Es gibt Autoren, die ich so sehr liebe, daß ich auch ihre Texte zu Themen lese, die mich gar nicht interessieren, weil die Sprache so schön ist.
Meine Lieblingsschreiberin beim SPIEGEL ist gegenwärtig natürlich die großartige Anja Rützel, die heute beispielsweise in ihrer unnachahmlichen Art über Dieter Bohlens peinliche DSDS-Eskapaden berichtet. Die Sendung sehe ich nicht, aber erstens bin ich Dank Rützel dennoch grob informiert, worum es geht und zweitens ist es ein stilistischer Genuss, sie zu lesen.
Einer meiner Lieblingstexte von ihr heißt „Aufs Huhn gekommen“ von 2017 über ein Hühnerseminar einer weltbekannten Tiertrainerin.
Ihre weiteren Spezialthemen sind Hunde (interessiert mich nicht), Take That (interessiert mich kaum), das britische Königshaus (interessiert mich) und immer wieder Trash-TV, wobei insbesondere ihre Erklärungen der RTL-Dschungelshow Highlights des deutschen Feuilletons sind.
Durch Anja Rützel ist mir der Name Nicolas Puschmann geläufig. Der junge Hamburger geriet ins Trash-Universum der RTL-Sendergruppe als erster schwuler Bachelor.
[….] "Welches Beautytreatment lasse ich regelmäßig durchführen?", brüllt also Nicolas Puschmann in einer Szene von "Prince Charming" in ein Megafon, quer durch einen Wasserspaßpark, hoch zu den Rutschen, wo sechs Anwärter auf sein Herz stehen. Puschmann ist die Hauptfigur dieser Show. "A) Analwaxing, B) Augenbrauenzupfen?", so fragt er. Man muss Puschmann nicht persönlich kennen, nur schon ein paar Folgen gesehen haben, um – im Gegensatz zu den ratlosen Rutschern – die richtige Antwort zu wissen: A, natürlich. [….] Nicolas Puschmann, der in der Sendung auch ernsthaft "der Prince" genannt wird, ist eigentlich Kundenbetreuer im Außendienst, er sieht gut aus, ist lustig und weitgehend unbelastet von störender Scham. "Ich bin froh, dass ich mir erlaube, mich so nackt zu zeigen vor den Jungs", sagt er und meint damit sowohl das körperliche wie emotionale Blankziehen. Schon in der ersten Folge zeigt er seinen nackten Hintern, später wird dann auch geweint – beides kennt man von den bisherigen "Bachelors" eher nicht, deren Tiefe sich oft in extremen V-Ausschnitten und kehrvershaft aufgesagten Jammergeschichten über früheres, glücklicherweise überwundenes Übergewicht erschöpfte. [….] Es ist ein gelungenes Kunststück, dass diese ernsthaften Einschübe nicht aufgesetzt und aufgesagt erscheinen, weil sie schließlich in viel formatobligatorischen Ringelpiez mit noch mehr Anfassen eingebettet sind. Der Prince geht dabei extrem unverdruckst ans Werk, in einer Folge küsste er mehr Kandidaten als ein durchschnittlich züngelfroher Hetero-Bachelor in der ganzen Staffel – dabei wurden in der Auftaktfolge noch umfassende Monogamieschwüre abgelegt. [….]
Der analgewaxte Puschmann hinterließ insofern bleibenden Eindruck, als er auch weiterhin im Trash-Universum gebucht wurde und beispielsweise bei der populären „Let’s Dance“-Show als Teil des ersten Männerpaars sein Tanzbeinchen schwang.
Vor ein paar Wochen durchbrach Puschmann die Grenze zwischen Reality-TV und Realität, indem er durch einen homophoben Vorfall, ausgerechnet auf dem homophilen Hamburger Kiez, in die Schlagzeilen geriet. Ein Security-Mitarbeiter habe ihn schwulenfeindlich beschimpft, niedergeschlagen und blutend liegen lassen. Puschmann erstattete sofort Anzeige, ging am folgenden Tag erneut zur Polizei, um seine Aussagen zu unterstreichen und breitete den Vorfall weinend in einer Instagram-Story aus.
[….] Angeklagt ist ein Securitymitarbeiter (39), der den Reality-TV-Darsteller bei einem Besuch des Weihnachtsmarktes „Santa Pauli“ ins Gesicht geschlagen haben soll.
Der Vorfall hatte sich laut Anklage am 3. Dezember 2021 ereignet, als Puschmann, der inzwischen in Köln lebt, seiner Heimatstadt Hamburg einen Besuch abstattete und mit einem Freund über den Weihnachtsmark bummelte. Auf seinem Instagram-Account soll er sich und den Begleiter gefilmt haben, wie sie Glühwein tranken, die Regenbogenfahne schwenkten und tanzten. [….] Ebenfalls via Instagram zeigte Puschmann sich seinen Fans an jenem Abend auf dem Weihnachtsmarkt wenig später mit blutiger Nase, soll dazu erklärt haben, er sei von einem Sicherheitsmann angegriffen worden: „Wenn ihr meint, dass sich Leute nicht mehr einsetzen sollten und nicht mit Männern gemeinsam tanzen sollten, im TV oder CSD feiern sollten, weil wir ja eh alle die gleichen Rechte haben – nein, haben wir nicht und es gibt genügend Leute, die finden uns extrem scheiße“, soll er unter Tränen erklärt haben. […]
Es ist unerträglich, daß solche homophoben Attacken immer noch stattfinden. Und das im liberalen Hamburg. Man schämt sich für die Stadt.
Gestern kam es zum Prozess und es kam erheblich schlimmer als erwartet. Puschmann begab sich offenbar auf Ofarim-Smollett-Pfade!
