Sonntag, 6. November 2016

Gewinner der US-Wahl



Noch zwei Tage.
Sinnloserweise durchstreift man die News nach immer neuen Hinweisen auf den Ausgang der Wahl. In welchen Bundesstaaten sieht es wie aus, wo tauchen die Bewerber noch auf, wohin wird das letzte Werbegeld gelenkt?
Insgesamt sollen diesmal fast sechs Milliarden Dollar für die US-Präsidentschaftswahl verschleudert werden – und es nützt nichts, noch einen Cent in der Kasse zu haben, wenn man verloren hat.
Also wird jetzt auf den letzten Metern gnadenlos alles rausgeballert, um Werbezeiten zu kaufen und noch mal Ads zu schalten.

Ich gehöre zu denen, die es kaum noch aushalten, die sich rund um die Uhr den Kopf darüber zerbrechen, wie wohl die Welt am Mittwoch, den 09.11.2016 aussehen mag.
Jetzt exzessiv Umfragen zu konsumieren ist im hohen Maße Zeitverschwendung. Es gibt so viele davon, daß man jedes erdenkliche Ergebnis irgendwo prognostiziert findet. Es ist alles Spekulation. Wofür verschwendet man also seine Aufmerksamkeit, wenn wir es in gut zwei Tagen genau wissen werden?

Es ist einerseits die irrationale Neugier und andererseits beinhalten die vielen Reportagen aus den entlegensten Ecken der USA doch eine Menge über den Wahltag hinausreichende Informationen.


Inzwischen habe ich so viele wütende und ungebildete Amerikaner im O-Ton vorgespielt bekommen, daß ich schon von Maximal-BMI-Rednecks mit fauligen Zähnen und Jagdgewehren träume.

Daß der grenzenlose Hass, den Trump und die Republikaner auskübeln extrem unpatriotisch ist und dem Land einen womöglich letalen Schaden zufügt, dürfte inzwischen unumstritten sein.

Keine Reportage, die sich nicht grämt, die Gräben seien gar nicht mehr zuzuschütten. Am Ende würden alle beschädigt sein.

Wohl wahr. Das Desaster, das eine Wahl Trumps auslösen würde, will ich mir gar nicht ausmalen.

Ich kann es kaum glauben und meine Finger krümmen sich, während ich das hier schreibe, aber ich fürchte, dass Donald Trump zum nächsten Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt werden wird.
Und so ist es passiert.
Es war wie ein Zugunglück, dem viele Menschen mit Staunen, Angst und Abscheu zugeschaut haben, über viele Monate hinweg; und nun, kurz bevor die Züge endgültig aufeinander prallen, setzt so etwas wie Erkenntnis ein. [….]

Aber selbst das gerade noch im Bereich des Möglichen liegende Best-Case-Szenario, also ein klarer Clinton-Sieg mit einer Senatsmehrheit für die Demokraten würde nicht die 50 Millionen fanatischen Hasser im Lande beseitigen.
Die eigene Regierung würde weiterhin von einer Armada aus rechts-religiösen Radiostationen und Myriaden Profi-Hetzern unter Beschuss genommen.
Die Republikaner würden erst Recht im House auf pure Obstruktion schalten.
Außerdem nehme ich an, daß bei den Zwischenwahlen von 2018 aus Frust über Clinton und die vergeigte Präsidentschaftswahl die GOP voll durchmarschieren wird. Spätestens dann hieße es wieder Gridlock Total.

Hat die planetare Vorzeige-Demokratie, the land of the free, der Sehnsuchtsort aller Auswanderer gar nichts Positives mehr zu vermelden?

Au contraire mon frère.

Der abschreckende Effekt der freiheitlichen westlichen Demokratie, der unkontrollierte Niedergang der Nation mit der Homoehe und der Marihuana-Freigabe ist ein Geschenk für alle Autokraten, die in den letzten Jahren befürchten mußten, ihre Völker könnten auch so was wie Mitsprache und freie Wahlen einfordern.

Recep Tayyip Erdoğan kann auch deswegen konsequent die demokratischen Elemente der Türkei abschaffen, weil das Idealland, dem post-autoritäre Staaten in den letzten Dekaden nacheiferten, nun abschreckend wirkt.
Will man etwa Zustände wie in Amerika? Öffentliche Pöbeleien und Schmutzkampagnen? Eine nicht mehr stattfindende Außenpolitik, weil ein de facto nicht mehr arbeitsfähiger Kongress seine gesamte Energie darauf verwendet die eigene Regierung zu kastrieren? Will man eine Schmuddelpresse, die rund um die Uhr Toppolitiker des eigenen Landes weidwund schießt?
Will man etwa eine Türkei, die sich 18 Monate mit einem extrem unwürdigen Spektakel vor der gesamten Weltöffentlichkeit blamiert?

Nein, wir wollen keine US-Zustände. Seht her, Türken wie froh Ihr über den starken Präsidenten Erdoğan sein können. Der läßt sich nicht fesseln und setzt türkische Interessen durch.

Nur zu offensichtlich begeistert sich auch Wladimir Putin an der Schockperformance, die Amerika seit anderthalb Jahren abliefert.
Falls irgendwelche russischen Oppositionellen sich über Einschränkungen der Pressefreiheit oder anderen Formen der Putinschen Machtfülle echauffieren wollten, so werden sie es jetzt viel schwerer haben, weil immer mehr Russen doch ganz froh sind von so einer starken Hand regiert zu werden. Bloß nicht so ein Chaos wie in Amerika.

