Noch
zwei Tage.
Sinnloserweise
durchstreift man die News nach immer neuen Hinweisen auf den Ausgang der Wahl.
In welchen Bundesstaaten sieht es wie aus, wo tauchen die Bewerber noch auf,
wohin wird das letzte Werbegeld gelenkt?
Insgesamt
sollen diesmal fast sechs Milliarden Dollar für die US-Präsidentschaftswahl verschleudert
werden – und es nützt nichts, noch einen Cent in der Kasse zu haben, wenn man
verloren hat.
Also wird
jetzt auf den letzten Metern gnadenlos alles rausgeballert, um Werbezeiten zu
kaufen und noch mal Ads zu schalten.
Ich
gehöre zu denen, die es kaum noch aushalten, die sich rund um die Uhr den Kopf darüber
zerbrechen, wie wohl die Welt am Mittwoch, den 09.11.2016 aussehen mag.
Jetzt
exzessiv Umfragen zu konsumieren ist im hohen Maße Zeitverschwendung. Es gibt
so viele davon, daß man jedes erdenkliche Ergebnis irgendwo prognostiziert
findet. Es ist alles Spekulation. Wofür verschwendet man also seine
Aufmerksamkeit, wenn wir es in gut zwei Tagen genau wissen werden?
Es ist
einerseits die irrationale Neugier und andererseits beinhalten die vielen Reportagen aus den entlegensten Ecken der USA
doch eine Menge über den Wahltag hinausreichende Informationen.
Inzwischen
habe ich so viele wütende und ungebildete Amerikaner im O-Ton
vorgespielt bekommen, daß ich schon von Maximal-BMI-Rednecks mit fauligen
Zähnen und Jagdgewehren träume.
Daß der
grenzenlose Hass, den Trump und die Republikaner auskübeln extrem unpatriotisch
ist und dem Land einen womöglich letalen Schaden zufügt, dürfte inzwischen
unumstritten sein.
Keine
Reportage, die sich nicht grämt, die Gräben seien gar nicht mehr zuzuschütten.
Am Ende würden alle beschädigt sein.
Wohl
wahr. Das Desaster, das eine Wahl Trumps auslösen würde, will ich mir gar nicht
ausmalen.
Ich kann es kaum
glauben und meine Finger krümmen sich, während ich das hier schreibe, aber ich
fürchte, dass Donald Trump zum nächsten Präsidenten der Vereinigten Staaten von
Amerika gewählt werden wird.
Und so ist es
passiert.
Es war wie ein
Zugunglück, dem viele Menschen mit Staunen, Angst und Abscheu zugeschaut haben,
über viele Monate hinweg; und nun, kurz bevor die Züge endgültig aufeinander
prallen, setzt so etwas wie Erkenntnis ein. [….]
Aber
selbst das gerade noch im Bereich des Möglichen liegende Best-Case-Szenario,
also ein klarer Clinton-Sieg mit einer Senatsmehrheit für die Demokraten würde
nicht die 50 Millionen fanatischen Hasser im Lande beseitigen.
Die
eigene Regierung würde weiterhin von einer Armada aus rechts-religiösen
Radiostationen und Myriaden Profi-Hetzern unter Beschuss genommen.
Die
Republikaner würden erst Recht im House auf pure Obstruktion schalten.
Außerdem
nehme ich an, daß bei den Zwischenwahlen von 2018 aus Frust über Clinton und
die vergeigte Präsidentschaftswahl die GOP voll durchmarschieren wird.
Spätestens dann hieße es wieder Gridlock Total.
Hat die
planetare Vorzeige-Demokratie, the land of the free, der Sehnsuchtsort aller
Auswanderer gar nichts Positives mehr zu vermelden?
Au
contraire mon frère.
Der
abschreckende Effekt der freiheitlichen westlichen Demokratie, der
unkontrollierte Niedergang der Nation mit der Homoehe und der Marihuana-Freigabe
ist ein Geschenk für alle Autokraten, die in den letzten Jahren befürchten
mußten, ihre Völker könnten auch so was wie Mitsprache und freie Wahlen
einfordern.
Recep
Tayyip Erdoğan kann auch deswegen konsequent die demokratischen Elemente der
Türkei abschaffen, weil das Idealland, dem post-autoritäre Staaten in den
letzten Dekaden nacheiferten, nun abschreckend wirkt.
Will man
etwa Zustände wie in Amerika? Öffentliche Pöbeleien und Schmutzkampagnen? Eine
nicht mehr stattfindende Außenpolitik, weil ein de facto nicht mehr
arbeitsfähiger Kongress seine gesamte Energie darauf verwendet die eigene
Regierung zu kastrieren? Will man eine Schmuddelpresse, die rund um die Uhr Toppolitiker
des eigenen Landes weidwund schießt?
Will man
etwa eine Türkei, die sich 18 Monate mit einem extrem unwürdigen Spektakel vor
der gesamten Weltöffentlichkeit blamiert?
Nein,
wir wollen keine US-Zustände. Seht her, Türken wie froh Ihr über den starken
Präsidenten Erdoğan sein können. Der läßt sich nicht fesseln und setzt
türkische Interessen durch.
Nur zu
offensichtlich begeistert sich auch Wladimir Putin an der Schockperformance,
die Amerika seit anderthalb Jahren abliefert.
Falls
irgendwelche russischen Oppositionellen sich über Einschränkungen der
Pressefreiheit oder anderen Formen der Putinschen Machtfülle echauffieren
wollten, so werden sie es jetzt viel schwerer haben, weil immer mehr Russen
doch ganz froh sind von so einer starken Hand regiert zu werden. Bloß nicht so
ein Chaos wie in Amerika.
