aber glaubt denn wirklich irgendwer damit wäre das Problem gelöst? Ich höre hier im Lager durchgehend weinende Kinder. Und ich weiß, dass sie dann halt vor unseren Grenzen weinen würden. Würden wir damit unsere Zivilisation retten? Nur weil wir es dann nicht mehr sehen und im Fernsehen einfach bequem umschalten können? Es zeugt schon von einer bemerkenswerten Moralvorstellung, wenn man auf fb das Elend eines gequälten Hundes anprangert und gleichzeitig sehenden Auges all diese Menschen vor unseren Grenzen krepieren lassen will – und wenn es nur durch Unterlassung ist. Ob das ein schützenswertes Abendland ist? [….]

Wie kommt es zu dieser Brutalisierung in der deutschen Gesellschaft?
Daß man nach Schießbefehl schreit und dafür Rekord-Wahlergebnisse erhält?

Ich glaube, eine Hauptursache liegt im Totalversagen unserer „Talkshow-Kultur“.

Daher küre ich Anne Will, Sandra Maischberger, Günter Jauch und Frank Plasberg zur Impudenz des Monats Januar 2016.

Es gab einmal Zeiten, als man Fernsehjournalisten klar nach dem Rechts-links-Muster zuordnen konnte.
Beim ARD-Flaggschiff „Tagesthemen“ gab es zwei Moderatoren; einer SPD-freundlich, einer auf CDU-Ticket. So lief das über Jahrzehnte.

Ulrike Wolf rechts
Hanns Joachim Friedrichs links
Sabine Christiansen rechts
Ulrich Wickert links
Anne Will rechts
Usw.

Man geißelte diese Methode der Ausgewogenheit als parteilichen Einfluss in den Rundfunkgremien.

Tatsächlich sind die Anchors und Talkshowleute, die sich wie Steffen Seibert, Reinhold Beckmann, Siegmund Gottlieb oder Peter Hahne parteipolitisch ganz klar verordnen lassen (alle vier CDU/CSU) seltener geworden. Noch seltener sind nur noch die SPD-Freunde. Angeblich gehört Maybrit Illner noch dazu. Aber der letzte ZDF-Mann, der links von der CDU stand und über Rückgrat verfügte – Nikolaus Brender – wurde von Roland Koch und Angela Merkel in neopolnischer Manier als „zu unbequem“ aus seinem Job entfernt.

 Plasberg, Jauch und Maischberger geben sich betont unpolitisch. Prahlen damit als Wechselwähler schon selbst jede Partei (außer den Linken natürlich) gewählt zu haben.
Vermutlich sind die drei Plapperisten sogar stolz drauf nicht mehr auf einem Parteiticket zu ihren Jobs gekommen zu sein und nun mit jedem zu Recht zu kommen.

In Wahrheit ist dadurch aber alles noch schlimmer geworden, weil sie sich dadurch selbst überschätzen. Sie halten sich für überparteiliche Institutionen, die so eine Art demokratische Apotheose in ihren Talkshows aufführen.
Dabei ist doch die eigentliche Frage, wer in ihren Redaktionen bestimmt.
Die Gästelisten sprechen dabei Bände. CDU/CSU-Freunde sind deutliche überrepräsentiert. Atheisten kommen so gut wie niemals vor – obwohl sie die relative Mehrheit in Deutschland bilden.

Die Heute Show-Redaktion durchsuchte die Themen der großen ARD- und ZDF-Talkshows der letzten fünf Jahre und fand allein 85 Sendungen, die sich kritisch mit Ausländern und Asylanten auseinandersetzten.

Die richtig Rechten, die Xenophoben, die ungeniert in Talkshows sitzen und gegen Flüchtlinge polemisieren, sind omnipräsent.
Köppel, Friedrich, Petry, Scheuer, Herrmann, Höcke, Gauland plappern uns von den öffentlich-rechtlichen Sendern protegiert fast täglich mit ihren rechtsextremen Ansichten voll.

Die deliberative Demokratie setzt ein Mindestmaß an gutem Willen voraus. Aber die Rechten lügen, wenn sie den Mund aufmachen. Sie haben dabei kein schlechtes Gewissen. Sie fühlen sich in der demokratischen, liberalen Mehrheitsgesellschaft als Partisanen der Politik. Darum ist die Lüge ihr politisches Prinzip, und ihre Taktik ist die Täuschung. Die Demokraten stellt das vor ein Problem. Wie begegnet man jemandem, der die Politik als Betrugsgeschäft betreibt und die Lüge zur Wahrheit macht?

Niemand sitzt so oft in Talkshows wie der Merkel-Kritiker Wolfgang Bosbach, obwohl er ein Lügner ist.

Man glaubt es kaum, aber wer ist zu Gast in der jetzt laufenden Plasberg-Sendung?
Wolfgang Bosbach, der überführte Lügner und Ausländerfeind.

König der Dampfplauderer ist und bleibt aber Wolfgang Bosbach, der sich immer als aufrechter Kämpfer gegen Bevormundung inszeniert, der als einziger ehrlich seine Meinung sage.
Ihm ist es fast egal um welches Thema es geht, Hauptsache er kann sein Gesicht vor die Kameras bringen. Bosbach ist omnipräsent. Was Bosbach sagt, wird sofort weiterverbreitet.

Wolfgang Bosbach hat seinen Titel verteidigt. Im dritten Jahr hintereinander gelang es ihm, die Talkshow-Studios der Republik häufiger zu bespielen als jeder andere.

Die Talkshowredaktionen versagen aber nicht nur bei ihrer Gästeauswahl, sondern vor Allem mit ihrer Themensetzung.
WER hat ihnen eigentlich aufgetragen sich stets nach den Ängsten der zehn bis 20% Rechtsextremen in Deutschland richten zu müssen?
Es gäbe so viel mehr und wichtigere Themen.

Alle reden zurzeit dauernd und ausschließlich mit der AfD oder über die AfD, es ist fast schon eine Obsession: Es gäbe genug zu diskutieren, über den Klimawandel, TTIP, die globale Ungerechtigkeit, das Wesen des Kapitalismus, das Leiden der Menschen in Syrien, die Schönheit und den Schrecken des Islam oder auch nur die Zukunft der intelligenten Maschinen und den Platz des Menschen.
Aber im deutschen Panikmodus wird all das ignoriert - man ordnet sich dem Diskursgetrommel der Rechten unter, als habe man wirklich Angst, dass man sich sonst zum "Volksverräter" machen könnte. Rechte Ängste nimmt man eben ernster als linke Ängste.

Die Sonntags-Kolumne von Georg Diez über das Scheitern der Talkshow-Republik an der AfD ist so gut, daß ich es nicht dabei belassen will einzelne Sätze zu zitieren, sondern jeden bitte den vollständigen Text zu lesen.