Er war volltrunken, aggressiv und unangenehm. Den gesamten homophoben Aspekt dachte er sich aus. Als er einen Platzverweis kassierte, rastete er komplett aus, pochte auf seine Prominenz und schrie: „Das lasse ich mir von einer fetten Sau, die noch nie im Leben gefickt hat, nicht bieten!“
[….] Christian Lange ist der Verteidiger des Security-Chefs und sagt aus, dass sein Mandant am 03. Dezember 2021 zum Weihnachtsmarkt gerufen wurde, weil zwei Personen einen Wasserschlauch abgerissen hätten: Puschmann und sein Begleiter wurden dann dort angetroffen und passten auf die Beschreibung. Daraufhin habe er einen Platzverweis ausgesprochen. Es kam zum Streit und sein Mandant habe in Notwehr gehandelt: „Er hat ihn nicht mit der Faust geschlagen, sondern hat ihn lediglich mit der Hand von sich gestoßen und das in Notwehr, nachdem seitens des Anzeigenden nach ihm geschlagen worden ist.“ [….] Renata Behneke hat einen Stand auf dem Weihnachtsmarkt und wird hautnah Zeugin der Auseinandersetzung zwischen Nicolas Puschmann und dem Sicherheitsbeauftragten. Im RTL-Interview erinnert sie sich: „Der Herr Puschmann hat sich daneben benommen. Er war stark alkoholisiert und wollte den Platz nicht verlassen und hat den Security-Mann aufs übelste beleidigt.“
Außerdem erzählt Renata Behneke: „Herr Puschmann sagte immer wieder. ‘Du weißt nicht, wer ich bin’ und hat ihn als fette Wanze betitelt“. Der Angeklagte soll dabei sehr ruhig geblieben sein: „Der Security-Mann hat immer gesagt, mir egal wer du bist - wer sich nicht benimmt, verlässt den Platz“. Dann soll Nicolas Puschmann den Sicherheitsbeauftragten angegriffen haben. „Herr Puschmann hat seine letzte Kraft genommen und ist auf den Security los, der sich dann letztendlich gewehrt hat. Und Herr Puschmann ist dann gestürzt.“ [….]
Der Security-Mitarbeiter wurde selbstverständlich freigesprochen und erwägt zivilrechtliche Schritte, weil er als vermeidlich Homophober keine Job mehr in Hamburg bekam.
Ich hoffe, es gibt einen besonderen Platz in der Trash-TV-Hölle für Puschmann. Er hat es allen echten Opfern von homophober Gewalt schwerer gemacht, weil nun alle homophoben Blogs, Kirchen, AfD-Politiker den Fall Puschmann als Argumentations-Ass zu ziehen werden, damit man den Opfern nicht glaubt.
Schande über Puschmann! Pfui!
(…..) Einen ähnlichen Bärendienst leistete Gil Ofarim, der sich in Leipzig gekränkt fühlte, weil er am Check In des Westin Luxushotels nicht sofort als Superpromi erkannt wurde, darauf anfing rumzupöbeln, die Lobby verlies, draußen seinen David-Stern hervorkramte und über seine Social-Media-Kanäle jammerte, er sei antisemitisch beleidigt worden.
[….] Doch der Musiker lässt sich nicht beruhigen, im Gegenteil. Folgt man der Darstellung der beiden Hotelangestellten, wird er nun ausfallend und redet sich in Rage. Ein Zeuge in der Lobby beschreibt Ofarim später gegenüber der Polizei als »frech«. Der Künstler sei an diesem Abend der einzige Gast gewesen, der sich über den langsamen Check-in beschwert habe. Videoaufnahmen zeigen, wie Ofarim im Streit mit den Armen gestikuliert und sich beidhändig auf dem Schalter aufstützt. Laut Sophie G. spricht er von einer »Frechheit«. Schließlich droht Ofarim, den Vorgang online zu thematisieren, das werde dann viral gehen – so schildern es sowohl Markus W., als auch seine beiden Kolleginnen sowie zwei Gäste direkt hinter dem Musiker. Vermutlich ist es jener von den Kameras festgehaltener Moment, in dem Ofarim die Hände mit schwungvollen Bewegungen ineinanderklatscht, wohl begleitet von den Worten: »Dann geht das auf Facebook und Instagram, bamm, bamm, bamm.« [….]
Was für einen Bärendienst erweist Ofarim damit den Juden, die tatsächlich unter antisemitischen Anfeindungen leiden. Ihnen wird nun aber etwas weniger geglaubt werden.
[….] Als Gil Ofarim erklärte, er sei antisemitisch angegangen worden, glaubte auch ich ihm. Heute weiß ich es besser. Das bedeutet aber nicht, dass Menschen, die Diskriminierung beklagen, nicht geglaubt werden sollte – im Gegenteil. [….]
(Samira El Ouassil, 07.04.2022)
Ähnlich katastrophal verhielt sich der schwule, schwarze Schauspieler Jussie Smollett, der eine schwulenfeindliche Attacke auf sich inszenierte, um als Opfer Ruhm und Schlagzeilen zu bekommen.
[….] Schauspieler Jussie Smollett zu 150 Tagen Gefängnis verurteilt. Er soll eine homophobe Attacke auf sich selbst vorgetäuscht haben: Nun muss Schauspieler Jussie Smollett für knapp fünf Monate in Haft – und eine hohe Geldsumme zahlen. [….]
Erbärmlich! Was für einen Bärendienst erweist Smollett Myriaden Schwulen in den USA, die wirklich homophob angefeindet werden und deren Berichten man nun skeptischer gegenüberstehen wird.
Im Sexualstrafrecht ist die „Falschbeschuldigung als Vergewaltiger“ regelrecht zum Mythos geworden, auf den sich tatsächliche Vergewaltiger nur allzu gern beziehen. (…)