[….]
Die Amerikaner sollten sich gut
überlegen, wem sie am 8. November ihre Stimme geben, erklärte der
nationalistische Populist Wladimir Schirinowskij unlängst in einem Interview:
"Sie stimmen für den Frieden auf Erden, wenn sie Trump wählen. Aber wenn
sie Hillary wählen, bedeutet das Krieg. Es wird Hiroshimas und Nagasakis
überall geben."
[….]
Über Monate haben die staatlichen
russischen Medien eine regelrechte Rufmord-Kampagne gegen Hillary Clinton
gefahren, und zwar sowohl die nationalen als auch die internationalen wie der
Propaganda-Kanal Russia Today und die Agentur Sputnik. Die Behauptung, die
Clintons hätten bei der Gründung der Terrormiliz "Islamischer Staat"
Pate gestanden, war dabei nur ein Höhepunkt. Zuletzt raunte der TV-Moderator
und Chef der Propaganda-Agentur Rossija Segodnja, Dmitrij Kisseljow, das
US-Establishment werde Donald Trump eher umbringen, als ihn Präsident werden zu
lassen.
Die Sender ließen kaum
eine Verschwörungstheorie aus. Als das Trump-Lager Zweifel an Hillary Clintons
Gesundheit streute, spielte das sonntägliche Nachrichtenmagazin Westi Nedeli
(Nachrichten der Woche) Zusammenschnitte von Husten-Anfällen der Kandidatin in
Dauerschleife. Videos, auf denen sie den Kopf schüttelt, wurden so montiert,
dass es wirkte, als leide Clinton an einer Nervenkrankheit. Die Zuschauer
mussten den Eindruck gewinnen, das Rennen um die US-Präsidentschaft werde
zwischen einem authentischen Haudrauf mit Sympathien für Russland und einer
nervenkranken Todgeweihten ausgetragen. [….]
Am meisten
freut sich aber vermutlich Xi Jinping, Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas
und in Personalunion Staatspräsident der Volksrepublik China über das
Schauspiel in Amerika.
Seine
Machtfülle wird inzwischen mit Mao und Deng gleichgesetzt, aber müßte nicht
auch er im Internetzeitalter befürchten, daß die immer wohlhabenderen Chinesen
nach persönlichen Freiheiten, nach Demokratie und Mitsprache verlangen?
In der Tat sah es einige Zeit so aus, aber jetzt zeigt Washington allen missmutigen Chinesen welche enormen Vorteile das straff-autokratische Zentralregime hat.
In der Tat sah es einige Zeit so aus, aber jetzt zeigt Washington allen missmutigen Chinesen welche enormen Vorteile das straff-autokratische Zentralregime hat.
[….]
Neuer deutscher Exportschlager für den
chinesischen Markt gesucht? Wie wär's mit dem anderswo schon beliebten
deutschen Wort "Schadenfreude"? Nichts beschreibt die Stimmung in den
oberen Rängen der Kommunistischen Partei im Moment wohl besser. Wer auch immer
am Dienstag die Wahl in den USA gewinnt, einen selbsterklärten Sieger haben wir
jetzt schon: Chinas KP.
Chinas Propaganda kann
ihr Glück ob des Trump-Clinton-Spektakels kaum fassen. Die KP erklärt seit
Jahrzehnten jede Wahl in den USA zur betrügerischen Show, die Demokratie nur
vorgaukle, während China mit seiner Ein-Parteien-Herrschaft gut bedient sei.
Aber in diesem Jahr,
da sich auch in westlichen Partnerdemokratien das Publikum angewidert abwendet
vom Trump'schen Treiben, wo das Entertainment die Substanz und die Lüge die
Wahrheit ersetzen, wo der Kandidat selbst in alle Mikrofone brüllt, dass das
System nur Lug und Trug sei im Dienste einer korrupten, manipulativen Elite in
Washington - da schreibt sich die Propaganda von selbst.
[….]
Da können Chinas Staatsmedien sogar
Krokodilstränen vergießen, da darf die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua
klagen, wie "traurig" es sei, dass "das amerikanische System
nicht funktioniert", da titelt das Parteiblatt: "Enttäuschend,
deprimierend, unehrlich". Die Volkszeitung schreibt von "Chaos",
von einem "Witz", davon, dass "Amerikas Demokratie unter
Buhrufen in den Morast gefallen ist".
[….]
Reihenweise werden von der Partei nun
Chinas Amerika-Experten aufgeboten, die "das Versagen der amerikanischen
Demokratie" konstatieren, wie das im September Zhang Zhixin, der
Amerika-Chef am Chinesischen Institut für Internationale Beziehungen, in einem
Essay schrieb. Selbst wenn Trump verliere, so Zhang, habe er schon jetzt die
politischen Fundamente des Landes "unwiderruflich geschädigt".
[….]
Die Volkszeitung hatte besondere Freude
dabei, das Ende des politischen Moralpredigers USA zu verkünden, der der Welt
sein System jahrzehntelang als überlegen angepriesen hatte: "Zeit, dass
dieser 'Demokratie-Missionar' sein übertriebenes Selbstwertgefühl und seine
Arroganz ablegt".[….]
War
Amerika über Jahrzehnte das leuchtende Vorbild für Freiheit und Demokratie, dem
es nachzueifern galt, so haben es 20 Jahre republikanische Obstruktion, Bildungsfeindlichkeit
und radikaler Evangelikalismus vermocht, Amerika in ein Abschreckungs-Szenario
zu verwandeln.
Autokraten
in aller Welt können dankbar sein.
Welches
Volk sollte sich schon für Demokratie einsetzen, wenn Demokratie Trump, Palin
und Pence hervorbringt?