[….] Die Amerikaner sollten sich gut überlegen, wem sie am 8. November ihre Stimme geben, erklärte der nationalistische Populist Wladimir Schirinowskij unlängst in einem Interview: "Sie stimmen für den Frieden auf Erden, wenn sie Trump wählen. Aber wenn sie Hillary wählen, bedeutet das Krieg. Es wird Hiroshimas und Nagasakis überall geben."
[….] Über Monate haben die staatlichen russischen Medien eine regelrechte Rufmord-Kampagne gegen Hillary Clinton gefahren, und zwar sowohl die nationalen als auch die internationalen wie der Propaganda-Kanal Russia Today und die Agentur Sputnik. Die Behauptung, die Clintons hätten bei der Gründung der Terrormiliz "Islamischer Staat" Pate gestanden, war dabei nur ein Höhepunkt. Zuletzt raunte der TV-Moderator und Chef der Propaganda-Agentur Rossija Segodnja, Dmitrij Kisseljow, das US-Establishment werde Donald Trump eher umbringen, als ihn Präsident werden zu lassen.
Die Sender ließen kaum eine Verschwörungstheorie aus. Als das Trump-Lager Zweifel an Hillary Clintons Gesundheit streute, spielte das sonntägliche Nachrichtenmagazin Westi Nedeli (Nachrichten der Woche) Zusammenschnitte von Husten-Anfällen der Kandidatin in Dauerschleife. Videos, auf denen sie den Kopf schüttelt, wurden so montiert, dass es wirkte, als leide Clinton an einer Nervenkrankheit. Die Zuschauer mussten den Eindruck gewinnen, das Rennen um die US-Präsidentschaft werde zwischen einem authentischen Haudrauf mit Sympathien für Russland und einer nervenkranken Todgeweihten ausgetragen. [….]

Am meisten freut sich aber vermutlich Xi Jinping, Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas und in Personalunion Staatspräsident der Volksrepublik China über das Schauspiel in Amerika.


Seine Machtfülle wird inzwischen mit Mao und Deng gleichgesetzt, aber müßte nicht auch er im Internetzeitalter befürchten, daß die immer wohlhabenderen Chinesen nach persönlichen Freiheiten, nach Demokratie und Mitsprache verlangen?

In der Tat sah es einige Zeit so aus, aber jetzt zeigt Washington allen missmutigen Chinesen welche enormen Vorteile das straff-autokratische Zentralregime hat.

[….] Neuer deutscher Exportschlager für den chinesischen Markt gesucht? Wie wär's mit dem anderswo schon beliebten deutschen Wort "Schadenfreude"? Nichts beschreibt die Stimmung in den oberen Rängen der Kommunistischen Partei im Moment wohl besser. Wer auch immer am Dienstag die Wahl in den USA gewinnt, einen selbsterklärten Sieger haben wir jetzt schon: Chinas KP.
Chinas Propaganda kann ihr Glück ob des Trump-Clinton-Spektakels kaum fassen. Die KP erklärt seit Jahrzehnten jede Wahl in den USA zur betrügerischen Show, die Demokratie nur vorgaukle, während China mit seiner Ein-Parteien-Herrschaft gut bedient sei.
Aber in diesem Jahr, da sich auch in westlichen Partnerdemokratien das Publikum angewidert abwendet vom Trump'schen Treiben, wo das Entertainment die Substanz und die Lüge die Wahrheit ersetzen, wo der Kandidat selbst in alle Mikrofone brüllt, dass das System nur Lug und Trug sei im Dienste einer korrupten, manipulativen Elite in Washington - da schreibt sich die Propaganda von selbst.
[….] Da können Chinas Staatsmedien sogar Krokodilstränen vergießen, da darf die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua klagen, wie "traurig" es sei, dass "das amerikanische System nicht funktioniert", da titelt das Parteiblatt: "Enttäuschend, deprimierend, unehrlich". Die Volkszeitung schreibt von "Chaos", von einem "Witz", davon, dass "Amerikas Demokratie unter Buhrufen in den Morast gefallen ist".
[….] Reihenweise werden von der Partei nun Chinas Amerika-Experten aufgeboten, die "das Versagen der amerikanischen Demokratie" konstatieren, wie das im September Zhang Zhixin, der Amerika-Chef am Chinesischen Institut für Internationale Beziehungen, in einem Essay schrieb. Selbst wenn Trump verliere, so Zhang, habe er schon jetzt die politischen Fundamente des Landes "unwiderruflich geschädigt".
[….] Die Volkszeitung hatte besondere Freude dabei, das Ende des politischen Moralpredigers USA zu verkünden, der der Welt sein System jahrzehntelang als überlegen angepriesen hatte: "Zeit, dass dieser 'Demokratie-Missionar' sein übertriebenes Selbstwertgefühl und seine Arroganz ablegt".[….]

War Amerika über Jahrzehnte das leuchtende Vorbild für Freiheit und Demokratie, dem es nachzueifern galt, so haben es 20 Jahre republikanische Obstruktion, Bildungsfeindlichkeit und radikaler Evangelikalismus vermocht, Amerika in ein Abschreckungs-Szenario zu verwandeln.

Autokraten in aller Welt können dankbar sein.
Welches Volk sollte sich schon für Demokratie einsetzen, wenn Demokratie Trump, Palin und Pence hervorbringt?